Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.06.2015, Az.: 1 KN 79/14

Abwägungserheblichkeit; Bahnlärm; Bebauungsplan; Vorbelastung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.06.2015
Aktenzeichen
1 KN 79/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45311
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine bebauungsplanbedingte Zunahme von Bahnlärm außerhalb des Plangebiets ist dann nicht abwägungsrelevant, wenn sie die durch die Eisenbahnplanung bedingte Vorbelastung nicht überschreitet.

Dies gilt auch, wenn der Bebauungsplan die Wiederinbetriebnahme einer lange Zeit ungenutzten Strecke zur Folge hat.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zu 1/5.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 6 „Harvesse-Südost“ der Antragsgegnerin, der ein Industriegebiet am südöstlichen Rand der Mitgliedsgemeinde Harvesse festsetzt. Östlich des Plangebiets verläuft die Bundesstraße 214, südlich die Autobahn 2. Der Plan sieht neben der Festsetzung eines Industriegebietes, auf dem die Beigeladene die Errichtung eines Logistikzentrums plant, die Anbindung des Gebiets mittels einer Bahntrasse an die Bahnstrecke 1722, die in südlicher Richtung bis in die Stadt Braunschweig verläuft, vor.

Die Antragsteller sind Eigentümer und Bewohner von Grundstücken in der Ortschaft Völkenrode bzw. Watenbüttel, die unmittelbar an den Verlauf der Bahnstrecke 1722 angrenzen. Sie befürchten Lärm- und Erschütterungsbeeinträchtigungen durch den Betrieb von Güterzügen, die vom Logistikzentrum der Beigeladenen auf dieser Strecke bis in das Braunschweiger VW-Werk fahren sollen. Sie meinen, die Bahnstrecke sei vollständig stillgelegt gewesen. Der Plan führe zur Notwendigkeit, diese zu ihrem Nachteil zu reaktivieren.

Die Bahnstrecke 1722 ist der südliche Teil einer Strecke zwischen Braunschweig und Celle, deren Bau im Jahre 1912 beschlossen und im Jahr 1913 begonnen wurde. Im Jahr 1923 wurde das südliche Teilstück zwischen Plockhorst und Braunschweig in Betrieb genommen. Bis zum Jahr 1962 wurde diese Strecke für Personenverkehr genutzt. Im Jahr 1962 wurde der Personenverkehr auf dem Teilstück Plockhorst bis Braunschweig und im Jahr 1993 der Güterverkehr auf dem Teilstück zwischen Harvesse und Watenbüttel eingestellt. Im Jahr 1998 wurde vom Eisenbahnbundesamt die Stilllegung dieses Teilstücks gemäß § 11 AEG beschlossen. Im November 1997 wurde mit Planfeststellungsverfahren der Stadt Braunschweig ein nördlich des Mittellandkanals nach Osten abzweigendes Anschlussgleis zu dem Abfallentsorgungszentrum Watenbüttel hergestellt. Seitdem verkehren zwischen Braunschweig und dem Abfallentsorgungszentrum ein bis zwei Güterzüge pro Tag. In dem Nahverkehrsplan der Stadt Braunschweig aus dem Jahr 2008 wurde die Strecke Wendeburg bis Braunschweig entsprechend einem Bürgerentscheid in der Gemeinde Wendeburg als vorrangige Strecke für den Nahverkehr aufgenommen. Ein im Jahr 2013 vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr eingesetzter Lenkungskreis hat in einem Untersuchungsverfahren 74 von den Kommunen zur Reaktivierung vorgeschlagene Bahnstrecken überprüft und im Oktober 2013 28 Strecken für eine nähere Untersuchung ausgewählt. Die Strecke Braunschweig - Wendeburg stand dabei auf Platz 1 der Liste. Im März 2014 stellte der Lenkungskreis eine Liste mit 20 Strecken vor, die näher mit einer Nutzwertanalyse im Hinblick auf eine mögliche Reaktivierung untersucht werden sollten. Im April wurden 8 Strecken in die engere Auswahl genommen, darunter auch die Strecke Wendeburg/Harvesse bis Braunschweig. Im März 2015 stellte der Lenkungskreis 3 zur Reaktivierung ausgesuchte Bahnstrecken vor, darunter befindet sich die Strecke Wendeburg - Braunschweig wegen ungünstiger Kosten-/Nutzenanalyse nicht.

