Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.03.2002, Az.: 3 A 2/02

angemessene Schulbildung; Autismus; Autismustherapie; Bedarfsdeckung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
21.03.2002
Aktenzeichen
3 A 2/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41604
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einzelfall eines behinderten Jugendlichen, bei dem ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für zusätzliche ambulante Autismustherapie in einem Spezialzentrum an der Bedarfsdeckung durch spezielle Autistenförderung in der besuchten Schule für geistig Behinderte scheitert

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

I.

1

Der am 06.02.1984 geborene Kläger begehrt eine Kostenzusage des Beklagten für die Durchführung von wöchentlich zwei Fördereinheiten in der Ambulanz und Beratungsstelle für autistische Menschen in H. (H... GmbH) einschließlich der erforderlichen Fahrtkosten.

2

Er leidet an einer geistigen Behinderung und Autismus, sprachlich äußert er sich nicht. Er lebt bei seinen Eltern und besuchte von 1987 bis 1990 den heilpädagogischen Kindergarten in G.. Von 1990 bis 1992 wurde er in einer Tagesbildungsstätte betreut. Seit 1992 besucht er eine Schule für geistig Behinderte im Landkreis P., wo er eine spezielle Autistenförderung erhält. Am 13.11.2000 beantragte er beim Beklagten die Kostenübernahme für ambulante heilpädagogische Maßnahmen bei der H    GmbH im Wege der Eingliederungshilfe. Das daraufhin eingeholte Gutachten der Amtsärztin beim Beklagten vom 06.02.2001 stellt beim Kläger mehrfache Fehlbildungen unbekannter Ursache, eine geistige Behinderung mit deutlichen autistischen Zügen und Retardierung der motorischen Entwicklung fest. Leitsyndrom sei die geistige Behinderung. Das Gutachten empfiehlt als erforderliche Maßnahmen die Vorstellung bei der H    GmbH, Förderung der Kommunikation und Erprobung von Arbeitsangeboten sobald wie möglich. Unter dem 21.02.2001 verwies die damalige Klassenlehrerin des Klägers zur Frage der Notwendigkeit einer speziellen ambulanten Autistenförderung darauf, dass die Schule dies angeraten habe, da man sich aufgrund guter Erfahrungen in anderen Fällen von der zusätzlichen ambulanten Förderung, die durch Personen mit einem breiten Erfahrungsspektrum im Umgang mit autistischen Menschen erfolge, neue Zugänge zu versteckten Fähigkeiten und individuellen Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten des Klägers verspreche.

3

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 12.07.2001 lehnte der Beklagte eine Kostenübernahme unter Hinweis darauf ab, dass Eingliederungshilfe als Hilfe in besonderen Lebenslagen nur demjenigen gewährt werde, der minderjährig und unverheiratet sei und dessen Eltern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des Abschnitts 4 des BSHG nicht zuzumuten sei (§ 28 BSHG). Gemäß § 79 Abs. 2 BSHG komme eine Kostenübernahme nur in Betracht, wenn das monatliche Einkommen des Hilfesuchenden und seiner Eltern eine besondere Einkommensgrenze nicht übersteige. Da im Falle des Klägers die Einkommensgrenze um 8.078,03 DM überschritten werde und 80 % davon als einzusetzenden Einkommen zu betrachten seien, wäre ein Kostenbeitrag bis zur Höhe von 6.462,00 DM zu fordern. Da die einmal bzw. zweimal wöchentlich beantragte Betreuungseinheit 173,34 DM, d.h. im Monat 1.387,00 DM zuzüglich der Fahrtkosten betrage, liege dieser Betrag weit unter dem Kostenbeitrag. Eine Anwendung von § 43 Abs. 2 BSHG komme nicht in Betracht, da es sich um Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Satz 1 BSHG handele, wo in jedem Fall Einkommensgrenzen anzusetzen seien. Die Maßnahmen, bei denen auf einen Kostenbeitrag verzichtet werde, seien in § 43 Abs. 2 BSHG erschöpfend genannt. Dagegen hat der Kläger am 31.07.2001 Widerspruch erhoben. Er machte geltend, die Förderung solle seiner angemessenen Schulbildung dienen, da seine Fähigkeiten trainiert und erweitert werden sollen. Dementsprechend liege eine Eingliederungshilfemaßnahme gemäß § 40 Nr. 2a und Nr. 3 BSHG (a.F.) vor, welche auch in § 43 Abs. 2 BSHG genannt und für die das Einkommen nicht einzusetzen sei. Mit Bescheid vom 03.12.2002 lehnte der Beklagte den erhobenen Widerspruch ab. Zur Begründung führte er aus, für die Entscheidung über den Einsatz von Einkommen nach § 43 Abs. 2 BSHG sei maßgebend, welcher Hilfemaßnahme die Teilnahme an der ambulanten Autismustherapie zuzuordnen sei. Da der Kläger schulpflichtig sei, liege eine Eingliederungshilfemaßnahme im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG in der ab 01.07.2001 geltenden Fassung vor, der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemäß § 55 SGB IX einschließe. Insoweit liege ein Fall des § 55 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 SGB IX vor. Beide Fälle seien in § 43 Abs. 2 BSHG nicht genannt, was zur Folge habe, dass sich eine Kostenbeteiligung über die Kosten des Lebensunterhaltes hinaus nach § 28 BSHG aus Einkommen und Vermögen ergebe. Es handele sich nicht um eine schulische Maßnahme im Sinne von § 43 Abs. 2 Nr. 2 BSHG (n.F.). Eine ambulante Autismustherapie ermögliche und erleichtere zwar den Schulbesuch im Sinne von § 12 der Durchführungsverordnung zu § 47 BSHG, sei aber dennoch unabhängig von ihr. Die heilpädagogische Betreuung autistischer Kinder komme zwar auch dem Schulbesuch zugute, sie betreffe aber den Gesamtzustand des behinderten Kindes.

