Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2001, Az.: 5 K 99/99

Vorsteuerabzug im Vorgründungsstadium einer GmbH

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.02.2001
Aktenzeichen
5 K 99/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14577
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0208.5K99.99.0A

Fundstellen

  • DStRE 2001, 1048-1051 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2001, 1327-1330 (Volltext mit red. LS)
  • IStR 2001, 720-723
  • KFR 2001, 420
  • SteuerBriefe 2001, 1414-1415
  • UR 2001, 400-405
  • UStB 2001, 331-332

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine GmbH. Sie wurde mit notariellem Vertrag vom 10. Juli 1998 des Notars ...... in Braunschweig (UR-Nr.: ........) gegründet. Am 4. November 1998 wurde sie unter HRB ........ in das Handelsregister des Amtsgerichts .......eingetragen. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin ist der Kfz-Meister ......... Gegenstand des Unternehmens ist u.a. die Reparatur und der Handel mit Kraftfahrzeugen. Zur Ausübung ihres Unternehmens pachtete die Klägerin mit Vertrag vom 1. Juli 1998 von der Grundstücksgemeinschaft ...... eine Kraftfahrzeugwerkstatt.

2

Mit Rechnung vom 6. Juli 1998 erwarb die Klägerin für ihr Unternehmen ein Motordiagnosegerät für netto 16.500,00 DM zuzüglich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 2.640,00 DM. Die Rechnung ist an die ".......Autotechnik GmbH i.G.", Seesen, adressiert. In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1998 machte die Klägerin u.a. die Vorsteuer aus dieser Rechnung geltend. Der Beklagte erkannte den Vorsteuerabzug nicht an, weil der Zeitpunkt des Leistungsbezugs und der Rechnungserteilung vor Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages der Klägerin lagen. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

3

Die Klägerin meint, die zu ihrer Gründung führende Vorgründungsgesellschaft sei mit ihr als Kapitalgesellschaft zwar nicht identisch. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, ihr den Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen für ihr Unternehmen zu versagen, da diese Investitionen der Vorbereitung ihrer unternehmerischen Tätigkeit und nicht einem Letztverbrauch gedient hätten. Dies folge auch aus den Entscheidungen des EuGH zur Neutralität der Umsatzsteuer.

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juli 1998 weitere Vorsteuern in Höhe von 2.640,00 DM anzuerkennen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte ist der Auffassung, bei einer Kapitalgesellschaft sei zwischen der Vorgründungsgesellschaft, der nachfolgenden Vorgesellschaft und der errichteten Kapitalgesellschaft zu unterscheiden. Jede dieser Gesellschaften sei rechtlich selbständig. Der Leistungsbezug, aus dem der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, sei zeitlich im Rahmen einer Vorgründungsgesellschaft erfolgt. Da diese mit der Klägerin nicht identisch sei, stehe der Klägerin der Vorsteuerabzug nicht zu.

7

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht haben die Steuerakten zu StNr. ........... vorgelegen.

Gründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Der angefochtene Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für Juli 1998 ist rechtswidrig, weil der Klägerin zu Unrecht der Vorsteuerabzug aus der Rechnung vom 6.Juli 1998 über einen Leistungsbezug zur Errichtung ihres Unternehmens versagt wurde.

10

Gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG steht der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung dem Unternehmer zu, der Lieferungen und sonstige Leistungen von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen bezogen hat. Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).

11

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist danach, daß die Klägerin beim Leistungsbezug Unternehmerin war. Unternehmer können Körperschaften sein, sobald sie entstanden sind. Wann eine Kapitalgesellschaft entstanden ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Gesetzlich geregelt ist allein die Erlangung der Rechtsfähigkeit. Ihre Rechtsfähigkeit als GmbH erlangte die Klägerin gem.§§ 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 GmbHG mit der Eintragung in das für sie vorgesehene Register am 04.11.1998.