Im Jahr 2012 trat die Beigeladene mit Überlegungen zur Errichtung eines Logistikzentrums bei Harvesse an die Antragsgegnerin heran. In seiner Sitzung am 9. April 2013 beschloss der Rat die Änderung des Flächennutzungsplans sowie die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 6. Durch Beschluss der Feldmarkinteressentenschaft Harvesse vom 5. April 2013 war der Beigeladenen bereits das Recht zur Querung eines Feldwegs mit einem zum Anschluss an die Bahnstrecke 1722 notwendigen Gleis erteilt worden. Am 25. Juni 2013 fand eine Antragskonferenz im Raumordnungsverfahren des Zweckverbands Großraum Braunschweig über die Frage statt, ob ein Raumordnungsverfahren notwendig sei für die Einrichtung des Logistikzentrums der Beigeladenen. Unter dem 19. September 2013 erfolgte die landesplanerische Feststellung des Zweckverbands Großraum Braunschweig, dass kein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden solle (Bl. 135, BA S).

Mit Aushang vom 16. September 2013, ausgehängt in der Zeit vom 17. September bis 17. Oktober 2013, wurde die Bürgerbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB für die Zeit vom 25. September bis 16. Oktober 2013 für die Aufstellung des Bebauungsplans bekannt gemacht. Im Oktober 2013 folgte die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Mit Bekanntmachung vom 12. Dezember 2013, ausgehängt in der Zeit vom 12. Dezember 2013 bis 24. Januar 2014, wurde die Auslegung des Bebauungsplans in der Zeit vom 20. Dezember 2013 bis 23. Januar 2014 bekannt gemacht. Mit ausgelegt waren das angefertigte Schallgutachten sowie eine Verkehrsuntersuchung und die naturschutzrechtlichen Fachbeiträge. In seiner Sitzung vom 10. Dezember 2013 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die 29. Flächennutzungsplanänderung, in seiner Sitzung vom 18. Februar 2014 den Bebauungsplan Nr. 6 „Harvesse-Südost“ als Satzung. Im Amtsblatt vom 15. April 2014 machte sie den Bebauungsplan bekannt. Dieser setzt eine Fläche GI 2 fest, auf der die Einrichtung des Logistikoptimierungszentrums geplant ist, sowie eine Fläche GI 1, die im Wesentlichen den Verlauf der Anschlussbahnstrecke darstellt. In einem weiteren Teil (Bl. 2 des Bebauungsplans) wird der Ausbau der Kreuzung der Landesstraße mit der östlich verlaufenden Bundesstraße dargestellt. In den textlichen Festsetzungen ist für das Industriegebiet GI 1 die Errichtung von Gleisanlagen festgesetzt und sind darüber hinausgehende Nutzungen ausgeschlossen. Im Industriegebiet GI 2 sind Einzelhandelsbetriebe sowie produzierendes Gewerbe und offene Lager für Schüttgüter ausgeschlossen sowie die nach § 9 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Die textlichen Festsetzungen enthalten darüber hinaus Festsetzungen zum Immissionsschutz durch Immissionskontingente für das GI 1 wie auch das GI 2.

Unter dem 22. Januar 2015 erging ein Planfeststellungsbeschluss des Landkreises Peine für den Neubau des Anschlussgleises im Bereich des Bebauungsplans Nr. 6 an die Bahnstrecke 1722 (Braunschweig - Celle), gegen den sich unter anderem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens mit Klage und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wandten. Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Unter dem 16. April 2014 erhielt die Beigeladene die Baugenehmigung zur Errichtung eines Logistikzentrums auf dem Gelände des Bebauungsplans Nr. 6.

Im Mai 2014 haben die Antragsteller den Normenkontrollantrag gestellt, den sie auf den Teil des Gleisanschlusses an das Gleis der Strecke 1722 (GI 1) beschränken und hilfsweise auf den Bebauungsplan insgesamt erstrecken.

