Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.03.2002, Az.: 3 B 428/01
Beihilfe; Heimkosten; Nachrang; Pflegewohngeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.03.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 428/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 42334
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Sozialhilfeträger ist bei notwendigem Heimaufenthalt zur Leistung verpflichtet, wenn Ansprüche nach Beihilfevorschriften und/oder Nds. PflegeG umstritten sind. Der Nachrang kann durch Überleitung der Ansprüche gesichert werden.
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab dem 1. März 2002 die derzeit nicht durch eigene Einkünfte und eigenes Vermögen und tatsächlich gewährte Leistungen anderer gedeckten Kosten der stationären Pflege des Antragstellers aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. aus W.dorf bewilligt.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zur Übernahme der bisher nicht gedeckten Heimkosten im Wege der einstweiligen Anordnung aus Sozialhilfemitteln zu verpflichten, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Antragsteller hat die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Regelung, d.h. einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Heimträgers vom 14.03.2002 ergibt, hat der Heimträger wegen Zahlungsrückständen, die sich im Dezember 2001 bereits auf einen Betrag von über 18.000,00 € beliefen, bereits einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge hat der Heimträger in der Vergangenheit auch mehrfach die Kündigung des Heimplatzes angedroht. Diese ist nach dem Vorbringen des Antragstellers bisher lediglich deswegen nicht erfolgt, weil der Heimträger davon ausgeht, dass im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren kurzfristig eine Entscheidung des Gerichts erfolgen wird. Daraus ergibt sich, dass dem Antragsteller ein Verlust seines Heimplatzes akut droht und damit die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung gegeben ist.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gemäß § 2 i.V.m. §§ 28, 68 ff. BSHG wird Hilfe in besonderen Lebenslagen, insbesondere Hilfe zur Pflege in einem Pflegeheim, gewährt, soweit dem Hilfesuchenden die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des Abschn. 4 des BSHG nicht zuzumuten ist. Nach § 2 BSHG erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält. Auch unter Berücksichtigung des Nachranggrundsatzes steht dem Antragsteller danach gegenwärtig gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu. Denn die zwischen der Antragsgegnerin und der Postbeamtenkrankenkasse streitigen vermeintlichen Beihilfeansprüche des Antragstellers können dem Sozialhilfeanspruch des Antragstellers nicht entgegengehalten werden, da es sich nicht um zeitlich rechtzeitig durchsetzbare Ansprüche handelt, d.h. um solche, die innerhalb des Bedarfszeitraums zu einem Einkommens- oder Vermögenszufluss führen (vgl. LPK, Kommentar zum BSHG, 5. Aufl., § 2 Rz. 17). Gleiches gilt wegen eines etwaigen Anspruches des Einrichtungsträgers, des Diakonischen Werkes e.V., auf Festsetzung und Auszahlung eines bewohnerbezogenen Aufwendungszuschusses für den Antragsteller, welchen das Diakonische Werk bereits mit Schreiben vom 13.08.1996 ab 01.07.1996 beantragt hat. Zwar besteht ein sozialhilferechtlicher Bedarf nicht, soweit an den Heimträger für den Antragsteller ein bewohnerbezogener Aufwendungszuschuss gewährt wird. Da dies derzeit jedoch nicht geschieht und entsprechende Anträge des Heimträgers bzw. des Antragstellers von der Antragsgegnerin bisher nicht ausdrücklich beschieden worden sind bzw. von dieser der Sache nach mit der Begründung abgelehnt werden, ein Anspruch auf bewohnerbezogenen Aufwendungszuschuss sei wegen fehlender Sozialhilfebedürftigkeit des Antragstellers bei Zahlung der nach Ansicht der Antragsgegnerin zu gewährenden Beihilfe durch die Postbeamtenkrankenkasse nicht gegeben, sind auch insoweit keine vorrangigen bedarfsdeckenden Mittel vorhanden, die einem Sozialhilfeanspruch des Antragstellers gemäß § 2 BSHG entgegengehalten werden könnten.
Der Antragsteller ist aber gehalten, die gerichtlichen Verfahren auf Gewährung von Beihilfe nach den Betreibensaufforderungen des Gerichts - vgl. 7 A 165/00 des VG Braunschweig - nunmehr auch zu betreiben und die Klagen ergänzend zu begründen.