12

Die gesellschaftsrechtliche Bestimmung der verschiedenen Stufen der Entstehung einer Kapitalgesellschaft vor der Eintragung ins Handelsregister wurden von Rechtsprechung und Literatur entwickelt. Nach den Entscheidungen des 2. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteile vom 13. Dezember 1982 II ZR 282/81, BGHZ 86, 122; vom 7. Mai 1984 II ZR 276/83, BGHZ 91, 148; vom 17. Dezember 1984 II ZR 69/84, GmbHR 1985, 214 und der daran anschließend Literatur (Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl.§ 2 Rn 17ff; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 8. Aufl. 1993,§ 11, Rdnr.21 m.w.N Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 8. Aufl. 1993, § 11, Rdnr.21 m.w.N) ist gesellschaftsrechtlich zwischen der Vorgründungsgesellschaft, der Vorgesellschaft und der eingetragenen Kapitalgesellschaft zu unterscheiden. Als Vorgesellschaft bezeichnet man die errichtete, aber noch nicht eingetragene Kapitalgesellschaft (hier: GmbH); d.h. die Kapitalgesellschaft im Gründungsstadium. Die Vorgesellschaft setzt also den Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages voraus. Die Vorgründungsgesellschaft ist dagegen in der Regel eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Zweck in der gemeinsamen Errichtung einer Kapitalgesellschaft besteht. Die Vorgründungsgesellschaft bezieht sich deshalb auf die Zeit vor Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages.

13

Entstanden ist die Klägerin nach diesen rechtlichen Bestimmungen erst mit Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages am 10. Juli 1998. Davor bestand die sogenannte Vorgründungsgesellschaft. Die im Juli 1998 bis zur Rechnungserteilung am 6. Juli 1998 aus-geführte Leistung erfolgte danach im Rahmen der Vorgründungsgesellschaft, als die Klägerin nach dem GmbH-Recht noch nicht bestand.

14

Der Bundesfinanzhof hat die Frage des Vorsteuerabzugs für Leistungsbezüge, die von einer Vorgründungsgesellschaft zur Vorbereitung des Geschäftsbetriebs der zu gründenden Kapitalgesellschaft bezogen wurden, noch nicht entschieden. Zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen im Stadium der Gründung einer Kapitalgesellschaft hat er umsatz-steuerrechtlich bisher erst in einer Entscheidung Stellung genommen. Dabei ging es um eine Frage der Organschaft (BFH, Urteil vom 09.03.1978 V R 90/74, BFHE 125, 212, BStBl II 1978, 486), die den Vorsteuerabzug nicht betraf. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs zur Einordnung steuerrechtlich relevanter Tatbestände vor und nach Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages im Gründungsstadium einer Kapitalgesellschaft sind bisher im wesentlichen nur zum Ertragsteuerrecht ergangen.

15

In seinen Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof für die Vorgesellschaft in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gesellschaftsrecht eine Identität mit der später eingetragenen Kapitalgesellschaft für den Fall bejaht, daß die Eintragung in das Handelsregister nachfolgt und die Vorgesellschaft eine nach außen in Erscheinung tretende geschäftliche Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. BFH, Urteil vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91; BFH, Urteil vom 18.07.1990, I R 98/87, BStBl II 1990, 1073; BFH, Urteil vom 18.06.1990 I R 98/87, BFHE 162, 107; BFH, Urteile vom 8.April 1960 III 129/57 U, BFHE 71, 190, BStBl III 1960, 319 und vom 16.Februar 1977 I R 244/74, BFHE 122, 130, BStBl II 1977, 561). Aus dieser Identität wird umsatzsteuerrechtlich ein im Stadium der Vorgesellschaft entstandener Vorsteueranspruch der noch nicht eingetragenen Kapitalgesellschaft anerkannt.