Die Antragsteller tragen im Wesentlichen vor, der Lärm der Schienentrasse werde zu erheblicher Beeinträchtigung ihrer Grundstücke führen. Das Lärmgutachten zeige, dass die Werte von 55 dB(A) sowohl am Haus als auch erst recht im davorliegenden Grundstücksbereich erheblich überschritten werden. Im Rahmen der Abwägung über die von ihnen eingebrachten Anregungen und Bedenken gegen den Bebauungsplan habe die Antragsgegnerin dies fälschlich nicht berücksichtigt. Die Antragsgegnerin habe fälschlicherweise übersehen, dass die Strecke faktisch stillgelegt sei. Richtigerweise müsse davon ausgegangen werden, dass auf einer vollständig stillgelegten Strecke erstmals ein Verkehr aufgenommen werde, der ausschließlich aus der Nutzung im Gebiet des Bebauungsplans resultiere. Dabei handele es sich um eine Veränderung der Verkehrslage durch ein bestimmtes Vorhaben, das vom übrigen Verkehr vollständig abgrenzbar sei und eindeutig abwägungserhebliche Belange der Antragsteller betreffe. Planbedingte Zunahme des Verkehrs auf außerhalb des Plangebietes liegenden Straßen müsse berücksichtigt werden. Dies müsse erst recht für die Aufnahme des Verkehrs auf einer stillgelegten Bahnstrecke gelten. All dies begründe ihre Antragsbefugnis.

Der Normenkontrollantrag sei auch begründet, da der Plan erhebliche Mängel aufweise. So seien bereits Mängel in der Auslegung erkennbar, denn die Bekanntmachung durch Aushang sei fehlerhaft. Die Hauptsatzung sehe nur den Aushang im Ortsteil Wendeburg vor, nicht aber im Ortsteil Harvesse. Das reiche nicht aus. Darüber hinaus sei in der Hauptsatzung keine Frist für den Aushang vorgesehen, so dass nicht bestimmbar sei, ob die Bekanntmachung durch Aushang ordnungsgemäß erfolgt sei. Die erforderliche Wochenfrist sei zudem nicht eingehalten worden. Die Auslegung über die Feiertage Dezember bis Januar sei unzureichend. Die Ratsmitglieder hätten nicht genügend Zeit gehabt, die Unterlagen zu prüfen. Fehlerhaft sei auch, dass es sich um einen Angebotsbebauungsplan handele, obwohl es sich eindeutig um ein Vorhaben allein der Beigeladenen handele. Der Schallschutz sei nicht rechtmäßig abgearbeitet, weil die Bahnstrecke zu Unrecht als benutzbar einbezogen worden sei. Darüber hinaus seien die naturschutzfachlichen Kompensationen nicht ausreichend abgearbeitet. Abgesehen davon, dass die naturschutzfachlichen Eingriffe entlang der Bahnstrecke 1722 nicht einbezogen seien, seien auch die angefertigten Gutachten unzureichend. Es sei ein nicht ausreichender Zeitraum betrachtet worden. Darüber hinaus fehle es an der Sicherung der Maßnahmen auf externen Ausgleichsflächen. Die Niederschlagswasserbeseitigung sei zu Unrecht auf das Baugenehmigungsverfahren verschoben worden. Nicht geprüft sei die Querung von Feldwegen entlang der Strecke 1722. Entsprechende Vereinbarungen mit den jeweiligen Feldmarkinteressentenschaften fehlten in dem Planaufstellungsvorgang.

Die Antragsteller beantragen,

den vom Rat der Antragsgegnerin am 18. Februar 2014 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 6 „Harvesse-Südost“ hinsichtlich des Teils der Festsetzung für das Industriegebiet GI1 für unwirksam zu erklären,

