Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 12.11.2018, Az.: AGH 13/18 (II 12/12)

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
12.11.2018
Aktenzeichen
AGH 13/18 (II 12/12)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74567
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2018 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Rechtsanwalt im Bezirk der Beklagten. Er führt in drei Fachanwaltsgebieten einen Fachanwaltstitel und zwar seit 2011 für Verwaltungsrecht, seit 2012 für Bau- und Architektenrecht und seit 2016 für Vergaberecht.

Im Jahre 2017 hat der Kläger an insgesamt 44 Fortbildungsstunden teilgenommen:

1. Neue Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht am 31.03.2017 mit 7,5 Zeitstunden

2. Berliner Konzessionsrechtstage am 6./7. April 2017 mit 9 Zeitstunden

3. Vergabe von Planungs- und Beratungsleistung (Architekten und Ingenieure) am 12.05.2017 mit 5 Zeitstunden,

4. Das neue Bauvertragsrecht/Aktuelle Rechtsprechung am 30. Juni 2017 mit 10 Zeitstunden, Ausschlussgründe, Vergabesperre und Selbstreinigung am 10.11.2017 mit 5 Zeitstunden,

5. Aktuelle Rechtsprechungsübersicht im öffentlichen Baunachbarrecht am 01.12.2017 mit 7,5 Zeitstunden,

wobei die Fortbildung zu Ziff. 3 sowohl für das Fachgebiet Vergaberecht als auch für das Fachgebiet Bau- und Architektenrecht vorgesehen ist.

Der Kläger hat beantragt, die fünfstündige Fortbildung Nr. 3 jeweils mit fünf Zeitstunden sowohl für das Fachgebiet Vergaberecht als auch für das Fachgebiet Bau- und Architektenrecht in Anrechnung zu bringen. Mit einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 07.02.2018 -Aktenzeichen ###- hat die Beklagte ein Pflichtversäumnis des Klägers über eine Zeitstunde Fachanwaltsfortbildung im Fachbereich Bau- und Architektenrecht festgestellt, nachdem der Kläger hilfsweise beantragt hatte, von der strittigen Fortbildung zu Ziff. 3 eine Stunde im Vergaberecht und vier Stunden im Bau- und Architektenrecht in Anrechnung zu bringen. Unter Berücksichtigung der Fortbildung zu Ziff. 4 ergeben sich danach lediglich 14 Fortbildungsstunden im Bereich Bau- und Architektenrecht im Jahre 2017. Die Zeitstunden für die beiden anderen Fachgebiete sind vollständig erbracht.

Gegen den Bescheid vom 07.02.2018 hat der Kläger am 26.02.2018 Klage erhoben, die am 01. März 2018 beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof eingegangen ist. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Fortbildungsveranstaltung "Vergabe von Planungs- und Beratungsleistungen (Architekten und Ingenieure)" vom 12.05.2017, die sowohl als Pflichtfortbildung im Bau- und Architektenrecht als auch im Vergaberecht ausgewiesen ist, doppelt angerechnet werden kann, d.h. nach seiner Auffassung seien jeweils fünf Stunden im Vergaberecht als auch im Bau- und Architektenrecht anzuerkennen. Er führt aus, dass § 15 Abs. 3 FAO nur vorsehe, dass 15 Zeitstunden in jedem Fachgebiet absolviert werden müssen, wobei keine Regelung für eine doppelte Anrechnung vorgesehen sei. Er führt aus, dass die Fortbildungspflicht der fortlaufenden Aktualisierung der theoretischen Kenntnisse und der Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards der Fachanwälte diene. Die Fortbildungspflicht müsste daher zu einer Erweiterung des Kenntnisstandes des Anwaltes auf dem entsprechenden Rechtsgebiet führen, es ginge nicht darum, eine bestimmte Zeitspanne "abzusitzen". Wenn eine Fortbildung für mehrere Fachgebiete vorgesehen und geeignet sei, müsse diese Fortbildung auch doppelt gewertet werden können. Anderenfalls könne der Anwalt ein und dieselbe Veranstaltung zweimal besuchen, was der Fortbildungspflicht genüge, ohne dass ein zusätzlicher Kenntnisgewinn gegeben sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 07.02.2018 festzustellen, dass der Kläger im Jahre 2017 die erforderlichen Zeitstunden für Fachanwaltsfortbildungen für den Fachbereich Bau- und Architektenrecht absolviert hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass § 15 Abs. 3 FAO festlege, dass je Fachgebiet 15 Zeitstunden Fortbildung nachgewiesen werden müssen. In der Satzungsversammlung sei mit Beschluss vom 15.06.2009 durch die Worte "je Fachanwaltschaft" klargestellt worden, dass die Gesamtdauer der Fortbildung in jedem Fachgebiet 15 Stunden nicht unterschreiten dürfe. Das bedeute, dass Fachanwälte in jedem ihrer Fachgebiete 15 Zeitstunden pro Kalenderjahr nachweisen müssten. In dem Protokoll der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung vom 15.06.2009 heiße es dazu weiter "dies gelte auch bei dem - im Übrigen natürlich zulässigen - Besuch von Kombinationsveranstaltungen, die thematisch mehrere Gebiete abdecken." Dies schließe aus, dass eine einzige Fortbildungsveranstaltung im Hinblick auf die Stundenzahl doppelt für zwei Fachgebiete verwertet werden könne. Eine Doppelverwertung widerspreche klar dem Willen der Satzungsversammlung. Anderenfalls würde ein Fachanwalt, der zwei Fachanwaltstitel führt, bei Besuch einer einzigen für beide Fachgebiete geeigneten 15-stündigen Fortbildungsveranstaltung damit seiner Fortbildungspflicht nachkommen. Dies sei nicht gewollt.

