Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.2016, Az.: 13 OA 130/16

Einigungsgebühr; Gesamt-Gegenstandswert; Mitvergleichen; Verbindungsbeschluss; gerichtlicher Vergleich

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.08.2016
Aktenzeichen
13 OA 130/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43271
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.06.2016 - AZ: 6 E 25/16

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Berichterstatter der 6. Kammer - vom 1. Juni 2016 geändert und wie folgt gefasst:

Unter Zurückweisung der Erinnerung des Antragsgegners im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 28. April 2016 dahin geändert, dass die von dem Antragsgegner an die Antragstellerin in den Verfahren 6 B 131/15 bis 6 B 141/15 zu erstattenden Kosten festgesetzt werden auf

16.876,40 EUR

und die weitergehenden Kostenfestsetzungsanträge der Antragstellerin abgelehnt werden. Die im Kostenfestsetzungsbeschluss getroffene Entscheidung über die Verzinsung des festgesetzten Betrages bleibt bestehen.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Gerichtsgebühren werden in diesen Verfahren nicht erhoben.

Gründe

Die nach §§ 165, 151 VwGO i.V.m. §§ 146 Abs. 1 und 3, 147 VwGO zulässige Beschwerde des Antragsgegners vom 16. Juni 2016, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (vgl. Senatsbeschl. v. 10. Februar 2014 - 13 OA 27/14 -, S. 2 des Beschlussabdrucks; 2. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 11. Juni 2007  - 2 OA 433/07 -, juris Rdnr. 3), ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Juni 2016 (6 E 25/16) den Antrag des Antragsgegners auf Entscheidung des Gerichts i.S.d. §§ 165, 151 VwGO (die „Kostenerinnerung“) hinsichtlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (§ 164 VwGO) vom 28. April 2016 zu Unrecht vollumfänglich zurückgewiesen. Denn die letztgenannte Entscheidung ist in der Sache im mit der Beschwerde gerügten Umfang zu beanstanden.

Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss war auf Anträge der Antragstellerin hin für die beim Verwaltungsgericht anhängig gewesenen und vergleichsweise beendeten Eilverfahren 6 B 131/15 bis 6 B 141/15 (Veranlagungsjahr 2010 Monate Februar bis Dezember) ein Gesamtbetrag von dem Antragsgegner an die Antragstellerin zu erstattender außergerichtlicher Kosten nach § 162 Abs. 1 und 2 VwGO in Höhe von 24.641,40 EUR festgesetzt worden, der sich bezogen auf jedes Eilverfahren aus Verfahrensgebühren, Einigungsgebühren und Telekommunikationspauschalen ohne Umsatzsteuer zusammensetzte. Dabei wurden für jedes Eilverfahren nach dem jeweiligen Einzelstreitwert i.d.F. der Streitwertbeschwerdeentscheidungen des Senats vom 8. April 2016 (Verfahren 13 OA 55/16 bis 13 OA 65/16) getrennte Einigungsgebühren mit einem Satz von 1,0 nach Nrn. 1000, 1003 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis - VV -) angesetzt.

Diese Kostenfestsetzung hält der Antragsgegner mit seiner - nur auf die Einigungsgebühr bezogenen - Beschwerde zu Recht im Umfang von 7.765 EUR für überhöht. Hier war eine einheitliche 1,0-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4, 1003 VV auf der Basis der summierten Einzelgegenstandswerte (maßgeblich hierfür: Einzelstreitwerte, vgl. § 32 Abs. 1 RVG) der Verfahren 6 B 131/15 bis 6 B 141/15 als faktischen „Gesamtvergleichswerts“ von 382.498 EUR nach Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG (2.853 EUR) festzusetzen. Dies hatte in dem Verfahren 6 B 131/15 zu erfolgen. Hingegen durfte nicht - wie aber im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. April 2016 geschehen - die Summe der Einigungsgebühren, die jeweils aus den Einzelgegenstandswerten (Einzelstreitwerten) der Verfahren 6 B 131/15 bis 6 B 141/15 folgten (10.618 EUR), festgesetzt werden. Soweit es die getrennt für die genannten Verfahren festgesetzten 1,3-Verfahrensgebühren sowie Telekommunikationspauschalen angeht, sind die darauf bezogenen Festsetzungen nicht mit der Beschwerde angegriffen worden und im Übrigen auch rechtmäßig ergangen. Aus alledem resultiert eine zutreffende Kostenfestsetzungshöhe von 24.641,40 ./. 7.765 = 16.876,40 EUR. Insoweit waren die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts zu ändern bzw. neu zu fassen.