16

Die rechtliche Einheit, die zwischen der eingetragenen Kapitalgesellschaft und der vorangegangenen Gründungsgesellschaft angenommen wird, erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aber nicht auf die vor Abschluß des Gesellschaftsvertrages bestehende Vorgründungsgesellschaft (BFH, Urteil vom 09.03.1978 V R 90/74, BFHE 125, 212, BStBl II 1978, 486). Lieferungen und Leistungen vor Abschluß des notariellen GmbH-Vertrages werden daher nicht als an die GmbH erbracht anerkannt. Denn Vertragspartner der bezogenen Leistungen war die rechtlich selbständige Vorgründungsgesellschaft. Damit steht der Anspruch auf Abzug der Vorsteuer aus solchen Lieferungen und Leistungen der GmbH nicht zu. Er könnte nur dem davor bestehenden gesellschaftsrechtlichen Gebilde (GbR, oHG) als Steuersubjekt zustehen, falls auch die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind (vgl. Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.10.1983 3 K 219/81 - rkr.-, EFG 1984, 318). Als Steuersubjekt kommt die Vorgründungsgesellschaft in Betracht. Die Finanzverwaltung erkennt den Vorsteuerabzug bei der Vorgründungsgesellschaft aber mangels Unternehmereigenschaft nicht an. Ihre Rechtsauffassung hat sie in verschiedenen Verwaltungsanweisungen bekräftigt (vgl. OFD Erfurt, Vfg. V. 21.07.1997 - S 7104 A - 11 - St 34, GmbHR 1998, 205; Fin.Min Thüringen, Erlaß v. 10.11.1998 - S 7104 A - 14 - 202.2). Die Finanzverwaltung konnte sich dabei auch auf die Kommentarmeinungen berufen, die im wesentlichen der Auffassung der Finanzverwaltung folgen (vgl. Klenk, in: Sölch/Ringleb,§ 2 Rn. 201; Birkenfeld, UStG, I 560.1ff, IV 264.8; Tehler, in: Reiß/Kraeusel/Langer, § 1 Rn. 331 ff, (334); Georgy, in Plückebaum-Malitzky (1998) § 2 Abs. 1 Anm. 464f; Bülow, in: Vogel/Schwarz, UStG, § 2 Rn. 158, § 15 Rn. 27 ).

17

Eine abweichende Meinung im Anschluß an Giesberts vertritt lediglich Stadie (Stadie, in: Rau/Dürrwächter, § 2 Rn. 522). In einer Entscheidung vom 18.10.1999 (6 K 2426/98, EFG 2000, 40, Rev. zugelassen, Az. des BFH: V R 84/99) hat abweichend von der herrschenden Rechtsauffassung ferner das Hessische Finanzgericht der Vorgründungsgesellschaft in einem vergleichbaren Fall den Vorsteuerabzug zuerkannt.

18

Der Senat stimmt mit dem Hessischen Finanzgericht darin überein, daß der Vorsteuerabzug aufgrund der Vorgaben der 6. EG-Richtlinie letztlich nicht versagt werden darf. Allerdings steht der Vorsteuerabzug nicht der Vorgründungsgesellschaft, sondern der Kapitalgesellschaft zu, sobald diese entstanden ist. Dies ergibt sich notwendig aus den Vorgaben der 6. EG-Richtlinie in Verbindung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH.

19

Die im Umsatzsteuerrecht herrschende Meinung, die zur Bestimmung der Unternehmereigenschaft bei Kapitalgesellschaften die zum nationalen Gesellschaftsrecht entwickelte Rechtsprechung zum Vorgründungsstadium einer Kapitalgesellschaft übernommen hat, berücksichtigt nicht die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. 6. EG-Richtlinie begrifflich folgenden umsatzsteuerrechtlichen Besonderheiten gegenüber dem nationalen Recht der GmbH.

