Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.11.2007, Az.: 8 U 105/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.11.2007
- Aktenzeichen
- 8 U 105/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 59353
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:1122.8U105.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 16.03.2007 - AZ: 13 O 125/06
- nachfolgend
- BGH - 17.09.2008 - AZ: IV ZR 343/07
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2008, 63-66
Amtlicher Leitsatz
- 1.
1. Verletzungen, die durch einen von den Vorstellungen des Täters über den Schadensverlauf wesentlich abweichenden Geschehensablauf entstanden sind und die nach Art und Schwere wesentlich von den Verletzungen abweichen, wie er sie sich vorgestellt hat, werden von einem auf "Körperverletzung" gerichteten Vorsatz nicht umfasst.
- 2.
2. Wegen der Vielschichtigkeit möglicher Handlungsabläufe kommt hier der Beweis des ersten Anscheins nicht zum Tragen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.3.2007 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz aus einer Privathaftpflichtversicherung seines Vaters in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB; Fassung Juli 1999) und die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen zur Haftpflichtversicherung (BBR 9, Ausgabe Juli 1999) zugrunde. Der unverheiratete Kläger, der zum Tatzeitpunkt Auszubildender war, begehrt als Mitversicherter für folgenden Vorfall Versicherungsschutz:
Am 26.10.2003 gegen 03:30 Uhr kam es auf dem B ... platz in B. zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschädigten P. S.. Dem vorausgegangen war ein Wortwechsel zwischen Herrn S. und seinem Begleiter einerseits und dem Kläger und seinen Freunden andererseits. Der Anlass und Hergang dieses Wortwechsels wie auch der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung ist zwischen den Parteien streitig. Im Laufe der Auseinandersetzung versetzte der Kläger Herrn S. einen heftigen Schlag mit der rechten Faust ins Gesicht, woraufhin Herr S. zu Fall kam und mit dem Kopf auf das Pflaster aufschlug. Durch diesen Sturz auf das Pflaster zog sich Herr S. einen komplizierten Schädel-/Schädelbasisbruch zu, wodurch es zu einer Blutung zwischen sowie unter den Hirnhäuten kam, sodass eine intensiv-medizinische Behandlung erforderlich war und sich Herr S. bis zum heutigen Tage in einer vollstationären Therapieeinrichtung befindet. Aufgrund der Schwere der Verletzungen ist davon auszugehen, dass Herr S. lebenslang unter den Folgen der Verletzungen zu leiden hat und einer Erwerbstätigkeit nicht mehr wird nachgehen können.
Mit Urteil vom 31.1.2007 verurteilte das LG Verden den Kläger, an den Geschädigten P. S. Schmerzensgeld und Schadensersatz zu zahlen. Außerdem stellte es die Eintrittspflicht des Klägers für künftige materielle und immaterielle Schäden des Herrn S. fest. Außerdem sprach es die Feststellung aus, dass es sich bei der Forderung um eine solche aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung handele.
Die Beklagte lehnt die Erbringung von Leistungen mit der Begründung ab, dass der Kläger vorsätzlich gehandelt habe. Insoweit beruft sie sich auf den Ausschlussgrund des § 4 II Nr. 1 S. 1 AHB i.V.m. § 152 VVG.
Der Kläger vertritt die Meinung, dass die Voraussetzungen des vorgenannten Ausschlussgrundes nicht vorlägen. Er hat hierzu behauptet:
Die Auseinandersetzung sei von dem Geschädigten S. ausgegangen. Herr S. sei sodann unvermittelt auf ihn zugetreten und habe ihm einen Faustschlag in die Rippengegend versetzt (Bd. I, Bl. 4 d.A.). Hierdurch sei er, der Kläger, zurückgetaumelt. Da er gesehen habe, dass Herr S. sich weiter auf ihn zu bewegte, habe er sich zunächst Luft verschaffen und den weiteren erwarteten Angriff abwehren wollen, weshalb er ihm intuitiv und nicht gezielt einen Schlag versetzt habe (Bd. I, Bl. 4 d.A.). Bedingt durch seine - für den Kläger nicht in dem Maße erkennbare - Alkoholisierung habe der Geschädigte sein Gleichgewicht nicht mehr halten können und sei nach hinten übergefallen. Selbst wenn er sein Notwehrrecht möglicherweise überschritten habe, habe er aber keinesfalls eine so gravierende Verletzung, wie sie bei dem Geschädigten eingetreten sei, verursachen wollen. Die Möglichkeit einer so extremen Verletzung sei für ihn nicht bewusst und auch nicht vorhersehbar gewesen (Bd. I, Bl. 5 d.A.). Sein Ziel sei es nicht gewesen, den Geschädigten niederzuschlagen oder gezielt zu verletzen (Bd. I, Bl. 66 d.A.). Er habe sich eine Lage vorgestellt, in der eine voll rechtfertigende Handlung möglich sei, weshalb er die Auffassung vertreten hat, dass eine sog. Putativnotwehr vorliege (Bd. I, Bl. 73 f. d.A.).
