Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 12.11.2018, Az.: AGH 29/17 (II 23/6)

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
12.11.2018
Aktenzeichen
AGH 29/17 (II 23/6)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74564
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der im Jahr  ...  geborene Kläger wurde im Jahr 1975 zur Anwaltschaft zugelassen und übt seitdem seine Berufstätigkeit im Bezirk der Beklagten aus.

In der Vergangenheit hatte die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft bereits mit Bescheiden vom 24.10.2013 (Blatt 160 ff. der Personalakte) und vom 03.05.2016 (Blatt 303 ff. der Personalakte) wegen Nichtunterhaltens der vorgeschriebenen Berufshaftpflichtversicherung nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO widerrufen. Diese Widerrufsbescheide wurden von der Beklagten mit Bescheiden vom 01.11.2013 (Blatt 173 der Personalakte) und vom 12.05.2016 (Blatt 316 der Personalakte) wieder aufgehoben, nachdem die Haftpflichtversicherung des Klägers jeweils bestätigt hatte, dass ein lückenloser Versicherungsschutz nach den gesetzlichen Bestimmungen bestand.

Nachdem der Beklagten darüber hinaus eine Vielzahl von Vollstreckungsversuchen gegen den Kläger bekanntgeworden war, hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 02.08.2017 zu dem beabsichtigten Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls an und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23.08.2017. Insbesondere forderte sie den Kläger zur Stellungnahme zu den gegen ihn zu diesem Zeitpunkt betriebenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf und forderte ihn außerdem auf, seine Vermögensverhältnisse, seine monatlichen Einkünfte und den aktuellen Stand seiner Verbindlichkeiten detailliert darzulegen (Blatt 355-357 der Personalakte). Eine Stellungnahme des Klägers erfolgte nicht. Der Vorstand der Beklagten beschloss daraufhin in seiner Sitzung am 30.09.2017, die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls zu widerrufen (Blatt 366 f. der Personalakte). Die Beklagte widerrief mit Bescheid vom 12.10.2017, der dem Kläger am 17.10.2017 zugestellt wurde (Blatt 364 f. der Personalakte), die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO (Blatt 361-363 der Personalakte). Die Beklagte stützt den Widerrufsbescheid auf zwei Eintragungen des Klägers in dem vom Zentralen Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis (§ 882b Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und weitere gegen den Kläger geführte Vollstreckungsverfahren. Dazu führt die Beklagte im Widerrufsbescheid folgendes aus:

1.

Zwangsvollstreckung der ...   ...  aus einem Vollstreckungsbescheid des AG  ...  vom 04.08.2015 über eine Forderung in Höhe von 1.901,70 EUR. Das AG  ...  hat am 12.07.2017 einen Haftbefehl gegen den Kläger erlassen, da dieser den Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 06.07.2017 nicht wahrgenommen hat. Aufgrund einer Eintragungsanordnung der Gerichtsvollzieherin  ...  vom 06.07.2017 zu DR II 687/17 erfolgte die Eintragung "Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ (§ 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO) im Schuldnerverzeichnis des Zentralen Vollstreckungsgerichts Niedersachen (Blatt 300-302, 304, 308 des Beihefts zur Personalakte der Beklagten).

2.

Zwangsvollstreckung der ...   ...  aus einem Vollstreckungsbescheid des AG  ...  vom 07.03.2016 über einen Betrag in Höhe von 1.341,82 EUR. Veranlasst durch die Eintragungsanordnung der Gerichtsvollzieherin  ...  vom 30.03.2017 erfolgte die Eintragung "Nichtabgabe der Vermögensauskunft" (§ 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO) im Schuldnerverzeichnis des Zentralen Vollstreckungsgerichts Niedersachsen (Blatt 303, 307 des Beihefts der Beklagten).

3.

Zwangsvollstreckung des Finanzamtes  ... -Land aus einer Vollstreckungsverfügung vom 10.03.2016 über rückständige Steuerforderungen in Höhe von 14.114,83 EUR (Stand 21.02.2017). In diesem Zwangsvollstreckungsverfahren erging mit Beschluss des AG  ...  vom 15.03.2016 ein Haftbefehl gegen den Kläger, da dieser nicht zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 30.11.2015 erschienen ist (Blatt 270 des Beihefts). Die Zwangsvollstreckung wurde zwischenzeitlich ausgesetzt (Blatt 350 der Personalakte), eine Erledigung ist jedoch nicht nachgewiesen.

4.

Zwangsvollstreckung des Kammerbeitrags 2017 in Höhe von 330,00 EUR durch die Beklagte aus einer vollstreckbaren Zahlungsaufforderung vom 05.07.2017. Die Forderung wurde zwischenzeitlich bezahlt (Blatt 321 der Personalakte). Des Weiteren hat die Beklagte einen Zwangsgeldfestsetzungsbeschluss vom 01.06.2017 in Höhe von 250,00 EUR gegen den Kläger erlassen (Blatt 299 des Beihefts).

5.

Zwangsvollstreckung der ... -Versicherung AG aus einem Vollstreckungsbescheid des AG  ...  vom 31.05.2016. In diesem Verfahren hat das AG  ...  am 07.11.2016 einen Haftbefehl gegen den Kläger erlassen, da er zu dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft am 17.10.2016 nicht erschienen ist (Blatt 280 des Beihefts der Beklagten). Die Forderung wurde nach Mitteilung der Gerichtsvollzieherin vom 07.12.2016 vollständig beglichen (Blatt 290 des Beihefts).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 12.10.2017 (Blatt 361-363 der Personalakten) Bezug genommen.

