Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.10.2007, Az.: 9 LA 285/06

Vorteilsausgleich durch Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr im Hinblick auf die Instandhaltung und Reinigung durch die Gemeinde; Selbstständige Straße im Sinne des Straßenreinigungsgebührenrechts

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.10.2007
Aktenzeichen
9 LA 285/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 43149
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2007:1025.9LA285.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 28.06.2006 - AZ: 1 A 3652/05

Fundstellen

  • FStNds 2008, 67-69
  • GK 2008, 108-111
  • KommJur 2008, 389-390
  • NVwZ-RR 2008, V Heft 7 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ-RR 2008, 567 (amtl. Leitsatz)
  • NdsVBl 2009, 29-30
  • NordÖR 2008, 44-45
  • ZKF 2007, 285-286

Amtlicher Leitsatz

Grundstückseigentümer sind auch bei Privatstraßen straßenreinigungsgebührenpflichtig nur zur nächstgelegenen selbstständigen Straße, sofern diese gereinigt wird.

Wann im Straßenreinigungsgebührenrecht von der Selbstständigkeit einer öffentlichen bzw. privaten Straße auszugehen ist, beurteilt sich nach den zum Erschließungs- und Straßenausbaubeitragsrecht entwickelten Kriterien für die Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit von Verkehrsanlagen.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Straßenreinigungsgebühren. Er ist Eigentümer eines am B. Weg gelegenen Reihenhausgrundstücks. Die Straße verläuft zwischen der C. straße und der Straße Auf dem D.. An der Einmündung des B. Wegs in die Straße Auf dem D. steht das Verkehrszeichen "Durchfahrt verboten für Fahrzeuge aller Art" mit dem Zusatzschild "Anlieger frei". Die Landeshauptstadt Hannover widmete den B. Weg am 23. Februar 2006 zur öffentlichen Straße. In der Zeit vor Mai 2006 reinigte die Landeshauptstadt Hannover zwar die Straße Auf dem D., nicht aber den B. Weg.

2

Mit Bescheid vom 7. Juni 2005 zog die Landeshauptstadt Hannover den Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2001 bis zum 31. Dezember 2005 namens und im Auftrag des Beklagten wegen der Reinigung der Straße Auf dem D. zu Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 188,81 EUR heran. Dabei ging sie davon aus, dass der B. Weg eine Privatstraße sei und das an ihm gelegene Grundstück des Klägers als sogenanntes Hinterliegergrundstück von der Straße Auf dem D. erschlossen werde.

3

Mit seiner gegen die Heranziehung erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, dass der B. Weg seit dem 12. Oktober 2000 eine öffentliche Straße im Sinne des Nds. Straßengesetzes sei und er deshalb als straßenreinigungsgebührenfreier Anlieger einer öffentlichen Straße angesehen werden müsse. Die Beklagte vertritt demgegenüber den Standpunkt, der B. Weg sei im streitigen Zeitraum eine Privatstraße gewesen, so dass der Kläger zu Recht als Eigentümer eines Hinterliegergrundstücks zu Straßenreinigungsgebühren herangezogen worden sei.

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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat offen gelassen, ob der B. Weg in den Jahren 2001 bis 2005 eine öffentliche Straße im Sinne von § 1 NStrG oder eine Privatstraße gewesen sei. Der Kläger sei selbst dann straßenreinigungsgebührenpflichtig, wenn der B. Weg eine öffentliche Straße gewesen sein sollte. Denn jedenfalls habe der B. Weg dem öffentlichen Straßenverkehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht unbeschränkt zur Verfügung gestanden. Aufgrund der eingeschränkten tatsächlichen Funktion (der Innenerschließung von 39 Reihenhausgrundstücken dienende Anliegerstraße, die wegen ihrer Breite einen ungehinderten Begegnungsverkehr nicht zulasse) und der entsprechenden rechtlichen Widmung des B. Weges sei der Kläger nicht dessen straßenreinigungsgebührenfreier Anlieger, sondern gebührenpflichtiger Hinterlieger zur gereinigten Straße Auf dem D. gewesen.

5

II.

Der den Anforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO genügende Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Nach Aktenlage ist der Kläger nicht straßenreinigungsgebührenpflichtig, und zwar unabhängig davon, ob der B. Weg bis zum 31. Dezember 2005 eine Privatstraße oder eine öffentliche Straße im Sinne des Nds. Straßengesetzes gewesen ist.