Der Kläger hat beantragt (Bd. I, Bl. 4, 112, 145 d.A.),
festzustellen, dass die Beklagte aus dem bestehenden Haftpflichtversicherungsverhältnis verpflichtet ist, sämtliche materiellen wie immateriellen Schäden bis zum Erreichen der Versicherungsvertragssumme auszugleichen, die Herrn P. S., geb. am § 1966, aus dem Verletzungsereignis vom 26.10.2003 in B., B. platz, entstanden sind.
Die Beklagte hat beantragt (Bd. I, Bl. 9, 112, 145 d.A.), die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet:
Der Kläger habe auch im Hinblick auf die eingetretenen Gesundheitsschäden zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Der Geschädigte habe zwar im Zuge der zunächst verbalen Auseinandersetzung einen kleinen Schritt auf den Kläger zu gemacht und habe ihn mit der linken Hand am rechten Ärmel fassen wollen (Bd. I, Bl. 20 d.A.). Die Bewegung sei aber nur sehr langsam ausgeführt worden. Der Kläger habe die vom Geschädigten langsam ausgeführte Bewegung jedoch zum Anlass genommen, einen Schritt nach hinten auf die Fahrbahn zu machen, um von dort aus augenblicklich wieder auf den Geschädigten zuzuspringen und ihm während des Sprungs einen harten Faustschlag mit der rechten Faust auf das linke Auge zu versetzen (Bd. I, Bl. 21 d.A.). Der Schlag sei mit derart erheblicher Intensität ausgeführt worden, dass der Geschädigte S. nach hinten umgefallen und mit dem Kopf auf das Pflaster aufgeschlagen sei.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, für die Annahme von Vorsatz sei es nicht erforderlich, dass der Täter den als möglich vorgestellten Erfolg in allen Einzelheiten billige (Bd. I, Bl. 23 d.A.). Im Übrigen sei dem Kläger aufgrund achtjähriger Erfahrung in Jiu Jitsu bewusst gewesen, welchen Schaden er durch gezielte Faustschläge verursachen könne, insbesondere, dass er sein Opfer bewusstlos schlagen könne (Bd. I, Bl. 23, 25 d.A.).
Im Übrigen hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass - selbst wenn man von einem vorangegangenen Schlag des Geschädigten ausgehen wolle - die Notwehrlage durch den Kläger provoziert worden sei. Hierzu hat sie behauptet, der Kläger habe den Geschädigten vor dem Eintritt des Schadens verbal provoziert. Ferner habe der Kläger die Grenzen der erforderlichen Notwehr erheblich überschritten, weshalb ein Fall des Notwehrexzesses vorliege (Bd. I, Bl. 25 f. d.A.).
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen St., S., M. (Bd. I, Bl. 112 ff. d.A.) und Sch. (Bd. I, Bl. 141 ff. d.A.).
Außerdem hat es den Kläger persönlich angehört (Bd. I, Bl. 145 d.A.).