Die erkennende Kammer hat im vorliegenden sozialhilferechtlichen Eilverfahren nicht darüber zu befinden, ob dem Antragsteller gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Deutsche Post AG, ein Anspruch auf Beihilfe in der von der Antragsgegnerin angenommenen Höhe zusteht. Über die insoweit von dem Antragsteller im Jahre 2000 angestrengten Klagen ist noch nicht entschieden. Die Auffassung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller stehe ein höherer als der ihm gewährte Beihilfeanspruch zu, fußt darauf, dass die Postbeamtenkrankenkasse bei monatlichen Pflegekosten in Höhe von 4.373,48 DM (2.236,12 €) im Dezember des Jahres 2001 lediglich den Pauschalbetrag für die Pflegestufe III in Höhe von monatlich 2.800,00 DM (1.431,62 €) als beihilfefähig anerkennt. Dies bedeutet, dass Pflegekosten in Höhe von 1.573,48 DM, nunmehr 804,51 €, monatlich nicht gedeckt werden. Daneben hat die Postbeamtenkrankenkasse einen Anspruch des Antragstellers auf Beihilfe für Unterkunft und Verpflegung einschließlich der Investitionskosten bei dauernder stationärer Pflege nach § 9 Abs. 7 der Beihilfevorschriften des Bundes mit der Begründung verneint, dass diese Aufwendungen den in den Beihilfevorschriften festgelegten, vom Einkommen abhängigen Eigenanteil nicht übersteigen. Die Aufwendungen, die nach der Rechnung des Diakonischen Werkes für den Monat Dezember für Unterkunft und Verpflegung monatlich 1.041,28 DM (532,40 €) und für Investitionskosten monatlich 699,66 DM (357,73 €), also insgesamt 1.740,94 DM (890,13 €) , betragen, übersteigen nach dem Vorbringen in dem beigezogenen Klageverfahren nicht 70 % der zu berücksichtigenden Versorgungsbezüge des Antragstellers in Höhe von ca. 1.873,90 DM (958,11 €), so dass auch insoweit ein Beihilfeanspruch des Antragstellers nach Auffassung der Beihilfe gewährenden Stelle nicht besteht. Bei Prüfung des Sozialhilfeanspruches des Antragstellers ist es nicht Aufgabe der erkennenden Kammer, das Bestehen eines möglichen Beihilfeanspruches des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob die Beihilfegewährung dem Alimentationsprinzip und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn entspricht und ob auch für den Fall des bereits seit 1995 im Pflegeheim befindlichen Antragstellers eine Begrenzung auf die Pauschalen des § 9 Abs. 7 Beihilfevorschriften zu erfolgen hat oder ob nach der Übergangsregelung - Art. 2. - im Falle des Antragstellers noch eine andere Berechnung zu erfolgen hat. Entscheidend ist, dass bei unstreitig bestehendem Bedarf des Antragstellers stationär untergebracht und gepflegt zu werden derzeit aus seinen eigenen Versorgungsbezügen, selbst wenn zu diesen die gewährte Weihnachtszuwendung und etwa bestehende Steuererstattungsansprüche hinzugezählt werden, und der gewährten Beihilfe und den gewährten Pflegeversicherungsleistungen eine Deckung seines Bedarfs nicht erfolgt, wegen der ablehnenden Beihilfebescheide eine solche Bedarfsdeckung auch nicht kurzfristig realisierbar ist und deswegen der Nachranggrundsatz des § 2 BSHG einem Sozialhilfeanspruch des Antragstellers nicht entgegengehalten werden kann.
Die Antragsgegnerin kann für den Fall, dass dem Antragsteller tatsächlich die ihrer Ansicht nach bestehenden Ansprüche auf Beihilfe bzw. Gewährung eines bewohnerbezogenen Aufwendungszuschusses zustehen, nach den hierfür gegebenen Vorschriften des § 90 BSHG bzw. §§ 102 ff. SGB X ihre rechtlichen Ansprüche dadurch sichern, dass sie diese vermeintlichen Ansprüche auf sich überleitet bzw. eine Erstattung wegen der Vorleistungen der Sozialhilfe geltend macht.
Das Gericht spricht in ständiger Rechtsprechung in einstweiligen Anordnungsverfahren Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen erst ab dem 1. des Monats seiner Entscheidung zu. Da auch im vorliegenden Verfahren nichts Gegenteiliges geltend gemacht wird, ist davon auszugehen, dass das Diakonische Werk, bei teilweise bereits titulierten Ansprüchen, im Hinblick auf die Übernahme der nicht gedeckten Heimkosten durch den Sozialhilfeträger ab März des Jahres bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin von einer Kündigung des Heimplatzes absehen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.
Dem Antragsteller war für das einstweiligen Anordnungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. zu bewilligen.