Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.08.2016, Az.: 4 LC 217/14
Beförderung; benachbarte Gemeinden; Borkum; Emden-Außenhafen; Fährverkehr; Nachbarschaftsbereich; Nahverkehr; Orts- und Nachbarschaftsbereich; Personenverkehr; Schwerbehindertenausweis; Schwerbehinderter; schwerbehinderter Mensch; unentgeltliche Beförderung; Wasserfahrzeug; öffentlicher Personenverkehr
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 31.08.2016
- Aktenzeichen
- 4 LC 217/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43294
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.06.2014 - AZ: 13 A 1942/13
Rechtsgrundlagen
- § 145 Abs 1 SGB 9
- § 146 Abs 1 S 2 SGB 9
- § 146 Abs 1 S 1 SGB 9
- § 147 Abs 1 S 7 SGB 9
- § 69 Abs 5 SGB 9
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei dem Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen handelt es sich um einen Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, da dieser Fährverkehr auch der Beförderung von Personen im Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereichs liegen.
2. Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80, die über einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G, der mit einer gültigen Wertmarke versehen ist, verfügen, haben daher einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 13. Kammer - vom 23. Juni 2014 geändert.
Es wird festgestellt, dass der Kläger als Schwerbehinderter gegen das Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke von der Beklagten zwischen Borkum und Emden-Außenhafen sowie zwischen Emden-Außenhafen und Borkum unentgeltlich zu befördern ist.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollsteckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er als Schwerbehinderter von der Beklagten auf der Fährverbindung zwischen Borkum und Emden-Außenhafen und zurück unentgeltlich zu befördern ist.
Der Kläger ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt. Sein Schwerbehindertenausweis weist das Merkmal G auf. Ausweislich des Bescheides des Niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend und Familie vom 22. März 2010 über die Neufeststellung des Anspruchs des Klägers betreffend seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch sind bei ihm die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises mit Beiblatt zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen im Nahverkehr erfüllt.
Im Herbst 2011 stellte der Kläger beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie den Antrag, gegen den Beklagten eine Anordnung des Inhalts zu erlassen, dass er auf der Strecke Emden - Borkum und zurück im Fährverkehr unentgeltlich zu befördern sei. Daraufhin teilte ihm das Landesamt unter dem 2. Dezember 2011 mit, dass die Behörden der Versorgungsverwaltung nicht dazu berufen seien, verbindlich festzustellen, ob ein Unternehmen, das öffentlichen Personenverkehr betreibe, einen Schwerbehinderten auf einer bestimmten Fährlinie unentgeltlich zu befördern habe. Ein derartiger Anspruch könne nur gegenüber dem Verkehrsunternehmen selbst geltend gemacht werden.
Am 13. Februar 2013 hat der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen Folgendes vorgetragen hat: Er sei ein schwerbehinderter Mensch, der infolge einer Behinderung in seiner Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei, und müsse daher nach § 145 SGB IX bei Vorlage eines entsprechenden mit einer Wertmarke versehenen Ausweises im Nahverkehr unentgeltlich befördert werden. Zum Nahverkehr zähle auch der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Fährverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich diene und der Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liege. Diese Voraussetzungen seien bei der Fährverbindung von Emden-Außenhafen nach Borkum gegeben. Die Luftlinienentfernung zwischen Emden und Borkum betrage 41,49 km, diejenige zwischen Emden-Außenhafen und Borkum 42,69 km. Damit sei dieser Verkehr unter Berücksichtigung von § 2 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs dem öffentlichen Nahverkehr zuzuordnen, weil die dort genannte Entfernungsgrenze von 50 km nicht überschritten sei und die Reisezeit bei der Nutzung eines Katamarans zwischen Emden-Außenhafen und Borkum lediglich eine Stunde betrage. Auch § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX enthalte keine Begrenzung des Nahverkehrs auf