Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.10.2007, Az.: 5 ME 218/07

Vereinbarkeit der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Rückforderungsbescheid über Dienstbezüge mit der Möglichkeit einer Aufrechnung des Dienstherrn; Möglichkeit einer weiten Interpretation des Begriffs "Vollziehung eines Verwaltungsaktes"; Bestehen einer Aufrechnungslage in Fällen einer Überbezahlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.10.2007
Aktenzeichen
5 ME 218/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 42244
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2007:1029.5ME218.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 10.05.2007 - AZ: 6 B 797/07

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2008, VI Heft 2 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ-RR 2008, 336-337 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Rückforderungsbescheid über Dienstbezüge steht einer Aufrechnung des Dienstherrn nicht generell entgegen

Gründe

1

Durch Bescheid vom 20. Februar 2007 (Bl. 4 ff. Gerichtsakte - GA -) hob der Antragsgegner mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2001 seinen Bescheid vom 28. Dezember 1994 (Bl. 9 f. Beiakte - BA - A) über die Gewährung von Ortzuschlag der Stufe 2 auf, und forderte von der Antragstellerin 6.394,25 EUR zurück, die an sie in der Zeit vom 1. Dezember 2001 bis zum 31. Oktober 2006 als Familienzuschlag der Stufe 1 geleistet worden waren. Zur Tilgung der geltend gemachten Überzahlung erklärte er in Höhe von 371,71 EUR für den Zahlmonat 03/2007 und in Höhe von monatlich 500 EUR für die Zeit ab dem Zahlmonat 04/2007 bis zum Erlöschen seiner Forderung die Aufrechnung gegen die Ansprüche der Antragstellerin auf Dienstbezüge. Er wies darauf hin, dass ein Widerspruch der Antragstellerin nichts an der Fälligkeit seiner Forderung und der Wirksamkeit seiner Aufrechnungserklärung zu ändern vermöge.

2

Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt festzustellen, dass der gegen den Bescheid vom 20. Februar 2007 erhobene Widerspruch der Antragstellerin vom 12. März 2007 (Schriftsatz v. 7. 3. 2007, Bl. 149 ff. Beiakte - BA - A) und ihre nach dem Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2007 am 12. April 2007 erhobene Klage (6 A 1106/07) aufschiebende Wirkung haben.

3

Die dagegen mit dem sinngemäßen Antrag geführte Beschwerde, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 10. Mai 2007 festzustellen, dass die gegen den Rückforderungsbescheid des Antragsgegners vom 20. Februar 2007 erhobenen Rechtsbehelfe der Antragstellerin aufschiebende Wirkung haben, ist - wie seitens des Antragsgegners beantragt - zurückzuweisen.

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Teilweise genügt die Begründung des Rechtsmittels bereits nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an die Darlegung der Beschwerdegründe. Aus den übrigen fristgerecht (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Beschwerdegründen, die - grundsätzlich - allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) ist. Denn die mit der Beschwerde geübte Kritik ist teilweise unberechtigt und überwiegend unerheblich, weil sich die Entscheidung der Vorinstanz - zum Teil aus anderen als den ihr beigegebenen Gründen - im Ergebnis als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO in analoger Anwendung).

5

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte gerichtliche Feststellung verneint. Zwar kommt eine solche Feststellung in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht, wenn eine Behörde irrtümlich die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs missachtet (Nds. OVG, Beschl. v. 19. 9. 2007 - 5 ME 328/07 -, [...], Rn. 13, veröffentlich auch in der Rechtsprechungsdatenbank der Nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit). Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage der Antragstellerin steht jedoch einer Aufrechnung gegen ihre Ansprüche auf Dienstbezüge nicht entgegen, sondern ist hierfür unerheblich. Ein Fall der Missachtung des Suspensiveffekts eines Rechtsbehelfs liegt deshalb nicht vor.

