Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.08.2000, Az.: 1 V 161/00
Möglichkeit der Hinterziehung von Vermögensteuern wegen Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Vermögensteuergesetzes (VStG)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 07.08.2000
- Aktenzeichen
- 1 V 161/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 21869
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0807.1V161.00.0A
Rechtsgrundlage
- § 169 Abs. 1 AO
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob eine Hinterziehung von Vermögensteuer möglich ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 festgestellt hat, dass das Vermögensteuergesetz (VStG) nicht verfassungskonform ist.
Die Antragsteller (Ast.) sind miteinander verheiratet und wurden regelmäßig gemeinsam zur Vermögensteuer veranlagt. Sie gaben zunächst auch von sich aus Vermögensteuererklärungen ab, zuletzt im Jahre 1984 auf den 1. Januar 1983. Nachdem das Finanzamt (FA) mit Neuveranlagungsbescheid auf den 1. Januar 1984 die Vermögensteuer auf 0,00 DM festgesetzt hatte, gaben die Ast. keine Erklärungen mehr ab. Das änderte sich erst, als sie im Jahre 1992 vom FA aufgefordert wurden, Erklärungen auf den 1. Januar 1989 und 1. Januar 1991 vorzulegen. Auf den 1. Januar 1986 liegt eine Vermögensteuererklärung nicht vor.
Am 22. Dezember 1999 erließ das FA den hier angefochtenen Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1986 (Hauptveranlagung), in dem es die Besteuerungsgrundlagen schätzte. Mit dem dagegen erhobenen Einspruch vertreten die Ast. die Auffassung, dass der Bescheid nach Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist ergangen sei. Es gelte die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. II S. 1 AO. Die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren greife nicht ein, weil sie die Ast. keine Steuerhinterziehung begangen hätten. Das sei aus Rechtsgründen schon deshalb nicht möglich, weil das BVerfG die Unvereinbarkeit des VStG mit der Verfassung festgestellt habe.
Das FA hat über den Einspruch gegen den Vermögensteuerbescheid bisher noch nicht entschieden. Das Einspruchsverfahren ruht. Die gleichzeitig beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) hat es jedoch abgelehnt Bescheid vom ... Den gegen die Ablehnung erhobenen Einspruch hat das FA mit Bescheid vom ... als unbegründet zurückgewiesen. Die Ast haben deshalb bei Gericht die AdV des angefochtenen Bescheides beantragt.
Gründe
Der Antrag hat Erfolg.
1.
Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die AdV soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967, 182; vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BStBl. II 1997, 515).
2.
Im Streitfall haften dem angefochtenen Bescheid derartige Unsicherheiten sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht an. Sie ergeben sich aus der Norm des § 169 Abs. 1 AO, nach der eine Steuerfestsetzung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig ist. Im Streitfall war die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 AO (4 Jahre) bei Erlass des Bescheides bereits abgelaufen. Die Annahme des FA, die Ast. hätten die Vermögensteuer hinterzogen und deshalb greife die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO (10 Jahre) ein, stuft das Gericht als ernstlich zweifelhaft ein.
Eine Steuerhinterziehung setzt voraus, dass der Straftatbestand der §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 2 AO objektiv und subjektiv erfüllt ist. Ob das der Fall ist, bemisst sich, wie § 369 Abs. 2 AO ausdrücklich hervorhebt, nach den allgemeinen Gesetzen über das Strafrecht.
a)
Der Senat hat bereits Bedenken, ob der Straftatbestand objektiv erfüllt ist. Sie resultieren aus der höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärten Rechtsfrage, ob eine Hinterziehung von Vermögensteuer überhaupt möglich ist, nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 erkannt hat, dass die Vermögensteuer nicht verfassungskonform ist. Die Tatsache allein, dass das BVerfG die zeitlich befristete Fortgeltung des materiell verfassungswidrigen Gesetzes mit der Begründung akzeptiert hat, die Erfordernisse verlässlicher Haushalts- und Finanzplanung und eines gleichmäßigen Gesetzesvollzuges für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschossenen Veranlagung rechtfertigten es, die Regelungen zur Vermögensbesteuerung für zurückliegende Jahre wie bisher weiter anzuwenden, erlaubt keine Rückschlüsse zu der Frage, ob ein Verstoss gegen das Vermögensteuergesetz den Straftatbestand erfüllt. Trotz vorübergehender Weitergeltung aus fiskalischen Gründen bleibt das Gesetz verfassungswidrig, es ist ein Unrechtsgesetz, das nicht in die Steuerrechtsordnung passt. Es erscheint nicht vorstellbar, dass der Staat seine Bürger durch Einsatz strafrechtlicher Mittel zwingt, eine derartige Rechtsnorm einzuhalten, die in ihrem Inhalt verfassungswidrig ist.