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Mit der am 03.01.2002 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, in § 43 Abs. 2 BSHG a.F. sei zwischen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (Nr. 2) und der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, wenn die Behinderung eine Schulbildung voraussichtlich nicht zulassen werde (Nr. 3), unterschieden und in beiden Fällen Eingliederungshilfe ohne Einsatz des Einkommens der Eltern zu gewähren gewesen. Bei der Auslegung der neuen gesetzlichen Regelungen, wie sie der Beklagte vorgenommen habe, würde dies eine eklatante Verschlechterung der Rechtsstellung der Hilfeempfänger ergeben, welche der Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt habe. Die Förderung diene gerade dazu, ihn dort zu fördern, wo er momentan herangebildet werde, nämlich im schulischen Bereich. Seine Fähigkeit, sich ausdrücken, in welcher Form auch immer, und am Schulleben und am Unterricht teilzunehmen, werde nachhaltig gefördert. Die von ihm seit einigen Monaten ohne finanzielle Unterstützung des Beklagten durchgeführten Therapieeinheiten durch die H     GmbH hätten bereits zu großen Erfolgen geführt. Innerhalb der Therapie sei begonnen worden, ihm im Wege der sogenannten Gestützten Kommunikation zu helfen, sich schriftlich auszudrücken. Er sei nunmehr in der Lage, mit seinem Vater über das Medium Computer langsam zu kommunizieren. Da man in der Schule schreiben lernen solle, stelle diese Förderung jedenfalls eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung dar.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 12.07.2001 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 03.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für den Besuch von wöchentlich zwei Fördereinheiten in der Ambulanz und Beratungsstelle für autistische Menschen in H. (H     GmbH) einschließlich der erforderlichen Fahrtkosten für die Dauer der Schulzeit des Klägers zu übernehmen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt er aus, es liege ein Fall des § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG a.F. bzw. gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG in der Fassung ab 01.07.2001 i.V.m. § 55 SGB IX vor. Dementsprechend sei das Einkommen und Vermögen der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen und die Einkommensgrenze des § 79 BSHG zugrunde zu legen, da die Maßnahme in § 81 BSHG nicht erfasst sei. Im Übrigen schließe der Nachranggrundsatz des § 2 BSHG den Anspruch aus. Der Kläger besuche die Sonderschule G und erhalte dort bereits eine spezielle Förderung für Autisten. Damit sei die spezielle, auf Behinderte ausgerichtete Sonderschule aufgrund ihrer Ressourcen in der Lage, den behinderungsbedingten schulischen Bedarf abzudecken. Die Kostenübernahme von pädagogischen Zusatzkräften könne nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers sein. Nicht jede Förderung sei auch eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, nur weil sie, wie im vorliegenden Verfahren, für diese auch nützlich sei.

