Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.03.2002, Az.: 6 A 209/00

Abschiebungsandrohung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Abwanderung; Asylberechtigung; asylerhebliche Merkmale; Beweisantrag; Beweiserhebung; Einreise; Gruppenverfolgung; Gutachten; Hassake; individuelle Verfolgungsgefahr; Kurde; Luftweg; mittelbare Gruppenverfolgung; politische Verfolgung; sicherer Drittstaat; Staatenlosigkeit; Syrien; Türkei; ungeklärte Staatsangehörigkeit; Wiedereinreiseverbot; Yezide; Zielstaat; Zielstaatsbezeichnung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.03.2002
Aktenzeichen
6 A 209/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41744
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Aus rechtlichen Gründen bedarf es zu der Frage, ob derzeit nur noch 3000 Yeziden im Raum Hassake leben, keiner Beweiserhebung, weil in Anbetracht der bisher substantiiert dargelegten Verfolgungsfälle auch bei einer solchen Bevölkerungszahl eine Gruppenverfolgung der Yeziden in Syrien nicht angenommen werden kann.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist Kurde yezidischer Religionszugehörigkeit und stammt mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus Syrien. Er reiste nach eigenen Angaben am 9. Februar 2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter.

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Zur Begründung dieses Begehrens trug er vor:

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Er habe in Syrien als Ausländer gelebt, der nicht registriert gewesen sei. Als solcher habe er keine Schule besuchen und keinen Besitz haben dürfen. Er habe auch nicht den roten oder weißen Ausweis oder eine Geburtsurkunde besessen. Von Syrien aus sei er mit seiner Schwester über die türkische Grenze in die Türkei gelangt. Der Schleuser habe sie am 20. Januar 2000 nach Istanbul gebracht, von wo sie etwa 19 Tage später mit dem Flugzeug nach Deutschland geflogen seien. Die Abreise sei gegen 3.00 Uhr nachts und die Ankunft etwa um 7.30 Uhr gewesen. Auf welchem Flughafen sie angekommen seien, wisse er nicht. Von der Fluggesellschaft wisse er nur, dass es eine weiße Maschine mit einem Halbmond und einem Stern darauf gewesen sei. Der Schleuser habe alle Unterlagen bei sich behalten und sei bei den Kontrollen vor ihnen hergegangen. Er habe zu ihnen gesagt, sie sollten ihm folgen, er werde alles regeln. Den Pass hätten sie nicht erhalten. Als sie vom Schleuser den Pass verlangt hätten, habe dieser gesagt, das ginge sie nichts an; er werde sie schon nach Deutschland bringen. Deshalb könne er auch den Namen, Vornamen und die Geburtsdaten im Reisepass nicht angeben. Sie seien Yeziden und wegen der Unterdrückung durch die Araber nach Deutschland gekommen. Sie hätten dort keine Papiere gehabt und ihr Land auf den Namen eines christlichen Freundes registrieren lassen müssen. Eines Tages hätten arabische Jugendliche seine Schwester belästigt und sie heiraten wollen. Er habe die drei Jugendlichen zur Rede gestellt, und es sei zu einer Schlägerei gekommen. Dabei habe er einen der Jugendlichen in den Unterleib getreten. Dieser habe bei der Polizei behauptet, er (Kläger) hätte etwas gegen die Partei und die Regierung gesagt. Als er nach Hause gekommen sei, habe sein Vater zu ihm gesagt, er solle sofort verschwinden. Erst sei die Polizei und dann der Geheimdienst gekommen. Man habe u.a. seinen Bruder geschlagen. Von der Familie sei verlangt worden, dafür zu sorgen, dass er sich bei den Behörden stelle. Man habe gesagt, sie würden in ganz Syrien nach ihm suchen und ihn auch finden. Einmal sei der Stromverteiler kaputt gegangen. Man habe behauptet, dass er dies gewesen sei, und er habe Geld zahlen müssen, obwohl er nichts gemacht habe. Man habe ihnen auch nicht erlaubt, ihre Festtage zu feiern. An den Feiertagen der Araber, z.B. Ramadan, hätten die Araber eine Art Gummifeuer auf ihren  Hof geworfen. Vor zwei Jahren sei auch ein yezidisches Mädchen entführt und umgebracht worden. Für den gegen ihn erhobenen Vorwurf werde man in Syrien aufgehängt. Zur Polizei sei er nicht gegangen, weil die Regierung Bestechungsgelder nehme. Er wisse, dass alle, die dort hingegangen seien, nicht mehr zurückgekehrt seien. Das passiere auch, wenn der Vorwurf gering sei. Seine Eltern, sein Bruder und eine Schwester lebten noch in Syrien.

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Mit Bescheid vom 1. März 2000 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ebenfalls nicht gegeben seien und die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorlägen. Außerdem forderte die Behörde den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes auf und drohte für den Fall, dass dieser Anordnung nicht fristgerecht nachgekommen werde, die Abschiebung an.

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Gegen den am 2. März 2000 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 10. März 2000 Klage erhoben.