20

Die im Gesellschaftsrecht herrschende Meinung, wonach bei den verschiedenen Stadien der Entstehung einer Kapitalgesellschaft zwischen der vor Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages bestehenden rechtlich selbständigen Vorgründungsgesellschaft und der danach, eine Identität mit der eingetragenen Kapitalgesellschaft bildenden Vorgesellschaft zu unterscheiden ist, geht auf die Entscheidung des BGH vom 07.05.1984 (BGH, Urteil vom 07.05.1984 II ZR 276/83, BGHZ 91, 148 ff) zurück. Der BGH löst sich in dieser Entscheidung von seiner bis dahin geltenden Rechtsprechung, wonach die Regeln des GmbH-Gesetzes, speziell die Vorschrift des § 11 Abs. 2 GmbHG, unter Umständen schon im Vorgründungsstadium eingreifen können. Der Bundesgerichtshof begründet seine Zäsur mit dem Wandel der Dogmatik zur Handelndenhaftung. Danach sei mittlerweile allgemein anerkannt, dass mit Abschluß des notariellen Gesellschaftsvertrages eine Vorgesellschaft entstehe, die bereits weitgehend dem GmbH-Recht unterstehe und mit der Eintragung im Handelsregister ohne weiteres mit allen Rechten und Verbindlichkeiten in der dann rechtlich entstandenen GmbH aufgehe. Demgegenüber bestehe zwischen den vor und nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages bestehenden Gesellschaften keine Kontinuität. Bei der Vorgründungsgesellschaft handele es sich vielmehr um eine eigenständige Gesellschaft. Für diese gelte GmbH-Recht noch nicht, so daß die für diese Gesellschaft Handelnden persönlich verpflichtet bzw. im Falle der Bevollmächtigung, die Gesellschafter verpflichteten würden. Wegen dieser nach allgemeinen Regeln geltenden unbeschränkten Haftung gebe es keinen Grund, die Haftung abweichend von den allgemeinen Haftungsvorschriften in Anlehnung an § 11 Abs. 2 GmbHG zu regeln. Die strenge Haftung des§ 11 Abs. 2 GmbHG im eigentlichen Gründungsstadium habe vielmehr nur die Funktion, angesichts der nur beschränkten Haftung der Gesellschafter die unbeschränkte Haftung wenigstenseiner verantwortlichen Person zu begründen.

21

Die von dem Bundesgerichtshof zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen im Stadium der Gründung einer Kapitalgesellschaft entwickelte Rechtsprechung ist darauf gerichtet, Haftungsverhältnisse im Gründungsstadium einer Kapitalgesellschaft durch die mit Eintragung der Gesellschaft eintretende Haftungsbegrenzung klarzustellen. Hierfür wurde die Trennung der Gesellschaften vor und nach der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages entwickelt und mittels Dogmatik auf Zeit festgeschrieben. Zwingend ist diese Form der Trennung nicht. Das zeigt die von der Rechtsprechung festgeschriebene Annahme einer Identität zwar zwischen der Vorgesellschaft und der eingetragenen Kapitalgesellschaft, nicht aber mit der Vorgründungsgesellschaft. Daß diese Trennung auch anders sein könnte, belegt die bis zur Entscheidung des BGH vom 07.05.1984 herrschende Rechtsauffassung im Gesellschaftsrecht, die eine solche Trennung nicht vorsah. Sie ist allein unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten begründet. Dieser Differenzierungsansatz ist umsatzsteuerrechtlich für die Bestimmung der Unternehmereigenschaft aber weder vorrangig noch zwingend.

22

Die Frage von welchem Stadium der Entwicklung der werdenden Gesellschaft an die beschränkte Haftung der Gesellschafter einsetzt, ist für die wirtschaftliche Tätigkeit bzw. die Unternehmereigenschaft ohne Bedeutung. Im Gegensatz zur Rechtsform in der das Unternehmen schließlich betrieben wird, verläuft die wirtschaftliche Tätigkeit von Anfang an einheitlich, ohne daß es einer rechtlichen Trennung bedarf.