Ungeachtet des Umstandes, dass eine rechtskräftige Festsetzung des Gesamt-Gegenstandswertes 382.498 EUR für das Stadium des Vergleichs (nach § 33 Abs. 1 RVG oder als gestaffelter Streitwert nach § 32 Abs. 1 RVG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG) nicht getroffen worden ist, folgt aus dem Gesetz, dass bei der Bemessung der Einigungsgebühr von der Summe der Einzel-Gegenstandswerte auszugehen war.

Zwar lag in diesem Stadium nicht nur noch ein Verfahren (6 B 131/15) vor, welches die Gegenstände aller zehn anderen, ursprünglich selbständigen Verfahren umfasst hätte. Denn dies hätte vorausgesetzt, dass die Verfahren 6 B 132/15 bis 6 B 141/15 zu dem „führenden“ Verfahren 6 B 131/15 zu gemeinsamer Entscheidung hinzuverbunden worden wären, und ein hierfür erforderlicher förmlicher Verbindungsbeschluss i.S.d. § 93 Satz 1 VwGO ist gerade nicht ergangen.

Ohne Rücksicht auf die mithin fortbestehende prozessuale Selbständigkeit aller elf Verfahren liegt jedoch eine Konstellation vor, die die Festsetzung einer - insgesamt um 7.765 EUR geringeren - 1,0-Einigungsgebühr auf der Basis eines einheitlichen Gesamt-Gegenstandswertes gebietet. Es handelt sich dabei um das vom Antragsgegner an einem Beispiel veranschaulichte „Mitvergleichen“ von Gegenständen weiterer, bereits anhängiger Verfahren anlässlich der vergleichsweisen Beilegung eines Verfahrens (vgl. dazu Bischof, in: ders./Jungbauer u.a., RVG, 6. Aufl. 2014, Nr. 1003 VV Rdnrn. 31 f.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 29. April 2008 - 1 O 38/08 -, juris Rdnr. 4; OLG Köln, Beschl. v. 29. November 1972 - 2 W 105/72 -, MDR 1973, 324; Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, RVG Nr. 1000 VV Rdnr. 66).

Der Senat deutet den objektiven Inhalt des - einheitlichen - Vergleichsbeschlusses nach § 106 Satz 2 VwGO vom 3. November 2015 aufgrund gebotener sachgerechter Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls dahin, dass damit nur ein Vergleich in dem Verfahren 6 B 131/15 geschlossen und anlässlich dessen in diesem zusätzlich jeweils eine vergleichsweise Regelung zu den weiteren anhängig gewesenen Verfahren 6 B 132/15 bis 6 B 141/15 getroffen, d.h. in diesen Vergleich mit aufgenommen („einbezogen“) worden ist (vgl. zur Einbeziehung Bischof, a.a.O., Rdnr. 32; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, Nrn. 1003, 1004 VV Rdnrn. 71, 74, 95 f.). Dann fällt die 1,0-Einigungsgebühr nur einmal auf der Basis der zusammengerechneten Gegenstandswerte aller verglichenen Verfahren an, und zwar in demjenigen Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wird (vgl. Bischof, a.a.O.; Müller-Rabe, a.a.O., Rdnrn. 71, 73), hier mithin im Verfahren 6 B 131/15.