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Die Kammer hat Beweis durch Vernehmung der Zeugin S. in der mündlichen Verhandlung erhoben. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2002 (Bl. 54 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

II.

12

Die zulässige Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch von wöchentlich zwei Fördereinheiten in der Ambulanz und Beratungsstelle für autistische Menschen in H. (H    GmbH) und der dafür erforderlichen Fahrtkosten für die Dauer der Schulzeit gegenüber dem Beklagten zu. Der Beklagte hat den vom Kläger gestellten Antrag mit dem Bescheid vom 12.07.2001 und dem Widerspruchsbescheid vom 03.12.2001 ermessensfehlerfrei abgelehnt.

13

Die Kammer stellt insoweit maßgeblich auf die §§ 39, 40, 43 in der vor dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung des BSHG ab. Zwar hat der Gesetzgeber die Vorschriften über die Eingliederung Behinderter durch das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (BGBl. I Nr. 27, S. 1046) umfassend neu geregelt und in diesem Zuge u.a. auch die Vorschriften zur Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG (Art. 15 SGB IX) geändert. Nach Art. 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sind aber auf Leistungen zur Teilhabe (nach dem SGB IX) bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die Vorschriften in der vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn der Anspruch vor dem Inkrafttreten des SGB IX entstanden ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn bei einem Erfolg der Klage wäre der Eingliederungshilfebedarf bereits nach altem Recht entstanden, weil der Antragsteller die Gewährung der Hilfe für die hier streitige Einzeltherapie bereits im November 2000 beantragt hatte (ebenso VG Osnabrück, B. v. 19.07.2001 - 6 B 14/01 -).

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Im Übrigen ergibt sich auch bei einer Anwendbarkeit der nach dem 01.07.2001 geltenden Regelungen kein Anspruch aus §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 4, 43 Abs. 2 Nr. 2 BSHG, da die Neuregelung durch das SGB IX  - jedenfalls im vorliegenden Verfahren - materiell zu keiner Änderung der Rechtslage führt.

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Gemäß § 39 BSHG (a.F.) ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Eingliederungshilfe wird gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. § 40 BSHG nennt in der Form nicht abschließend aufgezählter Regelbeispiele Maßnahmen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt werden können. Bei der Entscheidung des Sozialhilfeträgers, in welcher Form und in welchem Maß Eingliederungshilfe zu gewähren ist, handelt es sich gemäß § 4 Abs. 2 BSHG um eine Ermessensentscheidung. Die Regelung des § 40 BSHG gewährt nämlich im Grundsatz keinen Anspruch auf eine konkrete Maßnahme (BVerwG, Urt. v. 2. September 1993 - 5 C 50.91 - BVerwGE 94, 127, 133; VGH Mannheim, Urt. v. 18. Dezember 1996 - 6 S 2598/94 - Behindertenrecht 1997, 164 ff.). Das der Behörde eingeräumte Ermessen ist durch die aus § 39 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BSHG (a.F.) folgende Rechtspflicht bestimmt und begrenzt, im Einzelfall solche Maßnahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf die Person des Hilfesuchenden, die Art und Schwere seiner Behinderung am besten versprechen, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe so weit wie möglich und nachhaltig erfüllt werden können (BVerwG, Urt. v. 31. August 1995, Buchholz § 40 BSHG Nr. 19 Seite 8/9). Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe ist, dass ein ggf. bestehender Bedarf für eine Eingliederungsmaßnahme nicht bereits anderweitig gedeckt wird. Dies ist Ausdruck des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe, der sich aus § 2 Abs. 1 BSHG ergibt. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Es kommt darauf an, ob der Betroffene die benötigte Hilfe tatsächlich erhält oder alsbald und unschwer erhalten kann, ob er also über anderweitige sogenannte bereite Mittel verfügt, die die erforderliche Förderung ermöglichen (vgl. Nds. OVG, B. v. 06.11.1998 - 4 L 4221/98 -, VG Braunschweig, Urt. v. 01.07.1999, a.a.O., und vom 17.06.1999 - 3 A 3068/98 -).

