Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.07.2000, Az.: 9 K 73/97
Aufwendungen für ein Aufbaustudium nach Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit aufgrund der Kindererziehung als vorweggenommene Werbungskosten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.07.2000
- Aktenzeichen
- 9 K 73/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21892
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0712.9K73.97.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 22.07.2003 - AZ: VI R 148/00
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 1 S. 1 EStG
Fundstelle
- EFG 2002, 15-16
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen der Klägerin für ein Aufbaustudium als (vorweggenommene) Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in voller Höhe oder als Sonderausgaben nur beschränkt abziehbar sind.
Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Streitjahren 1991 bis 1994 zusammen veranlagt. Der Kläger erzielte als Mitarbeiter der K AG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; die Klägerin war in den Streitjahren überwiegend nicht berufstätig.
In der Zeit von Oktober 1991 bis Juni 1995 studierte die Klägerin an der Technischen Universität X. Es handelte sich dabei um ein - mindestens viersemestriges - wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium, das den Abschluss eines ingenieur- oder naturwissenschaftlichen Erststudiums voraussetzte. Ziel des Aufbaustudiums war es, das Blickfeld des Ingenieurs bzw. Naturwissenschaftlers um die Kenntnisse ökonomischer Zusammenhänge zu erweitern. Die Teilnehmer sollten dadurch befähigt werden, in Wirtschaft und Verwaltung Führungspositionen einzunehmen, die sowohl ingenieur- bzw. naturwissenschaftliches wie auch wirtschaftswissenschaftliches Denken erfordern. Dem reinen Ingenieur sollte mit dem Studium die Befähigung für Führungsaufgaben vermittelt werden. Die Studieninhalte erstreckten sich sowohl auf volks- als auch betriebswirtschaftliche Themen, wie Kostenrechnung, Statistik, Wirtschaftspolitik, Makroökonomie, Produktwirtschaft, Absatzwirtschaft und Finanzwissenschaften.
Die Klägerin konnte das Aufbaustudium aufnehmen, weil sie im Jahre 1972 an der Technischen Hochschule in Y./Thüringen ihr Diplom in Physik und Technik elektrischer Bauelemente erworben hatte. Anschließend war sie bis 1982 als Entwicklungsingenieurin bei der Firma L bei Berlin tätig. Seit 1983 hatte sie sich voll der Erziehung ihrer Kinder gewidmet. Mit Bescheid vom 26. Januar 1990 hat das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst das Diplom der Klägerin als gleichwertig mit einem Abschluss in Elektrotechnik/Elektronik, abgelegt an einer wissenschaftlichen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland, anerkannt.
Nach Abschluss des Studiums erhielt die Klägerin im April 1996 zunächst eine zeitlich befristete Stelle als Betriebswirtin bei der Stadt A im Bereich Controlling.
In den Einkommensteuererklärungen 1991 bis 1994 machte die Klägerin Aufwendungen für das Aufbaustudium (6.847,00 DM für 1991, 7.780,00 DM für 1992, 6.825,00 DM für 1993 und 6437 DM für 1994) als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) sah die - der Höhe nach unstreitigen - Aufwendungen demgegenüber als Weiterbildungskosten im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG an und berücksichtigte dementsprechend nur 900,00 DM jährlich als Sonderausgaben. Das Studium habe nicht der Fortbildung in einem ausgeübten, sondern der Ausbildung in einem nicht ausgeübten Beruf gedient. Die Klägerin habe nach eigenen Angaben ihren Beruf als Ingenieurin im Jahre 1983 aufgegeben. Sie habe das Aufbaustudium absolviert, um wieder in den Beruf einzusteigen. Ein ausreichender wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Studienkosten und den bisherigen und künftigen Einkünften bestehe daher nicht.
Nach insoweit erfolglosem Einspruch halten die Kläger an ihrer Auffassung fest, dass es sich bei dem Aufbaustudium um eine Fortbildungsmaßnahme gehandelt habe. Sie - die Klägerin - habe ihre Erwerbstätigkeit nie endgültig aufgeben wollen. Es habe sich nur um eine (vorübergehende) Unterbrechung zum Zwecke der Kindererziehung gehandelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) handele es sich bei einem Aufbaustudium, das sich an ein abgeschlossenes Erststudium anschließe, um eine Fortbildung. Das Arbeitsamt habe ihr geraten, das Studium aufzunehmen, um nach der langen Pause den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Ein Zusammenhang mit zukünftigen Einkünften sei auch gegeben, weil sie sich nach Abschluss der Ausbildung bei verschiedenen Arbeitgebern beworben habe und schließlich bei der Stadt A angestellt worden sei. Da sie die Wiederaufnahme ihres Berufes angestrebt habe, könne kein Zweifel bestehen, dass die Aufwendungen zur "Erwerbung von Einnahmen" im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG getätigt worden seien. Da ein grundlegender Wechsel der Berufsart nicht beabsichtigt gewesen sei, lägen Fortbildungskosten vor.
Die Kläger beantragen,
die Steuer unter Änderung der Bescheide vom 11. Dezember 1995 (1991, 1992 und 1993) sowie 24. Juni 1996 (1994) i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 1997 für 1991 auf 13.478,00 DM, für 1992 auf 17.100,00 DM, für 1993 auf 18.928,00 DM und für 1994 auf 13.214,00 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA hält an seiner im Einspruchsbescheid dargestellten Auffassung fest.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die Aufwendungen der Klägerin für das Aufbaustudium sind gem. § 9 Abs. 1 EStG vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).
