Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.07.2000, Az.: 4 K 609/95
Indizien für Zugang eines Steuerbescheides; Kurzzeitige Hinnahme von Vollstreckungshandlungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.07.2000
- Aktenzeichen
- 4 K 609/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21909
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0726.4K609.95.0A
Tatbestand
Streitig ist, ob den Klägern der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1991 zugegangen ist.
Der an die Kläger gerichtete und adressierte Bescheid wurde im automatisierten Verfahren mit einfachem Brief zur Post gegeben. Der Bescheid blieb unangefochten.
Wegen der Abgabenrückstände in Höhe von ..., pfändete das FA das Arbeitseinkommen des Klägers bei der GmbH. Nach einem Vermerk in der Vollstreckungsakte des FA wurde dem Kläger mit einem am 21.03.1994 zur Post gegebenen einfachen Brief eine Durchschrift der Pfändungsverfügung mit einer Aufstellung der in Vollstreckung befindlichen Rückstände vom 03.03.1994, zugesandt. Die GmbH wurde zweimal vergeblich an die Drittschuldnererklärung erinnert.
Am 24.03.1994 führte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger (KV) mit der Vollstreckungsstelle des FA ein Telefongespräch, in dem er erklärt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versuchen zu wollen. Am 24.06.1994 wurde auf Ersuchen des FA wegen der genannten Rückstände eine Sicherungshypothek auf das Grundstück der Kläger in das Grundbuch eingetragen. Am 23.11.1994 haben die Kläger in der Vollstreckungsstelle des FA vorgesprochen und mitgeteilt, daß Ihre Steuererklärungen für 1991 bis 1993 und die der OHG in Kürze fertiggestellt seien und die Rückstände sich dadurch erheblich mindern würden.
Nachdem das FA dem KV auf Anforderung am 03.12.1994 eine Kopie des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 06.12.1993 zugesandt hatte, hat dieser im Namen der Kläger am 05.12.1994 Einspruch erhoben. Er gab an, daß der Einkommensteuerbescheid den Klägern nicht zugegangen sei. Außerdem teilte er mit, daß den Klägern für 1991 auch kein Feststellungsbescheid wegen der Beteiligung an der X-OHG vorliegen würde (Bescheid vom 23.11.1993).
Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung vorgetragen wird: ... Das FA unterstelle zu Unrecht den ordnungsgemäßen Zugang dieses Bescheids. Aus der Bemerkung des KV gegenüber der Vollstreckungsstelle, die Wiedereinsetzung versuchen zu wollen, könne nicht geschlossen werden, daß der Bescheid den Klägern zugegangen sei. Auf seinen sofortigen Rückruf bei den Klägern und intensiver Nachprüfung hätten ihm die Kläger jedoch versichert, den Bescheid vom 06.12.1993 nicht erhalten zu haben. Die vom FA angeführten Indizien reichten nicht aus, um die Bekanntgabe des Bescheids an die Kläger nachzuweisen. Im Jahr 1994 seien die Kläger durch den Konkurs der GmbH erheblichen Belastungen ausgesetzt gewesen. Der Versuch, diese Gesellschaft durch einen Vergleich zu retten, habe mit einem Anschlußkonkurs geendet. Mangels laufender Einnahmen der Kläger hätten nicht alle Verwaltungsakte auf Richtigkeit überprüft und angefochten werden können.
Das FA entgegnet:
Die Behauptung der Kläger, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid vom 06.12.1993 nicht erhalten zu haben, sei nicht glaubhaft. Die Kläger hätten auch behauptet, den Feststellungsbescheid für 1991 vom 23.11.1993 nicht erhalten zu haben. Es sei jedoch unwahrscheinlich, daß beide Bescheide, die an unterschiedlichen Tagen zur Post gegeben worden seien, bei den Klägern nicht angekommen sein sollen. Außerdem hätten die Kläger trotz der Vollstreckungsversuche (Lohnpfändung vom 10.03.1993, Eintragung einer Sicherungshypothek am 24.06.1994) nicht geltend gemacht, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Der KV habe sich zwar bereits am 24.03.1994 gegenüber dem FA dahingehend geäußert, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen zu wollen. Tatsächlich sei er aber erst gegen Ende 1994 tätig geworden und habe dabei erstmals vorgetragen, daß der Bescheid vom 06.12.1993 den Klägern nicht zugegangen sei.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Das FA hat nicht den Beweis erbracht, daß der Einkommensteuerbescheid 1991 vom 06.12.1993 den Klägern zugegangen ist.