6

Die Straßenreinigungsgebühr soll den besonderen Vorteil ausgleichen, der dem Grundstückseigentümer dadurch erwächst, dass die an seinem Grundstück entlang führende Straße in deren gesamter Länge durch die Gemeinde in einem sauberen und sicher benutzbaren Zustand gehalten wird (Nds. OVG, Beschl. v. 20.3.1997 - 9 L 2554/95 - NVwZ-RR 1998, 135 = Nds. VBl 1997, 215 = NSt-N 1997, 219 = NdsRpfl 1997, 167; Urt. v. 24.8.1994 - 9 K 5140/93 - NSt-N 1995, 15; Urt. v. 24.1.1990 - 9 L 43/89 - GemN 1990, 198; Lichtenfeld, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2007, § 6 Rdnr. 762). Gebührenpflichtig sind die Eigentümer von Grundstücken daher grundsätzlich nur zur nächstgelegenen selbstständigen Straße, sofern diese gereinigt wird. Liegen Grundstücke an einer nicht gereinigten selbstständigen Straße, so kann eine Gebührenpflicht zu entfernter gelegenen gereinigten Straßen - auch über den Begriff des Hinterliegers - nicht begründet werden. Dies gilt nicht nur für selbstständige öffentliche Straßen im Sinne des Nds. Straßengesetzes, sondern auch für selbstständige Privatstraßen (st. Rspr. des Senats, z.B. Urt. v. 24.1.1990, aaO, S. 199 sowie Urt. v. 20.11.1989 - 9 L 24/89 - NSt-N 1990, 150; ebenso Lichtenfeld, aaO, § 6 Rdnr. 763 a). Als im Sinne von § 52 Abs. 3 Satz 2 NStrG erschlossene Hinterliegergrundstücke können Grundstücke, die an eine andere als die gereinigte Straße grenzen und zu Letzterer auch nicht einen gesicherten Zugang über ein trennendes Privatgrundstück haben (zum Erschlossensein bei einer solchen Trennung siehe Beschl. d. Sen. v. 6. 2. 2006 - 9 PA 306/05 - sowie Urt. v. 20.11. 1989 - 9 L 24/89 -), nur angesehen werden, wenn die unmittelbar angrenzende und in die gereinigte Straße einmündende Straße als im Verhältnis zur Ersteren unselbstständig anzusehen ist, was z.B. bei nicht befahrbaren öffentlichen und nicht befahrbaren privaten Wohnwegen oder bei nur eingeschränkt befahrbaren Privatwegen sowie nur eingeschränkt befahrbaren öffentlichen Stichwegen der Fall sein kann (zu einem nicht befahrbaren öffentlichen Wohnweg siehe Urt. d. Sen. v. 25.8. 1994 - 9 K 5140/93 - NSt-N 1995,16; zur Widmung als "befahrbarer Gehweg" bzw. als "befahrbarer Gehweg mit der Zufahrt für Anlieger" siehe Urt. d. Sen. v. 11. 5. 2000 - 9 L 2479/99 u. 9 L 2506/99 - Nds VBl 2001,16 = NVwZ-RR 2001 184 = NSt-N 2000,322). Im straßenreinigungsgebührenrechtlichen Sinn erschlossen sind daher beispielsweise Grundstücke innerhalb einer Kleingartenanlage, die nur über einen eingeschränkt befahrbaren privaten Stichweg von der zu reinigenden Straße erreicht werden können (Urt. d. Sen. v. 14.10.1997 - 9 L 3432/96 -; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 31.3.1998 - 8 B 43/98 - NVwZ-RR 1999, 64 = ZKF 1999, 86; siehe zur Senatsrechtsprechung ferner Lichtenfeld, aaO, § 6 Rdnr. 763))

