Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 05.10.2007, Az.: 74 IN 295/07

Möglichkeit der Durchführung eines zweiten Insolvenzverfahrens während der Wohlverhaltensperiode eines Schuldners; Anforderungen an das rechtliche Interesses für die Durchführung eines zweiten Insolvenzverfahrens ; Notwendigkeit der Darlegung des Vorhandenseins von Vermögen für das neue Verfahren; Eingreifen des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) im Falle der Verfahrenseröffnung des Zweitinsolvenzverfahrens

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
05.10.2007
Aktenzeichen
74 IN 295/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 49839
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2007:1005.74IN295.07.0A

Fundstellen

  • NZI 2008, 56-57 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZI 2008, 35
  • NZI 2008, 7
  • NZI 2008, 36
  • NZI 2008, 34
  • NZI (Beilage) 2008, 35 (amtl. Leitsatz)
  • Rpfleger 2008, 157-158 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZInsO 2007, 1164-1165 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZVI 2007, 534-535 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Befindet sich der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode, liegt das rechtliche Interesse (§ 14 Abs. 1 InsO) für die Durchführung eines zweiten Insolvenzverfahrens vor, ohne dass der Antragsteller darlegt muss, dass für ein neues Verfahren Vermögen vorhanden ist (a. A. AG Oldenburg ZInsO 2004, 1154[AG Oldenburg 03.08.2004 - 60 IN 97/04]).

  2. 2.

    Ob im Falle der Verfahrenseröffnung des Zweitinsolvenzverfahrens der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO eingreift, bleibt dahingestellt.

Tenor:

Der Schuldner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Wert: bis 1.500 EUR.

Gründe

1

I.

Mit Antrag vom 31.08.2007, bei Gericht eingegangen am 03.09.2007, hat die Antragstellerin wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.254,05 EUR unter Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung vom 14.08.2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Die gerichtsinterne Abgleichung hat ergeben, dass über das Vermögen des Schuldners bereits am 04.03.2002 unter Bewilligung von Stundung ein Insolvenzverfahren eröffnet und nach Rechtskraft des Beschlusses über die Ankündigung der Restschuldbefreiung am 02.06.2003 aufgehoben worden war. Vor weiterer Bearbeitung der Akte hat die Antragstellerin im Hinblick auf eine Teilzahlung und Zahlungsvereinbarung mit dem Schuldner den Insolvenzantrag für erledigt erklärt. Antrag und Erledigungserklärung sind daraufhin dem Schuldner zugestellt worden, der innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben hat.

2

II.

Gem. § 4 i.V.m. § 91 a InsO sind die Kosten des Verfahrens dem Schuldner aufzuerlegen. Es liegt eine übereinstimmende Erledigungserklärung vor (1), der Antrag war ursprünglich zulässig (2), insbesondere lag das rechtliche Interesse i.S.d. § 14 Abs. 1 InsO vor (3).

3

1)

Der Schuldner ist der Erledigungserklärung nicht entgegengetreten, so dass von einer übereinstimmenden Erledigungserklärung auszugehen ist, bei der das Insolvenzgericht das Vorliegen eines erledigenden Ereignisses nicht nachzuprüfen hat (FK-InsO/Schmerbach § 13 Rz. 108 c). Ob das erledigende Ereignis erst nach Anhängigkeit des Antrages eingetreten ist, kann dahinstehen. Im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung ist überwiegend anerkannt, dass auch eine Erledigung vor Anhängigkeit schon möglich ist (FK-InsO/Schmerbach § 13 Rz. 108 a).

4

2)

Weiter waren die zugrunde liegende Forderung und der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit glaubhaft gemacht.

5

3)

Schließlich lag auch das erforderliche rechtliche Interesse (§ 14 Abs. 1 InsO) vor.

6

a)

Während eines laufenden Insolvenzverfahrens soll das rechtliche Interesse für die Eröffnung eines Zweitinsolvenzverfahrens fehlen, da das gesamte vom Schuldner erworbene Vermögen zur Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO gehöre (BGH ZInsO 2004, 739). In der Rechtsprechung wird dieser Gedanke - modifiziert - auch auf die Wohlverhaltensperiode übertragen (AG Oldenburg ZInsO 2004, 1154[AG Oldenburg 03.08.2004 - 60 IN 97/04]; ebenso HambK-Wehr § 14 Rz. 49; FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 49e; MK-InsO/Schmahl § 13 Rz. 91). Argumentiert wird damit, das erworbene Vermögen des Schuldners sei zwar nicht mehr Teil der Insolvenzmasse, dem Schuldner jedoch rechtlich zur Erfüllung seiner Obliegenheiten gem. § 295 Abs. 2 InsO zugewiesen. Der selbständige Schuldner habe die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen so zu stellen, wie wenn er als abhängig Beschäftigter ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens könne dem ersten Verfahren die Grundlage entziehen, weil in diesem neuen Verfahren das gesamte erwirtschaftete Vermögen wiederum zur Insolvenzmasse gehöre. Ein rechtliches Interesse sei nur erkennbar, wenn in diesem Fall die Antragstellerin darlege, dass für ein neues Verfahren Vermögen vorhanden sei.

