Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.03.2017, Az.: 4 A 1424/16

Abgrenzung Erweiterung/Verfestigung Splittersiedlung; Abgrenzung Innen /Außenbereich; Ausklammerung; Bauvoranfrage; Bauvorbescheid; Bebauungszusammenhang; Erschließung; Splittersiedlung; Verfestigung; Ziele der Raumordnung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.03.2017
Aktenzeichen
4 A 1424/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54218
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die rückwärtige Bebauung eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus stellt die (zulässige) Verfestigung einer Splittersiedlung dar, wenn die Baulücke zwischen Wohnhäusern auf den nördlich, südlich und westlich angrenzenden Grundstücken lediglich aufgefüllt wird und eine Vorbildwirkung für die östlich angrenzenden Grundstücke deshalb zu verneinen ist, weil eine Bebauung auf den dortigen rückwärtigen Grundstücksflächen eine zusätzliche räumliche Ausdehnung in die freie Landschaft bedeuten würde.
2. Die Darstellung - Grünfläche für Dauerkleingärten - im Flächennutzungsplan steht der Bebauung der rückwärtigen, bislang von Bebauung freigehaltenen Fläche eines Grundstücks mit einem Einfamilienhaus nicht entgegen, wenn diese Grobplanung durch die Festsetzung einer Kleingartenanlage mit Bebauungsplan im angrenzenden Gebiet umgesetzt worden ist und eine Nutzung der rückwärtigen Grundstücksfläche als Grünfläche für Dauerkleingärten zwar theoretisch noch denkbar ist, sich aber in Hinblick auf die bereits vorhandenen Wohngebäude auf dem Vorhabengrundstück sowie den westlich und südlich angrenzenden Grundstücken kaum mehr verwirklichen lassen wird.

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 21.04.2015 sowie des Widerspruchsbescheides der Region B-Stadt vom 08.02.2016 verpflichtet, der Klägerin den beantragten Bauvorbescheid unter Ausklammerung der Frage der Erschließung zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Bebauung einer rückwärtigen Fläche des Grundstücks der Klägerin mit einem Einfamilienwohnhaus und Garage.

Die Klägerin ist Eigentümerin der südlich des Mittellandkanals an der Bundesstraße 441 (A-Straße) in A-Stadt/D. gelegenen Flurstücke E. und F., Flur G. der Gemarkung D.. Das straßenseitige Flurstück F. grenzt auf einer Breite von ca. 33 Meter an die in Ost-West-Richtung verlaufende Bundestraße 441 und hat eine Tiefe in Nord-Süd-Ausrichtung von ca. 42,5 Meter an der Ostgrenze und 36 Meter an der westlichen Grenze. Es ist entlang der östlichen Grenze bis zu einer Grundstückstiefe von ca. 26 Metern mit einem Wohnhaus mit Anbau bebaut, das weniger als die Hälfte der Grundstücksbreite einnimmt. Auf der westlichen Grundstücksfläche befinden sich eine Garage und ein kleiner Schuppen. Das südlich vom Flurstück F. liegende Flurstück E. ist ebenfalls 33 Meter breit, 10 Meter tief und unbebaut. Beide Flurstücke liegen im Geltungsbereich des Flächennutzungsplans aus dem Jahr 1981, der für das betreffende Grundstück und seine Umgebung die Ausweisung als „Grünfläche für Dauerkleingärten“ enthält.

Unmittelbar westlich an das Grundstück der Klägerin angrenzend liegt das Grundstück H. (bis 1996 I.), das gleichzeitig östlich an den in südlicher Richtung von der Bundesstraße 441 verlaufenen Stichweg „J.“ grenzt. Das Grundstück ist ca. 20 Meter südlich der K. mit einem Wohngebäude bebaut. Südlich des Grundstücks der Klägerin befindet sich das Grundstück L. (bis 1996 M.), das von dem Stichweg J. in östlicher Richtung gesehen rückwärtig mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Südlich davon liegt das ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück N.. Westlich der Stichstraße J. liegt das Waldstück „O.“.

