Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.06.2015, Az.: 1 KN 69/14

Feinsteuerung; Sicherungsbedürfnis; städtebauliche Absichten; städtebauliche Entwicklung; städtebauliches Ziel; Vorkaufsrecht; Vorkaufsrechtssatzung; Vorkaufssatzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.06.2015
Aktenzeichen
1 KN 69/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Vorkaufssatzung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB darf nur Flächen einbeziehen, deren Erwerb der Verwirklichung der beabsichtigten städtebaulichen Maßnahmen dienlich ist und für deren Erwerb mithin ein Sicherungsbedürfnis besteht (Anschluss an BVerwG, Beschl. v. 15.2.2000, 4 B 10.00 , juris Rn. 7 = NVwZ 2000, 1044 = BRS 63 Nr. 130; Beschl. v. 8.9.2009 - 4 BN 38.09 -, juris Rn. 4 = BauR 2010, 81 = BRS 74 Nr. 129).

2. Städtebauliche Maßnahme in diesem Sinne ist nicht die städtebauliche Zielvorstellung der Gemeinde, sondern die konkrete Maßnahme, mit der die Gemeinde ihr städtebauliches Ziel erreichen will. Verfolgt sie ihr Ziel mit den Mitteln eines Bebauungsplans, sind für das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses die in Aussicht genommenen Festsetzungen maßgeblich, soweit sie sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschluss bereits abzeichnen.

3. Ermöglicht eine in Aussicht genommene planerische Festsetzung mehrere Nutzungsmöglichkeiten und entspricht die gegenwärtige Nutzung eines Grundstücks einer zulässigen Nutzungsmöglichkeit, besteht ein Sicherungsbedürfnis nur dann, wenn sich eine Nutzungsänderung abzeichnet oder Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB vorliegen. Dass die Gemeinde unter den verschiedenen zulässigen Nutzungsmöglichkeiten eine bislang nicht ausgeübte Nutzung bevorzugt, ist ohne Bedeutung. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ermöglicht der Gemeinde keine Feinsteuerung der Bodennutzung, die sie mit den Instrumenten des Städtebaurechts nicht erreichen kann bzw. nicht erreichen will.

Tenor:

Die vom Rat der Antragsgegnerin am 7. Mai 2013 beschlossene Satzung über das besondere Vorkaufsrecht im Bereich des zukünftigen Bebauungsplans Nr. 600 - Einkaufszentrum Neumarkt - (vorhabenbezogener Bebauungsplan) wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Vorkaufssatzung für den Bereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 600 der Antragsgegnerin, weil sie ihr Grundeigentum beeinträchtigt sieht.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin der mit mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern bebauten Grundstücke Johannisstraße E. F. und G. in Osnabrück. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 8. August 2014 in Kraft getretenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 600 „Einkaufszentrum Neumarkt“. Bei dem auf der Grenze zwischen Alt- und Neustadt liegenden Neumarkt handelt es sich um einen an einer in Ost-West-Richtung verlaufenden Hauptverkehrsstraße gelegenen Stadtplatz, in den die Johannisstraße südlich einmündet. Südlich des Neumarkts liegt das Gebäude des ehemaligen Kaufhauses H.; dieses Gebäude steht seit einiger Zeit leer. Auch in der Johannisstraße ist ein Niedergang des Einzelhandels zu verzeichnen.

Mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 600, dessen Aufstellungsbeschluss vom 25. September 2012 datiert, möchte die Antragsgegnerin die Einzelhandelsflächen südlich des Neumarktes neu ordnen und die Ansiedlung eines Einkaufszentrums ermöglichen, um den Einzelhandel in der nördlichen Neustadt zu beleben. Das Plangebiet wird im Süden von der Großen Rosenstraße, im Osten von der Johannisstraße, im Norden vom Neumarkt und im Westen von einer unregelmäßig verlaufenden Linie zwischen den Flurstücken der Gemarkung Osnabrück (I.) mit den Flurstückbezeichnungen J. und K. im Norden sowie L. und M. im Süden begrenzt. Die ursprünglichen Pläne der Antragsgegnerin sahen vor, dass der Vorhabenträger alle Flächen innerhalb des Plangebiets erwerben und in das Einkaufszentrum einbeziehen sollte. Der vollständige Flächenerwerb scheiterte jedoch an mangelnder Verkaufsbereitschaft einzelner Eigentümer entlang der Johannisstraße sowie daran, dass es der Antragstellerin, die das gesamte Vorhaben ablehnt (vgl. Senat, Beschl. v. 22.12.2014 - 1 MN 118/14 -, juris = BauR 2015, 620), gelungen war, Grundstücke dort als „Sperrgrundstücke“ zu erwerben.