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Zur Begründung der Klage trägt er vor:

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Als Yezide sei er in Syrien einer mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen. Soweit das OVG Lüneburg auf der Grundlage eines Gutachtens des Yezidischen Kulturforums in Oldenburg zu der Auffassung gelangt sei, dass die Relation von 77 Verfolgungshandlungen in einem Zeitraum von zehn Jahren zu den im Jahr 2000 noch mehr als 4.000 im Bezirk Hassake verbliebenen Yeziden eine solche Annahme nicht rechtfertige, könne dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Die Anzahl der Yeziden in Syrien sei weiter rückläufig. Nach den Angaben des Vorsitzenden des Yezidischen Kulturforums hätten seit August 2000 weitere 25 v.H. der Yeziden das Land verlassen, so dass derzeit noch maximal 3.000 Yeziden im Bezirk Hassake lebten. Insoweit bestehe ein weiterer Aufklärungsbedarf, so dass zum Beweis dafür, dass im Nordosten von Syrien inzwischen weniger als 4.000 Yeziden lebten, eine ergänzende Stellungnahme des Yezidischen Kulturforums in Oldenburg einzuholen sei. Auch hinsichtlich der Anzahl von Verfolgungshandlungen müsse ein ergänzendes Gutachten des Yezidischen Kulturforums dazu eingeholt werden, dass im Nordosten von Syrien asylrechtlich relevante Übergriffe seitens der Muslime an der Tagesordnung seien. Diese Fragen setzten jedoch voraus, dass er eine Rückkehrmöglichkeit nach Syrien habe oder ihm aus asylrelevanten Gründen die Wiedereinreise verwehrt werde. Da die Gründe für die Wiedereinreiseverweigerung separatistische Gesichtspunkte seien, komme es nicht entscheidend darauf an, ob er die syrische Staatsangehörigkeit besitze oder staatenlos sei. Aber selbst dann, wenn die Rückkehr aus nicht asylerheblichen Gründen verwehrt werde, sei jedenfalls die Abschiebungsandrohung wegen einer das Herkunftsland Syrien betreffenden Zielstaatsbezeichnung als rechtswidrig aufzuheben, weil Staatenlose nicht nach Syrien zurückkehren könnten.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und außerdem festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und des § 53 AuslG vorliegen,

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hilfsweise,

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Beweis zu erheben darüber, dass in Syrien im Bezirk Hassake derzeit weniger als 4000, maximal noch 3000 Yeziden leben und asylrechtlich relevante Übergriffe seitens der Muslime auf die Yeziden an der Tagesordnung seien, durch ein Gutachten des Yezidischen Kulturforums e.V. in Oldenburg.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,

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die Klage abzuweisen.

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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu seinem Asylvorbringen ergänzend informatorisch angehört worden. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Verfahrens 6 A 305/00 (Schwester), auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG noch auf die Feststellung durch die Beklagte, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder des § 53 AuslG vorliegen.

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Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Asyl aus Art. 16a Abs. 1 GG und des Schutzes vor Abschiebung aus § 51 Abs. 1 AuslG sind deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut, den politischen Charakter der Verfolgung sowie den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und dessen Herabstufung bei bereits vor der Ausreise aus dem Heimatstaat verfolgten Asylsuchenden geht (BVerwG, Urt. vom 18.01.1994, NVwZ 1994, 497; Urt. vom 05.07.1994, NVwZ 1995, 391 [BVerwG 05.07.1994 - BVerwG 9 C 1.94]).

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Dagegen ist ein Abschiebungsschutz aus § 51 Abs. 1 AuslG im Gegensatz zum asylrechtlichen Schutz nach Art. 16a Abs. 1 GG auch dann zu gewähren, wenn einem Betroffenen aus Gründen, die er erst nach der Ausreise aus dem Heimatstaat geschaffen hat (subjektiver Nachfluchtgrund), politische Verfolgung droht oder ein Asylanspruch aus den in den §§ 26a und 27 AsylVfG genannten Gründen (bei einer Einreise aus Drittstaaten) ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 28.06.1999, BVerwGE 109, 174 = NVwZ 2000, 81). Es bedarf deshalb letztlich keiner abschließenden Klärung, ob der Kläger tatsächlich - wie von ihm behauptet - auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist. In Anbetracht des Umstandes, dass schon die vom Kläger behauptete Dauer von viereinhalb Stunden für einen Direktflug von Istanbul nach Deutschland unrealistisch ist, hält das Gericht diese Behauptung des Klägers allerdings für nicht glaubhaft. Hierauf kommt es jedoch aus den nachfolgenden Gründen nicht maßgeblich an.

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Ausgangspunkt eines Asylanspruchs oder Anspruchs nach § 51 Abs. 1 AuslG ist die in die Zukunft gerichtete Prüfung der Frage, ob der Flüchtling im Fall seiner Rückkehr - erstmals oder erneut - politischer Verfolgung ausgesetzt sein würde, durch die der hiervon Betroffene in eine die Gewährung politischen Asyls oder des Schutzes vor Abschiebung rechtfertigende Notlage geriete. Das setzt einen Staat voraus, in den der Asylsuchende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, NVwZ 1986, 759 [BVerwG 15.10.1985 - BVerwG 9 C 30.85]). Soweit der Ausländer eine Staatsangehörigkeit besitzt, ist Gegenstand der Prüfung, ob dem Flüchtling im Land seiner Staatsangehörigkeit die in § 51 Abs. 1 AuslG bezeichneten Gefahren drohen (§ 3 AsylVfG). Nur auf die Verhältnisse in diesem Staat und nicht auf die Gegebenheiten in anderen Ländern kommt es für die Beurteilung des geltend gemachten Asylanspruchs an. Derjenige, der in einem Drittstaat politisch verfolgt worden ist oder dem dort eine solche Verfolgung droht, kann den Schutz des Staates in Anspruch nehmen, dem er angehört. Einen Schutz vor politischer Verfolgung besitzt er im Ausland nur dann, wenn er im Land seiner Staatsangehörigkeit keinen Schutz erhalten kann (BVerwG, Urt. vom 18.10.1983, BVerwGE 68, 106 = NVwZ 1984, 244 m.w.N.).

