Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.08.2016, Az.: 12 ME 147/16

Antragsbefugnis; Bekanntmachung; Flächennutzungsplan; Entwurf; Genehmigung; vorbeugender Rechtsschutz; Rechtsschutzbedürfnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.08.2016
Aktenzeichen
12 ME 147/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43277
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.07.2016 - AZ: 2 B 16/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Grundstückseigentümer, der sich gegen die in einem Flächennutzungsplan vorgesehene Darstellung einer Positivfläche für die Nutzung von Windenergie in seinem Umfeld wenden will, kann nicht vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz gegen die Genehmigung und Bekanntmachung dieses Flächennutzungsplans beanspruchen.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 27. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller beansprucht, den Antragsgegner zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Genehmigung der 7. Flächennutzungsplanänderung zur Darstellung von Sonderbauflächen für die Windenergie im Gebiet der Antragsgegnerin zu 2. bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu 2. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Veröffentlichung der 7. Flächennutzungsplanänderung zur Darstellung von Sonderbauflächen für die Windenergie in ihrem Gebiet bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen.

Die Flächennutzungsplanänderung sieht u.a. die Neuausweisung einer Sonderbaufläche für die Nutzung der Windenergie vor, die in einem Abstand von 500 m Entfernung zum Wohnhaus des Antragstellers liegen soll. Ziel des Antragstellers ist, die Errichtung von Windenergieanlagen in seinem Wohnumfeld zu verhindern.

Das Verwaltungsgericht hat den Haupt- und den Hilfsantrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Begehren des Antragstellers stelle eine - unzulässige - vorbeugende Normenkontrolle dar, die im Ergebnis die Gewährung des gesetzlich vorgesehenen (und vom Antragsteller auch grundsätzlich avisierten) Rechtsschutzes im Wege der Normenkontrolle gem. § 47 VwGO verhindern würde, da die 7. Flächennutzungsplanänderung nicht in Kraft träte, wenn dem Antrag stattgegeben würde. Vorbeugender Rechtsschutz gegen den Erlass von Normen könne nur gewährt werden, wenn es dem Betroffenen mit Rücksicht auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen schlechthin unzumutbar sei, das Inkrafttreten der Norm abzuwarten und nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Dies sei allenfalls bei sog. „self-executing-Normen“ der Fall. Die hiesige Konstellation zähle dazu nicht, da auch im Rahmen des vom Antragsteller (eigentlich) angestrebten Normenkontrollverfahrens, verbunden mit einem Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO, eine Zwischenverfügung ergehen könne und etwaig erteilte Genehmigungen mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO angegriffen und ihre Ausnutzung ggf. vorläufig gestoppt werden könne. Dass eigene Rechte des Antragstellers durch die Genehmigung bzw. das Inkrafttreten der 7. Flächennutzungsplanänderung irreversibel geschädigt würden, sei nach der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Antragstellers führe das Inkrafttreten der Flächennutzungsplanänderung für sich genommen zu keiner Verletzung seiner Rechte; die Rechtsverletzung resultierte gegebenenfalls aus den infolge des geänderten Planungsrechts erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen. Ein unmittelbarer Eingriff in den Rechtskreis des Antragstellers, der ein Tätigwerden vor Inkrafttreten des geänderten Plans erforderte, sei nicht gegeben.

II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die vom Senat allein zu prüfenden dargelegten Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keinen Anlass, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern.