Die Antragsgegnerin veränderte ihre Planung daraufhin dahingehend, dass der Plan nur für die im Eigentum des Vorhabenträgers stehenden Grundstücke ein Einkaufszentrum festsetzt. Für die nicht im Eigentum der Beigeladenen stehenden, demzufolge nicht von dem Vorhaben- und Erschließungsplan erfassten und gegenwärtig mit Wohn- und Geschäftshäusern bebauten weiteren Flächen setzt der Plan jeweils Kerngebiete (MK1-MK3) fest. Ziel der Antragsgegnerin war und ist es, dass der Vorhabenträger die Kernbereichsflächen erwirbt und in das Einkaufszentrum einbezieht, damit dieses die städtebauliche gewünschte Verkaufsfläche von 21.500 qm erreichen und die angestrebte enge Anbindung an die Johannisstraße entstehen kann. In der Entwurfsbegründung heißt es dazu (S. 14):

Der Geltungsbereich des Vorhaben- und Erschließungsplans umfasst die Flächen, die bislang vom Vorhabenträger erworben werden konnten. Diese Flächen lassen bereits die Errichtung eines ausreichend großen Einkaufszentrums mit rund 16.500 m² Verkaufsfläche auf 3 Handelsebenen zu. Dieses Vorhaben ist auch im Vorhaben- und Erschließungsplan dargestellt. Einzelne Gebäude an der Johannisstraße, die wie Zahnlücken in den Baukomplex des Einkaufszentrums hineinragen, konnten bislang nicht erworben werden und behalten daher ihre Kerngebietsfestsetzung. Die spätere Einbindung dieser Zahnlücken ist abhängig von der Verfügbarkeit der Grundstücke. Die vorgesehenen Festsetzungen hindern weder die spätere Einbeziehung dieser Grundstücke in das Einkaufszentrum noch deren Fortbestand als selbstständige Kerngebietsgrundstücke.

Ziel des Konzeptes ist eine städtebauliche Eingliederung in das Gesamt-Ensemble Neumarkt, welches das Landgericht und die angrenzenden Gebäude einbezieht und eine dem Standort entsprechende Bebauung vorsieht. Die Johannisstraße soll in dieses Ensemble integriert und somit aufgewertet werden. Auch wenn in einem ersten Bauabschnitt aufgrund mangelnder Flächenverfügbarkeit ein „Rundlauf“ vom Neumarkt zur Johannisstraße noch nicht realisiert werden kann, so ist diese Wegeführung jedoch als erklärtes Ziel der städtebaulichen Planung zu verstehen.

Weiter heißt es (S. 20):

Die einbezogenen weiteren Grundstücke (Johannisstraße N. E. O. und P. bis Q.) bleiben als Kerngebiet überplant und somit einer eigenständigen Nutzung zugänglich. Die Festsetzungen zur Bauweise, zur überbaubaren Grundstücksfläche und zum Maß der baulichen Nutzung werden unter Berücksichtigung des vorhandenen Gebäudebestandes und seiner Erweiterungsmöglichkeiten an die Festsetzungen im VEP angepasst. Eine bauplanungsrechtliche Schlechterstellung dieser Grundstücke erfolgt durch die Überplanung nicht.

Der Durchführungsvertrag verpflichtet die Antragsgegnerin unter bestimmten Voraussetzungen, eine Einbeziehung der Kernbereichsgrundstücke in das Einkaufszentrum baurechtlich zu genehmigen. Mit diesem - im Juli 2014 im Wesentlichen unverändert als Satzung beschlossenen - Planungsstand fand in der Zeit vom 15. April 2013 bis zum 10. Mai 2013 die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit statt.

