Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.07.2000, Az.: 5 K 533/98
Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gegenüber dem zuständigen Prozessgericht
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.07.2000
- Aktenzeichen
- 5 K 533/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21918
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0729.5K533.98.0A
Tatbestand
Die X-Steuerberatungsgesellschaft mbH (X-GmbH) erhob unter dem 29. Juli 1998 im Auftrag der Klägerin Klage. Die Klage war gegen die Umsatzsteuerbescheide 1992 bis 1994, die Körperschaftssteuerbescheide 1992 bis 1994, die Gewerbesteuermessbescheide 1992 bis 1994 sowie gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 47 Körperschaftssteuergesetz gerichtet.
Die Klage wurde im VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts unter dem Aktenzeichen VI 550/98 eingetragen (Zur Erläuterung: Inzwischen werden die Senate im Aktenzeichen nicht mehr mit römischen sondern mit arabischen Ziffern genannt).
Mit Beschluss des VI. Senat vom 16. September 1998 wurde das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 abgetrennt und an den für Umsatzsteuer zuständigen V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts verwiesen.
Mit Verfügung vom 28. September 1998 hat die Vorsitzende des V. Senats die Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 zuständigkeitshalber vom V. Senat übernommen worden ist. Die Vorsitzende wies in der richterlichen Verfügung ausdrücklich darauf hin, dieses bei künftigen Eingaben zu beachten. Mit Verfügung vom 08. Oktober 1998 hat der zuständige Berichterstatter die Prozessbevollmächtigte aufgefordert, das Klagebegehren zu bezeichnen und die Prozessvollmacht im Original nachzureichen. Nachdem diese Frist erfolglos verstrichen war, setzte der Berichterstatter eine Ausschlussfrist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage der Vollmacht bis zum 31. Januar 1999. Gleichzeitig setzte er gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens bis zum 31. Januar 1999. Da diese Fristsetzung aufgrund eines Kanzleiversehens nicht mit der Unterschrift des zuständigen Berichterstatters (Dr. L.) sondern mit der eines Kollegen (Dr. H.) versehen wurde, teilte der Berichterstatter der Prozessbevollmächtigten mit, dass die gesetzte Ausschlussfrist unwirksam sei. Gleichzeitig setzte er am 08. Februar 1999 eine neue Ausschlussfrist für die Vorlage der Vollmacht und die Bezeichnung des Klagebegehrens bis zum 31. März 1999.
Diese Verfügung ist der Prozessbevollmächtigten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 15. Februar 1999 zugegangen.
Innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist (31. März 1999) ist gegenüber dem V. Senat weder die Bezeichnung des Klagebegehrens noch die Vorlage der Vollmachtsurkunde erfolgt.
Aus den beigezogenen Akten des VI. Senats (VI 550/98) ist zu ersehen, dass die Prozessvollmacht von der Klägerin am 15. Oktober 1998 übersandt worden ist. Diese Prozessvollmacht bezieht sich auch auf das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994.
Die Bezeichnung des Klagebegehrens wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994, Körperschaftssteuer 1992 bis 1994, Gewerbesteuermessbetrag 1992 bis 1994 sowie gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 47 Körperschaftssteuergesetz für die Jahre 1992 bis 1994 erfolgte gegenüber dem VI. Senat mit Schreiben vom 29. Januar 1999. Unter dem 30. März 1999 hat die Klägerin beim VI. Senat eine zweite (Original)Vollmacht für alle beim Gericht anhängigen Verfahren eingereicht und eine weitere Konkretisierung des Gegenstands des Klagebegehrens vorgenommen.
Dem V. Senat hat die Klägerin innerhalb der Ausschlussfrist nicht mitgeteilt, dass die Bezeichnung des Klagebegehrens und die Vorlage der Vollmacht für Umsatzsteuer 1992 bis 1994 bereits dem VI. Senat gegenüber erfolgt ist.
Mit richterlicher Verfügung vom 17. Juni 1999 hat der Berichterstatter des V. Senats die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung des Klagebegehrens und die Vorlage der Vollmacht nicht innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist gegenüber dem V. Senat erfolgt ist. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 1999 mitgeteilt, dass es versäumt worden sei, neben dem VI. Senat mit dem Aktenzeichen VI 550/98 auch das Aktenzeichen des V. Senats (V 553/98) anzuführen, wobei sich das Anschreiben und die Prozessvollmacht gleichermaßen auf die Umsatzsteuer 1992 bis 1994 bezogen hätten.
