Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 26.05.2007, Az.: 74 IN 180/07
Abberufung; Ablehnung; Akteneinsicht; Akteneinsichtsrecht; Außenstand; Befangenheit; Bestellung; Beweisfrage; Bonität; Eröffnungsverfahren; Gefährdung; GmbH; Insolvenzgericht; Insolvenzverwalter; Interessenkonflikt; Kenntnis; Sachverständiger; Schuldner; Unzulässigkeit; Verfahrenseröffnung; Vermögen; Vermögensverhältnis; Vermögensverzeichnis; Zivilprozess
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 26.05.2007
- Aktenzeichen
- 74 IN 180/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 71795
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 InsO
- § 21 Abs 2 Nr 2 Alt 1 InsO
- § 299 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein im Eröffnungsverfahren angesetzter Sachverständiger kann nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
2. Anlass zur amtswegigen Abberufung eines Sachverständigen im Eröffnungsverfahren besteht nicht deshalb, weil er als Insolvenzverwalter einen Zivilprozess gegen den Schuldner des vorliegenden Verfahrens führt. Einen möglichen Interessenkonflikt kann Rechnung getragen werden durch Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters im Falle der Eröffnung.
3. Ein vorläufiger "starker" Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 2. 1. Alt. InsO) hat ein Recht auf Akteneinsicht gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO.
Tenor:
Der Antrag des Schuldners auf Abberufung der Sachverständigen wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Aufgrund Eigenantrages vom 04.04.2007, verbunden mit Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung, hat das Gericht mit Beschluss vom 19.04.2007 eine Sachverständige eingesetzt zur Prüfung des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes und einer die Verfahrenskosten deckenden Masse. Die Sachverständige ist zugleich vorläufige “starke” Insolvenzverwalterin gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2. 1. Alt. InsO in dem Verfahren 74 IN 311/05 über das Vermögen einer GmbH, deren geschäftsführender Gesellschafter der Schuldner ist. Im Wege der Prozesskostenhilfe macht sie Ansprüche gegen den Schuldner des vorliegenden Verfahrens geltend. Im Hinblick darauf hat der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners mit Schriftsatz vom 03.05.2007 beantragt, die Sachverständige abzuberufen und einen anderen Sachverständigen/Insolvenzverwalter zu bestellen, der keine rechtlichen Beziehungen zu der Kanzlei unterhält, der die bisherige Sachverständige angehört.
II. Der Antrag ist zurückzuweisen, da er zum einen unzulässig, zum anderen aber in jedem Falle unbegründet ist.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, da die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (§§ 406, 42 ZPO) nicht stattfindet. Mit einem Sachverständigen im Zivilprozess, der abgelehnt werden kann, ist der im Eröffnungsverfahren bestellte Sachverständige nicht vergleichbar. Er entscheidet eigenverantwortlich, welche konkreten Fragen entscheidungserheblich sind ohne Bindung an konkret gefasste Beweisfragen des Gerichtes. Die Ablehnung ist daher unzulässig (AG Göttingen ZInsO 2000, 347; HambK-Rüther § 4 Rz. 14; HK-InsO/Kirchhoff § 4 Rz. 17; MünchKom-Ganter InsO, § 4 Rz. 43; Uhlenbruck InsO § 4 Rz. 14; Gräber NZI 2002, 345, 346; FK-InsO/Schmerbach § 22 Rz. 43; a. A. LG München I ZInsO 2001, 813, 815; MünchKom-InsO/Schmahl § 16 Rz. 47). Dies schließt es nicht aus, dass erforderlichenfalls das Insolvenzgericht einen anderen Sachverständigen ernennt (§§ 404 Abs. 1 S. 3, 360 S. 2 ZPO).
2. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall aber nicht vor, so dass der Antrag jedenfalls unbegründet ist. Allein die Tatsache, dass die Sachverständige bereits in dem Insolvenzverfahren 74 IN 311/05 als vorläufige Insolvenzverwalterin eingesetzt ist, genügt dazu nicht. Die Sachverständige folgt keine eigenen Interessen, sondern nimmt die Interessen von Gläubigern und Schuldner wahr.
Bei Verfahrenseröffnung wird das Insolvenzgericht über die weitere Frage entscheiden, ob - entsprechend bisher teilweise geübter Praxis - ein Insolvenzverwalter aus dem Büro eingesetzt wird, dem die Sachverständige angehört, oder ein anderer Insolvenzverwalter.
Rechtlich unerheblich ist es auch, ob die Sachverständige des vorliegenden Verfahrens bei Vorlage von Unterlagen des Schuldners (Vermögensverhältnisse, Außenstände) Kenntnisse erhält, die sie auch in dem von ihr als vorläufige Insolvenzverwalterin betriebenen Rechtsstreit gegen den Schuldner verwenden kann. Zum einen sind konkrete Gefährdungen nicht ersichtlich und vorgetragen. Zum anderen geht es nicht um die Entscheidung, ob im Hinblick auf eine mögliche Bonität ein entsprechender Zivilprozess geführt werden wird, vielmehr ist er bereits anhängig. Im übrigen hat die Sachverständige in ihrer Funktion als vorläufige Insolvenzverwalterin über das Vermögen der GmbH eine gläubigerähnliche Stellung im vorliegenden Verfahren und wäre damit zur Akteneinsicht berechtigt. Solange das vorliegende Verfahren nicht eröffnet ist, folgt ein Akteneinsichtsrecht aus § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO, nach Eröffnung aus § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO.
III. Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners hat weiter darum gebeten, die Entscheidung zu treffen, bevor der Schuldner das von der Sachverständigen angeforderte Vermögensverzeichnis zum 30.05.2007 vorlegt. Das Insolvenzgericht hat die Sachverständige davon informiert, dass zunächst die Entscheidung in der vorliegenden Sache abzuwarten ist.