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Bei Personen, die staatenlos sind, kommt es auf die Verhältnisse im Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts an (§ 3 AsylVfG). Dies ist grundsätzlich der Staat, in dem der Staatenlose bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Allein der Umstand, dass der Staatenlose ihn verlässt und im Ausland um Asyl nachsucht, ändert daran nichts. Eine Änderung der rechtlichen Lage tritt jedoch ein, wenn der Staat den Staatenlosen ausweist oder die Wiedereinreise verweigert und dies aus Gründen tut, die nicht als politische Verfolgung qualifiziert werden können. Der Staat löst damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.). In diesem Fall wird die Frage, ob dem Staatenlosen auf dem Territorium dieses Staates politische Verfolgung droht, unter verfolgungsrechtlichen Gesichtspunkten gegenstandslos. Staatenlose, die in eine solche Lage geraten sind, können mit Blick auf diesen Herkunftsstaat weder Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG noch Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG beanspruchen (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.; Urt. vom 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 471, 602 [BVerwG 24.10.1995 - BVerwG 9 C 75.95]).

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So liegen die Dinge bei Kurden aus Syrien, die aus der insoweit maßgeblichen Sicht des syrischen Staates dort als Staatenlose oder als Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit angesehen werden und als solche registriert sind. Bei diesen, wie erst recht für solche Asylsuchende, die sich illegal und ohne eine behördliche Registrierung in Syrien aufgehalten haben und entweder ebenfalls staatenlos sind oder über eine andere als die syrische Staatsangehörigkeit verfügen, gilt, dass der syrische Staat ihre Wiedereinreise verweigert (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen; Lagebericht vom 08.02.2001; Auskunft vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis; Landeshauptstadt Düsseldorf, Auskunft vom 15.11.2000 an das VG Aachen).

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Zwar kann die Verweigerung der Wiedereinreise in das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts auch in Bezug auf staatenlose Personen eine Maßnahme politischer Verfolgung darstellen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die Maßnahme die von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung der Wiedereinreiseverweigerung vorliegt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen (BVerfG, Urt. vom 02.07.1993, InfAuslR 1993, 345; BVerwG, Urt. vom 24.10.1995, NVwZ-RR 1996, 471 [BVerwG 24.10.1995 - BVerwG 9 C 75.95]; OVG Münster, Urt. vom 22.02.1994, 4 A 3676/93.A <juris>).

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Eine derartige Zielrichtung ist in Bezug auf den von dem Wiedereinreiseverbot betroffenen Personenkreis nicht erkennbar. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Maßnahme - bei hiervon betroffenen Yeziden - an die yezidische Glaubenszugehörigkeit anknüpft. Denn die Yeziden mit syrischer Staatsangehörigkeit sind von dem Wiedereinreiseverbot ausgenommen. Dies gilt in gleicher Weise, soweit es sich um Personen mit kurdischer Volkszugehörigkeit handelt. Auch insoweit stellt der syrische Staat auf den Besitz der syrischen Staatsangehörigkeit ab. Außerdem lässt sich weder in Bezug auf die bloße Glaubenszugehörigkeit noch auf die kurdische Volkszugehörigkeit eine staatliche Verfolgung in Syrien feststellen (OVG Lüneburg, Urt. vom 27.03.2001, 2 L 2505/98 m.w.N.; OVG Münster, Beschl. Vom 05.04.2001, 9 A 1269/01.A; OVG Saarlouis, Beschl. Vom 19.01.2001, 3 Q 151/99).

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Die Verweigerung der Wiedereinreise zielt auch nicht darauf, Staatenlose oder andere Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit auszugrenzen. In Syrien leben zahlreiche Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit, die dort für die Dauer ihres Aufenthalts geduldet werden, wenngleich sie gegenüber den syrischen Staatsangehörigen häufig nur eingeschränkte Rechte haben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.02.2001; GfbV, Bericht vom 01.04.1997, Auskunft vom 09.07.1998 an das VG München). Nur im Falle einer beantragten oder ungenehmigten Ausreise verlieren sie den Aufenthaltsstatus (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen).