hilfsweise,

diesen Bebauungsplan insgesamt für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass der Antrag bereits unzulässig sei, weil es den Antragstellern an der Antragsbefugnis fehle. Die weitab vom Plangebiet wohnenden Antragsteller seien durch die Auswirkungen des Plans nicht beeinträchtigt. Soweit sie durch die Benutzung der Bahnstrecke 1722 beeinträchtigt würden, sei dies nicht dem Plan zuzurechnen. Denn es handele sich um eine gewidmete Bahnstrecke, auf der jederzeit mit der Aufnahme des im Rahmen der Widmung zulässigen Verkehrs gerechnet werden müsse. Ein Planfeststellungsverfahren für die Wiederaufnahme des Verkehrs auf dieser Strecke sei nicht notwendig, weil es sich um eine bestehende Strecke handele. Der Plan leide auch im Übrigen nicht an Fehlern. Die Auslegung sei ortsüblich bekannt gemacht. Die Wochenfrist, nach § 3 Abs. 2 Satz 2 sei eingehalten worden. Damit sei den gesetzlichen Anforderungen genügt. Wenn auch die Hauptsatzung nur den Aushang in Wendeburg vorsehe, sei das kein Mangel; denn es handele sich um den Hauptort der Samtgemeinde. Es sei deshalb nicht überraschend für Bürger der Mitgliedsgemeinde, wenn nur dort ein Aushangkasten vorhanden sei. Der Plan leide nicht an Abwägungsmängeln. Der Verkehrslärm auf der Bahntrasse 1722 habe nicht berücksichtigt werden müssen, da es sich um eine bestehende Bahnstrecke handele. Aus diesem Grund seien auch Feldwegquerungen im Bereich dieser Bahnstrecke nicht zu berücksichtigen. Die Feldwegquerung im Gebiet des Anschlussgleises sei geregelt. Probleme der Niederschlagswasserbeseitigung seien zu Recht dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten worden, da dieses sich für die Lösung besser eigne. Fragen der Umweltbeeinträchtigung im Hinblick auf die Nutzung der Bahntrasse 1722 seien aus den genannten Gründen nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens. Zudem sei aber auch ein artenschutzrechtlicher Fachbeitrag im Hinblick auf die Renovierung der Strecke erstellt worden.

Die Beigeladene äußert sich nicht und stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Planaufstellungsverfahrens wie auch des Planfeststellungsverfahrens durch den Landkreis Peine, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig. Es fehlt den Antragstellern, deren Grundstücke in erheblicher Entfernung vom Plangebiet liegen, an der Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).

Die Antragsteller sind durch die Festsetzungen des Plans selbst nicht unmittelbar betroffen. Eine Antragsbefugnis kann gleichwohl gegeben sein, wenn Antragsteller in subjektiven Rechten betroffen sind durch Nachteile, die in einem engen konzeptionellen Zusammenhang mit der angegriffenen Planung stehen, selbst wenn diese erst durch eine weitere Planung etwa wie hier durch das Planfeststellungsverfahren für das Anschlussgleis entstehen (BVerwG, Beschl. v. 17.12.2012 - 4 BN 19.12 -, Juris; Beschl. v. 16.3.2010 - 4 BN 66.09 -, Juris; Urt. v. 16.6.2011 - 4 CN 1.10 -, Juris, Rdn. 11). Voraussetzung ist, dass es sich um grundsätzlich schutzwürdige Belange handelt, die Geringfügigkeitsschwelle überschritten ist und die Nachbarn des Plangebiets (insbesondere: Vertrauens-) Schutz verdienen (BVerwG, Beschl. v. 4.2.2010 - 4 BN 68.09 -, BRS 76 Nr. 57). Werden Nachteile durch planbedingte Zunahme des Verkehrs außerhalb des Plangebietes geltend gemacht, ist zudem eine wertende Betrachtung der konkreten Verhältnisse angezeigt. Insbesondere ist die Einhaltung von Grenz- und Orientierungswerten zu prüfen, wobei sogar eine Lärmzunahme unterhalb der „Wahrnehmungsschwelle“ beachtlich sein kann (BVerwG, Urt. v. 18.7.2013 - 4 CN 3.12 -, BVerwGE 147, 206; Beschl. v. 24.5.2007 - 4 BN 16.07 u.a. -, BRS 71 Nr. 35; Beschl. v. 8.6.2004 - 4 BN 19.04 -, BRS 67 Nr. 19; Beschl. v. 19.8.2003 - 4 BN 51.03 -, BauR 2004, 1132; Beschl. v. 14.11.2000 - 4 BN 44.00 -, NVwZ 2001, 433).