Mit Urteil vom 16.3.2007 (Bd. I; Bl. 165 ff. d.A.) hat das LG der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ausschlussklausel des § 4 II Nr. 1 S. 1 AHB greife nicht ein, weil die Kammer nicht feststellen könne, dass der Kläger den Schaden vorsätzlich herbeigeführt habe. Zwar stehe fest, dass der Kläger den Geschädigten S. vorsätzlich geschlagen habe. Die Beklagte habe jedoch nicht bewiesen, dass sich der Vorsatz des Klägers auch auf die zu den weiteren Folgeschäden wie Anfallsleiden, aphasische Störung, organisches Psychosyndrom, Apraxie, führenden Schädelverletzungen mit Blutungen unter und zwischen den Hirnhäuten erstreckt habe. Wer einem anderen einen Faustschlag in das Gesicht versetze, nehme allenfalls Gesichtsverletzungen billigend in Kauf. Er werde in der Regel aber nicht mit einem Schädel-/Schädelbasisbruch und Hirnblutungen und anschließenden Dauerschäden rechnen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte rügt, dass dem Urteil des LG eine unzureichende Erfassung des streitgegenständlichen Sachverhalts zugrunde liege. Das Urteil lasse auch eine umfassende Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung vermissen. Bei bedingtem Vorsatz müsse sich der Täter den konkreten Schadensverlauf nicht vorgestellt haben. Nur ungewöhnliche und damit atypische Tatfolgen seien daher vom Vorsatz ausgeschlossen (Bd. I, Bl. 220 d.A.). Im Übrigen habe sich das LG nicht mit allen Indizien beschäftigt, die für einen bedingten Vorsatz des Klägers auch hinsichtlich der Verletzungsfolgen sprächen, wie etwa das Verletzungsmuster. Außerdem folge aus der Intensität des Angriffs bereits ein Indiz für die Tatsache, dass der Kläger die Folgen seines Handelns billigend in Kauf genommen habe. Wer mit großer Kraft einen Fausthieb gegen das Gesicht seines Opfers ausführe, müsse damit rechnen, dass das Opfer stürzen und sich dadurch weitere erhebliche Verletzungen zuziehen könne (Bd. I, Bl. 223 f. d.A.). Das objektive Schadensbild lasse den Rückschluss zu, dass der Kläger den Faustschlag gegen den Kopf mit außergewöhnlicher Gewalt ausgeführt habe (Bd. I, Bl. 227 d.A.). Die Verletzungen im linken vorderen Kopfbereich seien nicht durch den Sturz, sondern bereits durch den Faustschlag verursacht worden (Bd. I, Bl. 228 d.A.). Als ehemaliger Jiu Jitsu-Kämpfer habe der Kläger von den möglichen Folgen eines solchen Schlages gewusst. In diesem Zusammenhang rügt die Beklagte, dass das LG kein Sachverständigengutachten zu ihrer Behauptung eingeholt habe, dass die Ausbildung als Kampfsportler sowie die wettkampfmäßige Ausübung dieser Sportart über acht Jahre den Kläger dazu in die Lage versetzt habe, einzuschätzen, welche Folgen Schläge und Tritte bei einem potentiellen Gegner zu verursachen vermögen.
Die Beklagte beantragt (Bd. I, Bl. 218 d.A.),
das angefochtene Urteil des LG Hannover abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (Bd. II, Bl. 261 d.A.),
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und rügt den Vortrag der Beklagten, wonach die Schädelverletzungen des Geschädigten bereits durch den Faustschlag und nicht erst durch das Aufschlagen des Kopfes auf das Pflaster eingetreten seien, als verspätet (Bd. II, Bl. 262 d.A.). Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass ein Vorsatz bezüglich der Schadensfolgen umso weniger anzunehmen sei, je schwerer die Verletzungsfolgen seien (Bd. II, Bl. 263 d.A.). In diesem Zusammenhang behauptet er, sein Vorsatz sei nur darauf ausgerichtet gewesen, dem Geschädigten einen augenblicklichen Schmerz zuzufügen, ihn zu strafen, zu warnen oder zu demütigen (Bd. II, Bl. 266 d.A.). Schließlich ist er der Auffassung, dass die Beklagte das Vorliegen einer Notwehrsituation nicht widerlegt habe (Bd. II, Bl. 273 d.A.).
Der Senat hat den Kläger informatorisch angehört.
II. Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO). Dem Kläger steht als mitversicherter Person ein Anspruch auf Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten als des privaten Haftpflichtversicherers seines Vaters wegen der Schädigung des P. S. anlässlich der Auseinandersetzung vom 26.10.2003 gem. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 149 VVG i.V.m. § 1 Ziff. 1 AHB, lit. A. I. Nr. 2a) ab) BBR 9 zu.