Die Fachanwaltsakten betreffend den Kläger (4 Bände) lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erhoben.

1.

Der Kläger wendet sich zu Recht mit der Anfechtungsklage gemäß §§ 112 c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 VwGO gegen den Bescheid der Beklagten vom 07.02.2018. Mit diesem Bescheid stellt die Beklagte ein Pflichtversäumnis des Klägers über eine Zeitstunde Fachanwaltsfortbildung im Bereich des Bau- und Architektenrechts fest. Die Beklagte hat für diese Feststellung als Entscheidungsform die Rechtsform eines Verwaltungsaktes gewählt, wobei die Entscheidung alle Elemente eines Verwaltungsaktes enthält. Es kommt insoweit allein auf die Form des Behördenhandelns an, sodass die Anfechtungsklage zulässig ist, selbst wenn es sich nicht um einen Verwaltungsakt handelt (vgl.Eyermann-Happ, VwGO 14. A. § 42 Rz. 6). Denn ob die Beklagte in der Form eines Verwaltungsaktes handeln durfte, ist allein eine Frage der Begründetheit (BVerwG NVwZ 1985, 264 [BVerwG 09.11.1984 - BVerwG 7 C 5.84]). Hier kommt es darauf an, ob für die Entscheidung der Beklagten in Form eines Verwaltungsaktes eine Rechtsgrundlage besteht. Eine solche ist nicht erkennbar. Insbesondere bieten weder die BRAO noch die FAO noch das VwVfG eine Ermächtigung zu der getroffenen Feststellung, dass dem Kläger ein Pflichtversäumnis anzulasten ist. Soweit die Beklagte vorab zugleich – d.h. vor einer Entscheidung über den Widerruf der Fachanwaltszulassung - mitteilt, dass die erforderlichen Fortbildungszeitstunden nicht abgeleistet sind, handelt es sich um eine bloße Mitteilung ohne jegliche Rechtsfolgen. Der Bescheid vom 07.02.2018 ist nach alledem aufzuheben.

Da der Kläger aus den vorgenannten Gründen keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes hat, ist für sein über die Anfechtung hinausgehendes Begehren allerdings auch die Verpflichtungsklage nicht statthaft; § 43 Abs. 2 VwGO steht daher der Feststellungsklage nicht entgegen.

2.

Der Kläger hat im Übrigen ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ob die von ihm absolvierten Fachanwaltsstunden ausreichen. Das rechtliche Interesse gründet sich darauf, dass er anderenfalls mit einem Widerruf seiner Fachanwaltszulassung gemäß §§ 43 c Abs. 4 Satz 2 BRAO, 25 FAO rechnen muss und überdies zu seinen Lasten ein Pflichtversäumnis angenommen würde, das unter Umständen für ihn disziplinarrechtliche Konsequenzen haben könnte.