In östlicher Richtung vom Grundstück der Klägerin findet sich südlich der Bundesstraße 441 die Wohnbebauung der P. mit etwa gleich großen Doppelhaushälften. Östlich der Wohnbebauung der Grundstücke Q. liegt - entlang der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straße „R.“ - die im Jahr 1985 errichtete Kleingartenanlage „R.“. Diese Kleingartenanlage liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 44 der Stadt Seelze und ist - ausweislich der Begründung zum B-Plan - aus den Darstellungen des Flächennutzungsplans entwickelt worden.

Am 12.12.2014 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Bauvorbescheides zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem zurückgesetzten westlichen Teil ihres Grundstücks A-Straße in A-Stadt entlang der Südgrenze des Flurstücks F.. Die Bauvoranfrage war gerichtet auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem städtebaulichen Planungsrecht sowie die Genehmigungsfähigkeit einer neuen Zufahrt von der K. über das Flurstück F. (unter Verschiebung der Flurstücksgrenze zwischen den Flurstücken F. und E. in nördliche Richtung). Nach Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2015 die Erteilung eines Bauvorbescheids ab. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich nach § 35 Abs. 2 BauGB, da das Grundstück im Außenbereich liege. Das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange, weil es den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche, der den betreffenden Bereich als Grünfläche darstelle. Zudem sei eine Verfestigung und Erweiterung der bereits vorhandenen Splittersiedlung zu befürchten. Angesichts dessen erübrige sich auch die Bauvoranfrage hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit einer neuen Zufahrt von der K..

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Region B-Stadt mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2016 als unbegründet zurück.

Am 02.03.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richtet, da das - aus 19 Wohngebäuden bestehende - Geviert „J.“, „K.“ und „R.“ den Charakter eines eigenständigen und im Zusammenhang bebauten Ortsteils aufweise. Durch die förmliche Ausweisung des angrenzenden Kleingarten- und Wochenendgebietes und der dadurch bedingten Einbeziehung der Wohnbebauung am südlichen Teil der Straße R. habe die Beklagte die vorhandene Siedlungsstruktur weiterentwickelt und dem Wohngebiet ein eigenes Gewicht gegeben. Auch als sogenannten Außenbereichsvorhaben nach § 35 BauGB sei die Errichtung eines Einfamilienhauses bauplanungsrechtlich zulässig. Aus dem Flächennutzungsplan ergäben sich keine entgegenstehenden öffentlichen Belange. Die Festschreibung von Grünflächen, die der Planung einer Kleingartenanlage diente, sei mit dem 1985 in Kraft getretenen Bebauungsplan 44 abschließend umgesetzt worden. Dem Flächennutzungsplan komme hinsichtlich der mit Wohngebäuden bebauten Flächen keine Bedeutung mehr zu. Auch die Zielplanungen des RROP 2005 könnten dem Vorhaben nicht entgegen gehalten werden, da es sich insoweit um eine großflächige und undifferenzierte Ausweisung mit nur geringem räumlichem und inhaltlichem Konkretisierungsgrund handele. Es komme zu keiner Verfestigung einer Splittersiedlung, da die von der Straße abgerückte Lage der geplanten Siedlungsstruktur entspreche, wie sich aus der Lage des historischen Nachbargebäudes H. ergebe. Auch ordne sich das Vorhaben von Größe und Lage her dem vorhandenen Bestand der Siedlung deutlich unter. Eine Vorbildwirkung sei ausgeschlossen, weil auf allen anderen Grundstücken ausnahmslos nur eine rückwärtige weitere Bebauung erfolgen könne. Demgegenüber werde das Vorhaben auf ihrem Grundstück auf dem Geländestreifen S. errichtet, der schon ursprünglich für den zweiten Teil eines damals üblichen Doppelhauses freigehalten worden sei. Zudem sei noch im Jahr 2000 auf der rückwärtigen Fläche des Grundstücks T. die Genehmigung für die Wohnbebauung des Grundstücks U. als „unechte Lücke im Außenbereich“ erteilt worden. Nichts anderes gelte für das hier streitgegenständliche Vorhaben auf dem Flurstück F..

