Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.10.2007, Az.: 5 LA 115/05
Aufhebung der dienstlichen Beurteilung eines Beamten (hier: Verhaltenstrainer der Polizei) mangels ausreichender Tatsachenbasis; Erfordernis eigener Tatsachenfeststellungen des Erstbeurteilers hinsichtlich des Ablaufs der Veranstaltungen eines Verhaltenstrainers
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.10.2007
- Aktenzeichen
- 5 LA 115/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 40504
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:1001.5LA115.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 06.06.2005 - AZ: 7 A 438/03
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
- Ziff. 8.1 S. 1 BRLPol-1999
- Ziff. 12.1 BRLPol-1999
- Ziff. 12.3 BRLPol-1999
Amtlicher Leitsatz
Dienstliche Beurteilung eines Beamten (hier: Verhaltenstrainer der Polizei); Aufhebung der Beurteilung mangels ausreichender Tatsachenbasis.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht gegeben.
1.)
Ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97 -, NVwZ 1997, 1225; Beschl. v. 31.8.2007 - 5 LA 260/07 -; BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838).
Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Verwaltungsgericht meine, die Beurteilung eines Verhaltenstrainers sei nur möglich, wenn zumindest der Erstbeurteiler eigene Tatsachenfeststellungen hinsichtlich des Ablaufes der Veranstaltungen getroffen habe, also der Erstbeurteiler praktisch zumindest teilweise an den Seminaren teilgenommen haben müsse, um die geforderten unmittelbaren Erkenntnisse hinsichtlich der Leistungen des zu beurteilenden Polizeibeamten erlangen zu können. Dies laufe nach ihrer Auffassung auf eine "Unterrichts-Inspektion" hinaus, die sich verbiete. Eine solche direkte Erkenntnisgewinnung sähen die BRLPol-1999 nicht vor. Das Verwaltungsgericht führe nicht im Einzelnen rechtsmethodisch korrekt aus, dass sich eine solche Erkenntnisgewinnung aus Sinn und Zweck sowie aus der Systematik der BRLPol-1999 ergebe. Die Auswertung von Evaluationsbögen der Teilnehmer sei zwar denkbar, aber nachträglich für die hier streitige Beurteilungszeit nicht durchführbar und widerspreche auch der von dem Verwaltungsgericht geforderten direkten Erkenntnisgewinnung durch die Beurteilungsvorgesetzten.
Dieses Vorbringen kann ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bereits deshalb nicht begründen, weil die Annahme, das Verwaltungsgericht sei der Auffassung, die Beurteilung eines Verhaltenstrainers sei nur möglich, wenn zumindest der Erstbeurteiler eigene Tatsachenfeststellungen hinsichtlich des Ablaufes der Veranstaltungen getroffen habe, also der Erstbeurteiler praktisch zumindest teilweise an den Seminaren teilgenommen haben müsse, nicht zutrifft. Das Verwaltungsgericht hat die Erkenntnisgewinnung hierauf nicht beschränkt. Es hat ausgeführt, dass sich zumindest der Erstbeurteiler über die Leistungen des zu beurteilenden Polizeivollzugsbeamten unmittelbar, d. h. entweder aufgrund eigener Tatsachenfeststellungen "oder aber aufgrund von Tatsachenfeststellungen Dritter und nicht durch Werturteile seitens Dritter" eine Meinung über den Beurteilten bilden muss. Dies bedeutet für die Fälle, in denen sich - wie hier - nach Auffassung der Beklagten ein Besuch des Erstbeurteilers in den Seminaren des Klägers verbietet, die Erkenntnisgewinnung dadurch zu erfolgen hat, dass sich der Erstbeurteiler aufgrund von Tatsachenfeststellungen Dritter unmittelbar ein Leistungsbild verschafft. Ob die Auswertung von Evaluationsbögen der Seminarteilnehmer hierfür geeignet ist, kann dahinstehen, da eine derartige Auswertung nicht mehr durchführbar ist. In Betracht kommt aber etwa die Einholung der Stellungnahme des zuständigen Sachgebietsleiters.
Der Einwand, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts lasse sich nicht aus dem Sinn und Zweck sowie der Systematik der BRPol entnehmen, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, da er keine schlüssigen Gegenargumente erkennen lässt, die die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Ziffern 8.1 Satz 1, 12.1 und 12.3 der BRLPol-1999 in Frage stellen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beurteiler, wenn er nicht in der Lage ist, sich während des gesamten Beurteilungszeitraumes ein eigenes Bild von den zur Beurteilung anstehenden Merkmalen zu verschaffen, auf Beurteilungsbeiträge Dritter als Erkenntnisquelle angewiesen ist (std. Rspr.; vgl.: BVerwG, Urt. v. 5.11.1998 - BVerwG 2 A 3.97 -, BVerwGE 107, 360 <361>[BVerwG 05.11.1998 - 1 A 3/97]). Insbesondere darf der Beurteiler das Urteil über Leistung, Befähigung und Eignung eines Beamten nicht auf eine nur partiell oder bruchstückhaft vorhandene Tatsachenkenntnis stützten (vgl.: BVerwG, Beschl. v. 21.3.2007 - BVerwG 2 C 2.06 -, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 10, = IÖD 2007, 206).
Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht, soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Kläger im Jahre 2000 an lediglich 21 Arbeitstagen, im Jahre 2001 an acht Arbeitstagen und im Jahre 2002 an 26 Arbeitstagen Seminare abgehalten habe und während der restlichen Zeit der Erstbeurteiler eigene Erkenntnisse habe sammeln können. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Beurteilung aufgehoben, weil den darin enthaltenen Wertungen zu der überwiegenden Anzahl der Hauptaufgaben des Klägers keine tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegen haben. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Der Kläger hat in dem Beurteilungszeitraum nicht nur Seminare abgehalten, sondern die Seminare ausweislich der in der Beurteilung enthaltenen Tätigkeitsbeschreibung auch entwickelt und nachbereitet. Inwieweit sich hier der Erstbeurteiler die für die Beurteilung notwendige Tatsachenbasis verschafft hat, ist nicht dargelegt. Darüber hinaus war der Kläger im Beurteilungszeitraum in der Zeit vom 19. Februar bis 29. März 2001 und vom 8 Oktober bis zum 30. November 2001 wegen "Castor"-Einsätzen abgeordnet. Insoweit waren zwar nach Ziff. 12.3 Beurteilungsnotizen von der aufnehmenden Dienststelle nicht zu fertigen. Doch ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Tatsachenbasis die in diesen Zeiträumen gezeigten Leistungen des Klägers in die Beurteilung eingeflossen sind. Entsprechendes gilt für den Zeitraum der Abordnung des Klägers an die Polizeiinspektion B. zur Hospitation vom 2. Juli bis 9. August 2001. Da der Kläger aufgrund seiner Abordnungen, der von ihm abgehaltenen Seminare, der Dienstbefreiungen und wegen Urlaubs nicht häufig im Beurteilungszeitraum an den Teambesprechungen hat teilnehmen können, ist auch nicht erkennbar, dass sich der Erstbeurteiler insoweit eine ausreichende Tatsachenbasis hat verschaffen können.
2.)
Das Zulassungsvorbringen rechtfertigt die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Grundsatzfrage aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss (vgl.: Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 25.4.2005 - 5 LA 162/04 -).
Dem Vorbringen der Beklagten, die Auslegung der BRLPol-1999 durch das Verwaltungsgericht sei für die Anwendungspraxis bei polizeilichen Beurteilungen für alle als Lehrpersonal im weitesten Sinne eingesetzten Polizeibeamten von erheblicher Bedeutung und bedürfe der landesweiten einheitlichen Handhabung, kann eine Grundsatzfrage nicht entnommen werden. Es ist nicht dargelegt, dass es sich - wie vorliegend bei den Verhaltenstrainern - bei allen als Lehrpersonal im weitesten Sinne eingesetzten Polizeibeamten verbietet, dass sich die Erstbeurteiler aufgrund eigener Tatsachenfeststellungen durch den Besuch der Lehrveranstaltungen einen unmittelbaren Eindruck von Leistung, Befähigung und Eignung des Beamten verschaffen, und daher eine Beurteilung des gesamten Lehrpersonals auch nur vergleichbar erschwert wäre.
Auch der Umstand, dass das Niedersächsische Innenministerium in Kenntnis des hier angefochtenen Urteils nach einer Personaldezernentenbesprechung vom 19. Mai 2005 eine Aufnahme der als Verhaltenstrainer in einer Regionalen Beratungsstelle tätigen Polizeibeamten in den Katalog der Ziff. 2.3 der BRLPol-1999, wonach über Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Richtlinien das Niedersächsische Innenministerium entscheidet, abgelehnt hat, führt nicht zu der Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Denn das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil rechtsfehlerfrei darauf hingewiesen, dass sich ein Erstbeurteiler auch auf andere Weise als durch einen Besuch der Seminare von Verhaltenstrainern die für die Beurteilung erforderliche Tatsachenbasis verschaffen kann. Mit Blick hierauf rechtfertigt auch die Furcht der Beklagten vor einer Prozesslawine die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht, da Versäumnisse der jeweiligen Erstbeurteiler bei der Beschaffung der für die Beurteilung eines Beamten erforderlichen Tatsachenbasis im Einzelfall keiner Klärung im Interesse der Rechtssicherheit bedürfen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).