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Der Kläger gehört unzweifelhaft dem Kreis der Personen im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG (a.F.) an, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind. Bei ihm liegt eine Behinderung vor, die seine Eingliederung in die Gesellschaft wesentlich erschwert. Nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem Gutachten der Amtsärztin des Beklagten vom 06.02.2001 leidet der Kläger an mehrfachen Fehlbildungen unbekannter Ursache, einer geistigen Behinderung mit deutlichen autistischen Zügen und Retardierung der motorischen Entwicklung, wobei Leitsyndrom die geistige Behinderung ist. Bei autistischen Störungen, wie sie beim Kläger u.a. vorliegen, handelt es sich um ein in unterschiedlicher Ausprägung vorkommendes, vom Verhalten her definiertes, psychopathologisches Syndrom, dessen Ursachen wissenschaftlich bisher noch nicht in allen Einzelheiten geklärt sind. Bei einer derartigen Erkrankung bestehen komplexe Störungen des zentralen Nervensystems, insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Bei ca. 50 % der Menschen mit einer autistischen Störung ist, wie beim Kläger, die Sprachentwicklung gestört, ebenso wie die Wahrnehmungsverarbeitung und das Sozialverhalten. Im Unterschied zu Menschen mit einer geistigen Behinderung mit deutlicher Intelligenzminderung sind Menschen mit autistischen Entwicklungsstörungen häufig kontrastierend zu den Verhaltensdefiziten auf anderen Gebieten mit speziellen Fertigkeiten begabt (vgl. Denkschrift zur Situation autistischer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland - 5. Aufl. 2001; s. auch Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates des Bundesverbandes für das autistische Kind, RdL 2/94, 21 ff.).

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Im vorliegenden Verfahren braucht nicht entschieden zu werden, ob die grundsätzliche Voraussetzung für die Förderungsfähigkeit einer ambulanten Autismustherapie als Eingliederungshilfemaßnahme, nämlich ihre fachliche Geeignetheit und Anerkennung, gegeben ist (vgl. für die Therapie zur Frühförderung nach Doman/Delacato, Urt. d. OVG Lüneburg v. 27.04.1994 - 4 L 3473/93 -, OVGE 44, 497). Ebenso kann letztlich dahinstehen, ob die begehrte Förderung bei der H    GmbH  isoliert betrachtet - wie vom Kläger behauptet - als Maßnahme der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG a.F. oder - wie vom Beklagten angenommen - als Maßnahme der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG a.F. qualifiziert werden kann. Jedenfalls hat der Beklagte eine Kostenübernahme unabhängig vom Einkommen und Vermögen des Klägers und seiner Eltern ermessensfehlerfrei abgelehnt. Eine derartige Kostenübernahme kommt allenfalls in Betracht, wenn ein ungedeckter Bedarf für eine in § 43 Abs. 2 BSHG (a.F.) genannte Eingliederungshilfemaßnahme besteht.