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Schließlich stellt die im Anschluss an die Sondervolkszählung erfolgte Aberkennung der syrischen Staatsangehörigkeit für die hiervon betroffenen Personen und ihre Nachkommen, als deren späte Folge sich das Wiedereinreiseverbot auswirkt, nicht eine Maßnahme politischer Verfolgung dar. Anlass für den Zensus war die in zahlreichen Fällen begründete Annahme, dass viele der im Grenzbereich zu den Ländern Türkei, Iran und Irak lebenden Kurden nicht syrischen Ursprungs, sondern illegal aus diesen Ländern nach Syrien übergesiedelt waren. Auch wenn die Entscheidung über die syrische Staatsangehörigkeit nicht selten vorschnell getroffen wurde, weil den Betroffenen nicht genügend Zeit für den Nachweis einer syrischen Herkunft blieb, waren die Sondervolkszählung und die Überprüfung der Staatsangehörigkeit in erster Linie darauf gerichtet, illegale Einwanderer und ihre Nachkommen, zumeist Kurden aus den angrenzenden Kurdengebieten, als solche zu erfassen. Erst zeitlich danach wurde ein Plan zur Arabisierung und Umsiedlung der Kurden aus dem Grenzgebiet gefasst, der jedoch nur teilweise umgesetzt und im Jahr 1976 angeblich beendet wurde (vgl. GfbV, Bericht vom 01.04.1997, Auskunft vom 09.07.1998 an das VG München; Ai, Auskunft vom 01.05.1994; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.02.2001). Als Ergebnis der Sondervolkszählung wurde in etwa 120 000 bis 150 000 Fällen angenommen, dass eine syrische Staatsangehörigkeit nicht vorlag, und diesen Kurden die syrische Staatsangehörigkeit entzogen. In vielen dieser Fälle wird, weil eine andere Staatsangehörigkeit nicht feststellbar sein wird, nunmehr eine Staatenlosigkeit anzunehmen sein.

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Die Gründe, aus denen den staatenlosen Kurden aus Syrien sowie den dort illegal gelebt habenden Personen nach der Ausreise aus diesem Land die Einreise verwehrt wird, haben keinen asylrechtlich relevanten Anknüpfungspunkt. Die syrischen Behörden halten die frühere Duldung dieser Personen für einen humanitären Akt und sehen keine Veranlassung, sie weiterhin aufzunehmen, nachdem diese Personen freiwillig das Land verlassen haben. Hinzu kommt, dass dieser Personenkreis in aller Regel das Land illegal unter Verletzung der syrischen Grenzübertrittsregelungen verlassen hat, was auch für syrische Staatsangehörige einen Rechtsbruch bedeuten würde (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.01.2001 an das VG Aachen; Lagebericht vom 08.02.2001; Auskunft vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis; vgl. zum Ganzen auch OVG Lüneburg, Urt. vom 27.03.2001 - 2 L 2505/98 -).

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Das Gericht ist mit der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen Gewissheit zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger staatenlos ist oder in Syrien als Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit gilt und dass mit der Ausreise aus Syrien ein Verlust des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts eingetreten ist. Die Angaben des Klägers entsprechen den Verhältnissen, denen in Syrien die dort lebenden Personen ohne syrische Staatsangehörigkeit ausgesetzt sind. Der Kläger hat außerdem - ebenso wie seine Schwester in ihrem Verfahren (6 A 305/00) - die Bescheinigung des Dorfvorstehers seines Heimatortes beigebracht, aus der sich ergibt, dass er ebenfalls nicht die syrische Staatsangehörigkeit besitzt.

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Damit hat der Kläger nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit, nach Syrien zurückzukehren. Ob ihm im Falle einer Rückkehr in Syrien politische Verfolgung droht und ihm deshalb Asyl bzw. Schutz vor einer Abschiebung nach § 51 Abs. 1 AuslG oder nach § 53 AuslG zu gewähren ist, ist infolgedessen gegenstandslos (BVerwG, Urt. vom 15.10.1985, aaO.; Urt. vom 24.10.1995, aaO.).

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Dies hat nicht zur Folge, dass der Aufenthaltsstatus der betreffenden Personen auf nicht absehbare Dauer ungesichert bleibt. Handelt es sich tatsächlich um Staatenlose, unterfallen diese Personen dem Gesetz zu dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12.04.1976 (BGBl 1976 II S. 473/1977 II S. 235), andernfalls den Regelungen des Ausländergesetzes.

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Im Übrigen hätte selbst dann, wenn die Möglichkeit zur Rückkehr nach Syrien gegeben wäre, die Klage keinen Erfolg haben können.

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Der Kläger hat das Heimatland nicht wegen einer bereits erlittenen oder unmittelbar bevorstehenden Gefahr der individuellen Verfolgung aufgrund der yezidischen Glaubenszugehörigkeit verlassen. Das Gericht geht davon aus, dass die Glaubensverschiedenheit zu den arabischen und kurdischen Mitbewohnern in der Vergangenheit allenfalls den Grad von bloßen Belästigungen und nicht von asylrechtlich relevanten Übergriffen erreicht hatten. Das Gericht hält die hierzu vom Kläger gemachten anderslautenden Angaben für unglaubhaft. Während seine Schwester in ihrem Verfahren (6 A 305/00) als Grund für die gemeinsame Ausreise angegeben hatte, dass der Kläger bei einer Auseinandersetzung mit Arabern um seine Beteiligung an einer Fußballmannschaft am Kopf verletzt worden sei und man sie, die Schwester, denunziert habe, den Präsidenten Assad und den Islam beleidigt zu haben, hat der Kläger als Grund für die Ausreise aus Syrien angegeben, einen Araber nach einer Belästigung seiner Schwester in den Unterleib getreten zu haben und deshalb denunziert worden zu sein. Von einer eigenen Kopfverletzung hat der Kläger ebenso wenig berichtet wie von der Behauptung seiner Schwester, dass im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Arabern das Haus der Familie durchsucht und der Vater für 24 Stunden festgenommen und geschlagen worden sei, so dass er sich anschließend eine Woche lang im Krankenhaus habe behandeln lassen müssen. Er hatte vielmehr angegeben, dass sein Bruder von den Sicherheitskräften geschlagen worden sei. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger für den Grund seiner Ausreise aus Syrien völlig andere Gründe genannt. So hat er behauptet, wegen einer angeblichen Beschädigung der syrischen Flagge auf dem Schulgebäude vier oder fünf Tage vor der Ausreise für zwei Tage von der Polizei verhaftet und gefoltert worden zu sein, bis sein Vater durch die Zahlung von Bestechungsgeld seine Freilassung erreicht habe. Hiervon hatte der Kläger weder bei seiner Anhörung durch das Bundesamt noch bisher im Klageverfahren auch nur ansatzweise etwas berichtet. Auch die weiteren Angaben hinsichtlich der Abläufe bis zum Verlassen des Landes weichen deutlich von seinen früheren Schilderungen ab. Gründe für die Ausreise aus Syrien waren deshalb nach der Überzeugung des Gerichts keine asylrechtlich relevanten Übergriffe durch die Polizei oder arabische Mitbewohner auf den Kläger.

