Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.06.2001, Az.: 12 LA 2108/01
Mindestanforderungen an die Darlegung eines Berufungszulassungsgrundes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.06.2001
- Aktenzeichen
- 12 LA 2108/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 30813
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2001:0619.12LA2108.01.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlage
- § 124 Abs. 2 VwGO
Fundstellen
- DAR 2001, 471 (Volltext mit red. LS)
- zfs 2001, 480-482
Verfahrensgegenstand
Verkehrsrecht (Mitteilung an das Kraftfahrtbundesamt) - Antrag auf Zulassung der Berufung -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 12. Senat -
am 19. Juni 2001
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 6. Kammer, Einzelrichterin - vom 26. April 2001 zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für den zweiten Rechtszug wird auf 4.000,- DM festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes zuzulassen, bleibt ohne Erfolg; die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung - ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten sowie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - greifen nicht durch.
Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden.
Hiernach ist für die Darlegung hinreichend, dass sich ein Antrag nicht darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, sondern hinreichend fallbezogenen und substantiiert (insoweit hängen die Darlegungsanforderungen auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab) auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingeht, deren Unrichtigkeit mit zumindest vertretbaren, jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen dartut und sich dazu verhält, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht; nicht ausreichend sind Darlegungen zu Zweifeln an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente oder Sachverhaltsfeststellungen, wenn diese nicht zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen (Senat, Beschl. vom 21.3.1997 - 12 M 1255/97 - und st. Rspr.). Rechts- oder Tatsachenfragen, die in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Rolle gespielt haben oder nicht zweifelhaft waren, brauchen dabei im Rahmen des Antrages auf Rechtsmittelzulassung nicht erörtert zu werden, um eine Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfG <1. Kammer des Zweiten Senats>, Beschl. v. 15.8.1994 - 2 BvR 719/94 -, NVwZ-Beil. 1994, 65 <66><zu § 78 Abs. 4 AsylVfG>), soweit sich ihre Entscheidungserheblichkeit nicht aufdrängte. Für das - gesondert zu prüfende - Darlegungserfordernis reicht es auch bei einer - objektiv im Ergebnis (eindeutig) unrichtigen - Entscheidung jedenfalls nicht aus, dass die Unrichtigkeit lediglich allgemein behauptet wird, sich diese aber nicht aus dem Antrag selbst, sondern erst nach einer Durchsicht der Akten erschließt. Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Senat, Beschl. v. 18.1.1999 - 12 L 5431/98 -, NdsVBl. 1999, 93; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2000, RdNrn. 395g, h zu § 80; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, RdNr. 7 zu § 124; Happ: in Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, RdNr. 20 zu § 124). Die Annahme, der Erfolg des Rechtsmittels müsse wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.5.1997 - A 12 S 580/97 -, DVBl. 1997, 1327; Hess. VGH, Beschl. v. 4.4.1997 - 12 TZ 1079/97 -, NVwZ 1998, 195; Nds. OVG, Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NdsRpfl. 1999, 87; Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., RdNr. 26d zu § 124 m.w.Nachw.; Bader; NJW 1998, 409) trifft nicht zu, sie vernachlässigt die Zweistufigkeit des Verfahrens, ist auch aus Gründen der System- und Funktionsgerechtigkeit - Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verfahrensbeschleunigung - nicht geboten und verweigert in einer Vielzahl von Verfahren den Zugang zu den Berufungsverfahren, obwohl das Rechtsmittel Erfolg haben wird. Eine solche Auslegung wird dem Anliegen des Gesetzgebers (BT-Drs. 13/3993) weniger gerecht, grob ungerechte Entscheidungen zu verhindern, und schränkt damit den Zugang zu den Berufungsverfahren auf eine aus Sachgründen nicht gebotene Weise unzumutbar ein. Es reicht aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats , Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 (1459) = NdsVBl. 2000, 244 (245) = NVwZ 2000, 1163).
Nach diesem Maßstab bestehen nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Der Kläger bekämpft die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, der Beklagte sei nicht zu verurteilen, eine den Kläger betreffende Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt zu ändern, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.5.1987 - BVerwG 7 C 83.84 -, BVerwGE 77, 268 = NJW 1988, 87) die Eintragung von Entscheidungen im Verkehrszentralregister kein anfechtbarer Verwaltungsakt sei und entsprechendes für die Mitteilung der Verkehrsbehörde an das Kraftfahrt-Bundesamt gelte.
Der Kläger meint, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes könne nicht mehr Gültigkeit beanspruchen, nachdem gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis entziehen müsse, wenn sich bei einem Fahrerlaubnisinhaber 18 oder mehr Punkte nach dem Punktsystem ergäben. Insoweit übersieht oder übergeht der Zulassungsantrag die Erwägungen des Verwaltungsgerichtes und des Bundesverwaltungsgerichtes (a.a.O.) wonach die Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt sowie die Erfassung und Eintragung im Verkehrszentralregister keine unmittelbare Rechtswirkungen erzeugen, sondern lediglich als Tatsachengrundlage zur Vorbereitung von Entscheidung der Verwaltungsbehörden und Gerichte dienen. An diese Bewertung hat sich durch das in § 4 StVG n.F. eingeführte Punktesystem nichts geändert (auch das Bundesverwaltungsgericht, a.a.O., hat bereits die Auswirkungen von Eintragungen im Verkehrszentralregister auf das Punktsystem a.F. erörtert und auch im Hinblick darauf die Verwaltungsaktsqualität von Entscheidungen verneint), da es nicht um die Bewertung der eben benannten Vorschrift geht, sondern um die - übergeordnete - Frage, wieweit bestimmte Mitteilungen Verwaltungsakte sind.
