Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2001, Az.: 5 K 333/99
Erlass von festsetzungsverjährten Umsatzsteuern bei Sprachheilpädagogen; Voraussetzungen der sachlichen Unbilligkeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 333/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14576
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0208.5K333.99.0A
Tatbestand
Streitig ist der Erlass von Umsatzsteuer für eine sprachheilpädagogische Tätigkeit.
Die Klägerin ist selbständige Sprachheilpädagogin. Sie begehrt für die Streitjahre (1988 bis 1991) den Erlass der Umsatzsteuer nach § 227 Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen. Sie trägt vor, der Gesetzgeber habe die Umsatzsteuerpflicht für Sprachheilpädagogen nach § 27 Abs. 1a Satz 2 UStG rückwirkend aufheben wollen. Die rückwirkende Korrektur der Umsatzsteuer-Festsetzungen sei insbesondere deshalb ermöglicht worden, weil eine zeitnahe Lösung nicht am politischen Willen in der Sache, sondern ausschließlich an Zuständigkeitsfragen gescheitert sei. Dieser Umstand solle und dürfe sich nicht zum Nachteil der betroffenen Steuerpflichtigen auswirken.
Zudem habe sie die Klage im Festsetzungsverfahren für die Streitjahre nur deshalb zurückgenommen, weil sie bei der seinerzeitigen Entscheidung keine neuen Argumente habe liefen können und deshalb unnötige Gerichtskosten vermeiden wollte. Dies sei ihr im Erlassverfahren nicht anzulasten.
Schließlich weist die Klägerin darauf hin, dass sie den Erlassantrag bereits am 30. Dezember 1998 gestellt habe und somit für 1991 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die für die Jahre 1988 bis 1991 festgesetzte Umsatzsteuer zu erlassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass ein Erlass der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht in Betracht komme. Die (vorliegend eingetretene) Festsetzungsverjährung sei als absolute Grenze einer rückwirkenden Änderbarkeit von Steuerbescheiden auch im Erlassverfahren zu berücksichtigen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Voraussetzungen für einen Erlass der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 226 AO liegen nicht vor.
Ziel von Billigkeitsmaßnahmen aus sachlichen Gründen kann es nur sein, im Einzelfall einen ungewollt über die Wertungen des Gesetzgebers hinausgehenden Überhang des gesetzlichen Tatbestandes auf das mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes vereinbare Maß zurückzuführen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1995 I R 166/94, BStBl II 1996, 308). Eine Korrektur des Gesetzes ist unzulässig. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen keinen Erlass aus Billigkeitsgründen (BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906).
Auf den Fall bezogen ist festzuhalten, dass § 27 Abs. 1a UStG zwar den außerordentlich ungewöhnlichen Fall einer Bestandskraftdurchbrechung umschreibt. Trotz der zugelassenen Bestandskraftdurchbrechung sollte die Festsetzungsverjährung nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch die absolute Grenze der Korrektur darstellen (Bericht des Finanzausschusses vom 11. November 1999, BT-Drs 14/2070, Begr. zu Art. 8 Nr. 13a). Eine solche Auslegung steht auch in Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach eine Änderung von Steuerbescheiden (§ 172 ff AO) nur für die Jahre in Betracht kommt, in welchen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Weil der Gesetzgeber des § 27 Abs. 1a UStG die Umsatzsteuerpflicht bezüglich der festsetzungsverjährten Jahre bewusst in Kauf genommen hat, kommt ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen vorliegend nicht in Betracht.
Die Streitjahre sind festsetzungsverjährt. Der Erlassantrag der Klägerin vom 30. Dezem-ber 1998 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Zwar hemmt ein Antrag auf Steuer-festsetzung oder -änderung nach§ 171 Abs. 3 AO die Ablaufhemmung. Vorliegend hat die Klägerin aber ausdrücklich einen Erlassantrag und keinen Antrag aufÄnderung der Steuerfestsetzung i.S.d. § 171 Abs. 3 AO gestellt. Eine Umdeutung des Erlassantrags kommt nicht in Betracht. Zum einen war die Klägerin bereits zum damaligen Zeitpunkt durch die Prozessbevollmächtigte vertreten; bei einer Steuerberaterin ist zu unterstellen, dass der Antrag gestellt werden sollte, der ausdrücklich formuliert wurde.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass § 27 Abs. 1a UStG erst in letzter Minute in das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 aufgenommen worden ist; in den Gesetzesentwürfen der Fraktionen der SPD und des Bündnis 90/Die Grünen vom 9. November 1998 und der Bundesregierung vom 13. Januar 1999 ist die Neuregelung noch nicht vorgesehen gewesen (Heidner, in: Bunjes/Geist, UStG, § 27 Rz. 18). Daraus folgt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin (30. Dezember 1998) die Regelung des § 27 Abs. 1a UStG noch gar nicht bekannt sein konnte. Dann aber kann der Antrag der Klägerin nicht auf dieÄnderung bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide im Festsetzungsverfahren gerichtet gewesen sein.
Es ist unerheblich, welche Gründe die Klägerin zur Rücknahme ihrer Klage im Steuerfestsetzungsverfahren bewegt haben. Anzumerken ist jedoch, dass die Klage nach der damals allgemein vorherrschenden Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG keinen Erfolg haben konnte, weil es am Erfordernis der berufsrechtlichen Regelung für die "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" der Sprachheilpädagogen gemangelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).