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An der Auffassung, dass die Angehörigen der yezidischen Glaubensgemeinschaft in Syrien keiner unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, hält die Kammer weiterhin fest (Urt. vom 14.03.2001, 6 A 313/00; vgl. auch: OVG Lüneburg, Beschl. vom 25.01.2001, 2 L 3172/00; Urt. vom 27.03.2001, 2 L 5117/97 und 2 L 2505/98 ). Die Kammer sieht nach Prüfung der aktuellen Erkenntnismittellage, insbesondere nach einer Auswertung des von dem Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft e.V. in Oldenburg erstellten Gutachtens vom 19. November 2000 sowie des Gutachtens des Sachverständigen Maisel vom 30. November 2000 und seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 8. Februar und 24. April 2001 keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Selbst wenn nach dem vom Kulturforum in Oldenburg zusammengestellten Zahlenmaterial innerhalb des Zeitraumes von 1990 bis 1999 insgesamt 77 asylrechtlich relevante Verfolgungsschläge im Nordosten Syriens (Distrikt Hassake) vorgefallen sein sollten, lässt sich daraus nicht die für die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte herleiten. Bei einer quantitativen Betrachtung der Relation von ermittelten Yeziden, die sich derzeit noch im Nordosten Syriens befinden sollen (ca. 4000), und der aus insgesamt 77 Verfolgungsschlägen abgeleiteten Zahl von etwa acht Vorfällen jährlich ergibt sich, dass von den Verfolgungsschlägen auf jedes Jahr bezogen nur 0,2 v.H. der im Nordosten Syriens lebenden Yeziden betroffen waren. Auch wenn man an Stelle der Gesamtzahl yezidischer Personen in diesem Raum lediglich die Zahl der Yezidenfamilien zugrunde legt, in denen die Einzelpersonen als Verband gelebt haben, führt die Zahl der jährlichen Verfolgungsschläge, die zudem seit Mitte der 90-iger Jahre (mit Ausnahme der Landwegnahmen) rückläufig sind, ebenfalls nur zu einem Prozentsatz von etwas mehr als 1,2 v.H.. Ungeachtet der Frage, ob die vom Kulturforum in Oldenburg ermittelten Übergriffe auf Yeziden sämtlich nach ihrer Intensität ein asylrechtlich relevantes Maß erreicht hatten oder ob ihnen überhaupt asylrechtlich relevante Motive zugrunde gelegen haben, lässt sich bei einer quantitativen Betrachtungsweise nicht der Schluss ziehen, dass die Verfolgungsschläge derart dicht und eng gestreut fallen, dass für jeden Yeziden die aktuelle Gefahr besteht, selbst das Opfer eines Übergriffs von arabischen Mitbewohnern zu werden.

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Eine nach qualitativen Gesichtspunkten vorgenommene Betrachtung nach der Art und Intensität der im Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgeführten Übergriffe rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass jeder im Nordosten Syriens lebende Yezide befürchten muss, selbst ein Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Dies ergibt eine Gesamtwürdigung der Zahl der besonders schweren Verfolgungsschläge nach ihrer Art und Intensität sowie die Feststellung, dass die in dem Gutachten des Kulturforums in Oldenburg aufgelisteten Vorfälle nicht in einem eng umgrenzten Bereich des Nordostens, sondern sich an teilweise weit verstreut liegenden Orten zugetragen haben. Der Umstand, dass vor allem die besonders schweren Übergriffe in den letzten Jahren abgenommen haben, deutet zudem darauf, dass mit der Anzahl der in den letzten Jahren aus Syrien ausgereisten Yeziden der Verdrängungswettbewerb zwischen den Bevölkerungsgruppen als häufig vorgetragene Motivation für die Übergriffe nachgelassen zu haben scheint. 

34

Die Notwendigkeit und Möglichkeit weiterer Aufklärung durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens drängt sich dem Gericht mit Blick auf die in das Verfahren eingeführten und in der ständigen Rechtsprechung insbesondere des OVG Lüneburg (vgl. dazu die Urt. vom 14.07.1999 - 2 L 4943/97; vom 27.03.2001 - 2 L 5117/97), und des OVG Magdeburg (vgl. dazu etwa Urteile vom 27.06.2001 - A 3 S 461/98 - und - A S 3 458/98 -) berücksichtigten Erkenntnismittel nicht auf. Soweit die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Herrn T. T. über das yezidische Kulturforum Oldenburg beantragt ist, kommt es auf die - wohl in das sachverständige Zeugnis des Herrn Tolan gestellte - Tatsache, dass nunmehr gegenüber dem Stand vom August 2000 weitere 25 v.H. der Yeziden aus dem Kreis Hassake abgewandert seien, nicht an. Denn selbst wenn dem so ist und auch die weitere Behauptung zutrifft, dass im gesamten Distrikt Hassake nur noch maximal 3000 Yeziden leben, begründet dies weder die Annahme einer jetzt eingetretenen Gruppenverfolgung, noch bestünde hinreichender Anlass, dem durch die Einholung weiterer Sachverständigengutachten nachzugehen.