Gemäß § 122 Abs. 2 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Behauptet der Beteiligte, einen schriftlichen Verwaltungsakt nicht erhalten zu haben, so ist ihm grundsätzlich eine Darlegung der Gründe, weshalb die Postsendung verloren gegangen ist, nicht möglich. Da die Lebenserfahrung nicht dafür spricht, daß alle Postsendungen auch zugehen, genügt daher ein bloßes Bestreiten des Zugangs. Die Finanzbehörde muß daher den vollen Beweis für den Zugang der Postsendung führen; ein Anscheinsbeweis oder Beweiserleichterungen stehen ihr nicht zur Seite; das gilt auch dann, wenn auf Grund des Verhaltens des Steuerpflichtigen der Zugang bei normalem Postlauf nicht gesichert ist (vgl. BFH BStBl III 1967, 99; BStBl 1989,534; BVerfG NJW 1991, 2757; BFH BStBl II 1995, 41; BFH/NV 1994, 108; 141; 837). Die Finanzbehörde kann jedoch den Beweis des Zugangs einer Postsendung anhand von Indizien führen. Diese hat das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu würdigen.
Im Streitfall ist es dem FA nicht gelungen, nachzuweisen, daß der Einkommensteuerbescheid 1991 vom 06.12.1993 den Klägern zugegangen ist. Dabei kann zugunsten des FA unterstellt werden, daß die Absendung des Bescheids als festgestellt gilt.
Die Verhaltensweise der Kläger und des KV sowie die zutage getretenen Umstände ergeben nichts Beweiserhebliches dafür, daß den Klägern der Bescheid vom 06.12.1993 zugegangen sein muß. Die Bemerkung des KV in dem Telefonat mit der Vollstreckungsstelle des FA am 23.03.1994, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versuchen zu wollen, läßt nicht darauf schließen, daß der Bescheid vom 06.12.1993 den Klägern auch zugegangen ist. Bei der Äußerung des KV handelt es sich vielmehr um eine naheliegende Bemerkung eines Steuerberaters, der wie im Streitfall - das Mandat erst kürzlichübernommen hat und von der Finanzbehörde erfahren hat, daß bereits ein bestandskräftiger Bescheid vorliege. Ebensowenig läßt sich daraus, daß die Kläger die Vollstreckungsmaßnahmen zunächst hingenommen haben, zwingend schließen, daß ihnen der Bescheid zugegangen ist. Die Kläger hatten sich sofort nach Erhalt einer Durchschrift der Pfändungsverfügung an den KV gewandt, denn dieser hatte sich bereits am 23.03.1994 mit der Vollstreckungsstelle telefonisch in Verbindung gesetzt. Wie der KV und die Kläger in der mündlichen Verhandlung zurÜberzeugung des erkennenden Senats glaubhaft dargelegt haben, hatten die Kläger dem KV nach sofortiger Rückfrage versichert, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Aufgrund dieser Auskunft wäre zwar zu erwarten gewesen, daß sich der KV wiederum sofort mit dem FA in Verbindung setzt und auf die fehlende Bekanntgabe des Bescheids verweist. Daß der KV diesen Hinweis aber erst Monate später gegeben hat, kann den Klägern jedoch nicht angelastet werden. Denn der Zugang eines Bescheids ist eine Tatsache und keine Rechtsfolge eines Verhaltens des KV, für das die Kläger einzustehen haben. Schließlich kann aus der Behauptung der Kläger, auch den Feststellungsbescheid 1991 vom 23.11.1993 nicht erhalten zu haben, nicht zwingend gefolgert werden, daß es sich bei Ihrer Behauptung, den Bescheid vom 06.12.1993 nicht erhalten zu haben, um eine Schutzbehauptung handelt. Etwas Gegenteiliges konnte nicht festgestellt werden.
Nach allem war der Einspruchsbescheid aufzuheben.