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Der Bedarf für eine danach allenfalls in Betracht zu ziehende Maßnahme der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (Abs. 2 Nr. 2) wird jedoch durch die spezielle Autistenförderung in der vom Kläger besuchten Schule für geistig Behinderte in I. gedeckt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung ist den während des letzten Jahrzehnts gewonnenen Erkenntnissen zu der Behinderungsform des Autismus, dessen Folgen und besonderen Therapieanforderungen an der Schule des Klägers vor drei Jahren dadurch Rechnung getragen worden, dass eine speziell für die Förderung von Autisten zuständige Lehrkraft eingestellt wurde. Dies hat im Fall des Klägers dazu geführt, dass die Zeugin S., welche als pädagogische Mitarbeiterin der Schule bereits jahrelang mit dem Kläger gearbeitet hatte, von dieser Lehrerin spezielle Anleitungen zum Umgang mit Autisten erhielt. Die Zeugin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass von ihr in Zusammenarbeit mit der speziell ausgebildeten Lehrerin für den Kläger ein Programm entwickelt wurde, welches auf die besonderen Bedürfnisse und Möglichkeiten des Klägers eingeht. Daraufhin ist mit dem Kläger in gestützter oder unterstützter Form die Zuordnung von Bildern, das Zeigen auf Tafeln mit drei ausgewählten Antworten und die Zuordnung von Ja-Nein-Antworten geübt worden. Diese Möglichkeiten der gestützten oder unterstützten Kommunikation sind in den Folgejahren weiter verfolgt worden. Als vor ca. 1 1/2 Jahren im Hinblick auf die Einsparung von Lehrern die Förderung durch die speziell ausgebildete Lehrerin in der Klasse des Klägers eingestellt wurde, war die Zeugin in der Lage, mit dem Kläger weiter in speziell auf seinen Autismus abgestimmter Art und Weise zu arbeiten. Die Zeugin hat vorgetragen, vor ca. 2 1/2 Jahren erstmals Kontakt mit der H    GmbH bekommen zu haben, da ein anderes von ihr betreutes autistisches Kind dort therapiert wurde. Durch den mehrmaligen Besuch der mit diesem Kind arbeitenden Therapeutin der H    GmbH in der Schule und einen eigenen Besuch bei der H   GmbH in H. hat sie ihre Kenntnisse über die speziellen Bedürfnisse von Autisten noch erweitert. Im hier umstrittenen Zeitraum erhielt bzw. erhält der Kläger in der Schule eine spezielle Autistenförderung, indem er ungefähr acht Stunden wöchentlich außerhalb des sonstigen Klassenverbundes intensiv mit der Zeugin Frau S. im Wege der gestützten Kommunikation am Computer arbeitet. In Anbetracht des kompetenten und engagierten Eindrucks, den die Zeugin Frau S. auf die Kammer in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, und unter besonderer Berücksichtigung der von ihr in den letzten Jahren erworbenen Spezialkenntnisse im Hinblick auf die Förderung von Autisten ist davon auszugehen, dass der im Rahmen der von einer Schule für geistig Behinderte zu vermittelnden Schulbildung bestehende Bedarf des Klägers in der Schule auf diese Weise in ausreichendem Maße gedeckt wird. Dabei sieht auch die Kammer, dass ggf. weitere Erfolge im Sinne einer Optimierung der Kommunikationsmöglichkeiten des Klägers (s. auch letzter Absatz der Stellungnahme der Therapeutin G. der H    GmbH vom 18.03.2002) durch eine spezielle Einzelförderung seitens der H    GmbH wahrscheinlich sind. Hilfen zur angemessenen Schulbildung i.S.v. § 43 Abs. 2 Nr. 2 BSHG a.F. sind jedoch nicht darauf ausgerichtet, über die Gewährleistung der Teilnahme am staatlichen Schulbildungssystem und die Möglichkeit zur Wahrnehmung der dort gebotenen Bildungschancen hinaus in jedem Einzelfalle die letzten Bildungsreserven des behinderten Schülers auszuschöpfen. Dass durch ("optimalen") Einzelunterricht letztlich jeder behinderte Schüler in seinen Kenntnissen und Fähigkeiten gefördert, zumindest aber stabilisiert werden könnte, liegt auf der Hand. Dies gilt im Übrigen aber auch für nicht behinderte Schüler. Auch diese können wegen der beschränkten Möglichkeiten der Schule und der stets gebotenen Rücksichtnahme auf andere Schüler etwa in den Fächern, in denen ihre besonderen Begabungsschwerpunkte liegen, nicht durchgehend die bestmögliche Ausbildung erhalten. Es ist in der Leistungsart Eingliederungshilfe lediglich Aufgabe der Sozialhilfe einen angemessenen Mindeststandard zu gewährleisten, keinesfalls jedoch darüber hinaus jede andere denkbare und nützliche Hilfemaßnahme zu Lasten des Sozialhilfeträgers zu gewährleisten (vgl. für privaten Einzelunterricht nach der Schulpflicht OVG Münster, Urt. v. 07.11.1985 - 8 A 778/84 -, FEVS 36, 25). Vor diesem Hintergrund steht dem Kläger auch während der Schulpflicht kein Anspruch darauf zu, im Wege der Eingliederungshilfe eine aus seiner Sicht optimale Förderung durch eine zusätzliche spezielle Einzeltherapie auf Kosten des Sozialhilfeträgers unabhängig vom Einkommen der Eltern zu erhalten.

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Nach alledem ist die Klage mit der für den Kläger negativen Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Gründe, die Berufung zuzulassen (§ 124 VwGO), sind nicht ersichtlich.