Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.07.2000, Az.: 11 K 388/98

Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen für Darlehen zur Anschaffung eines Grundstückes als Vorkosten nach Einkommenssteuergesetz

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.07.2000
Aktenzeichen
11 K 388/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 14398
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0704.11K388.98.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 27.04.2004 - AZ: X R 24/01

Fundstelle

  • DStRE 2001, 1205-1206 (Volltext mit amtl. LS)

Tatbestand

1

Streitig ist der Vorkostenabzug nach § 10e Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Objekt Astraße 3 in X.

2

Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Sie erwarben 1984 das bebaute Grundstück Astraße 5, X, bauten im Souterrain eine Wohnung aus, die sie bis einschließlich 1990 vermieteten, und nutzten das Gebäude im Übrigen als Familienwohnung. 1988 errichteten sie einen Anbau und renovierten das Gebäude. Die Kläger beantragten für 1991, die Nutzungswertbesteuerung der Wohnung im eigenen Haus nicht mehr anzuwenden. Das Grundvermögen war als Zweifamilienhaus bewertet. Von 1984 bis 1991 nahmen die Kläger für dieses Objekt die erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG in Anspruch.

3

Die Klägerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 16.11.1991 für 820.000 DM das mit einem Einfamilienhaus (EFH) bebaute, angrenzende Grundstück Astraße 3, X. Der Übergang von Nutzen und Lasten erfolgte zum 01.07.1992. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm die Klägerin ein Darlehen auf, für das sie im Streitjahr Zinsen in Höhe von 59.112 DM zahlte. Nachdem die Kläger zunächst Schwierigkeiten hatten, eine Baugenehmigung zu erhalten, wurden nach Erteilung der Genehmigung ab Februar 1993 die Gebäude Astraße 3 und 5 durch einen Zwischentrakt - mit Schwimmbad im Kellergeschoss - miteinander verbunden und das Gebäude Astraße 3 umgebaut. Die Kläger nutzen den so entstandenen Gebäudekomplex Astraße 3 bis 5 ab November 1993 als Familienwohnung. Das Grundvermögen ist auf den 01.01.1994 als EFH bewertet worden.

4

Der Beklagte erkannte die auf das Objekt Astraße 3 im Streitjahr 1992 entfallenden Schuldzinsen zunächst in den unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheiden vom 24.10.1994 und 27.12.1994 (Bl. 66, 77 Einkommensteuerakte - EStA) erklärungsgemäß als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG an, änderte mit Bescheid vom 14.08.1995 (Bl. 112 EStA) jedoch seine Auffassung. Der Beklagte führte aus, der Vorkostenabzug scheitere daran, dass das Objekt Astraße 3, wie von vornherein geplant, nie als eigenständiges Objekt genutzt worden sei. Hiergegen richtet sich nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsbescheid vom 29.04.1998 - Bl. 125 Rechtsbehelfsakte - RbA) die Klage. Die Anlage zum Einspruchsbescheid weist für die Kläger für 1992 einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 307.315 DM aus. Wegen weiterer Einzelheiten des zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalts wird auf den Einspruchsbescheid Bezug genommen.

5

Die Kläger meinen, die Voraussetzungen des § 10e Abs. 6 EStG für den Vorkostenabzug seien gegeben. Insbesondere sei das Objekt Astraße 3 angeschafft und zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. Weder der Umbau noch die Verbindung mit dem Gebäude Astraße 5 durch den Zwischentrakt ändere daran etwas. Die Kläger zielten nicht auf die Förderung der Gesamtwohnung ab. Auch handele es sich nicht um einen Ausbau oder eine Erweiterung der Wohnung Astraße 5. Die diesbezüglichen Ausführungen in dem Einspruchsbescheid seien unerheblich.

6

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1992 vom 14.08.1995 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 29.04.1998 Schuldzinsen in Höhe von 59.112 DM als Vorkosten im Sinne von § 10e Abs. 6 EStG zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

7

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

8

Er hält weiterhin an der Auffassung fest, dass die unterbliebene Nutzung des Gebäudes Astraße 3 als eigenständige Wohnung dem Vorkostenabzug entgegenstehe. Wegen der Einzelheiten der Begründung werde auf den Einspruchsbescheid verwiesen.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

10

Die im Streitjahr gezahlten, der Höhe nach unstreitigen Schuldzinsen für das Darlehen zur Anschaffung des Grundstücks Astraße 3 sind als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abzugsfähig.

11

Nach dieser Vorschrift kann der Steuerpflichtige Aufwendungen wie Sonderausgaben abziehen, die

  • bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung im Sinne des § 10e Abs. 1 EStG zu eigenen Wohnzwecken entstehen,
  • unmittelbar mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des dazugehörenden Grund und Bodens zusammenhängen,
  • nicht zu den Herstellungskosten oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören und
  • im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten.

12

Diese Voraussetzungen erfüllen die auf das Darlehen zur Anschaffung des mit einem EFH bebauten Grundstücks Astraße 3 1992 gezahlten Schuldzinsen. Durch ein Darlehen verursachte Finanzierungskosten hängen unmittelbar mit der Anschaffung oder Herstellung der Wohnung zusammen, wenn das Darlehen zur Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Wohnung aufgenommen worden ist (BFH-Urteil vom 27. Juni 1995 IX R 48/93, BStBl II 1996, 151). Die Zinsen gehören nicht zu den Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens und könnten im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden.