1. Der Kläger ist trotz der Regelung in § 7 Nr. 1 S. 2 AHB, wonach die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem Versicherungsnehmer zusteht, aktivlegitimiert. Der Versicherte kann den Anspruch auch dann geltend machen, wenn der Versicherer damit einverstanden ist (Voit/Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 7 AHB Rz. 3). Da die Beklagte die Aktivlegitimation nicht rügt, ist von deren Einverständnis mit der Geltendmachung des Deckungsanspruchs durch den Kläger als nur versicherte Person auszugehen.
Wie das Urteil des LG Verden vom 31.1.2007 (Az. 5 O 357/06, Bd. I, Bl. 155 ff. d.A.) zeigt und wie im Übrigen unstreitig ist, wird der Kläger von dem Geschädigten S. wegen eines während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages eingetretenen Schadenereignisses, das die Verletzung und Gesundheitsbeschädigung eines Menschen zur Folge hatte, für diese Folgen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen in Anspruch genommen.
2. Wie das LG zutreffend festgestellt hat, greift im vorliegenden Fall der Ausschlusstatbestand des § 4 II Nr. 1 Satz 1 AHB und des § 152 VVG nicht ein. Nach § 4 II Nr. 1 Satz 1 AHB bleiben von der Versicherung ausgeschlossen Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben. Nach § 152 VVG haftet der Versicherer nicht, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat.
Vorsatz ist das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges. Der Vorsatz muss dabei anders als bei § 823 Abs. 1 BGB nicht nur die haftungsbegründende Verletzungshandlung, sondern auch die Verletzungsfolgen umfassen (BGH VersR 1971, 806, 807 [BGH 26.05.1971 - IV ZR 28/70]; 1972, 1039; 1998, 1011; OLG Düsseldorf VersR 1977, 745, 746; OLG Hamm VersR 1981, 789; Urteil des Senats vom 6.2.1981 - 8 U 81/80 - in: ZfS 1981, 284; OLG Köln VersR 1994, 339 f. [OLG Hamm 12.03.1993 - 20 U 332/92]; OLG Hamm VersR 2006, 781, 782). Hierbei genügt auch bedingter Vorsatz. Dieser liegt vor, wenn der Täter den als möglich vorgestellten Erfolg in seinen Willen aufgenommen und für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Hierbei muss der Täter die Folgen seines Handelns nicht in allen Einzelheiten vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Ausreichend ist es vielmehr, wenn er sich die Folgen zumindest in ihren Grundzügen vorgestellt hat. Das schließt es aus, dem Versicherungsnehmer Schadensfolgen zuzurechnen, die er nicht oder nicht in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts nicht gewollt oder im Sinne bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH VersR 1998, 1011 [BGH 17.06.1998 - IV ZR 163/97]). Verletzungen, die durch einen von den Vorstellungen des Täters über den Schadensverlauf wesentlich abweichenden Geschehensablauf entstanden sind und die nach Art und Schwere wesentlich von den Verletzungen abweichen, wie er sie sich vorgestellt hat, werden von einem auf "Körperverletzung" gerichteten Vorsatz nicht umfasst (OLG Düsseldorf VersR 1977, 745, 746 [OLG Düsseldorf 16.12.1976 - 18 U 192/75]).
Darlegungs- und beweispflichtig für vorsätzliches Handeln als Ausschlusstatbestand ist der Versicherer (Voit/Knappmann, a.a.O., § 4 AHB, Rz. 84). Zu seinen Lasten geht es daher, wenn die innere Einstellung des Täters zur Tat nicht aufgeklärt werden kann. Wegen der Vielschichtigkeit möglicher Handlungsabläufe kommt hier der Beweis des ersten Anscheins nicht zum Tragen (BGH VersR 1958, 361; OLG Hamm ZfS 2004, 272, 273). Zulässig ist es allerdings, indiziell aus der Gefährlichkeit der objektiven Verhaltensweise auf die innere Einstellung des Täters zu schließen.
Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, wenn das LG zu dem Schluss gekommen ist, dass die konkret eingetretenen Verletzungen des Geschädigten S. nicht vom Vorsatz des Klägers umfasst waren.