eine Entfernung von 50 km. Nach dieser Vorschrift komme es lediglich darauf an, ob der Ausgangs- und Endpunkt innerhalb eines Orts- oder Nachbarschaftsbereichs liege. Dies sei gegeben, wenn Gemeinden, ohne unmittelbar aneinander zu grenzen, durch einen stetigen mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden seien. Das sei zwischen Emden und Borkum der Fall, weil mehrmals täglich Fährverbindungen bestünden und die Verbindung von Borkum nach Emden für Insulaner von großer Bedeutung sei, da in Emden Fachärzte, die auf der Insel nicht vorhanden seien, praktizieren, eine größere Klinik, Arbeitsplätze und weitere Schulen vorhanden seien und umfassende Einkaufsmöglichkeiten bestünden.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass er als schwerbehinderter Mensch gegen das Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke zwischen Borkum und Emden-Außenhafen sowie zwischen Emden-Außenhafen und Borkum von der Beklagten unentgeltlich zu befördern ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und geltend gemacht, dass es sich bei dem von ihr betriebenen Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen nicht um einen Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, sondern um einen Fernverkehr im Sinne des § 147 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX handele. Zwar finde ein stetiger, mehr als einmal am Tag durchgeführter Fährverkehr statt. Die Stadt Borkum und die Stadt Emden seien durch diesen Fährverkehr aber nicht im Sinne der gesetzlichen Definition wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden. Der Begriff Nahverkehr erfasse z. B. die Beförderung zur Arbeitsstelle, zu Ärzten, Behörden, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie zum alltäglichen Einkauf. Derartige Bedarfsverkehre, die Behinderten unentgeltlich ermöglicht werden sollten, gebe es zwischen Borkum und Emden-Außenhafen aber nicht. Der alltägliche Einkauf, der Kinobesuch oder der Besuch von Freizeitveranstaltungen finde auf der Insel Borkum selbst statt, die über alle erforderlichen Einrichtungen verfüge. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die einfache Wegstrecke der Fähre von Emden nach Borkum ca. 52 km betrage und die durchschnittliche Reisezeit bei 2 Stunden und 15 Minuten liege. Im Ergebnis sei der Fährverkehr zwischen Emden und Borkum nur Glied einer weitergehenden Beförderungskette und daher nicht dem Nahverkehr zuzuordnen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 23. Juni 2014 abgewiesen und zur Begründung Folgendes ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg sei ungeachtet des Umstandes, dass die Beklagte eine juristische Person des Privatrechts sei, eröffnet, weil das zwischen den Beteiligten streitige Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur sei. Der Kläger könne auch nicht darauf verwiesen werden, seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen zu können. Zwar greife der Einwand der Subsidiarität der Feststellungsklage auch dann, wenn eine Gestaltungs- oder Leistungsklage vor einem Gericht eines anderen Gerichtszweigs anhängig gemacht werden könne. Der vom Kläger anhängig gemachte Rechtsstreit habe jedoch nicht Ansprüche aus einem Beförderungsvertrag mit der Beklagten, sondern ein Recht auf unentgeltliche Beförderung nach den §§ 145 ff. SGB IX zum Gegenstand. Würde der Kläger ein Zivilgericht im Wege der Leistungsklage auf Rückforderung des Entgelts für die Beförderung anrufen, müsste die Frage, ob ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung besteht, von diesem als Vorfrage mitentschieden werden. In diesem Fall greife der Subsidiaritätsgesichtspunkt nicht durch. Die Klage habe jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn dem Kläger stehe der Anspruch auf die begehrte Feststellung nicht zu. Zwar habe er nach § 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 SGB IX einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr. Bei dem von der Beklagten betriebenen Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen handele es sich indessen nicht um Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX. Nach § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX sei Nahverkehr der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich diene und Ausgang- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich sei der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden seien. Zwischen Borkum und Emden-Außenhafen bestehe zwar ein stetiger, mehr als einmal am Tag durchgeführter Verkehr. Dieser finde jedoch nicht im Nachbarschaftsbereich statt, da die Stadt Borkum und die Stadt Emden durch den Fährverkehr nicht wie benachbarte Gemeinden wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden seien. Wann diese Voraussetzungen erfüllt seien, werde im SGB IX nicht näher beschrieben. Ob ein öffentlicher Personenverkehr im Nachbarschaftsbereich stattfinde, sei daher anhand von Sinn und Zweck der §§ 145 ff. SGB IX festzustellen. Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr habe derjenige, der in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr so erheblich beeinträchtigt sei, dass er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten und nicht ohne Gefahren für sich und andere Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, zurücklegen könne. Vor diesem Hintergrund solle die Regelung des § 147 Abs. 1 SGB IX dazu beitragen, Schwerbehinderten, die aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt seien, einen Nachteilsausgleich durch Nutzung des Nahverkehrs zu ermöglichen. Es solle ihnen damit auch möglich gemacht werden, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre mangelnde Gehfähigkeit bei der Bewältigung des Alltags durch die unentgeltliche Nutzung des Nahverkehrs auszugleichen. Damit sei eine Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dann gegeben, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen z. B. zum Einkauf, zu Behörden, zur Arbeitsstätte, zu Verwaltungseinrichtungen sowie zu Gemeinschafts-, Kultur- oder Freizeitveranstaltungen gehe. Dabei müsse es sich um Ziele im Orts- und Nahbereich handeln, die üblicherweise auch von nicht behinderten Menschen zu diesen Zwecken aufgesucht werden. Gehe man von diesen Grundsätzen aus, könne der Fährverkehr zwischen Borkum und Emden nicht als Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX eingestuft werden. Die Fahrt zwischen Borkum und Emden-Außenhafen dauere mit einer normalen Fähre etwa 2 Stunden 15 Minuten und koste mindestens 18,- EUR. Daher werde jede Fahrt nach Emden zu einer Tagesreise ausgeweitet, wenn am gleichen Tag die Rückkehr nach Borkum angetreten werden solle. Auch wenn man berücksichtige, dass der nur teilweise eingesetzte Katamaran lediglich eine Stunde Fahrtzeit benötige, scheide die Nutzung der Fährverbindung z. B. für die täglichen Fahrten zur Arbeitsstätte, zur Schule oder zum Einkauf für die an diesem Tag benötigten Lebensmittel und Güter aus. Gerade diese Verkehre prägten aber Fahrten im Orts- und Nahbereich. Die medizinische Grundversorgung der 5.000 Bewohner von Borkum durch Ärzte für Allgemeinmedizin, einige Fachärzte und ein kleines Inselkrankenhaus sei sichergestellt. Auch für Güter des täglichen Bedarfs bestehe auf der Insel eine Grundversorgung. Zudem seien dort Kultur- und Freizeiteinrichtungen in größerem Umfang als in kleineren Städten in ländlicher Umgebung vorhanden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt.
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der Fährverbindung zwischen Borkum und Emden-Außenhafen nicht um eine Beförderung im Nahverkehr handele. Entscheidend sei, ob eine enge wirtschaftliche und verkehrsmäßige Bezogenheit der durch den Fährverkehr miteinander verbundenen Ausgangs- und Endpunkte bestehe. Dies sei hier der Fall. Eine Vielzahl der im Alltag zu bewältigende Erledigungen wie das Aufsuchen von Fachärzten und Behörden, der Besuch von kulturellen Veranstaltungen und Einrichtungen sowie der Einkauf von Waren könne nämlich nur in Emden vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht habe den Umstand verkannt, dass Borkum lange Zeit verwaltungsmäßig zu Emden gehört habe. Erst im Rahmen einer Verwaltungsreform im 20. Jahrhundert sei Emden kreisfreie Stadt geworden. Nach wie vor seien das Amtsgericht Emden, das Finanzgericht Emden sowie die Industrie- und Handelskammer Ostfriesland und Papenburg mit Sitz in Emden für Borkum zuständig. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass Emden das Borkum nächstgelegene Mittelzentrum sei. Die auf der Insel lebenden Bürger bedürften also zur Nutzung des in den Mittelzentren angebotenen gehobenen Bedarfs der Überfahrt mit der Fähre nach Emden. Zudem müsse Emden als nächstgelegenes Mittelzentrum nach dem Landesraumordnungsprogramm eine ausgewogene Siedlungs- und Versorgungsstruktur in allen Landesteilen sicherstellen. Auch niedergelassene Fachärzte befänden sich nicht auf Borkum, sondern in Emden. Von besonderer Bedeutung für ihn sei die Behandlung durch einen Pulmologen. Der nächste Pulmologe sei in Aurich ansässig. Die Fahrt dorthin gehe ausschließlich über Emden. Des Weiteren sei er augenkrank und habe an beiden Augen wegen eines Grauen Stars operiert werden müssen. Diese Operationen konnten nicht in Borkum durchgeführt werden. Borkum verfüge über gar keinen Augenarzt, der nächste Augenarzt, bei dem er sich zur regelmäßigen Nachsorge einmal pro Quartal vorstellen müsse, praktiziere in Emden. Entsprechendes gelte für die Fachärzte für Orthopädie und für Haut- und Geschlechtskrankheiten, in deren Behandlung er sich ebenfalls habe begeben müssen. Außerdem sei die zahnärztliche Versorgung auf Borkum nicht gesichert. Die Praxis von Dr. C. nehme keine neuen Patienten mehr auf, die Zweigpraxis von Dr. D. sei nur an Wochenenden besetzt. Seit Jahren fahre er daher zu einem Zahnarzt in Emden. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Insel Borkum als Touristenort über eine besondere Einzelhandelsstruktur verfüge, die auf die touristische Nachfrage zugeschnitten sei und nur bedingt mit dem Einzelhandel des Festlands vergleichbar sei. Die Inselbewohner seien daher darauf angewiesen, auf das Angebot auf dem Festland zurückzugreifen. Dass die Fahrstrecke zwischen Borkum und Emden länger dauere als dies bei dem gewöhnlichen Nahverkehr auf dem Festland der Fall sei, lasse keine andere Beurteilung zu. Denn dieser Umstand sei allein der Insellage geschuldet. Die einzige Verbindung der Insel Borkum zum deutschen Festland führe über Emden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 13. Kammer - vom 23. Juni 2014 zu ändern und festzustellen, dass er als Schwerbehinderter gegen das Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke von der Beklagten zwischen Borkum und Emden-Außenhafen und Emden-Außenhafen und Borkum unentgeltlich zu befördern ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und erwidert, das Verwaltungsgericht habe die den vorliegenden Rechtsstreit allein entscheidende Frage, ob es sich bei dem von ihr betriebenen Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen und zurück um einen Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX handele, zutreffend verneint. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Nachbarschaftsbereichs im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX seien nicht erfüllt. Für die Beantwortung der Frage, was unter einem Nachbarschaftsbereich zu verstehen sei, helfe die gesetzliche Definition nur begrenzt weiter, da diese die Voraussetzung für die Annahme einer wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Verbundenheit nicht näher beschreibe. Wann eine wirtschaftliche und verkehrsmäßige Verbundenheit gegeben sein soll, habe der Gesetzgeber nicht definiert. Daher sei es nur folgerichtig, den Inhalt der Anforderungen für eine Verbundenheit durch Auslegung zu ermitteln. Hierfür sei auf den Sinn und Zweck der Regelung zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im Nahverkehr und die Gesetzessystematik abzustellen. Dabei dürfe selbstverständlich nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber bei § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX - wie auch bei allen anderen in Abs. 1 des § 147 SGB IX genannten Verkehrsmitteln - die Verkehrsform des Nahverkehrs vor Augen gehabt habe. Demgemäß sei auch das Verwaltungsgericht verfahren und habe die von ihr betriebene Fährverbindung daraufhin untersucht, ob auch dieser Verkehr zwischen benachbarten Gemeinden stattfinde, die wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden seien. Dafür habe das Verwaltungsgericht Kriterien benannt, die für eine wirtschaftliche und verkehrsmäßige Verbundenheit sprächen. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis gelangt, dass die Regelung in § 147 Abs. 1 SGB IX dazu beitragen solle, schwerbehinderten Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt seien, einen Nachteilsausgleich durch die unentgeltliche Nutzung des Nahverkehrs zu ermöglichen. Deshalb könne der Nahverkehr nur Verkehre betreffen, die auch von nicht behinderten Menschen zur Bewältigung des Alltags genutzt werden. Weitergehende Verkehre seien nicht dem Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX zuzuordnen. Unter Nahverkehr fielen demnach Verkehre, die üblicherweise täglich entstünden, um die Arbeitsstätte, die Schule oder Einrichtungen der Verwaltung und der Gesundheitsversorgung zu erreichen sowie um Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs zu besorgen. Nur wenn solche Verkehre zwischen Gemeinden stattfänden, sei von einer wirtschaftlichen verkehrsmäßigen Verbundenheit auszugehen mit der Folge, dass dann ein Nachbarschaftsbereich zwischen diesen Gemeinden bestehe. Dies habe das Verwaltungsgericht hier zutreffend verneint und festgestellt, dass die Nutzung der von der Beklagten angebotenen Fährverbindung z. B. für die tägliche Fahrt zur Arbeitsstätte oder zur Schule und zum Einkauf für die an diesem Tag benötigten Lebensmittel und Güter ausscheide. An dieser Feststellung könne auch die Darstellung des Klägers, dass die Inselbewohner für bestimmte Bedarfe die Stadt Emden zwingend aufsuchen müssten, nichts ändern. Denn der Kläger beschreibe insoweit Bedarfsanlässe, die nicht täglich entstünden. Außerdem komme auch der Dauer der Fährverbindung von etwa 2 Stunden 15 Minuten eine besondere Bedeutung zu. Denn gerade diese längere Fahrdauer führe dazu, dass kein Inselbewohner für die Erledigung der alltäglichen Bedürfnisse die Fährverbindung nutze. Fahrten, um die täglich wiederholten Bedarfe zu bewältigen, entstünden allein auf der Insel selbst. Würde man die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass der Nahverkehr nur Verkehre betreffen, die auch von nicht behinderten Menschen zur Bewältigung des Alltags genützt werden, verwerfen, wäre jeder Fährverkehr, der mehr als einmal am Tag zwischen benachbarten Gemeinden stattfinde, Nahverkehr. Dies entspräche ersichtlich nicht dem Ziel der gesetzlichen Regelung wie sie auch in der Formulierung der wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Verbundenheit zum Ausdruck komme. Insbesondere der Verzicht auf das Erfordernis der Unmittelbarkeit der benachbarten Gemeinden in der Beschreibung der räumlichen Ausdehnung eines möglichen Nachbarschaftsbereichs erfordere eine weitergehende inhaltliche Ausformung der Anforderungen, die ein Nachbarschaftsbereich erfüllen muss, um überhaupt im Wortsinne von einem nachbarlichen Bereich sprechen zu können. Im Übrigen werde auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 14. Dezember 1971 (VI OVG A 52/70) verwiesen, das sich ebenfalls mit dem Begriff des Nachbarschaftsbereichs auseinandergesetzt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil hat Erfolg.
Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet hält und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht für erforderlich erachtet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der Kläger kann die von ihm begehrte Feststellung, dass er von der Beklagten gegen das Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke zwischen Borkum und Emden-Außenhafen sowie zwischen Emden-Außenhafen und Borkum unentgeltlich zu befördern ist, entgegen der Auffassung der Vorinstanz beanspruchen.
Die Feststellungsklage ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - zulässig. Der Kläger kann insbesondere das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung vorweisen. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO nicht entgegen; insoweit kann auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden.
Die Feststellungsklage ist zudem begründet. Denn der Kläger kann die von ihm begehrte Feststellung verlangen.
Nach § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert, sofern der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. In seiner Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, zurückzulegen vermag (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenen Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen G geführt werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 SGB IX).
Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt. Er verfügt auch über den nach § 146 Abs. 1 Satz 2 SGB IX erforderlichen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G. Daher steht ihm bei Vorlage seines Schwerbehindertenausweises, sofern dieser mit einer gültigen Wertmarke versehen ist, ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr des öffentlichen Personenverkehrs zu.
