Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 12.10.2007, Az.: 74 IN 304/07
Voraussetzung des rechtlichen Interesses eines Neugläubigers auf Eröffnung eines erneuten Insolvenzverfahrens; Stellung eines Antrags auf Restschuldbefreiung i.R.e. zweiten Insolvenzverfahrens bei laufendem ersten Restschuldbefreiungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 12.10.2007
- Aktenzeichen
- 74 IN 304/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 49845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2007:1012.74IN304.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 1 InsO
- § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO
Fundstellen
- KKZ 2010, 236-238
- ZVI 2007, 571-573 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Neugläubiger kann noch während eines laufenden Insolvenzverfahrens Antrag auf Eröffnung eines erneuten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners stellen. Ein rechtliches Interesse besteht auch dann, wenn der Neugläubiger nicht darlegen kann, dass insolvenzfreies pfändbares Vermögen des Schuldners vorhanden ist (a. A. BGH ZInsO 2004, 739).
- 2.
Ob im Falle der Verfahrenseröffnung des Zweitinsolvenzverfahrens der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO eingreift, bleibt dahingestellt
Tenor:
Es soll ein schriftliches Gutachten erstellt werden über folgende Fragen:
- a)
Liegt ein Eröffnungsgrund gem. § 16 InsO (Zahlungsunfähigkeit, ggf. drohende Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung) vor?
- b)
Ist eine die Verfahrenskosten (§ 54 Insolvenzordnung )deckende Masse vorhanden?
- c)
Sind Anordnungen zur Sicherung der Masse erforderlich?
- d)
Kann das Verfahren im Falle der Eröffnung schriftlich durchgeführt werden ?
Zum Sachverständigen wird
Rechtsanwalt ...
bestellt.
Der Sachverständige wird ermächtigt, Auskünfte über die Vermögenslage bei Dritten ( Banken, Versicherungen, Behörden, Vertragspartnern usw. ) einzuholen.
Dem Sachverständigen wird aufgegeben, binnen 6 Wochen das Gutachten zu erstellen oder dem Gericht etwaige Hinderungsgründe und den voraussichtlichen Termin der Vorlage des Gutachtens mitzuteilen.
Gründe
I.
Über das Vermögen der Schuldnerin ist am 23.04.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Eine Verfahrensaufhebung ist bislang nicht erfolgt. Der Geschäftsbetrieb ist eingestellt und das Anlagevermögen an den Schwiegervater der Schuldnerin übergeben worden.
Ein Antrag des Finanzamtes Göttingen vom 31.01.2007 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin hat das Insolvenzgericht Göttingen mit - rechtskräftigen - Beschluss vom 02.03.2007 als unzulässig abgewiesen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (BGH ZinsO 2004, 739), wonach während eines laufenden Insolvenzverfahrens ein neuer Insolvenzantrag unzulässig ist.
Am 06.09.2007 hat die Antragstellerin wegen rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis 31.08.2007 in Höhe von 5.962,90 EUR Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin gestellt. Mit Verfügung vom 12.09.2007 hat das Insolvenzgericht die Antragstellerin auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Insolvenzantrages hingewiesen. Die Antragstellerin hat darauf nachgefragt, ob das Unternehmen der Schuldnerin freigegeben worden ist.
II.
Aufgrund des zulässigen Antrages hat das Insolvenzgericht hat einen Sachverständigen eingesetzt, um zu überprüfen, ob ein Eröffnungsgrund und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorliegt.
1)
Die Forderung ist glaubhaft gemacht durch Vorlage der monatlichen Beitragsnachweise, der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit dadurch, dass Sozialversicherungsbeiträge für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr unbeglichen sind (vgl. BGH NZI 2006, 591 = ZIP 2006, 1457 = ZInsO 2006, 827).
2)
Schließlich liegt auch das rechtliche Interesse im Sinne des § 14 Abs. 1 InsO vor.
a)
Der BGH (ZInsO 2004, 739) hat allerdings entschieden, dass an der Durchführung eines so genannten Zweitinsolvenzverfahrens grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse von Neugläubigern vorliegt. Dem entschiedenen Fall lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Schuldner einen Restaurantbetrieb mit Einverständnis des Insolvenzverwalters fortsetzte. Für die Entscheidung hat der BGH darauf abgestellt, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielte Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit eines Schuldners im vollen Umfang zur Insolvenzmasse gehören (unter Hinweis auf den Beschluss vom 20.03.2003 NZI 2003, 389, 392 [BGH 20.03.2003 - IX ZB 388/02] = ZInsO 2003, 413, "Psychologinnenentscheidung"). Das mangelnde rechtliche Interesse hat der BGH daraus hergeleitet, dass die Antragstellerin nicht darlegte, dass der Schuldner Vermögen habe, welches weder gem. § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehöre noch nach § 36 InsO unpfändbar sei.
b)
Diese Argumentation überzeugt nicht aus folgenden Gründen:
Die Argumentation des BGH ist übertragen worden auf den Fall eines Insolvenzantrages eines Neugläubigers nach Aufhebung des Verfahrens während der so genannten Wohlverhaltensperiode (AG Oldenburg ZInsO 2004, 1154[AG Oldenburg (Oldenburg) 03.08.2004 - 60 IN 97/04]). Für die Wohlverhaltensperiode ist diese Ansicht nicht zutreffend (Beschluss des AG Göttingen vom 05.10.2007 - 74 IN 295/07). In diesem Verfahrensstadium hat der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, die gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen war, zurückerlangt. Es sind durchaus Fälle denkbar, dass der Schuldner für Neugläubiger pfändbares Vermögen erlangt hat (z.B. durch Erbschaft). Eine entsprechende Darlegung, dass für ein neues Insolvenzverfahren Vermögen vorhanden ist, würde an Antragsteller unerfüllbare Anforderungen stellen.