6

Der Antragstellerin ist nicht zu folgen, soweit sie in Anlehnung an die Rechtsprechung des 10. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts (insbesondere Beschl. v. 9. 11. 2006 - 10 ME 189/06 - NVwZ-RR 2007, 293 [294]) durch eine weite Interpretation des Begriffs "Vollziehung eines Verwaltungsaktes" versucht, der aufschiebenden Wirkung ihrer Rechtsbehelfe Bedeutung für die Zulässigkeit der Aufrechnungserklärung des Antragsgegners beizulegen. Für das Besoldungsrecht ergibt sich nämlich unmittelbar aus dem § 11 Abs. 2 Satz 1 BBesG, der bestimmt, dass der Dienstherr - unter bestimmten Einschränkungen - gegenüber Ansprüchen auf Bezüge ein Aufrechnungsrecht geltend machen kann, dass die Aufrechnung zur Tilgung einer Überzahlung von Dienstbezügen den Erlass eines Rückforderungsbescheides nicht voraussetzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11. 8. 2005 - BVerwG 2 B 2.05 -, in: Schütz, BeamtR ES/C V Nr. 58, zitiert nach [...], Rn. 19 des Langtextes, undBeschl. v. 13. 6. 1985 - BVerwG 2 C 43.82 -, DVBl. 1986, 146; so auch Mayer, in: Schwegmann/Summer, BBesG, Kommentar, Stand: Juni 2007, Rn. 41c zu § 12 BBesG und Kümmel/Pohl, BBesRecht, Kommentar, Stand: August 2007, Rn. 11 zu § 11 BBesG und Rn. 68 zu § 12 BBesG). Ist aber ein solcher Bescheid nicht erforderlich, so rechtfertigen allein sein verzichtbarer Erlass und die aufschiebende Wirkung gegen ihn erhobener Rechtsbehelfe keine generelle Einschränkung eines Aufrechnungsrechts, das auch dann bestünde, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nicht ergangen oder nicht vollziehbar wäre. Die Vollziehbarkeit eines Bescheides, mit dem die Konsequenzen daraus gezogen werden sollen, dass zu Unrecht Besoldungsleistungen erbracht wurden, kann daher nicht schlechthin, sondern nur insoweit von Bedeutung für eine zu demselben Zweck erklärte Aufrechnung sein, als nach den Umständen des konkreten Falles gerade die Aufrechnungslage von der Vollziehbarkeit einer in dem Bescheid getroffenen Regelung abhängt.

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Nach der Rechtsprechung des beschließenden 5. Senats (Beschl. v. 2. 8. 1991 - 5 M 2579/91 -) und des 2. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 20. 6. 2006 - 2 ME 436/05 -, [...], Rn. 7, m. w. N.) besteht in Fällen der Überzahlung eine Aufrechnungslage nicht, wenn ein Bescheid vorliegt, der deshalb weiterhin den Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen der zuviel erbrachten Leistungen zu bilden vermag, weil seine rückwirkende Rücknahme weder unanfechtbar noch mit Wirkung ex tunc sofort vollziehbar ist. Vorläufiger Rechtsschutz sei dann im Verfahren gemäß § 123 VwGO zu gewähren (Nds. OVG, Beschl. v. 20. 6. 2006 - 2 ME 436/05 -, [...], Rnrn. 3 und 7). Im vorliegenden Falle kann dahinstehen, ob an der letztgenannten Rechtsauffassung festzuhalten ist, oder ob gegenüber einer Behörde, die eine hiernach unwirksame Aufrechnung erklärt hat und sich an diese anknüpfend berechtigt glaubt, Zahlungen einzubehalten, um vorläufigen Rechtsschutz analog § 80 Abs. 5 VwGO (wegen Missachtung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Rücknahme des gewährenden Bescheids, nicht etwa gegen die Rückforderung oder die Aufrechnung - vgl. in diesem Sinne OVG Brandenburg, Beschl. v. 23. 3. 2005 - 4 B 29/04 -, [...], Rn. 29) nachzusuchen ist. Denn der Bescheid vom 28. Dezember 1994 hat niemals einen Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen der der Antragstellerin über den 30. November 2001 hinaus gewährten familienbezogenen Leistungen gebildet.