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.04.2015 und des Widerspruchsbescheides der Region B-Stadt vom 08.02.2016 zu verpflichten, der Klägerin den beantragten Bauvorbescheid unter Ausklammerung der Frage der Erschließung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Ablehnungsbescheid vom 21.04.2015. Ergänzend weist sie darauf hin, dass das Baugrundstück im noch gültigen RROP von 2005 als „Vorranggebiet für Freiraumfunktionen“ ausgewiesen sei, in dem bauliche Anlagen im Sinne einer Besiedlung nicht zulässig seien. Entsprechendes gelte nach dem aktuellen Entwurf des RROP 2016. Insofern sei eine weitere Verdichtung oder Erweiterung der Splittersiedlung als raumbedeutsames Vorhaben unzulässig. Die Splittersiedlung sei Ende des 19. Jahrhunderts, jedenfalls im Wesentlichen vor 1943 entstanden, wie die zu den Akten gereichte historische Aufnahme von 1943 verdeutliche. Die Zulassung des Vorhabens der Klägerin würde zu einer Verfestigung der Splittersiedlung führen, weil es eine Vorbildwirkung für die Ausbildung weiterer Pfeifenstielgrundstücke in östlicher Richtung provozieren könne. Zudem sei das Vorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt, die von der Bestandsbebauung hinzunehmen seien, einer Neubebauung aber nach heutigen Maßstäben entgegenständen. Die Baugenehmigung für das Wohnhaus V. sei nach einem Hinweis des seinerzeit zuständigen Landkreises B-Stadt auf die Zulässigkeit des Vorhabens im Außenbereich erteilt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 21.04.2015 und der Widerspruchsbescheid der Region B-Stadt vom 08.02.2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Bauvorbescheid ist zu erteilen, weil das Vorhaben jedenfalls in der Form, in der es durch die Erklärungen in der mündlichen Verhandlung zur Entscheidung gestellt wurde, dem öffentlichen Baurecht entspricht (§ 73 Abs. 1 i.V.m. § 70 Abs. 1 NBauO).

Nach § 73 Abs. 1 NBauO ist auf Antrag über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden; dies gilt nach § 73 Abs. 1 Satz 2 NBauO auch für die Frage, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist. Unbedenklich ist aus Sicht der Kammer dabei, dass die Klägerin ihre Bauvoranfrage im Termin zur mündlichen Verhandlung - in Hinblick auf die bislang fehlende Beteiligung des Straßenbauamtes wegen möglicher fernstraßenrechtlicher Zustimmungs- und Genehmigungsvorbehalte, auch hinsichtlich der geplanten Zufahrt - unter Ausklammerung der Frage der Erschließung gestellt hat. Dem Bauherrn steht es frei, durch seinen Antrag den Entscheidungsgegenstand seiner Bauvoranfrage zu bestimmen, so dass er auch entscheiden kann, ob neben städtebaurechtlichen Fragen die der Erschließung eine Rolle spielen soll (vgl. hierzu nur Nds. OVG, Urt. v. 24.03.2010 - 1 LC 74/09).

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, da das Vorhabengrundstück nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans i.S.v. § 30 Abs. 1 BauGB liegt und auch nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB.

