Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.03.2002, Az.: 3 B 41/02

räumliche Beschränkung; Wohnsitzauflage; Zuweisungsentscheidung; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
26.03.2002
Aktenzeichen
3 B 41/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41608
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung verliert ihre Wirkung, wenn dem Ausländer eine asylverfahrensunabhängige Duldung erteilt wird, mit deren längerfristigen Verlängerung zu rechnen ist.

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Monat März 2002 Leistungen gemäß dem AsylbLG zu bewilligen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

2

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).

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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Antragsteller hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem AsylbLG glaubhaft gemacht. Er gehört zu dem gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen nach dem AsylbLG. Durch Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen haben er und seine Lebenspartnerin glaubhaft gemacht, dass sie über keine eigenen Einkünfte für ihren Unterhalt verfügen und dass der Antragsteller dringend auf Hilfeleistungen nach dem AsylbLG angewiesen ist (Anordnungsgrund).

4

Der Antragsgegner ist die für die Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG örtlich zuständige Behörde. Seine örtliche Zuständigkeit folgt aus § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich im Falle des Antragstellers nicht mehr nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Zwar ist der Antragsteller im Rahmen der Durchführung des Asylverfahrens offenbar dem Land Nordrhein-Westfalen zugewiesen und dort in den Landkreis B. verteilt worden. Auch ist diese Entscheidung weder aufgehoben noch zurückgenommen worden. Die im Asylverfahren erteilte Aufenthaltsgestattung und die Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung haben aber im Falle des Antragstellers ihre Wirkung verloren. Die Kammer folgt der Auffassung, dass die Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung jedenfalls dann ihre Wirkung verliert, wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist, dem Ausländer eine vom Asylverfahren unabhängige Duldung erteilt wird und damit zu rechnen ist, dass sie für einen längeren Zeitraum, ggf. wiederholt, verlängert werden wird (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.08.1998 - 4 M 3575/98 -; Urt. d. Kammer v. 26.04.2001 - 3 A 232/00 -). Denn die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG und die mit ihr verbundene räumliche Beschränkung nach § 56 AsylVfG werden "zur Durchführung des Asylverfahrens" erteilt. Sie verlieren jedenfalls dann ihre Wirkung, wenn dem Ausländer - wie hier dem Antragsteller - eine vom Asylverfahren unabhängige Duldung erteilt wird und damit zu rechnen ist - wie hier -, dass sie für einen längeren Zeitraum verlängert werden wird (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.08.1998, a.a.O.). Dem Ausländer wird mit der Duldung ein asylunabhängiger Aufenthalt ermöglicht, der zur anderweitigen Erledigung der Zuweisungsentscheidung führt (s. § 43 Abs. 2 VwVfG - vgl. OVG Münster, Urt. v. 30.01.1997 - 25 B 2973/96 - unter Berufung auf das BVerwG, recherchiert in Juris). Vor diesem Hintergrund kann der Ansicht, die eine örtliche Zuständigkeit nach § 10a Abs. 1 Satz 1

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AsylbLG auch nach Erteilung einer asylverfahrensunabhängigen Duldung allein aufgrund des Fehlens einer Aufhebung der Zuweisungsentscheidung bejaht (vgl. GK-AsylbLG zu § 10a; VG Stuttgart, B. v. 13.07.1999 - 3130/99 -; VG Mainz, B. v. 27.10.1999 - 1 L 1062/99 - in GK-AsylbLG VII zu § 10a VG Nr. 1 und 3), nicht gefolgt werden (vgl. Urt. d. Kammer v. 26.04.2001 - 3 A 232/00 -). Damit ist gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG der Antragsgegner für die Leistungserbringung an den Antragsteller zuständig, da sich der Antragsteller unstreitig tatsächlich im Bereich des Antragsgegners aufhält.

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Der Umfang der von dem Antragsgegner zu gewährenden Leistung bestimmt sich nach den §§ 3 ff. AsylbLG und beschränkt sich nicht gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG auf die nach den Umständen unabweisbar gebotenen Hilfen. Gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG darf Leistungsberechtigten in Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, die für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten. Zwar ist gemäß § 56 Abs. 3 AuslG - unabhängig von der zuletzt erfolgten Streichung dieser Auflage - durch den nordrhein-westfälischen Landkreis B. die dem Antragsteller erteilte Duldung räumlich von Gesetzes wegen auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt. Trotz der Streichung der Auflage, den Wohnsitz in einer bestimmten Stadt zu nehmen, die eine Auflage im Sinne des § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG darstellte, und trotz der Streichung des Zusatzes in der Duldung, dass der Aufenthalt auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt sei, ist damit von Gesetzes wegen nicht eine ausländerrechtliche Aufenthaltsgestattung für den Bereich des Antragsgegners erfolgt. Auch sind bei einem etwaigen Auslaufen der Duldung wegen Zeitablaufes die genannten räumlichen Beschränkungen gemäß § 44 Abs. 6 AuslG erhalten geblieben. Gleichwohl kann der Antragsgegner aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles die Gewährung von Leistungen an den Antragsteller nicht einschränken oder ablehnen. Denn im Hinblick auf den hohen Rang der durch Art. 6 GG geschützten Familie spricht alles dafür, dass der Antragsteller ausländerrechtlich einen Anspruch darauf hat, dass ihm ein Wohnsitzwechsel zu seinem Kind und dessen Mutter gestattet wird, wie dies praktisch bereits durch zuvor erteilte zeitlich ausgedehnten Besuchserlaubnisse und durch das Streichen der Wohnsitzauflage geschehen ist. Im Hinblick auf den Schutz des Art. 6 GG ist es unerlässlich, dass der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bereich des Antragsgegners zum Zwecke der Ausübung der elterlichen Sorge mit seinem Kind ermöglicht wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Vortrag des Antragsgegners die Kindesmutter als Asylberechtigte anerkannt ist und nicht nur mit dem Antragsteller ein gemeinsames Kind hat, sondern zwei weitere Kinder, bei denen vermutlich eine gewisse Integration im Bereich des Antragsgegners eingetreten ist, zu versorgen hat, und von daher Überwiegendes dafür spricht, dass die durch Art. 6 GG geschützte familiäre Gemeinschaft aus humanitären Gründen im Gebiet des Antragsgegners ermöglicht werden muss. Vor diesem Hintergrund müssen die Einschränkungen gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG, mit denen einer unerwünschten Binnenwanderung von Ausländern begegnet werden soll, zurücktreten (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).

7

Das Gericht spricht im Hinblick auf den Grundsatz, dass Leistungen der Sozialhilfe und nach dem AsylbLG regelmäßig im einstweiligen Anordnungsverfahren wegen fehlenden Anordnungsgrundes nicht für die Vergangenheit zuzusprechen sind (st. Rspr. d. OVG Lüneburg), in ständiger Rechtsprechung eine Verpflichtung des Hilfeträgers zur Leistung erst ab dem 1. des Monats der gerichtlichen Entscheidung aus. Da der Antragsteller sein Begehren auf die Frist bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung beschränkt hat - eine solche Beschränkung wird von dem erkennenden Gericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg regelmäßig nicht ausgesprochen -, erfolgt allein wegen des eingeschränkten Antrages des Antragstellers eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungserbringung nur für den Monat der gerichtlichen Entscheidung.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.