Diesen Widerruf seiner anwaltlichen Zulassung greift der Kläger mit seiner am 17.11.2017 vorab per Telefax eingereichten Klage an. Nachdem der Kläger zunächst zur Vorbereitung der Klagebegründung Akteneinsicht beantragt hatte und ihm diese am 15.03.2018 auf der Geschäftsstelle des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs gewährt wurde, erfolgte auch innerhalb der antragsgemäß verlängerten Frist keine Klagebegründung.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.10.2017 betreffend den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls, zugestellt am 17.10.2017, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dem Senat lagen die bei der Beklagten geführten Personalakten bestehend aus Band I (Blatt 1-58), Band II (Blatt 59-179) und Band III (Blatt 298-380), das Beiheft zur Personalakte "Mitteilungen über Klagen und Vollstreckungsmaßnahmen“ bestehend aus Band I (Blatt 1-238) und Band II (Blatt 239 bis Blatt 324) und eine Reproduktion der elektronischen den Kläger betreffenden Beschwerdeakte vor. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

1.

Die Klage ist zulässig.

Die mit Schriftsatz vom 17.11.2017 erhobene Klage gegen den am 17.10.2017 zugestellten Bescheid der Beklagten vom 12.10.2017 ist noch am 17.11.2017 per Telefax beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof eingegangen und war somit fristgemäß.

2.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Nach § 112c Abs. 1 BRAO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein belastender Verwaltungsakt der Aufhebung, wenn er rechtswidrig ist und der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Die Beklagte hat die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft mit Bescheid vom 12.10.2017 gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO jedoch zu Recht widerrufen. Aus diesen Gründen ist die Klage abzuweisen.

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung eines Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist. Von einem Widerruf kann nur abgesehen werden, wenn die Interessen der Rechtssuchenden nicht gefährdet sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind - neben der Eintragung im Schuldnerverzeichnis - insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen sowie der Erlass eines Haftbefehls in einem solchen Verfahren gegen ihn (BGH, Beschluss vom 28.09.2015 - AnwZ (Brfg) 23/15, Rn. 7 mwN. zur ständigen Rechtssprechung, zitiert nach juris). Der Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen ist.

Dabei ist nach der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens - hier des Widerrufsbescheids vom 12.10.2017 - abzustellen; danach eintretende Entwicklungen bleiben der Beurteilung in einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (BGH, Beschluss vom 29.06.2011, AnwZ (Brfg) 11/10, Rn. 9 ff.; Beschluss vom 28.09.2015, aaO., beide zitiert nach juris).

Die Beklagte hat zu Recht angenommen, dass im Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung ein Vermögensverfall des Klägers eingetreten war und dass wegen des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet waren.

a)

Der Kläger war zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung der Beklagten am 12.10.2017 in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen, weshalb gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ein Vermögensverfall gesetzlich vermutet wird.

Ein Rechtsanwalt, der im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, muss zur Widerlegung der Vermutung eines Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und dartun, dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachhaltig geordnet sind (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2014, AnwZ (Brfg) 83/13, Rn. 5 mwN., zitiert nach juris). Dies hat der Kläger nicht getan. Er hat weder im Rahmen der Anhörung durch die Beklagte im Verwaltungsverfahren, noch im vorliegenden Klageverfahren seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse dargelegt und auch nicht konkret vorgetragen, auf welche Weise er zukünftig seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen will.

b)

Die Beklagte ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass durch den Vermögensverfall des Klägers die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet sind. Nach der gesetzlichen Wertung in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im - nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen - Interesse der Rechtssuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden. Hierzu trägt der Rechtsanwalt die Feststellungslast (BGH, Beschluss vom 26.02.2014, aaO., Rn. 8 mwN. zur ständigen Rechtssprechung des BGH, zitiert nach juris).

Der Vermögensverfall eines Anwalts lässt befürchten, dass dessen Gläubiger auf Gelder der Mandanten zugreifen. Ziel des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist es, dieser Gefahr vorzubeugen. Von einem Widerruf der Zulassung eines in Vermögensverfall geratenen Anwalts kann daher nur dann abgesehen werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (BGH, Beschluss vom 08.02.2010, AnwZ (B) 67/08, Rn. 9 ff., zitiert nach juris). Diese Prognose kann im vorliegenden Fall nicht angestellt werden. Der Kläger hat keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich eine entsprechende Prognose ableiten ließe. Namentlich hat der Kläger nicht - wie es in ständiger Rechtsprechung vom BGH gefordert wird - seine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt beendet und Anstellung in einer Rechtsanwalts-Sozietät genommen (vgl. BGH, Beschluss v. 03.11.2008 - AnwZ (B) 2/08, zitiert nach juris).

III.

Ein Anlass, die Berufung nach §§ 112 Abs. 1, 112e BRAO, 124 Abs. 2 VwGO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VWGO. Ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VWGO ist ebenfalls nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 112c Abs. 1 BRAO, 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 112c Abs. 1 BRAO, 167 Abs. 1 und 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert ist gemäß § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO auf 50.000,00 EUR festzusetzen.