Ob sich ein Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet, hängt zum einen davon ab, ob es innerhalb eines Bebauungszusammenhangs liegt und zum anderen, ob dieser Bebauungszusammenhang nach seinem siedlungsstrukturellen Gewicht die Qualität eines Ortsteils hat. Bebauungszusammenhang ist eine tatsächliche aufeinanderfolgende Bebauung (mit Anlagen, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen sollen), die trotz etwaiger Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Die Qualität eines Ortsteils weist ein solcher Bebauungszusammenhang dann auf, wenn er nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht aufweist und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, was von der Struktur der betreffenden Gemeinde her beurteilt werden muss (vgl. zum Vorstehenden nur Rieger, in: Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 8. Auflage, § 34, Rn. 9, 10, 22, jeweils mit weiteren Nachweisen). Zu fragen ist dabei, ob der Bebauungszusammenhang im Vergleich zu den sonstigen Ansiedlungen der Gemeinde einerseits und der nicht existenzwürdigen unerwünschten Splittersiedlung andererseits einen Umfang erreicht hat, der seine Fortentwicklung als angemessen erscheinen lässt. Auch Splittersiedlungen können einen Bebauungszusammenhang bilden; was ihnen aber fehlt, ist das für die Annahme eines Ortsteils erforderliche Gewicht oder die dafür ebenfalls erforderliche organische Siedlungsstruktur. Auf die Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben, kommt es dabei nicht an; so dass auch eine Ansammlung privilegierter Vorhaben eine Splittersiedlung sein kann (Rieger, in: Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 8. Auflage, § 35, Rn. 136). Der Charakter einer Splittersiedlung ergibt sich vor allem aus der Entgegensetzung zum Ortsteil, d.h. jedem Bebauungszusammenhang, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Struktur ist. Demgegenüber ist eine Splittersiedlung eine bloße Anhäufung von Gebäuden (BVerwG, Beschl. v. 17.03.2015 - 4 B 45/14 -, m.w.N., juris).

Nach dem Eindruck im Ortstermin, der den anhand des vorhandenen Kartenmaterials und der Aufnahmen von Google Earth gewonnenen Eindruck bestätigt, stellt die Wohnbebauung entlang der Straßen W. und A-Straße bis G. eine bloße Ansammlung von Gebäuden dar, ohne dass die für die Annahme eines Ortsteils erforderliche organische Struktur vorhanden ist. Auch wenn die Bebauung entlang beider Straßen den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt, fehlt ihr mit insgesamt rund 13 Wohneinheiten das notwendige städtebauliche Gewicht. Zudem lässt die lediglich bandartig südlich der K. sowie östlich der Straße J. entstandene Bebauung keine organische Siedlungsstruktur erkennen; vielmehr handelt es sich um einen kleinen Siedlungssplitter im Außenbereich. An dieser Bewertung ändert - entgegen dem Vorbringen der Klägerin - auch der Umstand nichts, dass die Fläche östlich dieses Siedlungssplitters durch den Bebauungsplan Nr. 44 als Grünfläche für Dauerkleingärten überplant worden ist, da durch die Ausweisung des Kleingarten- und Wochenendgebietes keine Weiterentwicklung des westlich daran angrenzenden Wohngebietes erfolgt ist.

Das Vorhaben der Klägerin ist jedoch gemäß § 35 Abs. 2 BauGB als sonstiges Vorhaben im Außenbereich zulässig. Da keiner der Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB erfüllt ist, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 BauGB. Nach dieser Vorschrift kann ein nichtprivilegiertes Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn seine Ausführung öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB nicht beeinträchtigt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten beeinträchtigt das Vorhaben der Klägerin weder öffentliche Belange, weil es den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB) noch weil es schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wäre (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB) oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB) oder weil es den Zielen der Raumordnung widerspricht (§ 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB).