Insoweit unterliegt die Klage jedoch der Abweisung.

Die Fortbildungspflicht als solche, die in § 15 FAO normiert ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. § 43 c Abs. 4 Satz 2 BRAO bildet zulässiger Weise die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Fortbildungspflicht, die sich aus § 59 b Abs. 2 Nr. 2 BRAO herleiten lässt (so BVerfG MDR 2002, 299 [BVerfG 04.01.2002 - 1 BvR 2011/01]). Die Fortbildungspflicht dient der Qualitätssicherung, d.h. eines einheitlichen Qualitätsstandards für alle Fachanwälte.

Nach § 15 Abs. 3 FAO darf die Gesamtdauer der Fortbildung je Fachgebiet 15 Zeitstunden nicht unterschreiten. Stellt man auf den Wortlaut ab, ist die Regelung eindeutig, d.h. jeder Fachanwalt muss pro Fachgebiet 15 Zeitstunden pro Jahr ableisten. Eine Regelung zu einer Doppelverwertung von Fortbildungsstunden enthält § 15 Abs. 3 FAO nicht. Diese wäre jedoch erforderlich, wenn der Satzungsgeber Derartiges vorgesehen hätte. Eine Regelungslücke ist hier nicht vorhanden, denn der Wille des Satzungsgebers ist eindeutig, wie sich aus den vom Senat herangezogenen Materialien der Satzungsversammlung ergibt:

a. Zu der Frage, ob bei Führung von zwei Fachanwaltstiteln auf sich überschneidenden Rechtsgebieten Kombinationsveranstaltungen von 1x10 Zeitstunden ausreichen, hat die 3. Sitzung des Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung am 06.10.2008 beschlossen, dass das gerade nicht ausreicht und pro Fachgebiet zehn Zeitstunden nachgewiesen werden müssen.

b. Nach TOP 3.2 der Antragsliste des für die Fachanwaltschaften zuständigen Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung ist am 19.01.2009 festgehalten worden, dass der Fachanwalt auf jedem Gebiet 15 Zeitstunden Fortbildung nachweisen muss. Dies sollte durch die Aufnahme der Worte "je Fachgebiet" sichergestellt sein, wobei Kombinationsveranstaltungen grundsätzlich zulässig sind, die thematisch mehrere Themengebiete abdecken (SV - Mat. 20/2009).

c. Im Protokoll über die 4. Sitzung des Ausschusses 1 der 4. Satzungsversammlung am 19.01.2009 heißt es dazu ausdrücklich:

"Die Klarstellung, das ein Fachanwalt im Rahmen des § 15 FAO je Fachgebiet Fortbildung nachweisen muss, bedeutet, dass für ihn eine Doppelzählung grundsätzlich ausgeschlossen ist". Dieser Vorschlag ist einstimmig angenommen worden.

d. Dies ist entsprechend dem Antrag anlässlich der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 15.06.2009 unter Ziff. VIII entsprechend beschlossen worden (s. BRAK-Mitt. 6/2009 S. 280). Im Protokoll der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 15.06.2009 in Berlin heißt es auf Seite 18 ausdrücklich:

"Wer also zwei, demnächst auch 3 Fachanwaltsbezeichnungen führt, müsse also 2 mal 15 oder 3 mal 15 Zeitstunden Fortbildung absolvieren."