Insoweit geht der Berufungsangriff der Beklagten, wonach das LG keine ins Detail gehenden Feststellungen dazu getroffen habe, mit welcher besonderen Kraftanstrengung der Faustschlag vom Kläger ausgeführt wurde, fehl. Das LG hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass der Kläger nach einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Geschädigten S., deren Beginn und Ursache unklar geblieben seien, einen Schritt nach hinten gemacht habe und auf den Geschädigten S. zugesprungen sei und ihm mit der linken Faust einen harten Schlag in das Gesicht versetzt habe. Auch der Zeuge Sch. habe bestätigt, dass der Kläger einen ordentlichen Faustschlag gegen den Kopf des Geschädigten S. gerichtet habe. Welche weitergehenden Feststellungen das LG zur Intensität des Schlages hätte treffen sollen, ist nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht aufgezeigt worden.
Allerdings ist der Beklagten darin Recht zu geben, dass aus der vom LG festgestellten Härte und Zielgerichtetheit des Schlages durchaus Indizien für einen auch auf die konkreten Schadensfolgen gerichteten Vorsatz des Klägers herzuleiten sind. Denn es liegt nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass eine Person aufgrund eines kräftig geführten Schlages ins Gesicht zu Fall kommt und dabei so ungünstig mit dem Kopf auf den Fußboden aufschlägt, dass sie sich gravierende Kopfverletzungen zuzieht. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bereits im Rahmen seiner ersten Vernehmung am Tatort unmittelbar nach der Tat eingeräumt hat, dass der Geschädigte S. "total voll" gewesen sei (Bd. I, Bl. 3 d.A. 242 Js 39174/03 StA Verden). Gerade bei einer stark alkoholisierten Person besteht in besonderer Weise die Gefahr, dass sie aufgrund eines hart geführten Schlages nach hinten zu Fall kommt und sich nicht mehr richtig abzufangen weiß. So hat der Zeuge O. St. bei seiner Vernehmung vor dem LG bestätigt, dass Herr S. nach dem Schlag "wie eine Eiche" umgefallen sei (Bd. I, Bl. 114 d.A.). Auch der Zeuge S. hat bestätigt, dass Herr S. völlig gerade umgefallen sei (Bd. I, Bl. 115 d.A.). Insofern lässt sich eine objektive Vorhersehbarkeit schwerer Schädel-/Hirnverletzungen aufgrund eines gezielten Schlages gegen eine stark alkoholisierte Person durchaus bejahen, insbesondere wenn man - wie der Kläger - zuerst einen Schritt zurück gemacht hat und dann auf sein Opfer regelrecht zugesprungen ist. Der Beklagten ist auch zuzugeben, dass der Kläger aufgrund seiner achtjährigen Wettkampferfahrung im Jiu Jitsu - auch wenn diese zum Tatzeitpunkt mehr als fünf Jahre zurücklag - grundsätzlich wusste, dass mit einem gezielt geführten Schlag ein Opfer außer Gefecht gesetzt werden kann bis hin zur Zufügung tödlicher Verletzungen.
Dennoch lässt sich im vorliegenden Fall ein - wenn auch nur bedingt - vorsätzliches Handeln im Hinblick auf die konkret eingetretenen Schadensfolgen nicht mit der zur Bejahung des Haftungsausschlusses erforderlichen Sicherheit feststellen. Denn es sprechen auch gewichtige Indizien gegen einen derartigen Vorsatz des Klägers.
In diesem Zusammenhang ist zunächst seine Aussage unmittelbar nach der Tat vor der Polizei zu berücksichtigen, in welcher er erklärt hat, dem Geschädigten S. aus Reflex mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, nachdem ihm dieser in den Magen geboxt habe (Bd. I, Bl. 3 d.A. StA Verden 242 Js 39174/03). Auch bei seiner persönlichen Anhörung vor dem LG hat der Kläger erklärt, er habe sich damals eigentlich gar nichts gedacht. Der Schlag sei mehr ein Reflex gewesen. Der Kläger habe dem Geschädigten jedenfalls keine Schmerzen zufügen und ihn schon gar nicht so mutwillig zugrunderichten wollen, wie es dann passiert sei. Anderes hat er auch vor dem Senat nicht angegeben.