23

Indem sich jedoch das Steuerrecht der gesellschaftsrechtlichen Unterscheidung zwischen Vorgründungsgesellschaft, Vorgesellschaft und eingetragener Kapitalgesellschaft anschließt, bestimmt es im Vorgründungsstadium die Vorgründungsgesellschaft als Träger des Unternehmens und damit als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Damit erfolgt gleichzeitig eine Bestimmung des "Steuerpflichtigen" nach Artikel 4 der 6. EG-Richtlinie, der Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Mehrwertsteuersystems überhaupt ist. Denn der Bundesfinanzhof verwendet die Begriffe Unternehmer und Steuerpflichtiger gleichbedeutend (vgl. BFH, Urteil vom 11.06.1997 XI R 33/94, BFHE 182, 454; Urteil vom 01.12.1998 X R 83/96, BFH/NV 1999, 1024 [BFH 02.12.1998 - X R 83/96]). Das hat zur Folge, dass über die nationale Bestimmung der Unternehmereigenschaft auch das Recht zum Vorsteuerabzug auf nationaler Ebene bestimmt wird. Denn den Vorsteuerabzug erhält der Unternehmer, der die Leistungen, aus denen der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, für sein Unternehmen bezogen hat. Nach Gemeinschaftsrecht darf einem Steuerpflichtigen, der Vorsteuern aus Leistungsbezügen für seine wirtschaftliche Tätigkeit geltend macht, jedoch nicht versagt werden.

24

Soweit über die nationale Bestimmung der Unternehmereigenschaft das Recht zum Vorsteuerabzug auf nationaler Ebene nicht nur bestimmt, sondern - wie hier - im Ergebnis versagt wird, widerspricht dies dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot der Neutralität der Umsatzsteuer. Es führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die durch die 6. EG-Richtlinie gerade verhindert werden sollen (vgl. Präambel der ersten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über USt v. 11.04.1967, ABl. EG 1967 Nr. L 71, 1301; vgl. ferner die Begründung der Komm. zum Vorschlag für eine 12-EG-Richtlinie, BR-Drs. 75/83, Ziffer I.4., S. 2 und 3 a.; BR-Drs. 75/83 Ziffer I.4., S. 2 und 3 a). Denn im Rahmen verschiedener Umsatzstufen kann in Rechnung gestellte Umsatzsteuer letztlich nicht abgezogen werden. Es wird eine Steuer wie auf einen Letztverbrauch erhoben, obwohl kein Letztverbrauch vorliegt. Das hat wiederum zur Folge, daß in den nachfolgenden Steuerstufen Umsatzsteuer auf Umsatzsteuer erhoben. Letzteres ist bereits nach nationalem Recht unzulässig.

25

Das Recht auf Vorsteuerabzug darf daher nicht von der vorrangig an GmbH-Recht ausgerichteten Bestimmung der Unternehmereigenschaft abhängig gemacht werden, wie es derzeit im deutschen Umsatzsteuerrecht geschieht, sondern muß im Rahmen einer gemeinschaftskonformen Auslegung in Relation zur wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt werden. Dies folgt aus dem System der Mehrwertsteuer nach der 6. EG-Richtlinie.

26

Denn um die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zu gewährleisten, gründete man das System der Mehrwertsteuer auf das sog. Neutralitätsprinzip. Der Neutralitätsgedanke dient im wesentlichen einer Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen auch zwischen konkurrierenden Steuerpflichtigen innerhalb des Binnenmarktes. Tragende Säule des Neutralitätsprinzips ist das Recht auf Vorsteuerabzug. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, daß alle wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in völlig neutraler Weise steuerlich belastet werden, sofern diese Tätigkeit selbst der Mehrwertsteuer unterliegt (EuGH, Urteil vom 14.02.1985, 268/83 - Rompelmann - Slg. 1985, 655, Rn. 19; Urteil vom 11.07.1996, C-37/95 - Ghent Coal Terminal -, Slg. 1998, I-1, Rn. 15).