Auch tritt der Senat der Auffassung des Verwaltungsgerichtes bei, der gebotene Rechtsschutz erfordert es nicht, dass die in einen Schutzbereich einwirkende staatliche Maßnahme selbständig der gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69, das Bundesverfassungsgericht hat nicht beanstandet, dass eine aufgrund von § 15b Abs. 2 StVZO a.F. angeordnete Maßnahme nicht einer gesonderten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und damit gebilligt, dass nicht jede behördliche Maßnahme, die der Vorbereitung einer Entscheidung dient, gesonderter gerichtlicher Kontrolle unterliegt). Damit ist dem Kläger - unabhängig von der Frage ob die Mitteilung der Verkehrsbehörde ein Verwaltungsakt ist - auch nicht gerichtlicher Rechtsschutz im Wege einer Feststellungs- (§ 43 VwGO) oder Leistungsklage zu gewähren.
Die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache sind nicht hinreichend dargelegt.
Die Anforderungen, die an die Darlegung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) zu stellen sind, sind daran auszurichten, dass der Gesetzgeber mit diesem Zulassungsgrund (negativ) an die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides (§ 84 VwGO) und die Übertragung an den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) angeknüpft hat (dass dieser Zulassungsgrund vorliegt, wird indes nicht schon dadurch indiziert, wenn das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen, sondern durch die Kammer entschieden hat; Senat, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1997, 282 u st. Rspr.). Jedenfalls keine "besonderen Schwierigkeiten" i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bereiten solche Rechtsstreitigkeiten, die ohne Weiteres durch einfache Anwendung einer eindeutigen Rechtsvorschrift auf einen klar zutage liegenden Sachverhalt gelöst werden können.
Für die Darlegung reicht es dann aber nicht aus, wenn lediglich jeder richterlichen Rechtsanwendung immanente Probleme (und sei es unter Heranziehung in Rechtsprechung und Schrifttum aufbereiteter Rechtsfragen) bezogen auf einen im Kern geklärten (entscheidungserheblichen) Sachverhalt oder die Notwendigkeit der Aufbereitung und der Würdigung des Tatsachenstoffes aufgezeigt werden. Erforderlich ist grundsätzlich vielmehr, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die fortbestehenden besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten als solche benannt werden, wobei der Darlegungslast genügt wird, wenn im Zulassungsantrag mit erläuternden Hinweisen ein erheblicher Begründungsaufwand der angefochtenen Entscheidung angesprochen wird. Soweit im Zulassungsantrag geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht sei auf bestimmte tatsächliche und/oder rechtliche Aspekte nicht oder fehlerhaft eingegangen, ist es erforderlich, dass im Zulassungsantrag diese Gesichtspunkte dargestellt und in ihrem Schwierigkeitsgrad plausibel gemacht werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats , Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 (1459) = NdsVBl. 2000, 244 (245) = NVwZ 2000, 1163).
Diesem Maßstab wird der Zulassungsantrag nicht einmal im Ansatz gerecht, da er es bei der schlichten Rechtsbehauptung belässt, der Rechtssache kämen die beschriebenen Schwierigkeiten zu.
Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., RdNr. 30 zu § 124; Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 10 zu § 124). Für die Darlegung reicht es aus, dass die aufgeworfene Grundsatzfrage rechtlich derart aufbereitet wird, wie dies nach Maßgabe der Begründung in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erforderlich ist; Rechtsfragen, die in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Rolle gespielt haben, brauchen im Rahmen des Antrages auf Rechtsmittelzulassung nicht erörtert zu werden, um eine Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfG <1. Kammer des Zweiten Senats>, Beschl. v. 15.8.1994 - 2 BvR 719/93 -, NVwZ-Beil. 1994, 65 <66>). Diese Voraussetzungen sind dann nicht gegeben, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt (BVerwG, Beschl. v. 8.12.1985 - BVerwG 1 B 136.85 -, Buchholz 130 § 22 RuStAG, S. 2) oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgericht oder des erkennenden Senats - geklärt ist.
Diese Anforderungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht, der ohne nähere Begründung lediglich festhält, der Kläger vertrete die Rechtsauffassung "und insoweit (habe) die Sache sicher grundsätzliche Bedeutung" der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (a.a.O.) sei nach der Neufassung des Straßenverkehrsgesetzes nicht mehr zu folgen. Diese schlichte Rechtsbehauptung erfüllt den aufgezeigten Maßstab nicht; unabhängig davon beantwortet sich - wie aufgezeigt - die Frage bereits aus dem Gesetz.
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass er darüber hinweggesehen hat, dass der Kläger den Berufungszulassungsantrag - weitgehend - mit Ausführungen nach Art einer Berufungsbegründung versehen hat, hingegen nicht Überlegungen aufgezeigt hat, die die Zulassung eines Rechtsbehelfs rechtfertigen könnten, zumal sich der Kläger auch - unzulässigerweise - auf den Vortrag erster Instanz "einschließlich sämtlicher Beweisantritte" bezogen hat und damit verkannt hat, dass zum einen die erforderliche Sichtung und Durchdringung des Streitstoffes dann nicht anzunehmen ist, wenn auf den Vortrag des ersten Rechtszuges verwiesen wird und zum anderen dem Berufungszulassungsverfahren in der Regel eine Beweiserhebung fremd ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 13 Abs. 1 Satz 1, 14 GKG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Dr. Petersen
Tscherning