35

Soweit der hilfsweise gestellte Beweisantrag des Klägers darauf zielt, ein weiteres Gutachten durch den Sachverständigen Sebastian Maisel einzuholen, ergibt sich diese Notwendigkeit nicht bereits daraus, eine wesentliche Diskrepanz der in seiner Magisterarbeit gemachten Zahlenangaben und denen des Kulturforums aufzuklären. In der Rechtsprechung sowohl des Nds. OVG als auch anderer Obergerichte und des erkennenden Gerichts sind selbst die den betroffenen Asylbewerbern günstigeren Angaben im Gutachten des Kulturforums für die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht ausreichend.

36

Soweit der Beweisantrag darauf gerichtet ist, durch ein neues Sachverständigengutachten zu belegen, dass nunmehr die Zahl der in Nord-Ost-Syrien lebenden Personen inzwischen unter 4000 bzw. 3000 gesunken ist, braucht dem nicht nachgegangen zu werden, da sich auch dann eine Gruppenverfolgung nicht ergibt. Denn selbst dann, wenn die behauptete Abwanderung stattgefunden haben sollte, könnte angesichts der Zahl der insoweit in Rede stehenden Verfolgungsfälle, die in der bisherigen Rechtsprechung als allenfalls belegt angenommenen worden sind, eine hinreichende Gefährdungssituation auch für die überschaubare Zukunft nicht bejaht werden. Hinreichend glaubhafte Berichte über eine entscheidende Zunahme von sog. Referenzfällen, aus denen auf eine nunmehr angewachsene Bedrohung der verbliebenen Yeziden in diesem Gebiet geschlossen werden könnten, liegen nicht vor.

37

Aufgrund der Abwanderung der Yeziden aus dem Kreis Hassake ergibt sich nicht die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Verfolgungsgefahr, da insoweit die Anzahl der registrierten Verfolgungen duch die Moslems konstant unter 1% liegt. Ein anderes Ergebnis wäre auch dann nicht gegeben, wenn die Yeziden als äußerst kleine Gruppe ansehen würde.

38

Soweit der Beweisantrag darauf gerichtet ist, weitere Sachverständigengutachten (ein ergänzendes Gutachten des Yezidischen Kulturforums Oldenburg und ein Gutachten des Sachverständigen Sebastian Maisel) zum Beweis dafür einzuholen, "dass asylrelevante Übergriffe in Nord-Ost-Syrien seitens der Moslems an der Tagesordnung" seien, ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Notwendigkeit. Auch wenn damit gerechnet werden kann, dass es weiterhin zu religiös bedingten Übergriffen auf Yeziden kommen wird, bedeutet dies nicht, dass insoweit gegenüber den in der bisherigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Annahmen eine wesentliche Verschlechterung eingetreten wäre. Das erkennende Gericht schließt sich der Beurteilung des OVG Magdeburg an, das in dem in das Verfahren eingeführten Urteil vom 27.06.2001 - A S 3 458/98 - (S. 19 f UA) mit Blick auf die zu erwartende Gefährdungslage bei fortgesetzter Abwanderung von Yeziden aus diesem Gebiet ausgeführt hat:

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"Die Struktur dieses Verfolgungsgeschehens wird sich durch die Abwanderung weiterer Yeziden jedoch nicht i. S. einer erhöhten Gefährdung verändern.

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Nach den Zahlen des Yezidischen Kulturforums hat es bislang ein in etwa konstantes Niveau von Gewalttaten gegen Yeziden gegeben. Waren in den Jahren 1990 bis 1994 34 Übergriffe zu verzeichnen, so werden für die Jahre 1995 bis 1999 43 Fälle genannt, wobei allerdings die Zahl der Tötungsdelikte in diesem Zeitraum von 12 auf 10 zurückgegangen ist und die Landwegnahmen sich ganz überwiegend auf das Dorf Tel Teyr mit ein und derselben moslemischen Familie als Täter konzentrieren. Bei Berücksichtigung der seit dem Jahre 1990 anhaltenden Abwanderung der Yeziden hat sich damit bei einer rein arithmetischen Betrachtung zwar der Anteil der betroffenen Personen erhöht. Die gleichbleibenden absoluten Zahlen stützen aber die Annahme, dass es unabhängig von dem jeweiligen Bevölkerungsstand ein gleichbleibendes Maß an Gewaltbereitschaft der moslemischen Bevölkerung gibt, das in dieser Form auch in absehbarer Zukunft fortbestehen wird. Die Yeziden waren in ihrem moslemischen Umfeld immer eine besonders kleine Minderheit, gegen die die Moslems ihre Überlegenheit in Pogromen oder organisierten Raubzügen hätten ausspielen können. Von derartigen Vorfällen ist jedoch nichts bekannt geworden. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Sachlage bei weiter abnehmender yezidischer Bevölkerung in Zukunft ändern könnte. Eine solche qualitative Steigerung beim Austragen religiöser Gegensätze würde der syrische Staat auch nach seinem laizistischen Staatsverständnis nicht hinnehmen.