Mit Schreiben vom 01. Juli 1999 hat die Klägerin Ausführungen dazu gemacht, dass Unterlagen aus der Buchhaltung bereits vorgelegt worden seien. Zu der Frage, warum die Bezeichnung des Klagebegehren und die Vorlage der Vollmacht für das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 gegenüber dem VI. und nicht gegenüber dem zuständigen V. Senat erfolgt ist, enthält das Schreiben keine Angaben.
Die Klägerin teilte dem Gericht anschließend mit, dass sie die Prozessvollmacht fristgerecht beim Finanzgericht eingereicht habe. Auch wenn das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 abgetrennt worden sei, sei doch zu berücksichtigen, dass zum Tag der Ausschlussfrist eine gültige Prozessvollmacht beim Finanzgericht vorgelegen hätte.
Das Gericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 1999 als unzulässig abgewiesen.
In dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den an sie versandten Abtrennungsbeschluss vorgelegt. Auf diesem ist als Eingangsdatum der 18. Oktober 1998 vermerkt.
Die Klägerin trägt vor, sie habe die Prozessvollmacht für alle Verfahren an den VI. Senat übersandt, weil sie zu diesem Zeitpunkt (15. Oktober 1998) noch keine Kenntnis von der Abtrennung gehabt habe. Außerdem sei es ausreichend, dass dem Gericht - wenn auch einem anderen Senat - die Vollmacht vorgelegen habe; gleiches habe für die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens zu gelten.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 1992 bis 1994 erklärungsgemäß festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Dem Gericht haben die Gerichtsakte des VI. Senats (VI 550/98) sowie die Steuerakten der Klägerin zu Steuernummer ... vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unzulässig.
Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. die Bezeichnung des Streitgegenstandes enthalten. Der Streitgegenstand ist dann ausreichend bezeichnet, wenn der Umfang des begehrten Rechtsschutzes hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht und substantiiert dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und den Steuerpflichtigen in seinen Rechten verletzt (Beschluss des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78, BStBl II 1980, 99, 102). Grundsätzlich kann die Bezeichnung des Streitgegenstandes zwar noch nachträglich erfolgen. Diese Möglichkeit besteht aber nicht, wenn zur Bezeichnung des Streitgegenstandes eine Frist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzt worden ist. Dieser Frist kommt ausschließende Wirkung zu.
Der Berichterstatter des V. Senats hat der Klägerin durch Verfügung vom 8. Februar 1999 eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens bis zum 31. März 1999 gesetzt.
Innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist hat die Klägerin den Gegenstand des Klagebegehren nicht gegenüber dem zuständigen Prozessgericht (V. Senat) bezeichnet.
Dass die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gegenüber dem VI. Senat mit Schreiben vom 29. Januar 1999 erfolgt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens hat dem Gericht gegenüber zu erfolgen (§ 65 Abs. 1 FGO a.F.; BFH, Urteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BStBl II 1988, 895). Es handelt sich um die Ergänzung der Klage um notwendige Bestandteile. Die Klage ist eine Prozesshandlung, die dem Gericht gegenüber vorzunehmen ist.
Als "Gericht" in diesem Sinne sind nicht die im Gericht schlechthin vorhandenen Senate in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Vielmehr ist als "Gericht" das die jeweilige Streitsache entscheidende Prozessgericht anzusehen, also der Senat, vor dem der konkrete Rechtsstreit (bezogen auf die einzelnen Steuerarten und Streitjahre) geführt wird.
Nach der Abtrennung und Verweisung an den für Umsatzsteuer zuständigen V. Senat ist dieses Prozessgericht für die Umsatzsteuerstreitigkeit. Somit hätte die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens diesem Senat gegenüber erfolgen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Die Prozessbevollmächtigte hat auch nicht innerhalb der Ausschlussfrist darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens bereits gegenüber dem VI. Senat vorgenommen worden ist. Zumindest dies wäre erforderlich gewesen, um das Prozessgericht in die Lage zu versetzen, die entsprechenden Unterlagen vom anderen Senat anzufordern.