7

Aus diesen in der Rechtsprechung des Senats anerkannten Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall, dass der Kläger wegen seines am B. Weg gelegenen Grundstücks für die Reinigung der Straße Auf dem D. nur gebührenpflichtig sein kann, wenn der B. Weg (gleichgültig ob es sich um eine öffentliche Straße oder eine Privatstraße gehandelt hat) nicht eine im Sinne des Straßenreinigungsgebührenrechts selbstständige Straße gewesen ist. Was in diesem Rechtsgebiet als selbstständige oder unselbstständige Straße anzusehen ist, richtet sich - schon im Interesse der Entwicklung einheitlicher Maßstäbe - nach den zum Erschließungs- und Straßenausbaubeitragsrecht entwickelten Kriterien für die Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit von Verkehrsanlagen (so bereits Urt. d. Sen. v. 20. 11. 1989 aaO; zu den beitragsrechtlich erheblichen Kriterien siehe z.B. Urt. d. Sen. v. 16.10.2007 - 9 LC 54/05 - u. v. 20.6.2007 - 9 LC 59/06 -, jeweils abgedruckt bei [...]). Ob öffentliche Straßen oder Privatstraßen selbstständige Erschließungsanlagen oder (nur) unselbstständige Zuwegungen zur nächsten öffentlichen Anbaustraße, in die sie einmünden, darstellen, hängt vom Gesamteindruck ab, den ein unbefangener Beobachter nach den tatsächlichen Verhältnissen hat (vgl. zu öffentlichen Straßen BVerwG, Urt. v. 9.11.1984 - 8 C 77.83 - BVerwGE 70, 247 = NVwZ 1984, 346 = DVBl. 1985, 297, v. 25.1.1985 - 8 C 106.83 - DVBl 1985, 621 = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 59 = NVwZ 1985, 753, v. 23.6.1995 - 8 C 30.93 - KStZ 1996, 112 = ZMR 1995, 557 u. v. 16.9.1998 - 8 C 8.97 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 109 = DVBl 1999, 395[BVerwG 16.09.1998 - 8 C 8/97] = KStZ 1999 154 = NVwZ 1999 997 = ZMR 1999, 68; siehe zu Privatstraßen BVerwG, Urt. v. 30.1.1970 - IV C 151.68 - DVBl 1970, 839, v. 24.3.1976 - IV C 16. u. 17/74 - DÖV 1976, 671, v. 2.7.1982 - 8 C 28, 30 u. 33.81 - DVBl. 1982, 1056, v. 23.3.1984 - 8 C 65.82 - DVBl. 1984, 683, Beschl. v. 29.8.2000 - 11 B 48/00 - NVwZ-RR 2001, 180 [BVerwG 29.08.2000 - 11 B 48/00] = DÖV 2001, 37). Dieser Eindruck wird in erster Linie geprägt von der Ausdehnung der zu beurteilenden Anlage sowie dem Maß der Abhängigkeit zu der Straße, in welche die Anlage einmündet. So ist eine Verkehrsanlage ohne Verbindungsfunktion (Sackgasse) ausschließlich auf die Straße angewiesen, von der sie abzweigt. Da sie darin einer unselbstständigen Zufahrt ähnelt, besteht der Eindruck einer Unselbstständigkeit häufig noch bei einer Ausdehnung, bei der eine Anlage mit Verbindungsfunktion schon den Eindruck der Selbstständigkeit erweckt. Bedeutsam für die Einstufung als selbstständig oder unselbstständig sind ferner die Breite der Verkehrsanlage, Art und Anzahl der an sie angrenzenden Grundstücke, ihre Ausstattung mit Fahrbahn, Gehwegen, Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen sowie ihre Funktion im Vergleich zur Funktion der nächstgelegenen öffentlichen Straße (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.1.1970, 24.3.1976 und 2.7.1982, jeweils aaO).

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Im vorliegenden Fall kann - wie die bei der Gerichtsakte befindlichen Lichtbilder verdeutlichen - nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass der B. Weg (egal ob er als öffentliche Straße oder als Privatstraße einzustufen gewesen ist) eine selbstständige Anlage/Einrichtung im beitragsrechtlichen und daher auch im straßenreinigungsgebührenrechtlichen Sinn dargestellt hat. Schon seine Verbindungsfunktion zwischen verschiedenen Straßen sowie sein abbiegender Verlauf, der das jeweilige Ende des Weges und damit dessen genaue Länge vom entgegen gesetzten Standpunkt nicht erkennbar werden lässt, erweckt beim unbefangenen Beobachter den Eindruck der Selbstständigkeit. Der B. Weg erschließt ferner eine Vielzahl von mehrgeschossigen Reihenhausgrundstücken und verfügt über eine eher gehobene Ausstattung einschließlich zahlreicher Parkbuchten. Angesichts seiner Befahrbarkeit erfüllt er im Verhältnis zu den nächstgelegenen öffentlichen Straßen nicht nur eine untergeordnete Funktion. Da seine Breite für die verkehrsmäßige Erschließung der angrenzenden Grundstücke erkennbar angemessen und ausreichend ist, erweckt auch sie in Anbetracht der sonstigen Umstände nicht den Eindruck einer Unselbstständigkeit.

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Hat sich der B. Weg somit im hier streitigen Zeitraum als straßenreinigungsgebührenrechtlich selbstständiger Privatweg oder als in diesem Sinne selbstständige öffentliche Straße dargestellt, so kann der Kläger für sein an diesem Weg gelegenes Grundstück zur Straße Auf dem D. entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht straßenreiniigungsgebührenpflichtig sein.