27

Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt hinsichtlich der Abgaben-belastung des Unternehmens, daß schon die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens oder zu dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen werden (EuGH, Urteil vom 14.02.21985, 268/83 - Rompelmann - Slg. 1985, 655, Rn. 23; Urteil vom 29.02.1996, C-11o/94 - INZO -, Slg. 1996, I-857, Rn. 16). Denn "die wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 1 (können), wie sich schon aus dem Wortlaut von Artikel 4 Abs. 2 ergibt, mehrere aufeinanderfolgende Handlungen umfassen (...). Die zu diesen gehörenden vorbereitenden Tätigkeiten, wie der Erwerb der für eine Nutzung erforderlichen Mittel, sind bereits den wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne dieses Artikels zuzurechnen."(EuGH, Urteil vom 11.07.1991, C-97/90 -Lennartz -, Slg. 1991 I-3795 Rn.12), mit der Folge, dass durch die vorbereitenden Handlungen bereits das Recht auf Vorsteuerabzug besteht. Als Konsequenz für die Bestimmung des Steuerpflichtigen führt der EuGH aus, dass"wer solche in engem Zusammenhang mit der künftigen Nutzung eines Grundstücks stehenden und für diese erforderlichen Investitionshandlungen vornimmt, ... als Steuerpflichtiger im Sinne des Artikels 4 anzusehen (ist)" (EuGH, Urteil vom 14.02.1985, Rs 268/83 - Rompelman -, Slg. 1985, 655, Rn. 22, 23; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.03.2000 C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa SL u.a./Agencia Estatal de Administración Tributaria, IStR 2000, 216ff, in dem der EuGH eine willkürliche Trennung zwischen Investitionsausgaben vor und während der tatsächlichen Nutzung eines Gegenstandes abgelehnt hat).

28

Das bedeutet, daß einem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug aus allen Kosten für Investitionen zusteht, die im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwendet werden sollen (vgl. Leitsatz in der Rechtssache Ghent Coal Terminal, EuGH, Urteil vom 11.07.1996, C-37/95, Slg. 1998, I-1; zu der Regelung und dem Abzugsmechanismus im einzelnen, Schlußanträge des Geralanwalts Ruiz-Jarabo Colomer, Slg. 1998, I-5f, rn. 18ff). In diesem Zusammenhang stellt der EuGH ferner fest, daß "eine Person, die Gegenstände für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 4 erwirbt, dies auch dann als Steuerpflichtiger tut, wenn die Gegenstände nicht sofort für diese wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden." (EuGH, Urteil vom 11.07.1991, C-97/90 -Lennartz -, Slg. 1991 I-3795 Rn. 14) Damit, so der Generalanwalt Colomer in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache Ghent Coal Terminal (Ghent Coal Terminal, EuGH, Urteil vom 11.07.1996, C-37/95, Slg. 1998, I-10, Rn. 43), "hängt die Anwendung des Systems der Mehrwertsteuer ... vom Kauf der Gegenstände durch einen als solchen handelnden Steuerpflichtigen ab."

