Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2001, Az.: 5 K 310/00
Ausübung und Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts bei im Vorjahr ausgestellten, aber erst im späteren Jahr eingegangenen Rechnungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 310/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14575
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0208.5K310.00.0A
Rechtsgrundlage
- § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG
Fundstellen
- DStRE 2001, 1051-1052 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2001, 601-602 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- UR 2001, 217-219
- UStB 2001, 201
Tatbestand
Streitig ist der Zeitpunkt der Vorsteuerabzugs.
Die Klägerin betreibt den An- und Verkauf von Baubedarfswaren. Nachdem das Finanzamt der für das Streitjahr abgegebenen Umsatzsteuererklärung zugestimmt hatte, begehrt die Klägerin nunmehr zusätzliche Vorsteuern in Höhe von 3.248,10 DM. Die dazugehörenden Rechnungen sind im Dezember 1999 ausgestellt, aber erst im Januar 2000 bei der Klägerin eingegangen.
Der Beklagte erkannte den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen (1999) nicht an. Er begründete dies mit dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug sei danach der Bezug der Lieferung oder Leistung und der Erhalt einer entsprechenden Rechnung. Wenn - wie vorliegend - der Empfang der Leistung und der Empfang der Rechnung zeitlich auseinanderfielen, sei der Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum zulässig, in dem erstmalig beide Voraussetzungen erfüllt seien. Dies sei wegen des Rechnungserhalts in 2000 das Veranlagungsjahr 2000.
Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Sie trägt vor, der Großteil der streitbefangenen Rechnungen sei Ende 1999 erstellt worden. Dies dürfe nicht zur Folge haben, daß ihr Recht zum Vorsteuerabzug von dem Zufall abhänge, ob die Post diese Rechnungen tatsächlich noch in 1999 oder erst in 2000 zustellen könne.
Es gehöre auch nicht zu den Aufzeichnungspflichten eines Unternehmers, den Eingang der Rechnung zu dokumentieren. Vielmehr würden die Eingangsrechnungen im Rahmen einer ordnungsgemäßen EDV-Buchführung üblicherweise mit dem Rechnungsdatum erfaßt und die Vorsteuer gleichzeitig in dem entsprechenden Monat gebucht. Insofern würde er zu Unrecht schlechter gestellt als die Steuerpflichtigen, die den Erhalt der Rechnungen nicht per Eingangsstempel festhielten.
Zudem verstoße das Vorgehen der Finanzverwaltung im vorliegenden Fall gegen den EG-rechtlichen Grundsatz der Belastungsneutralität. Demzufolge entstehe der Vorsteuerabzug zeitgleich mit dem Umsatzsteueranspruch des Fiskus, nämlich bereits mit Bezug der Lieferungen und Leistungen. Der Bezug der Lieferungen und Leistungen sei unstreitig in 1999 erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
bei der Umsatzsteuer 1999 weitere Vorsteuern in Höhe von 3.248,10 DM zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, daß es für den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs auf den Eingang der Rechnung beim Unternehmer ankomme. Die streitbefangenen Rechnungen seien unstreitig erst in 2000 bei der Klägerin eingegangen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Dem Gericht haben die Steuerakten des Klägers zu Steuernummer XXXXX vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat den Vorsteuerabzug aus den streitbefangenen Rechnungen für das Streitjahr 1999 zu Recht versagt, weil die Klägerin diese Rechnungen erst im Januar 2000 erhalten hat, § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und § 16 Abs. 2 i.V.m. UStG.
Zur Vermeidung des Verlusts des Anspruchs auf den Vorsteuerabzug sind die gemäß § 16 Abs.2 Satz 1 UStG "in den Besteuerungszeitraum fallenden, nach § 15 abziehbaren Vorsteuerbeträge" mit Wirkung für diesen Veranlagungszeitraum abzusetzen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. November 1976 V R 98/71, BStBl II 1977, 448 unter 2. d). Dieser Anspruch entsteht in entsprechender Anwendung von § 13 Abs.1 Nr.1 Buchst. a UStG bereits in dem Veranlagungszeitraum, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen i.S. des § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 insgesamt vorliegen (st. Rspr. des BFH, vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1994 V R 84/92, BStBl II 1995, 233 m.w.N.)
Danach kann die Klägerin von der Umsatzsteuer 1999 die ihr gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 16 Abs. 2 UStG von "anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellte Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen", die für ihr Unternehmen "ausgeführt worden sind", abziehen, wenn bis zum Ende des Veranlagungszeitraums 1999 sowohl die Lieferungen oder sonstigen Leistungen erbracht als auch die Steuern für sie der Klägerin gesondert in Rechnung gestellt worden sind. Vorliegend scheidet ein Vorsteuerabzug im Streitjahr aus, weil die streitbefangenen Rechnungen erst im Januar 2000 bei der Klägerin eingegangen sind.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, aus welchen Gründen und in welchem zeitlichen Abstand der Erhalt der Rechnung dem Bezug der Lieferung oder sonstigen Leistung nachfolgt. Insofern bedarf es keiner weiteren Aufklärung, ob die im Dezember 1999 ausgestellten Rechnungen bei ordnungsgemäßem Postlauf noch in 1999 zugestellt werden konnten.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß die Eingangsrechnungen üblicherweise nicht mit einem Eingangsstempel versehen und dementsprechend die Vorsteuern bereits in dem Monat des Datums der Rechnung in Abzug gebracht würden. Denn aus einer solchen rechtswidrigen Unternehmenspraxis - wenn sie denn tatsächlich bestehen sollte - lassen sich aufgrund des allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes "keine Gleichheit im Unrecht" keine Ansprüche ableiten.