Der Senat teilt zunächst die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Hauptantrag des Antragstellers, den Antragsgegner zu 1. zu verpflichten, die Genehmigung der 7. Flächennutzungsplanänderung zur Darstellung von Sonderbauflächen für die Windenergie im Gebiet der Antragsgegnerin zu 2. bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, unzulässig ist. Dabei kann offenbleiben, ob dies auch deswegen gilt, weil kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht, nachdem der Antragsgegner zu 1. mit Schriftsatz vom 16. August 2016 mitgeteilt hat, die Genehmigung des Flächennutzungsplans sei am selben Tag erfolgt. Der Hauptantrag des Antragstellers ist jedenfalls unzulässig, weil die Antragsbefugnis fehlt. Der Antragsteller hat nicht schlüssig dargelegt, dass ihm der geltend gemachte Anordnungsanspruch, den Antragsgegner zu 1. zu verpflichten, die Genehmigung der 7. Flächennutzungsplanänderung zur Darstellung von Sonderbauflächen für die Windenergie im Gebiet der Antragsgegnerin zu 2. zu unterlassen, zustehen kann. Die Genehmigung eines Flächennutzungsplans durch die höhere Verwaltungsbehörde (hier den Antragsgegner zu 1.) nach § 6 BauGB ist nur für die Gemeinde (hier die Antragsgegnerin zu 2.) ein Verwaltungsakt. Für den Bürger handelt es sich bei der Genehmigung des Plans nur um einen Teil eines Rechtssetzungsvorgangs. Für ihn besteht nicht die Möglichkeit, die Genehmigung selbstständig mit Rechtsmitteln anzugreifen (OVG Lüneburg, Urt. v. 17.11.1970 - I A 97/69 -, DVBl. 1971, 322 [OVG Niedersachsen 17.11.1970 - I OVG A 97/69]; zust. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl., § 6 Rn. 5). Entsprechendes gilt für die Bekanntmachung. Woraus sich vor diesem Hintergrund die geltend gemachten Unterlassensansprüche sollen herleiten lassen, ist weder hinreichend substantiiert dargelegt noch für den Senat sonst ersichtlich.

Das Verwaltungsgericht hat das Anliegen des Antragstellers insgesamt als vorbeugende Normenkontrolle gewertet. Hiergegen trägt der Antragsteller Beschwerdegründe nicht vor. Zweifel an der Richtigkeit der Grundannahme des Verwaltungsgerichts, vorbeugender Rechtsschutz gegen den Erlass von Normen könne - ausgehend von Erwägungen des 7. Senats in seinem Beschluss vom 30. Juni 2015 (- 7 ME 29/15 -, NordÖR 2015, 456 [OVG Hamburg 05.03.2015 - 2 Bs 20/15], juris) - nur gewährt werden, wenn es dem Betroffenen mit Rücksicht auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen schlechthin unzumutbar sei, das Inkrafttreten der Norm abzuwarten und nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, was bei sog. „self-executing-Normen“ der Fall sei, legt der Antragsteller nicht hinreichend dar und sind für den Senat auch nicht sonst ersichtlich (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 8.9.1972 - IV C 17.71 -, BVerwGE 40, 323, juris Rn. 29; Urt. v. 29.7.1977 - IV C 51.75 -, BVerwGE 54, 211, juris Ls. 1; Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 42 Abs. 1 Rn. 169).

Soweit das Vorbringen des Antragstellers darauf abzielt, das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen für eine Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes in Bezug auf die 7. Flächennutzungsplanänderung der Antragsgegnerin zu 2. darzulegen, kann ihm nicht gefolgt werden. Es trifft nach Lage der Akten nicht zu, dass der Antragsteller im Wege einer Normenkontrolle grundsätzlich in der Lage sei, „die planungsrechtliche Grundlage für die Erteilung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen zu entziehen und auf diese Weise eine Genehmigungserteilung zu verhindern“. Soweit sich der Antragsteller gegen die Neuausweisung einer Sonderbaufläche für die Nutzung der Windenergie in einem Abstand von 500 m Entfernung zu seinem Wohnhaus (Konzentrationszone) wendet, sind die in Rede stehenden Darstellungen im Entwurf des Flächennutzungsplans selbst dann nicht zulässiger Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwGO, wenn der Flächennutzungsplan in Kraft getreten ist. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind. Anders als Bebauungspläne (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB) werden Flächennutzungspläne nicht als Satzung beschlossen (dazu etwa Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 47 Rn. 76 ff., 79a). Sie sind nach dem Wortlaut des § 47 VwGO nicht zulässiger Gegenstand einer Normenkontrolle.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt (s. etwa Urt. v. 7.7.2015 - 12 KN 209/13 -), ist allerdings § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Wege der Analogie auf Darstellungen des Flächennutzungsplans mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu erstrecken. Den Darstellungen des Flächennutzungsplans im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB hat der Gesetzgeber nach materiell-rechtlichem Gehalt und Regelungsanspruch Rechtswirkungen beigelegt, die der Bindungskraft von Festsetzungen des Bebauungsplans gleichkommen (BVerwG, Urt. v. 26.4.2007 - 4 CN 3.06 -, BVerwGE 128, 382, juris Rn. 11 ff., 19). Die Analogie erstreckt sich nur auf diejenigen Darstellungen des Flächennutzungsplans, die unmittelbar den Eintritt der Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zum Gegenstand haben. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Januar 2013 (- 4 CN 1.12 -, BVerwGE 146, 40, juris Rn. 10, 15) heißt es:

„Möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog ist allein die in den Darstellungen des Flächennutzungsplans zum Ausdruck kommende planerische Entscheidung der Gemeinde, mit der Ausweisung von Flächen für privilegierte Nutzungen nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB an den Standorten außerhalb der ausgewiesenen Flächen eintreten zu lassen. Im Übrigen sind die Darstellungen des Flächennutzungsplans einer prinzipalen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nicht zugänglich.

Die analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist auf die im Flächennutzungsplan zum Ausdruck kommende planerische Entscheidung der Gemeinde begrenzt, die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für Vorhaben außerhalb der ausgewiesenen Konzentrationsflächen eintreten zu lassen. Nur diese im Flächennutzungsplan ausdrücklich dargestellte oder in den Darstellungen des Flächennutzungsplans in sonstiger Weise zum Ausdruck kommende Willensentscheidung ist möglicher Gegenstand einer statthaften Normenkontrolle gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog.“

Soweit sich der Antragsteller also gegen die Festsetzung der Konzentrationszone in einem Abstand von 500 m Entfernung zu seinem Wohnhaus wendet mit dem Anliegen, der Bereich solle weiterhin Ausschlussgebiet für die Errichtung von Windenergieanlagen bleiben, wendet er sich nicht dagegen, dass Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für Vorhaben außerhalb der ausgewiesenen Konzentrationsflächen eintreten. Die von ihm angefochtene positive Ausweisung der Konzentrationszone im Flächennutzungsplan ist nicht zulässiger Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwGO. Darstellungen des Flächennutzungsplans besitzen grundsätzlich keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung gegenüber dem Bürger. Dies gilt auch, soweit § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB konkrete standortbezogene Aussagen in den Darstellungen des Flächennutzungsplans ("Positivflächen") zu öffentlichen Belangen erklärt, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben entgegenstehen können. Damit ist keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen verbunden (BVerwG, Urt. v. 26.4.2007- 4 CN 3.06 -, BVerwGE 128, 382, juris Rn. 15 m.w.N. u. v. 31.1.2013 - 4 CN 1.12 -, BVerwGE 146, 40, juris Rn. 14).

Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist der Antragsteller auf die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen etwaige spätere immissionsschutzrechtliche Genehmigungen zu verweisen (s. auch Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl., § 6 Rn. 5 m.N.). Dass er diese Genehmigungen nur angreifen und deren Aufhebung nur verlangen kann, wenn er durch sie in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird, entspricht der Rechtsordnung (§ 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und ist nicht unzumutbar. Das bedeutet, dass Rechtsschutz bei Rechtsbehelfen eines Dritten (wie im Falle des Antragstellers, wenn er sich gegen eine einem Begünstigten erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung wendet) auf eine Verletzung sog. drittschützender Normen (vgl. dazu etwa Jarass, BImSchG, 11. Aufl., § 3 Rn. 31, § 6 Rn. 64 ff.) begrenzt ist. Soweit der Antragsteller meint, es sei „unbehelflich“, ihn auf diese Rechtsschutzmöglichkeiten zu verweisen, vermag der Senat ihm nicht zu folgen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist ebenso wenig zu erkennen wie ein Verlust subjektiver Rechte des Antragstellers. Dass es zumal unter Berücksichtigung der vom Antragsteller geltend gemachten Eilbedürftigkeit geboten gewesen wäre, dass das Verwaltungsgericht sich näher mit seinem erstinstanzlichen Vorbringen befasst, ist weder hinreichend substantiiert dargelegt noch sonst für den Senat ersichtlich. Die vorliegende Beschwerde bietet Anlass zu weitergehenden Ausführungen nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013 und folgt der nicht beanstandeten Festsetzung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).