Für die gefundene Auslegung spricht, dass nur ein Vergleichsbeschluss erlassen worden ist und sich dessen Urschrift in der Gerichtsakte des Verfahrens 6 B 131/15 befindet, während zu den Gerichtsakten der übrigen, mitverglichenen Verfahren 6 B 132/15 bis 6 B 141/15 jeweils nur eine Beschlussabschrift genommen worden ist. Der Annahme, dass der einheitliche Vergleich in Wahrheit nur im Verfahren 6 B 131/15 zustande gekommen ist, steht die Angabe der Aktenzeichen aller betroffenen Verfahren bereits im Rubrum des Beschlusses („6 B 131/15 bis 6 B 141/15“) und in den Annahmeerklärungen der Beteiligten vom 4. November 2015 nicht entgegen. Diese Angabe allein zwingt nicht zu der vom Verwaltungsgericht vertretenen Deutung des Beschlusses, dass dadurch jeweils gleichzeitig in elf verschiedenen Eilverfahren (6 B 131/15 bis 6 B 141/15) ein gleichartiger gerichtlicher Vergleichsvorschlag unterbreitet worden sei, es sich dabei also um einen bloßen Sammelbeschluss (vgl. hierzu OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 29. Januar 1993 - 2 N 10/93 -, NVwZ-RR 1994, 334; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 93 Rdnr. 5) handele. Ebenso wenig spricht für diese Deutung der Umstand, dass die einzelnen Regelungen des Vergleichs inhaltlich dahin gehen, sich bezogen auf das Obsiegen bzw. Unterliegen sowie die Kostenlast in allen elf Eilverfahren gleichermaßen am Ausgang des Bezugsverfahrens 6 B 130/15 (Veranlagungsjahr 2010 Monat Januar) zu orientieren, das später mit der Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners gegen den dort ergangenen Beschluss vom 10. November 2015 durch Beschluss des Senats vom 10. Februar 2016 - 13 ME 183/15 - seinen rechtskräftigen Abschluss gefunden hat. Dass für das Verfahren 6 B 131/15 die gleiche Regelung (Musterprozessvereinbarung) wie für die übrigen zehn Eilverfahren vorgeschlagen wurde, weist nicht zwangsläufig auf elf gesonderte parallele Vergleiche hin. Soweit es um die Angabe aller Aktenzeichen im Vergleichstext selbst angeht, erinnert der Antragsgegner zu Recht daran, dass diese Benennung ohnehin zur prozessual wirksamen Beendigung der einzelnen Verfahren nach § 106 Satz 2 VwGO erforderlich gewesen ist. Diesem Umstand kommt mithin keine Aussagekraft zugunsten einer Existenz gesonderter Vergleiche zu. Soweit das Verwaltungsgericht betont, der Weg eines einheitlichen Beschlusses sei lediglich aus Gründen der Vereinfachung beschritten worden, spricht das ebenfalls nicht gegen die Annahme eines Mitvergleichens. Im Gegenteil erweist sich die damit einhergehende Arbeitserleichterung für die Beteiligten und ihre Prozessbevollmächtigten gerade als Rechtfertigungsgrund einer betragsmäßig geringeren Einigungsgebühr. Die - mit einem größeren Arbeits- und Zeitaufwand verbundene - Alternative, einen gleichartigen gesonderten Vergleichsbeschluss in jedem der elf Verfahren zu erlassen und anzunehmen und damit jedes einzelne Verfahren gesondert zu vergleichen, ist gerade nicht gewählt worden. In diesem - hier nicht vorliegenden - Fall wäre in der Tat in jedem der Verfahren eine 1,0-Einigungsgebühr bezogen auf den jeweiligen Einzelstreitwert angefallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt den Umstand, dass der Antragsgegner mit seiner ursprünglich weitergehenden Erinnerung teilweise unterliegt, seine Beschwerde hingegen vollumfänglich Erfolg hat. Das Erinnerungsverfahren ist mangels einer Nummer in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis) gerichtsgebührenfrei (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17. Februar 2015 - 3 S 2432/14 -, juris Rdnr. 18). Im Falle einer wie hier erfolgreichen Kostenbeschwerde entstehen auch im Beschwerdeverfahren - anders als bei der Verwerfung oder Zurückweisung einer derartigen Beschwerde (vgl. Nr. 5502 Kostenverzeichnis) - keine Gerichtsgebühren.