Die Regelung des Vorsteuerabzugs nach §16 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG steht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Denn nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie muß der Steuerpflichtige über die nach § 17 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie abziehbare Steuer eine (nach Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie ausgestellte) Rechnung besitzen, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können.
Nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Bei dem Anspruch auf die abziehbare Steuer handelt es sich um den Steueranspruch des Fiskus. Er entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie). Demnach entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs.
Hierin könnte insofern ein Widerspruch zum deutschen Umsatzsteuerrecht liegen, als dort das Entstehen des Vorsteueranspruchs vom Erhalt der Lieferung oder sonstigen Leistungen und dem Erhalt der Rechnung abhängt. Dieser (mögliche) Widerspruch bedarf jedoch keiner weiteren Aufklärung, weil hier nicht der Zeitpunkt des Entstehen des Rechts auf Vorsteuerabzug, sondern der Zeitpunkt der Geltendmachung dieses Rechts in Streit steht. Wenn das nationale Umsatzsteuerrecht die Geltendmachung des Rechts auf Vorsteuerabzug von dem Besitz einer Rechnung abhängig macht, hält er sich im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie.
Das Gemeinschaftsrecht verlangt auch nicht zwingend, daß die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug auf den Zeitpunkt der Entstehung des Abzugsrechts zurückwirkt (a.A. Wagner, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rz. 68). Eine derartige Auslegung ist dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie nicht zu entnehmen. Sie würde auch zu offensichtlichen Brüchen im nationalen Umsatzsteuerrecht und Nachteilen für die Steuerpflichtigen führen.
So ist es für die Geltendmachung des Vorsteuerabzug nach deutschem Recht unerheblich, ob der Leistende seinen Umsatz nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten besteuert. Gemeinschaftsrechtlich ist dies anders: Wenn der Steueranspruch von der Vereinnahmung des Preises abhängig gemacht wird (Art. 10 Abs. 2 Abs. Satz 4 2. Spiegelstrich der 6. EG-Richtlinie - Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten) hat der Vorsteuerberechtigte - gemeinschaftsrechtlich - nicht nur den Erhalt der Leistung und der Rechnung nachzuweisen, sondern die Rechnung darüber hinaus noch zu bezahlen. Erst dann wäre der gemeinschaftsrechtliche Steuer- und Vorsteueranspruch entstanden.
Der Senat verweist zudem darauf, daß eine rückwirkende Ausübung des Vorsteueranspruchs auf den Zeitpunkt der Entstehung davon abhängt, daß die Umsatzsteuer- Veranlagung des betreffenden Jahres noch nicht bestandskräftig ist. Ob die rückwirkende Ausübung des Umsatzsteueranspruchs ein Änderungstatbestand i.S.d. § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO oder des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu begründen vermag, erscheint fraglich. Noch fraglicher erscheint es, ob der Vorsteuerabzug noch rückwirkend für bereits festsetzungsverjährte Veranlagungszeiträume zu berücksichtigen ist. In beiden Fällen läßt sich auch der Rechtsgedanke der sog. Emmott'schen Fristenhemmung (EuGH-Urteil vom 25. Juli 1991 Rs. C-208/90 - Emmott -, EuGHE 1991, I-4269) nicht fruchtbar machen, weil dadurch die Bestandskraft von Umsatzsteuerbescheiden nicht beseitigt werden kann (EuGH-Urteil vom 6. Dezember 1994 Rs. C-410/92 - Johnson - , EuGHE 1994, I-5483; BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95, BStBl II 1996, 399).
Schließlich würde die rückwirkende Ausübung des Vorsteueranspruchs eine weitere für den Steuerpflichtigen nachteilige Konsequenz mit sich bringen. So hat ein nicht in Deutschland ansässiger Unternehmer, der seine Vorsteuer im Vergütungsverfahren geltend machen muß, den Vergütungsantrag gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsantrag entstanden ist. Diese (Ausschluß)Frist wäre in vielen Fällen verstrichen, wenn man den Beginn der Frist nicht an den Erhalt der Rechnung, sondern an den Erhalt der Lieferung oder sonstigen Leistung knüpfen würde.
Vor diesem Hintergrund schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, an mit der Folge, daß die Klage für 1999 abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.