Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 15.11.2007, Az.: 8 U 75/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.11.2007
- Aktenzeichen
- 8 U 75/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 59337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:1115.8U75.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 16.02.2007 - AZ: - 13 O 71/06
Rechtsgrundlagen
- VVG § 61
Fundstellen
- MDR 2008, 268-269 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2008, 7-8
- r+s 2009, 272-273
Amtlicher Leitsatz
- 1.
1. Es stellt keinen grobfahrlässigen Pflichtenverstoß einer Versicherungsnehmerin dar, wenn diese den Schlüssel ihres Kraftfahrzeuges nachts unter ihrem Kopfkissen verwahrt, auch wenn ihr inwzischen 18jähriger Sohn in der Vergangheit wiederholt unbefugt ihr Fahrzeug genutzt hat.
- 2.
2. Verlangt ein Versicherer wegen der unbefugten Nutzung eines KfZ durch einen Familienangehörigen weitere Schutzmaßnahmen, muss er mit Rücksicht auf das sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Treueverhältnis dem VN konkrete Ratschläge zur Verhinderung einer Wiederholung eines derartigen Vorfalls erteilen und etwa die Nutzung einer Kassette verlangen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.2.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO). Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 11.028,28 EUR aus §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 49 VVG i.V.m. § 12 Nr. 1 I b) AKB. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, die auch den Angriffen der Berufung standhalten:
Die Beklagte rügt die Auffassung des LG, wonach der Klägerin weitergehende Sicherungsmaßnahmen als die Aufbewahrung des Schlüssels während der Nacht unter ihrem Kopfkissen, insbesondere das Tragen des Schlüssels an einer Kette um den Hals oder das Abschließen des Schlafzimmers von innen, nicht zuzumuten seien. Sie verweist insoweit auf die Entscheidungen des OLG Hamm in VersR 1984, 929[OLG Hamburg 12.06.1984 - 7 U 76/83] und des OLG Karlsruhe in VersR 1981, 558 f. und meint, dass sich aus diesen Urteilen weitergehende Anforderungen an die Klägerin ergäben. Dem ist indes nicht so.
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall wusste die Versicherungsnehmerin - wie auch hier die Klägerin -, dass ihr im Haushalt lebender Sohn dazu neigte, ohne Fahrerlaubnis Auto zu fahren, und dass es ihm immer wieder gelang, unerlaubt in den Besitz der jeweils an anderen Stellen versteckten Fahrzeugschlüssel zu gelangen. Vor diesem Hintergrund hat das OLG Hamm das Verstecken des Fahrzeugschlüssels in einer an die Garderobe gehängten Schürze als grob fahrlässig angesehen.
In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall hatte der Vater eines mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden 18 Jahre alten Sohnes den Pkw-Schlüssel während der Nachtzeit in der Jackentasche verwahrt. Auch in diesem Fall nahm das OLG eine grob fahrlässige Verursachung des späteren Unfalls durch die nicht sichere Aufbewahrung des Schlüssels an.
Die in beiden Fällen als grob fahrlässig angesehenen Pflichtverstöße sind mit dem vermeintlichen Pflichtverstoß der Klägerin schon objektiv nicht vergleichbar. Das Verstecken des Schlüssels während der Nacht unter dem eigenen Kopfkissen stellt eine wesentlich sicherere Maßnahme vor unbefugtem Gebrauch des Kraftfahrzeugs dar als die Aufbewahrung der Fahrzeugschlüssel in einer Schürze oder einer Jacke, die an der Garderobe hängen. Dass ein Jugendlicher, der sich unbefugt in den Besitz des elterlichen Fahrzeugs bringen will, zuerst in den Taschen der an der Garderobe hängenden Jacken oder Schürzen seiner Eltern nach dem Schlüssel sucht, liegt auf der Hand. Insoweit ist so gut wie gar kein Schutz vor der unbefugten Ingebrauchnahme des Kfz. gegeben.
Anders verhält es sich dagegen im Falle der Klägerin, die den Schlüssel tagsüber am Körper führte und nachts unter ihrem Kopfkissen aufbewahrte. Hier des Nachts in das Schlafzimmer zu gehen und der schlafenden Mutter den Schlüssel unter dem Kopfkissen zu entwenden, verlangt wesentlich mehr kriminelle Energie. Außerdem ist die Gefahr, dass die Mutter dadurch wach werden und die versuchte Entwendung bemerken könnte, ggü. dem Verstecken in der an der Garderobe hängenden Jacke oder Schürze wesentlich gesteigert.