7

Ob ein Zweitinsolvenzverfahren während eines laufenden Insolvenzverfahrens mangels rechtlichen Interesses oder mit anderer Begründung abgelehnt werden kann, kann für die Lösung des vorliegenden Falles dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, welche Konsequenzen aus der nunmehr gesetzlich geregelten Möglichkeit der Freigabe gem. § 35 Abs. 2, Abs. 3 InsO zu ziehen sind.

8

b)

Im vorliegenden Fall befindet sich der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode. Er hat die ursprünglich auf den Insolvenzverwalter gem. § 80 InsOübergegangene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurück erlangt. Dieses Vermögen kann Gegenstand eines erneuten Insolvenzverfahrens sein. Der Schuldner kann durchaus neues Vermögen generiert haben, z.B. aus einer Erbschaft oder bei selbständiger Tätigkeit aus Erlösen, die über den Rahmen des § 295 Abs. 2 InsO hinausgehen und die der Schuldner nach h.M. nicht abführen muss (Grote ZInsO 2004, 1105, 1109 f.). Bei der Eröffnung eines Zweitverfahrens besteht nicht die Gefahr, dass die Vermögensmassen nicht klar abgegrenzt werden können.

9

Hinsichtlich des ersten Insolvenzverfahrens besteht eine Einschränkung nur insoweit, dass gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO pfändbare Forderungen auf Bezüge aus einem Dienst- oder vergleichbaren Verhältnis an den Treuhänder abgetreten sind. Den selbständig tätigen Schuldner trifft die Obliegenheit des § 295 Abs. 2 InsO. Die Erfüllung dieser Obliegenheit (oder einer Obliegenheit auf hälftige Herausgabe einer Erbschaft gem. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO) kann der Treuhänder nicht erzwingen. Erfüllt der Schuldner Obliegenheiten nicht, kann ihm nur auf Antrag eines Gläubigers die Restschuldbefreiung gem. § 296 InsO versagt werden. Bei selbständiger Tätigkeit ist es Aufgabe des Schuldners, sicher zu stellen, dass er der Obliegenheit des § 295 Abs. 2 InsO nachkommt. Eine Beeinträchtigung dieser Verpflichtung kann zudem auch eintreten durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen von sogenannten Neugläubigern. § 294 Abs. 1 InsO verbietet nur Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern.

10

Es sind auch andere Konstellationen denkbar, dass zwei Insolvenzverfahren gleichsam "parallel" laufen. Im Falle des Todes des Schuldners wird ein massereiches Insolvenzverfahren von Amts wegen in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet. Masseverbindlichkeiten gem. § 324 InsO können dort nicht geltend gemacht werden, für neue Gläubiger steht nur das insolvenzfreie Vermögen zur Verfügung. In diesem Fall besteht die Möglichkeit eines weiteren Nachlassinsolvenzverfahrens (Köke/Schmerbach ZVI 2007, 497 ff.). Im Übrigen ist unklar, wie eine Antragstellerin darlegen sollte, dass für ein neues Insolvenzverfahren Vermögen vorhanden ist. Damit würden an sie unerfüllbare Anforderungen gestellt. Dargelegt werden kann lediglich, dass der Schuldner neue Verbindlichkeiten begründet hat, die - wie im vorliegenden Fall - regelmäßig aus selbständiger Tätigkeit resultieren.

11

c)

Allerdings besteht die Möglichkeit zweier paralleler Restschuldbefreiungsverfahren. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO schließt nämlich in der vorliegenden Konstellation für den Fall der Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens einen erneuten Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung nicht aus. Voraussetzung für eine Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist, dass in dem ersten Verfahren bereits eine Restschuldbefreiung erteilt ist. Ob insoweit eine Auslegung dahin in Betracht kommt, dass keine erneute Restschuldbefreiung beantragt werden kann, wenn noch ein Restschuldbefreiungsverfahren läuft, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden. Denkbar und wünschenswert wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber.

12

4)

Für die Bestimmung des Gegenstandswertes hat das Gericht den Betrag der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge zugrunde gelegt.

Schmerbach, Richter am Amtsgericht