b)
Weitere Bedenken gegenüber einer Erfüllung des Straftatbestandes ergeben sich aus § 2 Abs. 3 StGB. Nach dieser Norm ist bei einer Gesetzesänderung nach Beendigung der Tat das mildeste Gesetz anzuwenden. Dieses sog. Rückwirkungsgebot zugunsten eines Beschuldigten gilt auch dann, wenn durch eine Gesetzesänderung die Tat im Nachhinein nicht nur mit milderer Strafe belegt, sondern gänzlich straflos geworden ist (BGHSt 20, 119; Dreher/Tröndle, StGB, 47 Aufl. § 2 Rdnr. 10) und zwar selbst dann, wenn die Straflosigkeit darauf beruht, dass bei einer Blankettstraftat die außerstrafrechtliche blankettausfüllende Norm geändert wird (BGHSt 20, 177; Lackner, StGB, 20. Aufl. § 2 Rdnr. 4; zweifelnd Schönke-Schröder-Eser, StGB 24. Aufl. § 2 Rdnr. 26). Nach dem Sinn und Zweck der Norm des § 2 Abs. 3 StGB soll vermieden werden, Gerichte zu zwingen, Gesetze anzuwenden, zu dessen Existenzberechtigung der Gesetzgeber sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bekennt (Schönke-Schröder-Eser, StGB 24. Aufl. § 2 Rdnr. 16). Dem gewandelten Rechtsempfinden der Bevölkerung, das schon vor der förmlichen Gesetzesänderung vorherrschte und das zur Gesetzesänderung geführt hat, soll Rechnung getragen werden. Die Regelung trägt somit dazu bei, eine Vergewaltigung der materiellen Gerechtigkeit zu verhindern (Schönke-Schröder-Eser, StGB, 24. Aufl. § 2 Rdnr. 16).
Für das Steuerstrafrecht für das nach § 369 Abs. 2 AO die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren Anwendung finden kann nichts anderes gelten. Im Streitfall greift deshalb das Rückwirkungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB ein. Das VStG ist jedenfalls in der den Steuersatz festlegenden Norm des § 10 heute nicht mehr existent. Es ist zum 31. Dezember 1996 aufgehoben worden, die Entscheidung des BVerfG hat Gesetzeskraft. Die Gründe für die Gesetzesänderung und die Tatsache, dass die Weitergeltung des verfassungswidrigen Gesetzes für eine Übergangszeit zugelassen worden ist, haben keinen Einfluss auf das Rückwirkungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB. Der Senat folgt damit der Rechtsauffassung der 5. Strafkammer des LG München II, wie sie im Beschluss vom 11. November 1999 5 Qs 12/99, BB 2000, 290 zum Ausdruck gekommen ist. Da das VStG auch kein zeitlich begrenztes Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 4 StGB ist, muss eine Bestrafung wegen Hinterziehung von Vermögensteuer ausscheiden. Ist demnach der Straftatbestand nicht erfüllt, greift die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO nicht ein.
c)
Weitere Bedenken an der Annahme einer Steuerhinterziehung ergeben sich aus der Notwendigkeit, dass die verlängerte Festsetzungsfrist nur dann eingreift, wenn der Straftatbestand schuldhaft erfüllt worden ist. Schuld ist persönliche Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird einem Täter vorgeworfen, dass er sich nicht rechtmäßig verhalten hat, dass er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich für das Recht hätte entscheiden können (BGH, Gr.S. BGHSt 2, 194, 200). Mit der Schuld ist zugleich ein sozialethischer Tadel gegen den Täter verbunden (Schönke-Schröder-Lenckner,StGB, 24. Aufl. Vorbem. §§ 13, Rdnr. 103).
Der Senat hat Bedenken, den Ast. einen Schuldvorwurf im vorgenannten Sinne zu machen. Sie haben ein Gesetz unbeachtet gelassen, das nicht mehr auf dem Boden der Verfassung stand und inhaltlich damit selbst rechtswidrig war. Die Ast. haben sich damit gerade nicht für das Unrecht sondern für das Recht entschieden. Der sozialethische Tadel trifft daher soweit sich das bei der hier gebotenen summarischen Prüfung beurteilen lässt - nicht die Ast., sondern die Institutionen, die für die verfassungswidrige Rechtslage verantwortlich sind.
3.
Darüber hinaus haften dem angefochtenen Bescheid weitere Bedenken tatsächlicher Art an. Selbst wenn man wovon der Senat nicht ausgeht der Auffassung des FA folgen und annehmen wollte, dass auch eine Hinterziehung von Vermögensteuer grundsätzlich strafbar sei, erschiene eine Bestrafung der Ast. bei summarischer Würdigung der bisher bekannten Tatumstände ausgeschlossen, weil nicht hinreichend sicher feststeht, dass sie den Straftatbestand auch subjektiv erfüllt haben. Eine subjektive Erfüllung des Straftatbestandes setzt Vorsatz und Unrechtsbewusstsein beim Täter voraus (BFH-Urteil vom 4. Februar 1987 I R 58/86, BFHE 149, 109, BStBl. II 1988, 215). Der Täter muss alle Umstände kennen, die zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes beitragen und sich bewusst sein, Unrecht zu tun (BFH, BFHE 149, 109, BStBl. II 1988, 215). Für den Streitfall ist dazu erforderlich, dass die Ast. nicht nur wussten, dass sie vermögensteuerpflichtig waren, sondern auch, dass sie verpflichtet waren, von sich aus ohne Aufforderung durch das FA eine Vermögensteuererklärung auf die Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1986 abzugeben (§ 19Abs. 1 VStG). Anhaltspunkte für diese Kenntnis der Ast. enthalten die Akten nicht. Die Tatsache, dass das FA bei der letzten Veranlagung vor dem 1. Januar 1986 (auf den 1. Januar 1984) die Vermögensteuer mit 0,00 DM festgesetzt hat, lässt jedenfalls die Vermutung nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Ast. glaubten, nicht mehr vermögensteuerpflichtig zu sein.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
5.
Das Gericht weicht mit seiner Rechtsauffassung über die Voraussetzungen einer Hinterziehung von Vermögensteuer von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs 24. Mai 2000 im Verfahren II R 25/99 ab, gegen die Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist. Damit war die Beschwerde gem. §§ 128 III, 115 II Nr. 2 FGO zuzulassen.