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Bei gleichbleibender Abwanderungstendenz und gleichbleibender Kriminalitätsrate für das Jahr 2005 ist von ca. 2.600 Yeziden der Provinz Hassake und 7,7 Verfolgungsschlägen jährlich auszugehen. Daraus ergibt sich rein rechnerisch ein Verfolgungsrisiko von ca. 0,3 v.H. für jeden verbleibenden Yeziden. Dieses Verfolgungsrisiko liegt immer noch deutlich unter 1 v.H. und reicht weiterhin für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht aus.

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Anderes ergibt sich auch nicht dann, wenn man eine Gruppe von 2.600 Yeziden im Jahre 2005 als "äußerst kleine Gruppe" i. S. der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Beschl. v. 22.5.1996 - 9 B 196199 -) ansieht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist nicht dahin zu verstehen, dass bei "äußerst kleinen Gruppen" überhaupt darauf verzichtet werden kann, eine Relation von Kopfstärke und Verfolgungsschlägen herzustellen. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung erschöpft sich darin, dass diese Relation ausnahmsweise nicht mathematisch ausgedrückt werden muss, sondern mit zusammenfassenden Wertungen wie "an der Tagesordnung" bezeichnet werden darf. An dem Erfordernis einer ausreichenden Verfolgungsdichte ist festzuhalten, nur treten bei deren Feststellung die konkreten Umstände des Gruppenumfelds i. S. einer Zumutbarkeitsprüfung in den Vordergrund.

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So gesehen bleibt auch für die Situation der Yeziden als "äußerst kleine Gruppe" entscheidend, dass nach den Erfahrungen in der Vergangenheit zwar eine religiös motivierte Gewaltbereitschaft bei den Moslems besteht. Diese entlädt sich aber in situationsbedingten, meist spontanen Einzelaktionen, nicht im zentralgesteuerten, gleichsam flächendeckenden Exzessen. Fundamentalislamische Tendenzen, wie sie derzeit in einigen Ländern der Region zu beobachten sind, können eine Änderung der Situation bewirken. Doch ist bei besonnener Würdigung der Verhältnisse unter dem derzeitigen laizistischem Regime in Syrien nicht damit zu rechnen, dass es hierzu kommen wird.

44

Eine asylerhebliche Gefährdung der Yeziden aus der Provinz Hassake ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil das religiöse Existenzminimum in absehbarer Zeit nicht mehr gesichert sein könnte. Über gewalttätige Eingriffe der Moslems in die freie Religionsausübung der Yeziden wird nichts berichtet. Allerdings erfasst die Abwanderungstendenz der Yeziden nicht nur Muriden, sondern auch Scheichs und Pirs, mithin die Priesterfamilien. Der religiöse Zusammenhalt wird damit zunehmend geschwächt (Wießner, Stellungnahme v. 17.9.1996 an Nds. OVG). Diese Abwanderung ist jedoch nicht durch eine dem syrischen Staats zuzurechnende Gruppenverfolgung bedingt. Sie beruht vielmehr auf der eigenen, asylrechtlich unerheblichen Willensentscheidung der Priesterfamilien (so auch Nds. OVG, Urt.v.21.4.1998  - 9 A 6597/95.A -, S. 79 UA). Verfolgungsschutz ist auch nicht deshalb zu gewähren, weil die Yeziden in einem Klima allgemeiner gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, dass sich aufgrund der kargen wirtschaftlichen Verhältnisse in der Provinz Hassake und dem daraus folgenden Verteilungskampf besonders nachteilig auswirkt. Das Asylrecht ist nicht jedem eröffnet, der in seiner Heimat benachteiligt wird und in materieller Not leben muss (so schon BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, BVerfGE 54, 341/357). Die dadurch ausgelösten Wanderungsbewegungen sind Teil einer allgemeinen Flüchtlingsproblematik, nicht aber Gegenstand des Asylrechts."

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Dass sich in dieser Hinsicht gegenüber der zitierten Einschätzung des OVG Magdeburg insbesondere mit Blick auf die angenommenen und zu erwartenden asylerheblichen Verfolgungsschläge Grundlegendes geändert hätte, kann der Kläger substantiiert nicht dartun. Die zur Begründung des Beweisantrags (bezeichnenderweise im Übrigen nur unsubstantiiert) behaupteten und bereits im Jahre 1998 vorgetragenen Fälle sind in der (demgegenüber) jüngeren Rechtsprechung bereits gewürdigt worden. Relevante Verfolgungsfälle, die das Kulturforum noch nicht hat berücksichtigen können, sind dem Gericht bislang nicht bekannt geworden.

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Hinreichende Anhaltspunkte für eine zunehmende Gefährdung können auch den vom erkennenden Gericht in den letzten Jahren in nicht geringem Umfang bearbeiteten Asylverfahren von Yeziden aus dem Distrikt Hassake nicht entnommen werden. Weil es den Asylbewerbern in der ganz überwiegenden Anzahl von Fällen nach der Einschätzung des Gerichts nicht gelungen ist, asylerhebliche Ausreisegründe vorzutragen und glaubhaft zu machen, drängt sich vielmehr auch in diesem Verfahren der Eindruck auf, dass bereits das OVG Magdeburg von eher zu günstigen Zahlen ausgegangen ist und der Zustrom von Yeziden aus Syrien erheblich mehr durch die Sogwirkung der bereits erfolgreich durchgeführten Migration als durch einen Verfolgungsdruck in Syrien bestimmt wird.