29

Der Begriff des Steuerpflichtigen in Artikel 4 der 6. EG-Richtlinie wird damit vom EuGH über den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit definiert (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Régie dauphinoise Nr. 11, Rs C-306/94 vom 11.07.1996, Slg. 1996, I-3695), der wiederum in Artikel 4 Absatz 2 definiert ist. Ob jemand Steuerpflichtiger ist, muß daher ausschließlich anhand der in Artikel 4 der 6. EG-Richtlinie genannten Voraussetzungen beurteilt werden. Die dafür geltenden Kriterien hat der EuGH mit seiner Rechtsprechung aus dem inneren Charakter der 6.EG-Richtlinie durch die Beziehung der "wirtschaftlichen Tätigkeit" und der Bestimmung dessen, der "Steuerpflichtiger" ist, festgelegt. Andere Bestimmungsgründe haben keine Bedeutung für die Definition des in Artikel 4 Abs.1 genannten Begriffs"Steuerpflichtiger". Die mit der 6. EG-Richtlinie angestrebte Harmonisierung wäre auch gefährdet, wenn der Anwendungsbereich des Artikels 4 durch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschiedene Variable abhängig wäre. Eine solche Variable wäre die Bestimmung "Steuerpflichtiger" im deutschen Umsatzsteuerrecht durch die Trennung der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft, die vor ihrer Eintragung ihre Geschäftstätigkeit durch Leistungsbezüge für ihr Unternehmen vorbereitet, den Vorsteuerabzug aber nicht in Anspruch nehmen kann, weil das deutsche Recht bei der Bestimmung der Unternehmereigenschaft bzw. den Beginn der Unternehmereigenschaft nicht auf die Beziehung zu den ersten Investitionen, sondern der zivilrechtlichen Rechtsformgestaltung abstellt.

30

Diese Auslegung steht im Widerspruch zur oben dargelegten gemeinschaftskonformen Auslegung.

31

Deshalb kann der Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts nicht gefolgt werden, die der Vorgründungsgesellschaft die Unternehmereigenschaft zugesprochen hat, soweit diese die Geschäfte der zu gründenden Kapitalgesellschaft besorgt hatte. In dem entschiedenen Fall hatte die Vorgründungsgesellschaft keine Lieferungen und sonstige Leistungen gegenüber Dritten erbracht. Als einzige Leistung sah das Hessische Finanzgericht den Gesellschaftszweck an, den Geschäftsbetrieb einer späteren Kapitalgesellschaft unter Inanspruchnahme diverser Lieferungen und sonstiger Leistungen vorzubereiten und einzurichten. Die Vorgründungsgesellschaft hat die Wirtschaftsgüter aber nicht für sich selbst, sondern für die GmbH angeschafft. Sie hätte nach der bisher zutreffenden rechtlichen Argumentation kein Recht auf Vorsteuerabzug, weil sie keine "wirtschaftliche Tätigkeit" im Sinne der 6. EG-Richtlinie ausgeübt hat und nach deutscher Rechtspraxis nicht, weil ihre Tätigkeit nicht auf Lieferungen und Leistungen nach§ 1 UStG ausgerichtet war. Sie ist auch kein"erfolgloser Unternehmer" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, weil sie keine ernsthaften Investitionen für"ihr" Unternehmen getätigt hat. Die Vorgründungsgesellschaft selbst wollte nämlich zu keiner Zeit eine"eigene" unternehmerische Tätigkeit ausüben, d.h. ein Unternehmen begründen. Ihr Zweck war, wie die gesellschaftsrechtliche Dogmatik zu recht anführt, auf Abschluß des Gesellschaftsvertrages gerichtet. Im Grunde ist sie daher keine Unternehmerin, weil sie keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nach§ 2 UStG ausübt. Soweit das Hessische Finanzgericht im Folgenden die Frage der "Nachhaltigkeit" des Tätigwerdens untersuchte, kam es hierauf nicht an, da es sich bei der Erfüllung des Gesellschaftszwecks schon um keine Leistung im Sinne des§ 1 Abs. 1 UStG handelt. Zutreffend führt das Gericht in Bezug auf den Grundsatz der Neutralität im Gemeinschaftsrecht allerdings aus, "das schon die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens oder zu dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sind." Diesen zutreffenden Gedanken vermischt das Gericht jedoch mit der Frage, wer "Steuerpflichtiger" ist.

32

Steuerpflichtiger und damit zum Vorsteuerabzug berechtigt ist nach gemeinschaftskonformer Auslegung daher nicht die Vorgründungsgesellschaft, sondern die Kapitalgesellschaft, die Unternehmerin bereits aufgrund der ersten, für ihr Unternehmen getätigten Investitionen ist.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

34

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m.§§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung - ZPO -.