Zur Unterstützung der vorstehenden Zielsetzung beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 7. Mai 2013 eine Vorkaufssatzung für diejenigen, in § 2 im einzelnen aufgeführten, Grundstücke, die nicht im Eigentum des Vorhabenträgers standen. In der Begründung heißt es, die Antragsgegnerin halte an der städtebaulichen Zielsetzung eines Einkaufszentrums mit bis zu 21.500 qm Verkaufsfläche und einer starken Anbindung an die Johannisstraße fest. Insbesondere im Hinblick auf das letztgenannte Ziel beabsichtige sie, das Vorkaufsrecht dazu zu nutzen, die entsprechenden Grundstücke nach Erwerb an den Vorhabenträger des Einkaufszentrums weiterzureichen. Die Satzung trat mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt für die Stadt Osnabrück am 17. Mai 2013 in Kraft.

Die Antragstellerin hat am 29. April 2014 Normenkontrollantrag gestellt. Sie ist der Auffassung, die Vorkaufssatzung diene nicht der Sicherung der angestrebten städtebaulichen Entwicklung. Der Planentwurf sehe im Bereich der Vorkaufssatzung die Festsetzung von Kerngebieten vor. Dieser Festsetzung entspreche die gegenwärtige Nutzung der Grundstücke als Wohn- und Geschäftshäuser. Tatsächlich gehe es der Antragsgegnerin darum, mit der Vorkaufssatzung weitere Flächen für das Einkaufszentrum zu erlangen. Das sei gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB unzulässig, weil die Vorkaufssatzung auf den Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans keine Anwendung finde.

Die Antragstellerin beantragt,

die vom Rat der Antragsgegnerin am 7. Mai 2013 beschlossene Satzung über das besondere Vorkaufsrecht im Bereich des zukünftigen Bebauungsplans Nr. 600 - Einkaufszentrum Neumarkt - (vorhabenbezogener Bebauungsplan) für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie entgegnet: Ihre Planungsvorstellung sei auf ein Einkaufszentrum mit bis zu 21.500 qm Verkaufsfläche und einer starken Anbindung an die Johannisstraße gerichtet. Zur Realisierung dieser Planungsvorstellung sei die Vorkaufssatzung erforderlich, um die notwendigen Grundstücke außerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans erwerben zu können. Dass der Bebauungsplan Kerngebiete festsetze, sei unschädlich; auch dort sei ein Einkaufszentrum allgemein zulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.

Der Normenkontrollantrag ist insgesamt zulässig. Der Antragstellerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht insoweit, als sie sich gegen die Begründung eines Vorkaufsrechts im Kerngebiet MK1 wendet, in dem sie nicht über Grundeigentum verfügt. Dabei lässt der Senat offen, ob die Vorkaufssatzung teilbar ist. Jedenfalls ist das Vorkaufsrecht für den Bereich des Kerngebiets MK1 nicht schon aufgrund vorläufiger Prüfung offensichtlich und damit auch für die Antragstellerin erkennbar als abtrennbarer und selbstständig lebensfähiger Teil einer unter dem Dach einer einheitlichen Satzung zusammengefassten Gesamtregelung zu sehen (vgl. zum Maßstab BVerwG, Beschl. v. 4.6.1991 - 4 NB 35.89 -, juris Rn. 30 = BVerwGE 88, 268 = BRS 52 Nr. 9). Nur in einem solchen Fall wäre eine Teilbarkeit bereits in der Zulässigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Der Normenkontrollantrag ist begründet. Die Vorkaufssatzung ist mit den Anforderungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht vereinbar.

Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Die Vorschrift, die gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans keine Anwendung findet, knüpft den Erlass einer Vorkaufssatzung an zwei Tatbestandsvoraussetzungen:

Die Gemeinde kann ein Vorkaufsrecht erstens in Gebieten begründen, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht. Dieser Begriff ist weit zu verstehen; er erfasst alle Maßnahmen, die der Gemeinde dazu dienen, ihre Planungsvorstellungen zu verwirklichen, vorausgesetzt, sie weisen einen städtebaulichen Bezug auf. Förmlich konkretisierter Planungsabsichten bedarf es nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.4.1994 - 4 B 70.94 -, juris Rn. 5 = NJW 1994, 3178 = BRS 56 Nr. 94). Das Vorkaufsrecht dient zweitens zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Die Gemeinde darf sich des Sicherungsmittels des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur dann bedienen, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht. In eine auf diese Vorschrift gestützte Vorkaufssatzung können mithin nur Flächen einbezogen werden, deren Erwerb der Verwirklichung der beabsichtigten städtebaulichen Maßnahmen dienlich ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.2.2000, - 4 B 10.00 -, juris Rn. 7 = NVwZ 2000, 1044 = BRS 63 Nr. 130; Beschl. v. 8.9.2009 - 4 BN 38.09 -, juris Rn. 4 = BauR 2010, 81 = BRS 74 Nr. 129).

Das zugrunde gelegt dient die Vorkaufssatzung nicht der Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Ein Erwerb der von der Vorkaufssatzung betroffenen Grundstücke trägt zur Verwirklichung der von der Antragsgegnerin beabsichtigten städtebaulichen Maßnahme nichts bei.

Das städtebauliche Ziel der Antragsgegnerin war und ist darauf gerichtet, ein Einkaufszentrum mit einer Verkaufsfläche von 21.500 qm und einer engen Anbindung an die südliche Johannisstraße zu errichten. Dieses Ziel ist nur unter Einbeziehung der von der Vorkaufssatzung betroffenen Grundstücke zu realisieren. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB stellt indes - wie bereits der Wortlaut der Vorschrift deutlich macht - nicht auf ein übergeordnetes städtebauliches Ziel, sondern auf die konkrete städtebauliche Maßnahme ab, die die planende Gemeinde zur Erreichung ihres Ziels in Betracht zieht. In der städtebaulichen Maßnahme, also in aller Regel in dem jeweils in Aussicht genommenen Instrument des Städtebaurechts, kommt zum Ausdruck, was die Gemeinde im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung für erforderlich hält. Folglich dient die konkrete städtebauliche Maßnahme und nicht das Ziel als solches als Maßstab dafür, ob ein Sicherungsbedürfnis für die Begründung eines Vorkaufsrechts durch Satzung vorliegt. Dabei kommt es auf den im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) erreichten Grad der Konkretisierung an. Liegt die städtebauliche Maßnahme in der Aufstellung eines Bebauungsplans, sind die in Aussicht genommenen Festsetzungen maßgeblich, soweit sie sich bei Satzungsbeschluss bereits abzeichnen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.2.2000, a. a. O., Rn. 8).

Auf dieser Grundlage ist das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses zu verneinen. Der Bebauungsplanentwurf in der am 7. Mai 2013 vorliegenden Fassung der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit sah - ebenso wie der später beschlossene Bebauungsplan - vor, die von der Vorkaufssatzung erfassten Flächen nicht als Sondergebiet Einkaufszentrum gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO sondern als Kerngebiet gemäß § 7 BauNVO festzusetzen. Diese Festsetzung ermöglicht es zwar, die Flächen zu einem späteren Zeitpunkt in das Einkaufszentrum einzubeziehen (vgl. Senat, Beschl. v. 22.12.2014 - 1 MN 118/14 -, juris Rn. 28 = BauR 2015, 620). Sie ermöglicht aber in gleicher Weise den unveränderten Fortbestand der bisherigen kerngebietstypischen Nutzung der aufstehenden Gebäude als Wohn- und Geschäftshäuser; für eine mögliche Änderung der Nutzung bzw. Missstände oder Mängel i. S. von § 177 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BauGB lagen keinerlei Anhaltspunkte vor. Beide Nutzungsmöglichkeiten stehen ausweislich der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanentwurfs und der Entwurfsbegründung gleichberechtigt nebeneinander. Der Bebauungsplan übt keinerlei Druck dahingehend aus, die tatsächliche Nutzung dem eigentlichen städtebaulichen Ziel der Antragsgegnerin anzupassen.