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Da das Bundesamt eine Anerkennung als Asylberechtigter nicht verfügt hat und auch eine Aufenthaltsgenehmigung nicht vorliegt, hatte die Behörde gemäß den §§ 34 f. AsylVfG zur Ausreise aufzufordern und die Abschiebung anzudrohen. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass auf legalem Weg eine Rückkehr nach Syrien nicht möglich ist, führt dies nicht zu einer Aufhebung der Abschiebungsandrohung, soweit dort gemäß § 50 Abs. 2 AuslG als Zielstaat Syrien aufgeführt worden ist.

48

Für die rechtliche Beurteilung des in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaates ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Ausländer dessen Staatsangehörigkeit besitzt (BVerwG, Beschl. vom 01.09.1998 - 1 B 41/98 - Buchholz 402.240 § 50 AuslG 1990 Nr. 4 m. w. N. ; BVerwG, Beschl. vom 29.06.1998 - 9 B 604/98 - ). Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen nach den §§ 51 und 53 bis 55 steht gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Eine Abschiebungsandrohung unterliegt der Aufhebung nur, soweit (relative) Abschiebungshindernisse im Sinne von § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 AuslG zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestanden haben (BVerwG, Urt. vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249, 257; Beschl. vom 01.09.1998, aaO). Das Vorliegen von Duldungsgründen im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG begründet lediglich ein für die Abschiebungsandrohung rechtlich unerhebliches sonstiges Abschiebungshindernis (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. vom 25.07.2000 - 9 C 42/99 -, AuAS 2001, 3; Beschl. vom 01.09.1998, aaO; Beschl. vom 29.06.1998 - 9 B 604/98 - zitiert nach Juris).

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Selbst wenn etwas anderes - ausnahmsweise - dann angenommen werden müsste, wenn bereits bei Erlass der Abschiebungsandrohung feststeht, dass der Ausreisepflichtige nicht in diesen Zielstaat wird (legal) ausreisen können, ergäbe sich im Ergebnis eine andere Beurteilung nicht. Denn in diesem Fall könnte das Bundesamt allein eine objektive Rechtspflicht verletzt haben, die es geboten hätte, die getroffene Zielstaatsbezeichnung zu unterlassen; eine Verletzung subjektiver Rechte des Ausländers wären nicht berührt. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Bundesamt bei Zweifeln über die Herkunft des Ausländers eine Abschiebungsandrohung erlassen darf, in der ein Zielstaat nicht konkret bezeichnet ist. § 50 Abs. 2 AuslG sieht die Bezeichnung des Zielstaates der Abschiebung nur für den Regelfall vor. Zielstaat wird zumeist der Staat sein, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt, bei Staatenlosen der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts; es kann je nach den Umständen des Falles aber auch ein sonstiger zur Aufnahme bereiter oder verpflichteter Drittstaat sein. Ist indes die Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt und - wie wohl regelmäßig - auch ein aufnahmebereiter anderer Staat nicht erkennbar, so liegen besondere Umstände vor, die ein Absehen von der Zielstaatsbezeichnung rechtfertigen. Insbesondere im Asylverfahren ist das Bundesamt als androhende Behörde in derartigen Fällen auch nicht verpflichtet, vor Erlass der Abschiebungsandrohung lediglich zur Ermittlung eines in Betracht kommenden Zielstaates weitere Aufklärung zu betreiben. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 AuslG und § 55 Abs. 2 AuslG obliegt die Klärung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat und die hierzu gegebenenfalls erforderliche Klärung der Staatsangehörigkeit des Ausländers grundsätzlich der abschiebenden Ausländerbehörde (BVerwG, Urt. vom 25.07.2000 - 9 C 42/99 - AuAS 2001, 3). Ist aber die Unterlassung der Zielstaatsbestimmung - ausnahmsweise -  möglich, kann auch die Angabe eines letztlich aus rechtlichen Gründen nicht erreichbaren Zielstaates nicht dazu führen, dass Rechte des Ausländers verletzt werden. Die entsprechende Bezeichnung verschlechtert seinen Rechtsstatus nicht, da sie gegenstandslos und auch sonst nicht mit für ihn ersichtlichen negativen Folgen verbunden ist. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit der wohl überwiegenden Ansicht (zum Meinungsstand vgl. Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Stand September 1999 § 50 Rn. 23; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 1999 § 50 AuslG Rn. 14 c) an, dass es sich bei der Sollvorschrift des § 50 Abs. 2 AuslG lediglich um eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift handelt, subjektive Rechte des Betroffenen insoweit aber nicht verletzt werden können (in diesem Sinne wohl auch BVerwG, Urt. vom 25.07.2000, aaO). Mit der Regelung in § 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG, wonach die Abschiebungsandrohung als solche selbst dann bestehen bleibt, wenn in ihr rechtswidriger Weise ein Zielstaat benannt ist, in Bezug auf den zwingende Abschiebungshindernisse bestehen, wäre es nicht vereinbar, eine subjektive Rechtsverletzung bereits dann anzunehmen, wenn nur förmlich ein bestimmter Zielstaat bezeichnet wird, obwohl es zulässig gewesen wäre, einen Zielstaat nicht zu bezeichnen.

50

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG abzuweisen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.