Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.11.2007, Az.: 14 U 60/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.11.2007
- Aktenzeichen
- 14 U 60/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 59331
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:1114.14U60.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 30.01.2007 - AZ: 2 O 328/06
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2008, 8-9
In dem Rechtsstreit
...
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2007 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K., die Richterin am Oberlandesgericht A. und den Richter am Oberlandesgericht Dr.W. für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 30. Januar 2007 teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1 362,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Mai 2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Anschlussberufung des beklagten Landes wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen der Kläger zu 3/4 und das beklagte Land zu 1/4. Von den außergerichtlichen Kosten tragen der Kläger die des Beklagten zu 1 voll und die Hälfte der des beklagten Landes sowie 3/4 der eigenen, das beklagte Land die Hälfte der eigenen und 1/4 der dem Kläger erwachsenen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten tragen der Kläger 2/3 und das beklagte Land 1/3. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 im Berufungsverfahren trägt der Kläger. Das beklagte Land hat die eigenen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren hat das beklagte Land 1/3 zu tragen; im Übrigen trägt sie der Kläger selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2007: 1 362,51 €;
danach: 681,25 €.
Gründe
1. Soweit sich die Berufung zunächst auch auf eine Abänderung des angefochtenen Urteils dahin gerichtet hat, den Beklagten zu 1 neben dem beklagten Land zu verurteilen, hat der Kläger vor Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Berufung zurückgenommen, sodass insoweit lediglich über die angefallenen anteiligen Kosten zu entscheiden war (dazu unten 4.).
2. Im Übrigen ist die Berufung begründet:
Wie vom Senat bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert, kann keine der Parteien ein Verschulden des jeweils anderen Fahrzeugführers nachweisen. Deshalb ist für die Haftungsverteilung lediglich jeweils die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge zugrunde zu legen. Dies rechtfertigt eine hälftige Schadensteilung.
a) Ein Verschulden des Beklagten zu 1 am Zustandekommen des Verkehrsunfalls ist nicht festzustellen.
Ein Anscheinsbeweis spricht nicht gegen das beklagte Land. Dieser würde nur bei einer Kollision mit dem Nachfolgenden unmittelbar nach dem Fahrstreifenwechsel gelten (vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 7 StVO, Rdn. 17). Für eine Kollision der Nachfolgenden untereinander und ohne Berührung des den Fahrstreifen Wechselnden gilt der Anscheinsbeweis nicht. Infolgedessen hat der Kläger den vollen Beweis für ein schuldhaftes Fehlverhalten des Beklagten zu 1 in Bezug auf die anschließende Kollision der nachfolgenden Pkw zu führen. Anhand der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist ihm dieser Nachweis nicht gelungen. Der Beklagte zu 1 selbst hat vorgetragen, sich ganz ordnungsgemäß verhalten zu haben. Die Zeugin S. hat zwar bekundet, das Streufahrzeug sei "plötzlich, aus heiterem Himmel" auf die linke Fahrbahn gefahren. Sie habe versucht zu bremsen, dies aber nicht mehr rechtzeitig geschafft und deshalb die Fahrbahn nach rechts gewechselt. Auch der Sohn des Klägers, der Zeuge B.R., hat bekundet, das Streufahrzeug sei "ohne Vorwarnung" von rechts nach links gewechselt. Im Parallelverfahren14 U 62/07
(2 O 210/06 LG Lüneburg) hat der Zeuge R. allerdings nicht gleichermaßen deutlich ausgesagt. Er will dort schon von weitem und rechtzeitig das beabsichtigte Wendemanöver erkannt und sich darauf eingestellt haben. Angesichts der widersprüchlichen Zeugenaussagen sieht der Senat - wie schon das Landgericht (LGU 7) - den dem Kläger obliegenden Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens des Beklagten zu 1 nicht geführt.