Dies erscheint auch durchaus nachvollziehbar. Denn wie das LG zutreffend festgestellt hat, richtet sich der Vorsatz desjenigen, der - wie vorliegend der Kläger - einem anderen einen Faustschlag in das Gesicht versetzt, in der Regel nur darauf, seinem Gegner einen augenblicklichen Schmerz zuzufügen, ihn damit zu strafen, zu warnen oder zu demütigen. Allenfalls nimmt er noch billigend in Kauf, dass der Gegner Gesichtsverletzungen erleidet, Zähne verliert oder, wenn es sich um einen besonders heftigen Schlag handelt, zu Boden stürzt. Es kann aber nicht das allgemeine Bewusstsein angenommen werden, dass ein Faustschlag weitere Verletzungsfolgen wie bspw. schwere Schädel-Hirnverletzungen haben kann (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1977, 745, 746 [OLG Düsseldorf 16.12.1976 - 18 U 192/75]). Selbst wenn - wie oben dargestellt wurde - solche Folgen nicht schlechterdings außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegen, sind sie andererseits aber auch nicht so wahrscheinlich, dass man allein aus dem einen vom Kläger heftig geführten Schlag darauf schließen könnte, dass er mit dem Eintritt derart schwerwiegender Verletzungen zumindest im Sinne eines bedingten Vorsatzes einverstanden war. Anders wäre das möglicherweise zu beurteilen, wenn der Kläger mehrfach auf den Geschädigten eingeschlagen oder auch noch nach dessen Fall auf den am Boden liegenden Geschädigten eingetreten hätte. Hinzu kommt, dass der Kläger zum Tatzeitpunkt gerade einmal 18 Jahre alt war und ein Heranwachsender in diesem Alter die Folgen seines Tuns noch nicht so in alle Details gehend reflektiert wie ein Erwachsener mit entsprechender Lebenserfahrung.
Außerdem ist nicht erkennbar, dass der Kläger ein Motiv gehabt hätte, dem Geschädigten derart schwere Kopfverletzungen zuzufügen (vgl. BGH VersR 1998, 1011, 1012 [BGH 17.06.1998 - IV ZR 163/97]). Der Kläger kannte den Geschädigten überhaupt nicht. Der Schlag erfolgte im Rahmen einer eher harmlosen, zunächst verbalen Auseinandersetzung auf dem ... B... platz. Dabei soll er vom Geschädigten als "Du Zwerg" betitelt worden sein, während er erwidert habe, "Komm Batzi, sei ruhig, Du bist so cool, Du kriegst zwei Daumen" (Bd. II, Bl. 27 d.A. 242 Js 39174/03 StA Verden). Auch dieser vorangegangene eher harmlose Wortwechsel spricht dagegen, dass der Kläger mit einer so verhängnisvollen Verletzung des Geschädigten S. einverstanden war, selbst wenn er von diesem zuvor in den Magen geboxt worden sein sollte und sich nun revanchieren wollte.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass unstreitig im Falle eines durch eine vorsätzliche Körperverletzung verursachten fahrlässigen Todes der Haftungsausschluss aus § 4 II Nr. 1 Satz 1 AHB nicht eingreift (BGH VersR 1971, 806, 807 [BGH 26.05.1971 - IV ZR 28/70]; VersR 1972, 1039 [BGH 12.07.1972 - IV ZR 23/71]; OLG Düsseldorf VersR 1977, 745, 746, OLG Hamm VersR 1981, 789). Hier wurde der Geschädigte S. lebensgefährlich verletzt und es hing nur vom Zufall ab, ob er an den Verletzungen sterben oder sie überleben werde. Wäre er an den Verletzungen gestorben, so bestünde kein Zweifel, dass die Beklagte eintrittspflichtig wäre, weil sich der Vorsatz des Klägers unstreitig nicht auf einen evtl. tödlichen Ausgang erstreckte. Nun, da der Geschädigte überlebt hat, kann hinsichtlich des Vorsatzes in Bezug auf die Gesundheitsschäden, die die gleichen geblieben sind, nichts anderes gelten. Entsprechendes hat daher über die Fälle gewollter Körperverletzung mit nicht gewollter Todesfolge hinaus auch dann zu gelten, wenn die eingetretenen Körperbeschädigungen wesentlich von den Folgen abweichen, deren Eintritt der Versicherungsnehmer sich als möglich vorgestellt hat (OLG Hamm VersR 1981, 789).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei Abwägung aller für und gegen einen die konkreten Gesundheitsschäden umfassenden Vorsatz sprechenden Indizien sich nicht mit der zur Versagung von Versicherungsschutz notwendigen Sicherheit feststellen lässt, dass der Kläger diese weitreichenden Schadensfolgen, wie sie hier eingetreten sind, in sein Wissen und Wollen aufgenommen und sie somit zumindest gebilligt hat.