Grundsätzlich indiziert der Widerspruch eines nichtprivilegierten Vorhabens zu den Darstellungen im Flächennutzungsplan nach § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB die Beeinträchtigung öffentlicher Belange (BVerwG, Beschl. v. 31.10.1997 - 4 B 185/97 -, juris). Allerdings muss die konkrete Aussagekraft des Flächennutzungsplans auch mit Blick auf nichtprivilegierte Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ermittelt werden (vgl. dazu nur BVerwG, Beschl. v. 09.12.2015 - 4 B 36.15 -, juris). Dies kann auch eine Bewertung von Darstellungen im Flächennutzungsplan dahingehend rechtfertigen, dass eine Gemeinde bei dem zwangsläufig groben Raster des Flächennutzungsplans mit der Einbeziehung einer Splittersiedlung in die „Grünfläche“ nicht strikt jegliche Bebauung, jedenfalls nicht die Schließung eindeutig baulich vorgeprägter Lücken habe verhindern wollen. Ein solcher Rückschluss kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.10.1982 - 4 C 31/78 -, juris) gerechtfertigt sein, wenn im Plan nicht nur im größeren Umfang verbundene ältere Baukomplexe in den Flächen für landwirtschaftliche Nutzungen aufgegangen seien, sondern selbst solche Bereiche als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt seien, die kurz vor der Aufstellung des Flächennutzungsplans einer baulichen Nutzung zugeführt seien und von denen sich nicht annehmen lasse, dass die Gemeinde sie habe „austrocknen oder wegplanen“ wollen.

Liegt man diese Maßstäbe zugrunde, können die Darstellungen des Flächennutzungsplans nach Ansicht der Kammer dem Bauvorhaben der Klägerin nicht entgegen gehalten werden. Zunächst ist festzustellen, dass der Flächennutzungsplan aus dem Jahr 1981 die Ausweisung der Flächen als „Grünflächen für Dauerkleingärten“ jedenfalls unter Berücksichtigung des bereits vorhandenen Siedlungssplitters vorgenommen hat. Diese Grobplanung ist für das östlich der Splittersiedlung gelegene Gebiet entlang der Straße R. durch die Festsetzung einer Kleingartenanlage mit Bebauungsplan Nr. 44 umgesetzt worden, ohne die Flächen entlang der X. zu erfassen. Ob mit dem Bebauungsplan Nr. 44 abschließend die Fläche festgesetzt worden ist, die für Dauerkleingärten zur Verfügung stehen soll oder ob auch die südlich und westlich der Kleingartenkolonie gelegenen Flächen zukünftig der im Flächennutzungsplan vorgesehenen Nutzung zugeführt werden sollen, erscheint zumindest offen. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die diesbezüglichen Festsetzungen des Flächennutzungsplans für den Siedlungssplitter entlang der K. (noch) nicht funktionslos sind, ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass die auf dem Vorhabengrundstück bestehende Baulücke unter Hinweis auf die Darstellungen im Flächennutzungsplan tatsächlich strikt weiter von Bebauung freizuhalten wäre. Eine Nutzung des rückwärtigen Grundstücks der Klägerin als Grünfläche für Dauerkleingärten (wie im Flächennutzungsplan vorgesehen) ist zwar theoretisch noch denkbar, lässt sich aber im Bereich der beabsichtigten Bebauung zwischen den bereits vorhandenen Wohngebäuden auf dem Vorhabengrundstück sowie den westlich und südlich angrenzenden Grundstücken kaum mehr verwirklichen. Zudem spricht der Umstand, dass ein vergleichbarer „Lückenschluss“ durch die rückwärtige Bebauung des Grundstücks V. im Jahr 2000 genehmigt worden ist, gegen die Annahme, dass die planerische Zielvorstellung der Beklagten, Grünflächen für Dauerkleingärten festzusetzen, auf Flächen mit Baulücken tatsächlich noch umgesetzt werden soll.