b) Aus dem protokollierten Inhalt der Zeugenaussagen ist aber ebenso kein (Mit-)Verschulden des Zeugen R. am Zustandekommen des Verkehrsunfalls herzuleiten. Er will seiner Aussage in diesem Verfahren nach vom linken auf den rechten Fahrstreifen gewechselt sein, als sich das Streufahrzeug ohne Vorwarnung auf die linke Fahrbahn bewegte. Nach seiner Bekundung und auch der der Zeugin S. kann dem Zeugen R. nicht vorgeworfen werden, im Unfallzeitpunkt mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren zu sein.
c) Beiden Parteien ist aber auch nicht der Nachweis gelungen, das Unfallereignis sei jeweils für sie unabwendbar gewesen. Damit haben sie jeweils für die Betriebsgefahr ihrer Fahrzeuge einzustehen. Das beklagte Land kann sich dabei nicht auf die Inanspruchnahme von Sonderrechten gemäß § 35 StVO berufen. Zum einen gehört das Streufahrzeug nicht zum Kreis der bevorrechtigten Fahrzeuge gemäß § 35 Abs. 1 StVO, sondern unterfällt § 35 Abs. 6 StVO (vgl. insoweit die bei Hentschel a.a.O., § 35 StVO, Rdn. 2 f., abgedruckte Verwaltungsvorschrift). Danach durfte das Streufahrzeug bei entsprechender Kennzeichnung auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jede Richtung zu allen Zeiten fahren und halten, aber nur soweit dies der Einsatz erforderte (§ 35 Abs. 6 Satz 1 StVO, vgl. dazu wiederum Hentschel a.a.O., Rdn. 16). Das ist vorliegend nicht festzustellen. Der Beklagte zu 1 hätte vielmehr mit seinem (langsamen) Fahrzeug solange warten können und müssen, bis die hinter ihm auf der linken Fahrspur (deutlich schneller) fahrenden Pkw an ihm vorbei gewesen wären. Nach den von den Zeugen geschilderten Abständen der beteiligten Fahrzeuge wäre dies in jedem Fall angezeigt gewesen.
Für ein Zurücktreten der Betriebsgefahr besteht demgegenüber auf keiner Seite Veranlassung. Es ist kein überwiegendes Verschulden einer Seite festzustellen, das ein solches Zurücktreten rechtfertigen könnte.
d) Der Senat hält nach alledem - wie bereits in der mündlichen Verhandlung angesprochen - eine Schadensteilung für sachgerecht. Bei der Abwägung der Betriebsgefahren dürfte zwar das Streufahrzeug grundsätzlich eine höhere Betriebsgefahr aufweisen gegenüber den Pkw. Allerdings macht der Kläger ohnehin nur noch 50 % des ihm entstandenen Schadens gegenüber dem beklagten Land geltend. Das ist somit in jedem Fall gerechtfertigt.
Der Kläger kann demnach die Hälfte der mit der Klage geltend gemachten - unstreitigen (vgl. auch LGU 10) - Schadenspositionen von dem beklagten Land erstattet verlangen. Das sind die zuerkannten 1 362,51 €. Die zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich dabei aus Verzug.
3. Die auf vollständige Klageabweisung gerichtete Anschlussberufung des beklagten Landes hat aus den vorstehenden Ausführungen insgesamt keinen Erfolg.
4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713 und 543 Abs. 2 ZPO. Im Rahmen der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Rücknahme der Berufung unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung, soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1 gerichtet hat, (vgl. Protokoll Bl. 221 d.A.), auf die Kostenverteilung im Berufungsverfahren keine Auswirkung mehr haben konnte, weil die Sache bereits aufgerufen worden war (vgl. Bay. VGH, Beschl.v. 17. April 2007 - 4 C 07 659, juris-Rdn. 4; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., 3104 VV, Rdn. 1 und 4 m.w.N.). Die teilweise Rücknahme der Berufung hatte auch auf die unselbständige Anschlussberufung des beklagten Landes keinen Einfluss.