Soweit die Beklagte nun erstmals vorträgt, dass die Verletzungen im linken vorderen Kopfbereich des Geschädigten nicht durch den Sturz, sondern durch den Faustschlag des Klägers verursacht worden seien, ist zunächst festzustellen, dass dieser Vortrag gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zu berücksichtigen ist. Die Parteien sind im ersten Rechtszug übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Geschädigte S. sich seine Kopfverletzungen durch den Aufschlag des Kopfes auf das Pflaster zugezogen hat. Folglich betrifft der neue Vortrag keinen Gesichtspunkt, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Auch ist nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht aufgezeigt worden, dass dieser Vortrag infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht gehalten wurde. Auch ist nicht erkennbar, dass die Beklagte diese neuen Behauptungen im ersten Rechtszug nicht hätte geltend machen können.
Abgesehen davon scheidet eine Berücksichtigung dieses neuen Vorbringens auch deshalb aus, weil es ersichtlich ohne Substanz vorgetragen wird. Die Beklagte hat mit keinem Wort dargelegt, woher sie ihre neuen, von dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien in erster Instanz und auch von den im Strafverfahren zugrundegelegten Tatsachen abweichenden Erkenntnisse plötzlich hat. Sie legt nicht etwa ein Gutachten oder eine sonstige medizinische Stellungnahme vor, aus der sich dies ergibt.
Selbst wenn man diesen Vortrag zulassen sollte, ergäbe sich aber für den Vorsatz des Klägers nichts Anderes. Im Gegenteil erscheint es noch wahrscheinlicher, dass durch den Schlag gegen den Kopf das Opfer zu Fall kommt und sich dabei Kopfverletzungen zuzieht, als dass allein durch einen Faustschlag derart gravierende Schädelverletzungen eintreten. Sieht man aber - wie das LG dies zu Recht getan hat - schon das Aufschlagen mit dem Kopf auf das Pflaster und die dadurch verursachten schweren Kopfverletzungen des Geschädigten als nicht vom Vorsatz des Klägers umfasst an, so ist es noch fernliegender anzunehmen, der Kläger habe in Kauf genommen, dass der Geschädigte allein aufgrund des Faustschlages schwere Kopfverletzungen davontragen werde.
Soweit die Beklagte schließlich rügt, dass das LG kein Sachverständigengutachten zu ihrer Behauptung eingeholt habe, dass die Ausbildung als Kampfsportler sowie die wettkampfmäßige Ausübung dieser Sportart über acht Jahre den Kläger dazu in die Lage versetzt habe einzuschätzen, welche Folgen Schläge und Tritte bei einem potentiellen Gegner zu verursachen vermögen, ist die Entscheidungserheblichkeit dieser Behauptung nicht ersichtlich. Denn wie das LG auf S. 8, zweiter Absatz seines Urteils ausgeführt hat, ist es dieser von der Beklagten erhobenen Behauptung grundsätzlich gefolgt. Es hat darin ausgeführt, dass auch die Kammer der Auffassung sei, dass der Kläger, der unstreitig acht Jahre lang Jiu Jitsu ausgeübt habe, hätte grundsätzlich vorhersehen können, dass der Geschädigte S. bei dem von den Zeugen St. und S. geschilderten präzisen heftigen Schlag zu Fall komme. Aus der auch subjektiven Vorhersehbarkeit folgt aber nicht zwingend, dass der Kläger diese Folge seines Tuns in Kauf genommen hätte, auch wenn er ihre prinzipielle Möglichkeit vorhergesehen hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.