Aufwendungen für die berufliche Fort- und Weiterbildung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich der Senat anschließt, Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG (Urteil vom 24. April 1992 VI R 131/89, BStBl. II 1992, 963). Hierunter fallen Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem laufenden zu bleiben, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden und so in dem ausgeübten Beruf besser vorwärts zu kommen (Urteil vom 7. November 1980 VI 50/79, BStBl. II 1981, 216). Hiervon zu unterscheiden sind die Berufsausbildungskosten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Solche liegen vor, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, die Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen zukünftigen Beruf notwendig sind (Urteil vom 8. Mai 1992 VI R 134/88, BStBl. II 1992, 965). Darunter fallen auch Aufwendungen zum Erwerb von Kenntnissen, die die Grundlage dafür bilden sollen, von einer Berufsart zu einer anderen überzuwechseln (Urteil vom 26. April 1989 VI 95/85, BStBl. II 1989, 616). Damit sind Ausgaben für ein Aufbaustudium als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit abziehbar, wenn bereits das Erststudium zu einem Berufsabschluss geführt hat und es sich bei dem Zweitstudium um ein darauf aufbauendes Zusatzstudium handelt, durch das die im Rahmen des Erststudiums erworbenen Kenntnisse ergänzt und vertieft werden (Urteil vom 19. April 1996 VI R 24/95, BStBl. II 1996, 452). Dies gilt z.B. auch für ein wenige Semester umfassendes Zweitstudium eines Diplom-Ingenieurs, durch das vertiefte Kenntnisse im Bereich der Wirtschaftswissenschaften vermittelt werden (Urteil des 10. Juli 1992 VI R 19/91, BStBl. II 1992, 966). Damit trägt die Rechtsprechung der allgemeinen Entwicklung im Berufsleben Rechnung, die immer mehr zur Auflösung der bisherigen Berufsbilder führt und z.B. auch technische Führungskräfte ohne betriebswirtschaftliche Zusatzkenntnisse ihre Aufgaben häufig nicht mehr umfassend erfüllen können (Urteil vom 19. April 1996 VI R 24/95).
Im Streitfall hat die Klägerin ein Aufbaustudium absolviert, das ein abgeschlossenes ingenieur- bzw. naturwissenschaftliches Studium voraussetze. Sie hatte bereits ein Studium der Physik und Technik elektrischer Bauelemente mit dem Grad des Diplom-Ingenieurs erfolgreich abgeschlossen. Das Aufbaustudium sollte das Erststudium lediglich ergänzen und sie als Naturwissenschaftlerin dazu befähigen, Aufgaben zu übernehmen, die neben ihren naturwissenschaftlichen Kenntnissen wirtschaftwissenschaftliches Denken erfordert. Das Aufbaustudium sollte also nicht den Wechsel in eine andere Berufsart ermöglichen. Vielmehr erwarb die Klägerin die fachlichen (Zusatz-)Kenntnisse, die notwendig sind, den sich wandelnden Anforderungen in dem bereits erlernten Beruf gerecht zu werden.
Die durch die Erziehung der Kinder bedingte langjährige Unterbrechung der Berufstätigkeit führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Annahme, dass eine Mutter, die ihre berufliche Tätigkeit unterbricht, um sich der Kindererziehung zu widmen, diesen Beruf endgültig aufgeben will, entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Vielmehr kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Berufstätigkeit wieder aufgenommen werden soll, sobald es die familiäre Situation zulässt. Eine andere Bewertung würde darüber hinaus eine unzulässige Benachteiligung der Frau mit sich bringen, die auch mit der in allen anderen Rechtsgebieten durchgeführten gesetzlichen Absicherung der Gleichberechtigung (Art. 3 Grundgesetz -GG-). nicht vereinbar wäre. Daher durfte das FA aus der Tatsache, das die Klägerin ihren erlernten Beruf wegen der Kindererziehung lange Jahre nicht ausgeübt hatte, nicht schließen, sie habe den diesen Beruf endgültig aufgeben wollen.
Der Abzug von Werbungskosten scheitert auch nicht an der Tatsache, dass die Klägerin vor Aufnahme und während des Studiums keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Denn ein hinreichend klarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und den zukünftigen Einnahmen besteht schon dann, wenn der nicht erwerbstätige Steuerpflichtige nach Abschluss der Fortbildungsmaßnahme eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung steht (Urteil des BFH vom 18. April 1996 VI R 5/95, BStBl. II 1996, 482). Besteht ein solcher Zusammenhang, können auch Aufwendungen, die vor Aufnahme eine Berufstätigkeit entstanden sind, als sog. vorab entstandene Werbungskosten abgezogen werden (Urteil des BFH vom 29. Februar 1980 VI R 165/78, BStBl. II 1980, 395). Da die Klägerin das Aufbaustudium begonnen hatte, um nach dessen Abschluss wieder in das Berufsleben einzusteigen, besteht im Streitfall ein hinreichend klarer Zusammenhang zwischen den Studienkosten und zukünftigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dies wird auch schon dadurch deutlich, dass die Klägerin im Jahre 1996 eine Arbeitsstelle bei der Stadt A angetreten hat.