Dieser Anspruch auf unentgeltliche Beförderung erstreckt sich auch auf den von der Beklagten betriebenen Fährverkehr zwischen Borkum und Emden-Außenhafen und zurück, da es sich dabei nicht nur um einen öffentlichen Personenverkehr, sondern auch um Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX handelt.
Nach § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX ist Nahverkehr im Sinne des SGB IX der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereichs liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.
Diese Voraussetzungen liegen im Fall des von der Beklagten betriebenen Fährverkehrs zwischen Borkum und Emden-Außenhafen und zurück vor. Zum einen handelt es sich bei diesem Verkehr - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - um öffentlichen Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Fährverkehr. Zum anderen dient dieser Verkehr auch der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich und liegen Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereichs. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Nach der gesetzlichen Definition in § 147 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX ist Nachbarschaftsbereich der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind. Dies trifft auf den Raum zwischen Borkum und Emden-Außenhafen, in dem die Fähren der Beklagten verkehren, zu.
Bei Borkum und Emden handelt es sich um zwei Gemeinden, die zwar nicht unmittelbar aneinandergrenzen, da das Wattenmeer die Gemeindegebiete trennt, jedoch benachbart sind. Letzteres ergibt sich daraus, dass die regelmäßige verkehrliche Anbindung der Insel Borkum an das deutsche Festland und deren Versorgung über Emden-Außenhafen und damit die Stadt Emden erfolgt. Dass die Stadt Emden nicht die der Gemeinde Borkum räumlich nächstgelegene Gemeinde ist - die Gemeinde Juist und die Stadt Norden im Landkreis Aurich liegen der Gemeinde Borkum räumlich näher -, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum einen gibt § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX keine Anhaltspunkte dafür, dass nur die räumlich nächstgelegene Gemeinde eine benachbarte Gemeinde im Sinne dieser Vorschrift sein kann. Zum anderen kann es bei einer Insel, die nicht mit jeder ihr räumlich naheliegenden Gemeinde regelmäßig verkehrlich verbunden ist, von vorneherein nicht auf die räumliche Entfernung ankommen. Vielmehr ist die regelmäßige verkehrliche Anbindung an das Festland maßgeblich. Die regelmäßige verkehrliche Anbindung der Insel Borkum an das deutsche Festland und deren Versorgung erfolgt über Emden-Außenhafen. Mithin sind Borkum und Emden als benachbarte Gemeinden im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX anzusehen.
Beide Gemeinden sind zudem durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden. Die Fähren zwischen Borkum und Emden-Außenhafen verkehren mehrmals täglich in beide Richtungen. Damit besteht zwischen Borkum und Emden eine verkehrsmäßige Verbindung durch einen mehr als einmal am Tag durchgeführten Fährverkehr. Da die Fähren sowohl von den Insulanern, die auf das Festland und zurück fahren, als auch von Touristen, die die Insel Borkum kurzzeitig besuchen oder dort ihren Urlaub verbringen, genutzt werden und zwischen Emden-Außenhafen und Borkum überdies die zur Versorgung der Insel erforderlichen Waren und Güter transportiert werden, steht auch außer Frage, dass eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Borkum und Emden durch den Verkehr mit Wasserfahrzeugen besteht.
Demnach handelt es sich bei dem Raum zwischen Borkum und Emden um einen Nachbarschaftsbereich im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX, in dem auch der Ausgangs- und der Endpunkt des von der Beklagten betriebenen Fährverkehrs zwischen Borkum und Emden- Außenhafen liegen. Mithin dient der Fährverkehr zwischen Emden-Außenhafen und Borkum auch der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX.
Dass die Fahrt zwischen Borkum und Emden-Außenhafen mit einer “normalen“ Fähre ca. 2 Stunden und 15 Minuten dauert und die Nutzung solcher Wasserfahrzeuge für die tägliche Fahrt zur Arbeitsstätte, zur Schule oder zum Einkauf für kurzfristig benötigen Lebensmittel und Güter damit ausscheiden dürfte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn § 147 Abs. 1 SGB IX gibt nichts dafür her, dass - wie vom Verwaltungsgerichts angenommen - eine Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich nur dann gegeben ist, wenn es sich bei der Beförderung um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen wie z. B. zur Arbeitsstätte, zur Schule, zum Einkauf, zu Behörden oder zu Kultur- und Freizeitveranstaltungen geht.