Für die Anwohner einer Straße, die den durch ein neu geplantes Baugebiet entstehenden Verkehr aufnehmen soll, wirkt sich nicht schutzmindernd aus, ob sie mit einer Veränderung rechnen mussten (BVerwG, Beschl. v. 18.3.1994 - 4 BN 24.93 -, Juris; Beschl. v. 19.2.1992 - 4 BN 11.91 -, BRS 44 Nr. 41). Im Falle einer Verkehrszunahme nicht auf Straßen, sondern auf Bahnstrecken umfasst die Wertung des Einzelfalls allerdings auch die Berücksichtigung der durch eine bestehende Bahnstrecke entstandenen Vorprägung der Grundstücke (BVerwG, Urt. v. 14.12.1979 - IV C 10.77 -, BVerwGE 59, 253; Beschl. v. 11.11.1996 - 11 B 65.96 -, Juris; Urt. v. 9.7.2008 - 9 A 5.07 -, NVwZ 2009, 50, Juris, Rdn. 20; Urt. v. 21.11.2013 - 7 A 28.12 -, BRS 80 Nr. 143). Zu berücksichtigen ist hier die durch die Eisenbahnplanung bestimmte (Lärm-) Vorbelastung im Vergleich zu der bebauungs-planbedingt zu erwartenden Lärmbelastung. Wird das eisenbahnrechtlich festgesetzte Lärmkontingent bei Ausnutzung des Bebauungsplans nicht erreicht oder überschritten, sind die Interessen der Bahntrassen-Anlieger, den gegenwärtigen „planfeststellungsunterschreitenden“ Zustand aufrechterhalten zu sehen, nicht abwägungsrelevant. Sie können daher auch eine Normenkontrollantragsbefugnis nicht begründen.

Danach kann es für die Antragsteller, deren Grundstücke an die Bahnstrecke 1722 angrenzen, nicht zu einer abwägungsrelevanten Erhöhung der Lärmeinwirkungen kommen.

Bei der Bahnstrecke 1722 handelt es sich insgesamt - also für das Teilstück zwischen Mittellandkanal und Harvesse ebenso wie für die südlich anschließende Strecke bis Braunschweig - um eine bestehende Strecke, für deren (Wieder-)Inbetriebnahme ein (neuer) Planfeststellungsbeschluss nicht erforderlich ist.

Eine Planfeststellung für die Inbetriebnahme dieser Strecke wäre (nur) dann erforderlich nach § 18 AEG, wenn es sich um den Bau oder die Änderung der Strecke handelte. Ein Neubau ist gegeben, wenn die Strecke entwidmet oder tatsächlich funktionslos war. Eine Entwidmung durch einen eindeutigen Hoheitsakt auf der Grundlage von § 23 AEG ist nach den übereinstimmenden Auskünften von Bahn und Antragsgegnerin für diese Strecke nicht vorgenommen worden. Eine tatsächliche Funktionslosigkeit dieser Strecke ist gleichfalls nicht gegeben. Das wäre nur der Fall, wenn zwingende Hindernisse einer Wiederinbetriebnahme entgegenstehen, etwa wenn Teile der Grundstücke der Strecke nicht nur veräußert, sondern auch bereits anderweitig überbaut sind. Das ist hier nicht der Fall; denn die Strecke ist in der Natur auch in ihrem nördlichen Teil noch vollständig erhalten. Geplant ist nicht eine Veränderung der noch vorhandenen Schienen, sondern nur das Auswechseln oder Ausbessern vorhandener, aber nicht mehr funktionstüchtiger Gleisanlagen. Ausbesserungsarbeiten stellen selbst dann (noch) nicht eine Änderung im Sinne des § 18 AEG dar, wenn die Ausbesserungsarbeiten einem Neubau nahekommen (Hermes/Sellner, Beck`scher AEG-Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 18 Rdn. 75 ff.; BVerwG, Urt. v. 31.8.1995 - 7 A 19.94 -, BVerwGE 99, 166; Urt. v. 28.10.1998 - 11 A 3.98 -, BVerwGE 107, 350; Urt. v. 17.11.1999 - 11 A 4.98 -, BVerwGE 110, 81; Urt. v. 23.10.2002 - 9 A 22.01 -, Juris, Rdn. 51 ff.; Urt. v. 23.11.2005 - 9 A 28.04 -, BVerwGE 124, 334; Urt. v. 12.3.2008 - 9 A 3.06 -, BVerwGE 130, 299, Juris, Rdn. 193; Bay. VGH, Urt. v. 19.8.2014 - 22 B 11.2608 -, Juris; OVG Bautzen, Urt. v. 5.3.2014 - 1 C 28/11 -, Juris). Die Bahnstrecke 1722 zwischen Braunschweig und Harvesse besteht demnach als gewidmete Strecke entsprechend der Beschlussfassung aus dem Jahr 1912 fort. Dass die Strecke seit 1998 in dem Teilstück zwischen Watenbüttel und Harvesse stillgelegt war, also vom Abzweig zu dem Abfallentsorgungszentrum Watenbüttel, der mit Planfeststellung aus dem Jahr 1997 in Betrieb genommen worden ist, steht dem nicht entgegen. Mit der Stilllegungsgenehmigung nach § 11 AEG ist nur die Betriebspflicht für die „Infrastruktur“ aufgehoben. Diese wirkt sich nicht auf die Strecke als Bauwerk aus, also die in der Natur vorhandenen Schienen, Schwellen und Einrichtungen, die zum Betrieb benötigt werden (BVerwG, Beschl. v. 21.3.2014 - 6 B 55.13 -, Juris; Beschl. v. 21.4.2010 - 7 B 39.09 -, Juris; Urt. v. 28.10.1998, a.a.O.).