Daraus folgt, dass es zur Verwirklichung der städtebaulichen Maßnahme in Gestalt des in Aussicht genommenen Bebauungsplans nicht erforderlich war, ein Vorkaufsrecht zulasten der Kerngebietsgrundstücke zu begründen. Diese Grundstücke wurden (und werden) plankonform genutzt. Dass die Antragsgegnerin unter den verschiedenen zulässigen Nutzungsmöglichkeiten eine bislang nicht ausgeübte Nutzung als Einkaufszentrum bevorzugt, ist für die Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ohne Bedeutung. Die Vorschrift ermöglicht der Gemeinde keine Feinsteuerung der Bodennutzung, die sie mit den Instrumenten des Städtebaurechts nicht erreichen kann bzw. nicht erreichen will.

Die vorstehende Auslegung von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB wird durch den systematischen Zusammenhang mit § 26 Nr. 4 BauGB bestätigt. In der Vorschrift kommt die Annahme des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass es des Einsatzes der von ihm in den §§ 24 und 25 BauGB geschaffenen Sicherungsinstrumente nicht bedarf, wenn ein Grundstück in Einklang mit den städtebaulichen Zielvorstellungen der Gemeinde bebaut ist und genutzt wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.6.1993 - 4 B 100.93 -, juris Rn. 5 = NVwZ 1994, 284 = BRS 55 Nr. 100; ähnlich Beschl. v. 25.1.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7 = NVwZ 2010, 593 = BRS 76 Nr. 113). Deshalb schließt § 26 Nr. 4 BauGB die spätere Ausübung des Vorkaufsrechts aus, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 aufweist. Nach der seinem Wortlaut nach in beiden Tatbestandsalternativen auf eine Satzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB anwendbaren Vorschrift (vgl. explizit Roos, in: Brügelmann, BauGB, § 26 Rn. 18 <Stand der Bearbeitung: März 2003>; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 26 Rn. 7; a. A. BayVGH, Urt. v. 2.10.2013 - 1 BV 11.1944 -, juris Rn. 24 = NVwZ-RR 2014, 132 = BRS 81 Nr. 138: nur zweite Alternative) kann ein Vorkaufsrecht bei einer bestehenden Nutzung, die dem aufzustellenden Bebauungsplan entspricht, mithin nur dann zum Tragen kommen, wenn sich Missstände oder Mängel einstellen oder sich die Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt ändert. Für beides gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt; sowohl eine planwidrige Nutzungsänderung als auch Missstände oder Mängel sind angesichts der vielfältigen Nutzungsoptionen in einem Kerngebiet und der zentralen Lage der Grundstücke nicht zu erwarten. Die Vorkaufssatzung statuiert mithin ein Vorkaufsrecht, das von vornherein und auf absehbare Zeit für keines der einbezogenen Grundstücke ausgeübt werden kann. Auch das zeigt, dass es nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht der Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung i. S. von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB dient.

Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sie erwäge erforderlichenfalls eine Änderung des Bebauungsplans mit dem Ziel, die südliche Anbindung des Einkaufszentrums an die Johannisstraße notfalls selbst zu realisieren, mag eine derart in Aussicht genommene städtebauliche Maßnahme den erneuten Erlass einer Vorkaufssatzung rechtfertigen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses über die angegriffene Vorkaufssatzung zog die Antragsgegnerin jedoch keine über den Bebauungsplan Nr. 600 hinausgehenden städtebaulichen Maßnahmen in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. mit § 709 Satz 2 ZPO.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Der Fall ermöglicht es dem Bundesverwaltungsgericht, den Begriff der städtebaulichen Maßnahme näher zu bestimmen und die Frage zu klären, ob und gegebenenfalls inwieweit eine Vorkaufssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB zur Verfolgung städtebaulicher Ziele erlassen werden kann, deren Verwirklichung ein aufzustellender Bebauungsplan zwar ermöglicht, aber nicht erfordert.