Das Vorhaben der Klägerin, das selbst unstreitig keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorruft, beeinträchtigt auch nicht deshalb öffentliche Belange, weil es schädlichen Umweltauswirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB ausgesetzt wäre. Die Unzumutbarkeitsschwelle liegt im Vorfeld der enteignungsrechtlichen Unzumutbarkeit und bestimmt sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Grundstücke, die ihrerseits von der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation sowie den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen abhängen (Rieger, in: Schrödter (Hrsg.), BauGB, 8. Auflage, § 35, Rn. 106). Unter Berücksichtigung der geplanten Errichtung im rückwärtigen südlichen Grundstücksbereich ist derzeit weder ersichtlich noch von der Beklagten substantiiert dargelegt, dass die von der K. /B 441 ausgehenden Umwelteinwirkungen durch Verkehrslärm - trotz der abschirmenden Wirkung der bereits vorhandenen Bebauung südlich der K. und östlich der Straße Im Holze - die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten und dass diesen Beeinträchtigungen im Baugenehmigungsverfahren nicht durch bauordnungsrechtliche Nebenbestimmungen zum (passiven) Schallschutz Rechnung getragen werden könne.

Auch der öffentliche Belang, dass durch die Bebauung eine Splittersiedlung nicht entstehen, erweitert oder verfestigt werden darf (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB), wird durch das Bauvorhaben der Klägerin nicht beeinträchtigt. Mit der Entstehung ist die erstmalige Bildung einer Splittersiedlung gemeint, unter Verfestigung versteht man die Auffüllung des bereits in Anspruch genommenen räumlichen Bereichs und unter Erweiterung die zusätzliche räumliche Ausdehnung der Siedlung in die freie Landschaft (BVerwG, Beschl. v. 17.03.2015 - 4 B 45/14 -, juris; Rieger, in Schrödter, BauGB, 8. Auflage, § 35, Rn. 138). Das geplante Bauvorhaben auf der rückwärtigen Fläche des Grundstücks K. soll innerhalb der Grenzen der bislang vorhandenen Wohnbebauung A-Straße (im Norden), H. (im Westen) und L. und Y. (im Süden) errichtet werden und liegt auch in östlicher Richtung innerhalb einer in Nord-Süd-Richtung gedachten Linie der Wohngebäude Z., L. und N.. Damit führt das Vorhaben zu keiner zusätzlichen räumlichen Ausdehnung der Siedlung in die freie Landschaft, sondern füllt eine bestehende Baulücke im Sinne einer Verfestigung einer Splittersiedlung aus. Eine städtebaulich zu missbilligende Verfestigung einer Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB wird dann angenommen, wenn in der Ausführung des beantragten Vorhabens ein Vorgang der unorganischen Zersiedelung gesehen werden muss. Letzteres ist in der Regel zu bejahen, wenn es dem Vorhaben einer deutlichen Unterordnung unter den vorhandenen Bestand fehlt (BVerwG, Urt. v. 18.05.2001 - 4 C 13/00 - juris), wobei nicht nur der Baukörper selbst, sondern auch alle Folge-(Signal-)Wirkungen, die er hervorruft oder in nicht verlässlich auszuschließender Weise hervorrufen kann, zu berücksichtigen sind (Nds. OVG, Urt. v. 05.08.2010 - 1 LB 50/10 -). Die Prüfung, ob eine solche Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist, hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 27.03.2009 (1 LA 18/09) anhand folgender Kriterien vorgenommen:

„Soll eine Splitterbesiedlung - darum handelt es sich hier - mit dem streitigen Vorhaben lediglich "aufgefüllt" werden, führt das nur dann zu einer dem Bauwilligen nachteiligen Anwendung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, wenn dies als städtebaulich zu missbilligender Vorgang anzusehen ist. Das anzunehmen versteht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. insbesondere Urt. v. 3. Juni 1977 – IV C 37.75 -, BVerwGE 54, 73 = BauR 1977, 398 = BayVBl. 1978, 215; s. a. B. v. 24. Februar 1994 – 4 B 15.94 -, ZfBR 1994, 151 = UPR 1994, 231) nicht gleichsam von selbst. Eine solche Annahme bedarf danach vielmehr der konkreten Begründung. Zu "befürchten" und damit zu missbilligen kann eine solche Inanspruchnahme des Außenbereichs unter anderem sein, wenn das hinzutretende Vorhaben Ansprüche begründet, die sich in der vorhandenen Splittersiedlung nicht befriedigen lassen, wenn das hinzutretende Vorhaben eine weitreichende oder zumindest nicht verlässlich einzugrenzende Vorbildwirkung für weitere Vorhaben besitzt. Zu missbilligen ist ein solcher Vorgang ferner dann, wenn sich das hinzutretende Vorhaben der vorhandenen Splittersiedlung nicht deutlich unterordnet und seine Herstellung auch nicht ausnahmsweise durch eine herkömmliche Siedlungsform gerechtfertigt wird. Schließlich kann die Verfestigung einer Splittersiedlung zu missbilligen sein, wenn in der Splittersiedlung durch miteinander konkurrierende Nutzungsinteressen Spannungen angelegt sind und das in Rede stehende Vorhaben geeignet ist, diese zu verschärfen.“