§ 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX stellt darauf ab, dass der Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr mit Wasserfahrzeugen der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarbereich dient, und definiert den Nachbarbereich als Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind. Dass es sich bei diesem stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr um einen Verkehr zur Bewältigung von im Alltag anfallenden Entfernungen handeln muss, lässt sich der gesetzlichen Bestimmung nicht entnehmen. Diese bietet auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich nur vorliegt, wenn im Alltag anfallende Entfernungen zurückgelegt werden. § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX enthält keine Beschränkung der Beförderungsstrecke. Diese Vorschrift sieht auch ebenso wie die übrigen Bestimmungen des § 147 Abs. 1 SGB VII keine Begrenzung der Beförderungsdauer vor, die im Übrigen bei der Nutzung eines der regelmäßig verkehrenden Katamarane zwischen Borkum und Emden-Außenhafen auch lediglich eine Stunde beträgt.
Die von der Vorinstanz vertretene Auffassung, dass eine Beförderung von Personen im Nah- und Nachbarschaftsbereich nur dann gegeben sei, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen geht, lässt sich gleichfalls nicht aus dem Sinn und Zweck der §§ 145 ff. SGB IX herleiten.
§ 145 SGB IX, der die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, durch Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, im Nahverkehr regelt, wurde durch Art. 1 des SGB IX vom 19. Juni 2001 (BGBl. I 1046) mit Wirkung ab dem 1. Juli 2001 eingeführt. Nach der Begründung zum Entwurf des SGB IX handelt es sich dabei um eine inhaltsgleiche Übernahme des bis dahin geltenden Rechts (vgl. BT-Drs. 14/5074, S. 115). Die zuvor maßgebliche Regelung befand sich zunächst in § 67 des Schwerbehindertengesetzes in der Fassung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9. Juli 1979 (BGBl. I 989) und nach der Bekanntmachung der Neufassung des Schwerbehindertengesetzes vom 26. August 1986 (BGBl. I 1421) in § 59 des Schwerbehindertengesetzes. Ziel der Vergünstigung war und ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am öffentlichen Personenverkehr durch erleichterten Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu fördern, da Mobilität als Grundbedürfnis der modernen Gesellschaft anerkannt wird (so BSG, Urt. v. 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R -, Behindertenrecht 2013, 122; Knittel, SGB IX, Kommentar, § 145 Rn. 1; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, Kommentar, 4. Aufl., § 145 Rn. 1). Diese Förderung soll durch die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Menschen, die infolge ihrer Behinderung in der Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, gehörlos oder blind sind, erreicht werden (Kossens/von der Heide/ Maaß, § 145 Rn. 1). Dieser Nachteilsausgleich (vgl. Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil 2, Kommentar, § 145 Rn. 1) soll Schwerbehinderten die Nutzung des Nahverkehrs, der eine wichtige Grundlage ist, um am öffentlichen Leben teilzunehmen (Müller-Wenner/Schorn, § 145 Rn. 1), erleichtern. Der Zweck der erleichterten Teilnahme am öffentlichen Leben rechtfertigt es indessen nicht, die Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - auf die Fälle zu begrenzen, in denen es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen geht. Denn die Teilnahme am öffentlichen Leben wird nicht nur gefördert, wenn die Beförderung der Bewältigung alltäglicher Bedürfnisse dient, sondern auch dann, wenn Entfernungen aus anderen Gründen unentgeltlich zurückgelegt werden können. Der Zweck der Vergünstigung beschränkt sich gerade nicht darauf, Schwerbehinderten die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen zu erleichtern. Die Vergünstigung zielt ausweislich der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr betreffend die Einfügung der §§ 57 ff. in das Schwerbehindertengesetz vielmehr allgemein darauf ab, die Belastungen, die durch die erhebliche Beeinträchtigung in der Beweglichkeit im Straßenverkehr entstehen und die Lebensführung wesentlich erschweren, zum Teil auszugleichen (BT-Drs. 8/2453, S. 10). Die Vergünstigung soll zur Erleichterung der durch die Behinderung erschwerten Lebensverhältnisse beitragen (BT-Drs. 8/2453, S. 10). Auch der vom Bundessozialgericht hervorgehobene Gesichtspunkt, dass es das Ziel der Vergünstigung gewesen sei und noch sei, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am öffentlichen Personenverkehr durch erleichterten Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu fördern, weil Mobilität als Grundbedürfnis der modernen Gesellschaft anerkannt werde, spricht dagegen, die Beförderung mobilitätseingeschränkter Schwerbehinderter auf die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen zu beschränken.
