Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.03.2002, Az.: 3 A 27/01
Erstattungsanspruch; länderübergreifende Verteilung; Verziehen
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 21.03.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 27/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42320
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 23.01.2003 - AZ: 12 LB 532/02
- BVerwG - 02.10.2003 - AZ: BVerwG 5 C 4.03
- BVerwG - 03.10.2003 - AZ: BVerwG 5 C 4.03
Rechtsgrundlagen
- § 10b Abs 3 AsylbLG
- § 10a Abs 2 AsylbLG
- § 51 AsylVfG
- § 107 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Auch im Falle einer länderübergreifenden Umverteilung liegt bei einem Erstattungsanspruch nach § 10b AsylbLG auslösendes "Verziehen" i.S.d. § 10b Abs. 3 AsylbLG vor.
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.084,75 € (= 13.856,56 DM) zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern V. F. und S. F. durch den Kläger weiter gewährten erforderlichen Leistungen nach dem AsylbLG einschließlich der erforderlichen Leistungen für Krankenhilfe zu erstatten, längstens jedoch für den Zeitraum bis zum 16. März 2001.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Tatbestand:
I.
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Leistungen nach dem AsylbLG.
Die Hilfeempfängerin V. F., geboren am 11. August 19.., und ihr Sohn S. F., geboren am 25.07.19.., stellten im September 1999 nach ihrer Einreise einen Asylantrag. Zur Durchführung des Asylverfahrens erhielten sie eine Aufenthaltsgestattung, zunächst unter räumlicher Beschränkung auf den Regierungsbezirk Braunschweig. Mit Bescheid vom 29.10.1999 wurden sie gemäß § 50 Abs. 4-6 i.V.m. § 60 AsylVfG für die Dauer des Asylverfahrens der Beklagten zugewiesen, die ihm Leistungen nach dem AsylbLG gewährte.
Aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 17. März 2000 wurden sie auf ihren Antrag hin unter Aufhebung der bisherigen Zuweisungsentscheidung für die Dauer des Asylverfahrens dem Land Berlin zum Zwecke der Familienzusammenführung mit dem Ehemann der Hilfeempfängerin zugewiesen. Sie erhielten eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens unter räumlicher Beschränkung auf das Land Berlin. Auf den Antrag vom 13. April 2000 hin gewährte der Kläger den Hilfebedürftigen laufende Leistungen nach den Vorschriften des AsylbLG.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2000 meldete der Kläger bei der Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 10 b Abs. 3 AsylbLG an und bat um dessen Anerkennung. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 2000 ab.
Daraufhin erhob der Kläger am 18. Januar 2001 Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt, der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 10 b Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylbLG. Auch der Umzug im Zuge einer länderübergreifenden Verteilung falle entgegen der Ansicht der Beklagten unter diese Vorschrift. § 10 b Abs. 3 AsylbLG sei vom Wortlaut her dem § 107 BSHG nachgebildet. Entscheidend für die Anwendung der Vorschrift sei ein tatsächlicher Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, ohne dass es darauf ankomme, dass dieser Wechsel Ausdruck der allgemeinen Freizügigkeit ist. Eine andere Auffassung führe zu einem praktischen Leerlauf des § 10 b Abs. 3 AsylbLG, da ein Umzug als Ausdruck der allgemeinen Freizügigkeit für einen Asylbewerber wegen der Regelungen des Asylverfahrensgesetzes gar nicht möglich sei. Dies folge auch aus § 10 a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG, wonach sich der gewöhnliche Aufenthalt nach der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung bestimme. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes setze danach begriffsnotwendig eine Änderung der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung voraus. Dementsprechend verlange § 10 b Abs. 3 AsylbLG für das Entstehen des Erstattungsanspruches weiter, dass der Umzug ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung erfolgt ist.
Der Kläger führt im Weiteren aus, dass er angesichts der Bindung der Beklagten an Recht und Gesetz eine Feststellungsklage habe erheben können. Die mit den Feststellungsanträgen geltend gemachten Ansprüche ließen sich auch noch nicht abschließend beziffern, da Krankenbehandlungskosten noch nicht abgerechnet worden seien.