Gemessen daran ist eine zu missbilligende Verfestigung der Splittersiedlung durch das Vorhaben der Klägerin nicht zu befürchten. Auf der einen Seite ordnet sich das geplante Vorhaben (Errichtung eines Einfamilienhauses) angesichts der Wohnbebauung mit insgesamt 13 (nichtprivilegierten) Wohnhäusern im Bereich der X. sowie der Straße AA. der vorhandenen Splittersiedlung deutlich unter. Auf der anderen Seite ist nicht zu erwarten, dass das Vorhaben eine weitreichende Vorbildwirkung für weitere Vorhaben besitzt, da die von der Beklagten befürchtete Bebauung der rückwärtigen Grundstücke AB. als Erweiterung (und damit nicht mehr nur als Verfestigung) einer Splittersiedlung zu bewerten wäre. Während mit der Bebauung auf der rückwärtigen Grundstücksfläche A-Straße lediglich eine Baulücke gefüllt wird, würde eine Bebauung auf den Grundstücken AB. eine zusätzliche räumliche Ausdehnung der Siedlung in bislang freigehaltene Flächen südlich der Wohnbebauung und damit eine Erweiterung der Splittersiedlung bedeuten, die sich nicht auf die Vorbildwirkung des streitgegenständlichen Vorhabens beziehen könnte.

Schließlich stehen dem Vorhaben der Klägerin auch nicht die gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB zu berücksichtigenden Ziele des Regionalen Raumordnungsprogramms (RROP) 2005 entgegen. Zwar ergibt sich aus dem RROP 2005 eine zeichnerische Ausweisung für das Gebiet, in dem sich das Vorhabengrundstück befindet, als „Vorranggebiet für Freiraumfunktionen“, in dem nach dem „Plansatz 1.5.06“ bauliche Anlagen im Sinne einer Besiedlung nicht zulässig sind. Allerdings haben die Ziele der Raumordnung nur für raumbedeutsame Vorhaben, d.h. Vorhaben mit überörtlichen Auswirkungen Bedeutung (vgl. nur Rieger, in: Schrödter (Hrsg.), Baugesetzbuch, 8. Auflage, § 35 Rn. 151). Raumbedeutsam kann ein einzelnes Vorhaben nur dann sein, wenn es erhebliche Auswirkungen auf den „Raum“ hat, d.h. dass von ihm infolge seiner Größe oder der von ihm ausgehenden Emissionen Auswirkungen zu erwarten sind, die über den unmittelbaren Nahbereich hinausgehen. Nur dann kann von einer Raumwirkung gesprochen werden, wohingegen Belastungen, die sich nur auf umliegende Grundstücke oder Teile eines Baugebietes erstrecken, dem Bereich des Gebotes der Rücksichtnahme zuzuordnen sind und deshalb unterhalb der Schwelle des größere Zusammenhänge erfassenden Rechts der Raumordnung und Landesplanung verbleiben (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.07.2001 - 8 S 1306/01 -, juris). Dass die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage entsprechende überörtliche Auswirkung haben sollte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.