Die Klägerin hatte auch Kenntnis davon, dass nach der Abtrennung nunmehr der V. Senat das für sie zuständige Prozessgericht ist. Selbst wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass die Prozessvollmacht dem VI. Senat noch vor Kenntnis von der Abtretung übersandt worden ist, gilt dies nicht für die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens. Denn sowohl der Abtrennungsbeschluss des VI. Senats als auch die entsprechende Übernahmeerklärung des V. Senats sind ihr zwischenzeitlich zugegangen. Ferner ist sie unter dem Aktenzeichen des V. Senats mehrfach aufgefordert worden, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen.
Die Richtigkeit des obigen Ergebnisses wird durch folgende Kontrollüberlegung belegt:
Bei der vom Gericht angeforderten Prozessvollmacht nach § 62 Abs. 3 FGO war lange Zeit streitig, ob es für einen ordnungsgemäßen Nachweis der Bevollmächtigung genügt, dass die Vollmacht dem Gericht als behördliche Einrichtung vorliegt oder ob die Vollmacht den jeweils zur Entscheidung berufenen Spruchkörper, d.h. dem Gericht im prozessualen Sinne vorliegen muss (siehe BFH, Urteil vom 30. Juni 1991 VIII B 88/89, BStBl II 1991, 848 m.w.N.).
Inzwischen hat der BFH den Streit entschieden. Er hat aus den Vorschriften der §§ 62 Abs. 3 Satz 1, 155 FGO i.V.m. § 80 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) hergeleitet, dass die Vollmachtsurkunde grundsätzlich (Ausnahme: Bezugnahme auf die in einem anderen Verfahren eingereichte Vollmacht) zu den Prozessakten des jeweiligen Verfahrens zu reichen ist (BFH, a.a.O.; bestätigt durch BFH, Urteil vom 17. April 1998 VI R 107/97, BFH/NV 1998, 1364).
Diese vom BFH vorgenommene Interpretation des Begriffs "Gerichtsakte" i.S.d. § 80 Abs. 1 ZPO rechtfertigt es, als "Gericht" i.S.d. § 65 FGO ebenfalls nicht die gesamte behördliche Einrichtung, sondern den konkret zur Entscheidung berufenen Spruchkörper, vorliegend also den V. Senat anzusehen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 56 FGO ist nicht zu gewähren, weil die Prozessbevollmächtigte innerhalb der Zwei-Wochenfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) keine Wiedereinsetzungsgründe dargelegt hat. Der Berichterstatter hat der Prozessbevollmächtigten durch Telefax vom 17. Juni 1999 mitgeteilt, dass die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens dem zuständigen Senat gegenüber nicht innerhalb der Ausschlussfrist erfolgt ist.
Dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom selben Tage und auch allen weiteren Schreiben lassen sich indes keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte unverschuldet verhindert war, die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gegenüber dem zuständigen Senat vorzunehmen.
Die Mitteilung der Prozessbevollmächtigten, dass es versäumt worden sei, bei dem Schreiben vom 29. Januar 1999 auch das Aktenzeichen des V. Senats mitanzugeben, begründet keinen Wiedereinsetzungsgrund. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Prozessbevollmächtigten unterstellt, dass mit dem Begriff der "Versäumnis" nicht nur eine tatsächliche Beschreibung sondern eine Wertung im Sinne von "Versehen" oder "Vergessen" gemeint gewesen sein sollte. Denn in diesem Fall hätte es der Klägerin oblegen, dem Gericht die näheren Gründe für das "Versehen" oder "Vergessen" und die daran beteiligten Personen (Prozessbevollmächtigter oder Schreibkräfte) mitzuteilen. Dies gilt zumal das Schreiben vom 30. März 1999, mit dem eine zweite Ausfertigung der Prozessvollmacht und eine weitere Begründung der Klage erfolgte, ebenfalls nur mit dem Aktenzeichen des VI. Senats versehen worden ist.
Sofern der Prozessbevollmächtigte der Auffassung ist, dass es ausreichend sei, wenn die Bezeichnung des Klagebegehrens und die Vorlage der Prozessvollmacht überhaupt bei Gericht innerhalb der Frist erfolge, handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum, der keine unverschuldete Verhinderung an der Einhaltung der Frist zu begründen vermag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.