Der Kläger beantragt, nachdem er den zunächst auch die Leistungen für das in Berlin geborene Kind A. umfassenden Antrag mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2001 zurückgenommen hat,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.856,56 DM zu zahlen.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern V. F. und S. F. durch den Kläger weiter zu gewährenden erforderlichen Leistungen nach dem AsylbLG zu erstatten, längstens jedoch bis zum 16. März 2001.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern V. F. und S. F. gewährten erforderlichen Leistungen für Krankenhilfe nach dem AsylbLG für die Dauer ihrer Leistungsbezüge im Land Berlin zu erstatten, längstens jedoch für den Zeitraum vom 13. April 2000 bis zum 16. März 2001.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ein Verziehen im Sinne des § 10 b Abs. 3 AsylbLG ausschließlich ein auf freiwilligem Entschluss bestehender Wechsel des Aufenthaltsortes sei. Eine Umverteilung könne nicht als Verziehen im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden. Dies ergebe sich auch aus der einhellig geäußerten Auffassung - mit Ausnahme des Landes Berlin - des Arbeitskreises IV der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen. Danach habe die nach der Umverteilung zuständig werdende Behörde keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die abgebende Behörde. Folgte man der Auffassung des Klägers, so hätte dies eine doppelte Belastung der Beklagten zur Folge, da sie für einen umverteilten Asylbewerber einen neuen Asylbewerber zugeteilt bekäme und zusätzlich die Kosten für den abgegebenen Asylbewerber weiter tragen müsse. Das klagende Land wäre dann begünstigt, da es entsprechend weniger Asylbewerber aufnehmen müsse und zusätzlich die Kosten für Leistungen an den umverteilten Asylbewerber erstattet bekäme. Nach dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 03.08.1999 habe deswegen eine Kostenerstattung nicht zu erfolgen, wenn der Asylbewerber aufgrund einer Umverteilung den Aufenthaltsort wechsele.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe
II.
Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen, soweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat. Im Übrigen ist die Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), zulässig und begründet.
Die Beklagte ist zur Erstattung der den Hilfeempfängern bis zum 16. März 2001 gewährten erforderlichen Leistungen gemäß § 10 b Abs. 3 AsylbLG verpflichtet. Nach dieser Vorschrift ist die Behörde des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, der nunmehr zuständigen Behörde die erforderlichen Leistungen außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 10a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zu erstatten, wenn ein Leistungsberechtigter ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung vom Ort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht und er innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel dieser Leistungen bedarf. Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch sind auch im vorliegenden Fall, in dem die Leistungsberechtigten auf ihren Antrag hin nach einer Umverteilung gemäß § 51 AsylVfG einen Aufenthaltswechsel vorgenommen haben, gegeben. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 10b Abs. 3 Satz 1 AsylbLG setzt einen rechtmäßigen Aufenthaltswechsel voraus, d.h. einen Wechsel der "ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung" erfolgt. Im Übrigen setzt der Erstattungsanspruch ein Verziehen vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt voraus. Nach dem Wortlaut und Wortsinn ist als ein "Verziehen" grundsätzlich jeder rechtmäßige tatsächliche Ortswechsel zu verstehen, also jeder Wegzug des Leistungsberechtigten vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort und Zuzug zum neuen Aufenthaltsort (so VG Greifswald, Urt. v. 26.01.1999 - 5 A 559/99 -, VG Chemnitz, Urt. v. 06.12.2000 - 5 K 1533/98 - und GK-AsylbLG, Stand 11.12.2000, § 10b Rz. 70 unter Hinweis auf Deibel, ZAR 1998, 28, 38). § 10b Abs. 3 AsylbLG ist dem § 107 BSHG nachgebildet (vgl. BT-Drs. 13/2746, S. 18). Das wortgleiche Merkmal des Verziehens ist dem Wortsinn nach in § 10 b Abs. 3 AsylbLG ebenso auszulegen wie in § 107 BSHG (a.A. VG Karlsruhe, Urt. v. 13.07.2001 - 8 K 3441/99 -, zitiert nach Juris). Danach ist Verziehen jeder tatsächliche Umzug, also jeder Wegzug des Leistungsberechtigten vom bisherigen und Zuzug zum neuen Aufenthaltsort, ohne dass es auf den Grund des Ortswechsels ankäme oder auf den Willen zum Umzug (vgl. hierzu Nds. OVG, B. v. 01.03.1999 - 4 L 2545/97 -; BVerwG, Urt. v. 18.03.1999 in FEVS 49, 434; Mergler/Zink, BSHG, § 107 Rn. 8). Auch ein Aufenthaltswechsel, der aufgrund einer länderübergreifenden Umverteilung nach § 51 AsylVfG erfolgt, unterfällt danach dem Tatbestand des § 10b Abs. 3 AsylbLG (a.A. VG Karlsruhe, a.a.O).
Der vom VG Karlsruhe vertretenen Auffassung, die die Beklagte teilt, § 10b Abs. 3
AsylbLG sei einschränkend auszulegen und nicht im Falle behördlicher Umverteilung von Hilfeempfängern anzuwenden, folgt das Gericht nicht.