Es ist auch nicht ersichtlich, welche Maßnahmen die Klägerin noch hätte ergreifen sollen, um der Gefahr der unbefugten Benutzung des Fahrzeugs durch ihren Sohn vorzubeugen. Die von der Beklagten zunächst vorgeschlagene Alternative, den Schlüssel während der Nacht an einer Kette oder einem Band um den Hals zu tragen, hat das LG zu Recht ebenso für unzumutbar gehalten wie das Abschließen der Schlafzimmertür von innen. Die Aufbewahrung des Schlüssels in einer mit einem Zahlenschloss versehenen Kassette bietet ebenso wenig einen absoluten Schutz vor Entwendung wie die nunmehr von der Beklagten ins Feld geführte Lenkradkralle. Bei entsprechender krimineller Energie lassen sich auch diese Hindernisse durch Anwendung entsprechender Gewalt mittels geeigneter Werkzeuge überwinden. Ein absoluter Schutz vor der unbefugten Ingebrauchnahme des Fahrzeugs der Klägerin durch ihren Sohn lässt sich nicht erreichen. Indem die Klägerin den Schlüssel tagsüber bei sich am Körper trug und nachts unter ihr Kopfkissen legte, wovon nach dem von der Beklagten nicht angegriffenen Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme auszugehen ist, hat die Klägerin alles ihr Zumutbare getan, um eine Entwendung des Schlüssels durch ihren Sohn zu verhindern.
Dafür, dass der Sohn der Klägerin davon wusste, dass die Klägerin den Schlüssel nachts unter ihrem Kopfkissen versteckte, hat die Beweisaufnahme in erster Instanz keine Anhaltspunkte geliefert. Im Gegenteil hat der Zeuge C. R. in seiner Vernehmung vor dem LG ausgesagt, dass er zwar gewusst habe, dass seine Mutter wegen der vorangegangenen Vorfälle den Schlüssel Tag und Nacht bei sich trage. Dies habe sie ihm auch gesagt. Er habe allerdings nicht gewusst bzw. sie habe ihm nicht ausdrücklich gesagt, dass der Schlüssel unter dem Kopfkissen sei. Er habe nur entsprechend darauf geschlossen, dass er dort sein dürfte. Die Klägerin hat mithin auch nicht dadurch grob fahrlässig gehandelt, dass sie ihrem Sohn den Ort des Versteckes mitgeteilt hat.
Abgesehen davon, dass es danach bereits objektiv an einem groben Fehlverhalten der Klägerin fehlt, liegt auch in subjektiver Hinsicht kein erheblich gesteigertes Verschulden vor. Denn der letzte durch den Sohn der Klägerin verursachte Schadensfall lag vier Jahre zurück. In diesen vier Jahren war der Sohn der Klägerin nicht nur älter geworden, sondern hatte sich auch in einer betreuten Einrichtung für problematische Jugendliche aufgehalten, aus der er erst kurze Zeit vor dem streitgegenständlichen Vorfall in den Haushalt der Klägerin zurückgekehrt war. In den dazwischenliegenden vier Jahren hatte er sich unauffällig verhalten. Außerdem besuchte er die Fahrschule und stand kurz vor dem Absolvieren seiner Fahrprüfung. Vor diesem Hintergrund durfte die Klägerin davon ausgehen, dass ihr Sohn in den vergangenen Jahren reifer geworden war und den unmittelbar bevorstehenden Erwerb seiner Fahrerlaubnis nicht durch eine erneute unbefugte Ingebrauchnahme ihres Fahrzeugs ohne Fahrerlaubnis gefährden würde.
Hinzu kommt, dass die Beklagte der Klägerin nach dem letzten Schadensfall vom April 2001 keine konkrete Hilfestellung gegeben hat, wie sie in Zukunft die Benutzung ihres Fahrzeugs durch ihren Sohn effektiv verhindern könne. Mit Rücksicht auf das sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Treueverhältnis hätte die Beklagte der Klägerin damals konkrete Ratschläge zur Verhinderung einer Wiederholung eines derartigen Vorfalls erteilen und etwa die Nutzung einer Kassette verlangen müssen. Stattdessen hat sie sich mit dem allgemeinen Hinweis, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen dürfe, zufrieden gegeben und die Klägerin mit ihrem Problem alleine gelassen. Auch deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin weitere Sicherungsmöglichkeiten nicht bedacht oder umgesetzt hat.
Selbst wenn noch wirksamere Methoden zur Verhinderung einer erneuten unbefugten Ingebrauchnahme des Fahrzeugs der Klägerin durch ihren Sohn denkbar wären, ist ihr vor diesem Hintergrund zumindest subjektiv kein erheblich gesteigertes Verschulden vorzuwerfen, dessen Voraussetzungen die Beklagte nachzuweisen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.