13

Die Kosten sind bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung im Sinne des § 10e Abs. 1 EStG zu eigenen Wohnzwecken entstanden. Das EFH Astraße 3 war im Zeitpunkt der Anschaffung - 01.07.1992 - eine Wohnung im Sinne des § 10e Abs. 1 EStG, was - weil unbestritten - keiner näheren Darlegungen bedarf. Die Erweiterung dieses Objekts vor Bezug um den Zwischentrakt und seine Verbindung mit dem Gebäude Astraße 5 ändern daran nichts. Insoweit stellt sich die Frage nach dem - überholten - so genannten Erstarrungsprinzip nicht. Das Erstarrungsprinzip besagte, dass es für die Förderung nach § 10e Abs. 1 EStG auf die bauliche Gestaltung der Wohnung im Zeitpunkt des Beginns der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ankommt. Nach neuerer Erkenntnis ändert sich die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG jedoch, wenn die begünstigte Wohnung nachBezug durch Baumaßnahmen vergrößert oder verkleinert wird.

14

Die Zinsen sind 1992 und damit vor der erstmaligen Nutzung des Gebäudes Astraße 3 im November 1993 entstanden. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Finanzgerichts München im Urteil vom 08.04.1998 (13 K 3652/95, DStRE 1998, 546; zustimmend Schmidt, EStG, 19. A., § 10e, 128), wonach bei Kosten, die durch die und im Zusammenhang mit der späteren Zusammenlegung zweier Wohnungen, von denen eine bereits vom Steuerpflichtigen genutzt wird, entstehen, der Vorkostenabzug entfällt, weil bereits ein Teil des späteren einheitlichen Förderobjekts, zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird. Diese Auslegung des Gesetzes ist nach seinem Wortlaut nicht zwingend. Wenn die Verbindung zweier Wohnungen richtigerweise nichts Neues im Sinne des § 10e EStG zu schaffen vermag, erscheint es auch nicht sachgerecht, dass sie Vorhandenes zerstören kann (Meyer, B., Steuerbegünstigung der Wohnung im eigenen Haus, FR 1995, 129, 140).

15

Dem BFH-Beschluss vom 24.08.1995 (X B 258/94, BFH/NV 1996, 120) lässt sich entgegen den Ausführungen im Einspruchsbescheid nicht entnehmen, dass es sich hier "nur" um nachträgliche Kosten im Sinne des § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG handeln könne, die sich nach Ablauf des Förderzeitraums für das Objekt Astraße 5 nicht mehr auswirkten. In dem vom BFH entschiedenen Fall schaffte der Steuerpflichtige eine benachbarte Eigentumswohnung an und verband sie baulich mit der schon bewohnten, während für letztere die Förderung nach § 10e Abs. 1 EStG noch in Anspruch genommen wurde. Wegen des räumlichen Zusammenhangs beider Wohnungen kam eine Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG für die neu erworbene Wohnung während der noch laufenden Förderung der bereits vorhandenen Wohnung nicht in Betracht (§ 10e Abs. 4 Satz 2 EStG). Demzufolge stellte sich für den BFH aus Rechtsgründen allein noch die Frage, ob die Anschaffungskosten der zweiten Wohnung als nachträgliche Anschaffungskosten der ersten Wohnung die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag erhöhen und die Klage so Erfolg haben könnte. Im Streitfall ist der Förderzeitraum nach § 7b EStG für das Objekt Astraße 5 aber 1991 abgelaufen. § 10e Abs. 4 Satz 2 EStG spielt daher hier keine Rolle.

16

Die vom Beklagten aufgestellte Bedingung für den Vorkostenabzug, das angeschaffte Objekt müsse als eigenständige Wohnung genutzt werden, findet im Gesetz keine Stütze. Die Nutzung einer angeschafften oder hergestellten Wohnung im eigenen Haus zu eigenen Wohnzwecken genügt. Anderenfalls entstünde ein Wertungswiderspruch zwischen dem Vorkostenabzug für Objekte im Sinne des § 10e Abs. 1 EStG (Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung) und des § 10e Abs. 2 EStG (Ausbau und Erweiterung an einer Wohnung). Auch wenn § 10e Abs. 6 Satz 4 EStG für Vorkosten bei Ausbauten und Erweiterungen nur die "entsprechende" Anwendung der für Anschaffungs- bzw. Herstellungsfälle geltenden Vorschriften anordnet, ist es nicht einzusehen, warum der Vorkostenabzug bei Objekten im Sinne des Absatzes 1 an einer Bedingung scheitern soll, die bei Objekten im Sinne des Absatzes 2 niemals erfüllt wird, nämlich der Nutzung des Förderobjekts als eigenständige Wohnung. Zwar besteht ein Unterschied zwischen der Anschaffung einer Wohnung einerseits, Ausbauten und Erweiterungen an einer Wohnung (sowie der Herstellung einer Wohnung) andererseits. Im letzteren Fall wird neuer Wohnraum geschaffen. Nach der im Streitjahr geltenden Fassung des § 10e EStG ist dieser Unterschied jedoch unerheblich. Das Gesetz fördert 1992 die Nutzung von eigenen Wohnungen in Alt- und Neubauten zu eigenen Wohnzwecken noch in gleicher Weise. Die niedrigere Förderung der Anschaffung von Altbauten gilt erst für Objekte, die aufgrund eines nach dem 31.12.1993 rechtswirksam abgeschlossenen Vertrags angeschafft werden, also nicht für das 1991 gekaufte Objekt der Klägerin.

17

Die Ausrechnung der festzusetzendes Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.