Schließlich wäre die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung des § 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX auch gesetzessystematisch nicht zu rechtfertigen, weil die anderen Regelungen in § 147 Abs. 1 SGB IX vergleichbare Einschränkungen nicht vorsehen.
Nach § 147 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 SGB IX gehört die Benutzung von Straßenbahnen und Omnibussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes, von S-Bahnen in der 2. Wagenklasse und von Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind, zum Nahverkehr. Dabei kommt es bei der Benutzung von Straßenbahnen und Omnibussen weder auf die Streckenlänge noch die Entfernung an (vgl. Neumann/Pahlen/ Majerski-Pahlen, SGB IX, Kommentar, 12. Aufl., § 147 Rn. 4). Omnibusse sind stets einbezogen, gleich ob es sich um den früheren Orts- oder Nachbarschaftsortslinienverkehr handelt (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 147 Rn. 4). Auch bei der Benutzung von S-Bahnen in der 2. Wagenklasse ist die Entfernung unerheblich, zudem ist nicht maßgeblich, ob die S-Bahn Gemeindegrenzen überschreitet (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 147 Rn. 6). Jede S-Bahn ist für die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter frei, also auch der S-Bahnverkehr in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München sowie im gesamten Ruhrgebiet (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 147 Nr. 6). Schwerbehinderte mit entsprechendem Ausweis können diese S-Bahnen sogar dann unentgeltlich benutzen, wenn sie außerhalb wohnen (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 147 Nr. 6; Müller-Wenner/Schorn, § 147 Rn. 7; Zuck, SGB IX. § 147 Rn. 6). Auch bei den Verbundverkehren, die § 147 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX erfasst, findet eine kostenlose Beförderung unabhängig von der Beförderungslänge oder -dauer statt. Alle Strecken sind gleichermaßen frei zu benutzen, gleichgültig an welchem Ort der Schwerbehinderte wohnt (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 147 Nr. 7). Demzufolge ist die Beförderung mobilitätseingeschränkter Schwerbehinderter in den genannten Fällen nicht auf die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen beschränkt. Dem steht schon entgegen, dass die Schwerbehinderten ihren Wohnsitz noch nicht einmal im Bereich des Verkehrsverbundes haben müssen. Auch in den von § 147 Abs. 1 Nr. 2, 5 und 6 geregelten Fällen gilt im Ergebnis nichts anderes. In diesen Fällen ist der Nahverkehr zwar auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 km nicht übersteigt, (Nr. 2 und 6) bzw. Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahbereich zu befriedigen, (Nr. 5) begrenzt. Eine Beschränkung auf die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen sehen diese Bestimmungen indessen ebenso wenig vor wie eine Begrenzung der Beförderungsdauer. Außerdem ist die ursprüngliche Begrenzung des Nahverkehrs in § 147 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX auf Züge im Umkreis von 50 km um den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des schwerbehinderten Menschen mit Wirkung zum 1. Januar 2012 entfallen, was ebenfalls dafür spricht, dass die Beförderung mobilitätseingeschränkter Schwerbehinderter im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX nicht auf die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen beschränkt ist.
Gegenteiliges lässt sich schließlich auch nicht dem von der Beklagten angeführten Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 14. Dezember 1971 (- VI OVG A 52/70 -, VerwRspr 23, 887) entnehmen, da diese Entscheidung nicht zu den hier relevanten Normen, sondern zu dem Gesetz für die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr in Verbindung mit dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz vom 10. Mai 1967 ergangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.