Mit weiterem Beschluss vom 02.10.2007 (71 IN 227/03) hat das Amtsgericht Göttingen ausgesprochen, dass das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO die Unzulässigkeit von Zwangsvollstreckungen von Neugläubigern nicht in jedem Fall hindert. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass Neugläubiger zwar grundsätzlich dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO mit der Begründung unterworfen werden, dass die Insolvenzmasse nur der Befriedigung der Insolvenzgläubiger diene (FK-InsO/App § 89 Rz. 3), allerdings die Einschränkung gemacht werde, dass die Zwangsvollstreckung in das insolvenzfreie pfändbare Vermögen des Schuldners durchaus zulässig sei (MK-InsO/Breuer § 89 Rz. 26).
Letzteres ist beispielsweise denkbar, wenn ein Geschäftsbetrieb des Schuldners freigegeben wird (§ 35 Abs. 2, Abs. 3 InsO). Weiter ist in der Entscheidung ausgeführt, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen für Vollstreckungsorgane/
Insolvenzgericht nicht feststellbar ist. Da Neugläubiger nicht rechtlos gestellt werden dürfen und sie einen entsprechenden Nachweis nicht führen können, ist die Vollstreckung zulässig, Insolvenzverwalter/Schuldner müssen sich auf die Möglichkeit der Erinnerung gem. § 766 ZPO verweisen lassen.
Auch während eines noch laufenden Insolvenzverfahrens ist ein Zweitinsolvenzverfahren grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Werden Gegenstände aus der Masse freigegeben, die der Schuldner als Vermögen besitzt und die nicht gem. § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören, kann über dieses Vermögen ein weiteres Verfahren eröffnet werden (MK-InsO/Lwowsky/Peters § 35 Rz. 75).
In Anlehnung an den Beschluss vom 02.10.2007 (71 IN 227/03) genügt es folglich, dass Neugläubiger das Vorliegen eines Anspruches und eines Eröffnungsgrundes gegen den Schuldner glaubhaft machen. Nicht erforderlich ist, dass die Neugläubiger weiter darlegen, dass insolvenzfreies Vermögen etwa in Folge der Freigabe eines Geschäftsbetriebes vorhanden ist (a. A. MK-InsO/Schmahl § 14 Rz. 45). Damit würden an sie unerfüllbare Anforderungen gestellt. Dies zu überprüfen ist Aufgabe des Insolvenzgerichtes im Rahmen der Amtsermittlung gem. § 5 InsO.
c)
In der Praxis wird es regelmäßig nicht zur Eröffnung eines Zweitinsolvenzverfahrens kommen. Entweder wird der Antrag mangels Masse gem. § 26 InsO abgewiesen werden (mit der Folge der Kostenhaftung des Antragstellers), oder es wird eine Erledigung des Antrages eintreten. Wird das Verfahren - ausnahmsweise - eröffnet, ergeben sich keine unüberwindbaren Schwierigkeiten bei der Abwicklung zweier "Parallelinsolvenzverfahren". Derartige Verfahren sind nicht gänzlich unbekannt, wie bereits der im Beschluss vom 05.10.2007 angeführte Fall eines nach Tod des Schuldners als Nachlassinsolvenzverfahren fortgeführten massereichen Insolvenzverfahrens und eines (weiteren) Nachlassinsolvenzverfahrens der Erben zeigt (Einzelheiten bei Köke/Schmerbach ZVI 2007, 497 ff.). Beide Vermögensmassen können klar abgegrenzt werden. Gegenstand des Zweitinsolvenzverfahrens kann nur das nicht vom Insolvenzbeschlag des ersten Insolvenzverfahrens erfasste Vermögen sein. In Betracht kommen insbesondere freigegebene Gegenstände, an denen als Folge der Freigabe der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerhalten hat.
Sollte aufgrund der Eröffnung des Zweitinsolvenzverfahrens der Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung im Erstinsolvenzverfahren von ihrem Recht gem. § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO Gebrauch machen und die Unwirksamkeitserklärung der Freigabe des Insolvenzverwalters anordnen, so wäre das Zweitinsolvenzverfahren gem. § 207 InsO mangels Masse einzustellen.
d)
Im Ergebnis besteht die Möglichkeit bzw. Gefahr der Hintereinanderschaltung mehrerer laufender Verfahren. Dies ist jedoch eine Konsequenz aus der nunmehr in § 35 Abs. 2, Abs. 3 InsO geregelten Freigabemöglichkeit und bedarf ggf. einer Regelung durch den Gesetzgeber.
Gleiches gilt für die Möglichkeit zweier oder mehrerer paralleler Restschuldbefreiungsverfahren. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO schließt nämlich für den Fall der Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens einen erneuten Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung nicht aus, da in dem ersten Verfahren noch keine Restschuldbefreiung erteilt ist. Ob insoweit eine Auslegung in Betracht kommt, dass keine neue Restschuldbefreiung beantragt werden kann, wenn noch ein anderes Restschuldbefreiungsverfahren anhängig ist, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden. Denkbar und wünschenswert ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber. Auch eine Eröffnung aufgrund eines Stundungsantrages des Schuldners ist denkbar. Diese Problematik besteht so lange, wie die Regelungen der §§ 4 a ff. InsO in Kraft sind. Eine Ablehnung des Stundungsantrages kann nur aufgrund der soeben angesprochenen Auslegung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO begegnet werden (da über den Wortlaut des § 4a Abs. 1 Satz 3 InsO hinaus jeder Versagungsgrund des § 290 InsO zur Ablehnung eines Stundungsantrages berechtigt, BGH NZI 2005, 232 = ZVI 2005, 124 = ZInsO 2005, 207).