Zuzustimmen ist dem VG Karlsruhe in der genannten Entscheidung darin, dass § 10b AsylbLG eine gerechte Verteilung der finanziellen Lasten unter den zuständigen Behörden anstrebt. Der gerechten Lastenverteilung dienen auch die Regelungen der §§ 52 i.V.m. 45 AsylVfG über die Aufnahmequoten bei Asylbegehrenden und im Falle der länderübergreifenden Verteilung. Dies hat, wie auch das VG Greifswald in seinem Urteil vom 26.01.1999 ausgeführt hat, zwar in Fällen wie dem vorliegenden unter Umständen zur Folge, dass der kostenerstattungspflichtige Hilfeträger im Falle einer Umverteilung bei gleichzeitiger Neuzuweisung von Asylbewerbern im Rahmen der Aufnahmequote in doppelter Weise zur Kostentragung verpflichtet ist. Den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich nicht entnehmen, ob der Gesetzgeber dieses Ergebnis gesehen und in Kauf genommen hat. Jedenfalls fehlt es im AsylbLG an einer Vorschrift, die, wie § 108 Abs. 6 BSHG, Fälle, in denen ein Aufenthaltswechsel aufgrund behördlicher Umverteilung erfolgt, von der Kostenerstattung ausnimmt. Allerdings spricht der dem § 107 BSHG nachempfundene Wortlaut wie auch die Wortbedeutung des Begriffes "Verziehen" gegen eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass ein solches "Verziehen" nur angenommen werden kann, wenn diesem "Verziehen" nicht eine behördliche Umverteilung nach § 51 AsylVfG zugrunde liegt. Da nach § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes abweichend von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I eine Änderung der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung voraussetzt, die im Falle des § 51 AsylVfG einen Antrag des Ausländers erfordert, spricht auch der Anwendungsbereich des § 10b Abs. 3 AsylbLG dagegen, die Fälle der Umverteilung nach § 51 AsylVfG von der Kostenerstattungspflicht auszunehmen. § 10b Abs. 3 AsylbLG findet außer in Fällen wie dem vorliegenden zwar auch in den Fällen anderer im Besitze einer Duldung befindlicher und ansonsten vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer i.S.d. § 1 Abs. 1 AsylbLG Anwendung. Gleichwohl bleibt als entscheidendes Argument gegen eine von der Wortbedeutung des Begriffes "Verziehen" abweichende einschränkende Auslegung der Erstattungsvorschrift des § 10b Abs. 3 AsylbLG der Umstand bestehen, dass damit gerade die Hauptgruppe der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG nicht dem Anwendungsbereich des § 10b Abs. 3 AsylbLG unterfiele.
Das Gericht vermag auch dem methodischen Ansatz des VG Karlsruhe (a.a.O.), das sich für seine abweichende Auffassung auf die Auslegung des Gesetzes nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift unter Zitat von Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, beruft, nicht zu folgen. Die Auslegung vom Wortlaut der Vorschrift her, die Ausgangspunkt der Gesetzesauslegung bleibt, ergibt im vorliegenden Fall, dass ein Verziehen im Sinne der Vorschrift auch im Falle einer Umverteilung vorliegt. Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung kommt aber nur in Betracht, wenn der Gesetzeszweck diese nicht nur nahe legt, sondern gebietet (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., Einleitung zu § 1 Rz. 35). Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gebieten aber keine abweichende Auslegung. Zwar führt die Kostenerstattungspflicht für den bisherigen Hilfeträger, wie bereits ausgeführt, dazu, dass diesen ein Jahr lang eine doppelte potentielle Kostentragungspflicht wegen der Neuzuweisung von Asylbewerbern treffen kann, während der neue Hilfeträger insoweit entlastet wird. Auf der anderen Seite wird dieses Ergebnis aber einmal durch die Beschränkung der Kostenerstattungspflicht auf ein Jahr nach dem Verziehen des Leistungsberechtigten und weiter durch den Umstand gemildert, dass z.B. im Falle von Familienzusammenführungen oder im Falle einer Umverteilung aus sonstigen humanitären Gründen, wie z.B. einer körperlichen oder seelischen Erkrankung, regelmäßig besonders die Kostenträger auf längere Zeit belastet werden, die für den Personenkreis des § 1 Abs. 1 AsylbLG als Zuzugsträger einen besonderen Anreiz zum Zuzug bieten. Dies sind in der Regel Ballungsgebiete, Großstädte mit besonderen sozialen Einrichtungen und sonstige Gebiete, in denen bereits ein hoher Anteil des fraglichen Personenkreises lebt. Von daher erscheint es nicht zwingend sachgerecht und geboten, entgegen der durch Auslegung ermittelten Wortbedeutung in Fällen wie dem vorliegenden eine Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG auszuschließen (ebenso VG Chemnitz, Urt. v. 13.02.2001, a.a.O.).
Die abweichende Auffassung der Arbeitsgruppe des Arbeitskreises IV der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen und der entsprechenden Landes- bzw. Bundesministerien (vgl. GK-AsylbLG, § 10a Rn. 121) vermag eine andere vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung abweichende Auslegung der Vorschrift ebenfalls nicht zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 188 VwGO.