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Auch wenn der Bescheid vom 28. Dezember 1994 nicht konstitutiv war, sondern ihm lediglich eine feststellende, den bereits kraft Gesetzes bestehenden Anspruch noch einmal für den Einzelfall konkretisierende Funktion zukam, dürfte er allerdings einen (weiteren) Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen des durch ihn zuerkannten Zuschlages dargestellt haben (Kümmel/Pohl, BBesRecht, Kommentar, Stand: August 2007, Rn. 18 zu § 12 BBesG). Entgegen den unzutreffenden Ausführungen in der Beschwerdebegründungsschrift bezog sich die durch ihn ausgesprochene Zuerkennung aber nicht auf den hier umstrittenen Familienzuschlag der Stufe 1, sondern auf den ehedem gewährten Ortszuschlag der Stufe 2. Die in der Entscheidung der Vorinstanz vorgenommene begriffliche Gleichsetzung dieser beiden Zuschläge ist unrichtig (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 10. 7. 2007 - 5 LC 41/07 -, [...], Rnrn. 27, 28 und 37). Es lässt sich die durch den Bescheid vom 28. Dezember 1994 festgeschriebene Gewährung des Ortszuschlages der Stufe 2 auch nicht als eine solche des Familienzuschlages der Stufe 1 auslegen. Denn mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (BGBl. I, S. 332) am 1. Juli 1997 ist nicht allein die rechtliche Grundlage des Bescheides vom 28. Dezember 1994, sondern auch der formale Inhalt seines Ausspruchs in Frage gestellt worden. Das ergibt sich ungeachtet gleichartiger tatbestandlicher Voraussetzungen für die Gewährung des Ortzuschlages der Stufe 2 und des Familienzuschlages der Stufe 1 bereits daraus, dass der Ortszuschlag der Stufe 2, bis zur Höhe desjenigen Betrages, der dem Ortszuschlag der Stufe 1 entsprach, eine Alimentierung darstellte, die seit der Reform des Besoldungsrechts durch das Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 (a. a. O.) als Teil des Grundgehalts, und damit gerade nicht als Familienzuschlag gewährt wird. Unter diesen Umständen wäre allenfalls eine Umdeutung (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i. V. m. § 47 VwVfG) geeignet gewesen, dem Bescheid vom 28. Dezember 1994 über den 30. Juni 1997 hinaus Fortgeltung als Rechtsgrund für die Gewährung und das Behalten-Dürfen des Familienzuschlags der Stufe 1 zu verschaffen (vgl. BGH, Beschl. v. 28. 9. 1999 - KVR 29/96 (KG) -, NVwZ 2000, 833 [834]). Für eine solche behördliche Umdeutung vor Erlass des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides vom 20. Februar 2007 sind jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar und auch der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid selbst gibt lediglich den Willen des Antragsgegners zu erkennen, den Bescheid vom 28. Dezember 1994 für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis zum 30. November 2001 als Rechtsgrund für die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 aufrecht zu erhalten. Ob Letzteres so möglich ist, mag ebenfalls offen bleiben. Denn jedenfalls fehlt es an einer Umdeutung für den nachfolgenden, hier streitigen Zeitraum. Eine solche Umdeutung ist - zumal im Eilverfahren und gegen den erkennbaren Willen der Behörde - auch durch den beschließenden Senat nicht vorzunehmen. Nach alledem muss davon ausgegangen werden, dass der Bescheid vom 28. Dezember 1994 einen Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen der hier umstrittenen Leistungen nicht gebildet hat. Seine zeitlich eingeschränkte Rücknahme unter dem 20. Februar 2007 ging somit ins Leere.

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Für die Aufrechnungslage kann der Bescheid vom 20. Februar 2007 folglich nur insoweit von Bedeutung sein, als die geltend gemachte Aktivforderung des Antragsgegners wohl erst mit dem Erlass dieses Bescheides rechtswirksam fällig gestellt geworden ist (vgl. Kümmel/Pohl, BBesRecht, Kommentar, Stand: August 2007, Rn. 68 zu § 12 BBesG; siehe auch: BVerwG, Urt. v. 27. 10. 1982 - BVerwG 3 C 6.82 -, BVerwGE 66, 218 [221]). Selbst wenn dies so sein sollte, hat jedoch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin mangels einer Gestaltungswirkung (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. 10. 1982 - BVerwG 3 C 6.82 -, a. a. O.) an einer etwa auf diese Weise eingetretenen Fälligkeit der geltend gemachten Aktivforderung nichts zu ändern vermocht.

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Da das Verwaltungsgericht die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz im Verfahren entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht schon unter dem Blickwinkel des Rechtsschutzbedürfnisses versagt hat, kommt es auf die Berechtigung der mit der Beschwerde erhobenen, die materielle Rechtslage betreffenden Rügen nicht an. Diese Rügen vermögen nämlich an der Unzulässigkeit des mit dem Rechtsmittel weiter verfolgten Eilantrags nichts zu ändern und sind damit von vornherein nicht geeignet, die begehrte Abänderung der Entscheidung der Vorinstanz zu rechtfertigen.

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Die pauschale Bezugnahme der Antragstellerin auf ihr Vorbringen im ersten Rechtszug und im Widerspruchsverfahren ist als Darlegung von Beschwerdegründen im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO unstatthaft (vgl. Bader, in: Bader u. a., VwGO, Kommentar, 3. Aufl. 2005, Rn. 29 zu § 146); auf dieses Vorbringen ist daher hier nicht einzugehen.