Nach den - auch der Antragsgegnerin bei Beschlussfassung - bekannten Daten ist die Strecke Braunschweig - Celle im Jahr 1912 geplant und entsprechend den beschlossenen Vorgaben in den folgenden Jahren gebaut worden. Bis zum Jahr 1962 wurde sie auf dem Teilstück Braunschweig bis Plockhorst für Personenverkehr genutzt. Auf dem Teilstück Watenbüttel bis Harvesse ist der Güterverkehr 1993 eingestellt und 1998 die Stilllegung gemäß § 11 AEG beschlossen, während auf dem südlich anschließenden Teil seit 1998 der Zugverkehr zum Abfallentsorgungszentrum Watenbüttel stattfindet. Der zu erwartende - vom Plangebiet ausgehende - Zugverkehr steigert derart zwar tatsächlich die derzeit durch den Verkehr zum Abfallentsorgungszentrum Watenbüttel begründeten Lärmeinwirkungen auf die Grundstücke der Antragsteller, er erreicht/ übersteigt aber nicht annähernd die plangegebene Vorbelastung, die sowohl Güterverkehr als auch Personenverkehr umfasst.

Die durch den Bebauungsplan ermöglichte Nutzung der Bahnstrecke 1722 übersteigt auch nicht die Grenze des Zumutbaren; denn gesundheitsgefährdende Lärmbelastungen entstehen nicht. Wie durch die gutachterliche Stellungnahme vom 4. Februar 2014 bestätigt ist, wird die Lärmbelastung (Lm nicht mehr als 55 dB(A) erreichen. Selbst unter Außerachtlassung des „Schienenbonus“ ist in einem Abstand von 18 m zur Gleismitte noch die Einhaltung des Orientierungswerts von 55 dB(A) gesichert. Von der Grenze zur Gesundheitsschädigung ist deshalb die zu erwartende Lärmbelastung weit entfernt. Zu berücksichtigen ist insbesondere auch, dass ein Nachtbetrieb ausgeschlossen ist und im Übrigen in dem Planfeststellungsbeschluss für den Bau des Anschlussgleises im Bereich des Bebauungsplans eine Begrenzung auf zwei Züge pro Tag enthalten ist.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann zusätzlich, dass die Lage der Grundstücke am Rande des nur durch die Bahnstrecke getrennten Außenbereichs eher zu einer Minderung des Schutzanspruchs für ein allgemeines Wohngebiet führt und deshalb die Antragsteller bereits nicht ein Unterschreiten der Lärmwerte für allgemeine Wohngebiete erwarten können.

Stellt sich damit die zu erwartende Lärmerhöhung bereits als nicht einmal abwägungs-erheblich dar, kommt dazu, dass ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der tatsächlichen Lage (maximal zwei Züge pro Tag zum Abfallentsorgungszentrum Watenbüttel) nicht entwickelt werden konnte angesichts einer vorhandenen und weder rechtlich entwidmeten noch tatsächlich funktionslos gewordenen Bahnstrecke (vgl. BVerwG,Beschl. v.19.2.1992 - 4 NB 11.91 -,BRS 54 Nr.41; Beschl. v.28.11.1995 - 4 NB 38.94 - BRS 57 Nr.41). Innerhalb des bei Errichtung der Strecke vorgegebenen Rahmens war und ist die Nutzung jederzeit möglich und zu erwarten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 und 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.