Insoweit hat der Satzungsgeber die Problematik sehr wohl gesehen und bewusst die Regelung getroffen, dass pro Fachgebiet jeweils 10 Stunden (jetzt 15 Stunden) nachgewiesen werden müssen. Dabei ist von Bedeutung, dass es sich um eine Art formalisierten Fortbildungsnachweis handelt, der die Qualität der Fachanwälte sicher nicht allein sicherstellen kann. Denn ein Fachanwalt, der auf einem bestimmten Fachgebiet nicht umfangreich tätig ist, wird den Qualitätsstandard auch kaum halten können. Insoweit kann mit der formalisierten Nachweispflicht nur ein Mindeststandard geschaffen werden, der nur auf diese Weise kontrolliert und bei Verstoß gegen die Nachweispflicht sanktioniert werden kann. Da es sich um einen formalisierten Nachweis handelt, kann diese Nachweispflicht nicht „aufgeweicht" werden. Eine Einzelfallprüfung ist vom Satzungsgeber gerade nicht gewollt und im Übrigen auch kaum praktikabel. Es ist daher klar festgelegt, durch welche Veranstaltungen der Nachweis geführt werden kann. Entsprechendes gilt für die Zeitstunden. Es gibt in mehreren Bereichen der Fachanwartschaften sich überschneidende Gebiete. Der Senat verkennt nicht, dass es durchaus eine 15-stündige Fortbildungsveranstaltung geben kann, die zwei Fachgebieten vollständig gerecht wird. Wenn der Satzungsgeber jedoch eine Doppelverwertung gewollt hätte, hätte dieses ausdrücklich geregelt werden müssen. Darüber hinaus folgt, wenn man eine Doppelverwertung anerkennt, daraus eine Ungleichbehandlung der Fachanwälte verbunden mit einem Eingriff in Art. 3 GG, für den der Satzungsgeber nicht ermächtigt wäre.

Nach alledem kann ein Fortbildungsnachweis, der grundsätzlich für zwei Fachgebiete geeignet wäre, nicht gleichzeitig auf die Fortbildungspflicht für zwei bestehende Fachanwaltsbezeichnungen angerechnet werden (so auch Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Auflage § 15 Rz. 23; Rechtsanwalt Christoph Podszun, Der Fortbildungsnachweis nach § 15 FAO in der Kammerpraxis (Heft 5/2010 Rechtsanwaltskammer Hamm vorletzter Absatz); Feuerich-Weiland, BRAO, 9. Auflage, § 15 FAO Rz. 6). Dem Kläger ist zuzugeben, dass es inhaltlich, abgesehen von der Stundenzahl pro Fachgebiet, keinen Unterschied machen kann, wenn er an einer Veranstaltung teilnimmt, die grundsätzlich für zwei Fachgebiete geeignet ist. So haben sich die Berliner Empfehlungen 2009 unter Ziffer II.14 dafür ausgesprochen, dass bei Überschneidungen der Themen durch den Besuch eines Fachlehrganges eine Fortbildung für ein anderes Gebiet nachgewiesen werden kann und eine Doppelverwertung hier ausnahmsweise möglich sei. Dies steht allerdings im klaren Widerspruch zum Willen des Satzungsgebers und insbesondere im Widerspruch zu der formalisierten Behandlung der Fortbildungsnachweise. Eine einheitliche, eindeutige, formalisierte Handhabung ist ausgeschlossen, wenn derartige Doppelverwertungen möglich wären, die vom Satzungsgeber ausdrücklich nicht gewollt sind. Dementsprechend ist die Fassung des § 15 Abs. 3 FAO im Beschluss der 5. Sitzung der 5. Satzungsversammlung vom 6./07.12.2013 insoweit unverändert geblieben. Es heißt dort weiterhin "Die Gesamtdauer der Fortbildung darf je Fachgebiet 15 Zeitstunden nicht unterschreiten“. Der Nachweis von 15 Fortbildungsstunden ist danach Mindestvoraussetzung für die Fachanwaltsfortbildung. Die Anforderungen an die Fortbildungspflicht würden zudem aufgeweicht, wenn hier Doppelverwertungen, möglicherweise sogar für zwei oder drei Fachgebiete zugelassen würden, weil Kombinationsveranstaltungen immer Elemente verschiedener Fachgebiete beinhalten und in Bezug auf das eine oder andere Fachgebiet denknotwendigerweise „weniger“ Stoff bieten als eine Fortbildung, die auf nur ein Fachgebiet abzielt. Eine derartige Regelung hätte einer ausdrücklichen Entscheidung des Satzungsgebers bedurft. Die vom Kläger vorgenommene Auslegung ist daher mit § 15 III FAO nicht in Einklang zu bringen und die Klage im Hinblick auf den Feststellungsantrag abzuweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 112c Abs. 1 BRAO, 155 Abs. 1 VwGO.

4. Gründe zur Zulassung der Berufung gemäß den §§ 112c Abs. 1, 112e BRAO i.V.m. §§ 124 Abs. 2, 124 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.

5. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 194 Abs. 1 Satz 2 BRAO i.V.m. § 52 II GKG.