Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.03.2017, Az.: 3 B 1492/17

Asylantrag; Flüchtlingseigenschaft; Inländergleichbehandlung; Italien

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.03.2017
Aktenzeichen
3 B 1492/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54203
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass anerkannten Flüchtlingen in Italien auf unabsehbare Zeit eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 3 EMRK droht.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 15. Februar 2017 (3 A 1490/17) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 06. Februar 2017 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwältin B., B-Straße, B-Stadt, zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Androhung seiner Abschiebung nach Italien.

Der ledige, am C. in D., geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben Palästinenser mit ursprünglich gewöhnlichem Aufenthalt in Libyen und sunnitisch-islamischer Religionszugehörigkeit.

Am E. stellte er bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Die persönliche Anhörung fand am 07.09.2016 statt. Bei dieser gab er an, Libyen am 18.03.2014 verlassen zu haben. Am 21.03.2014 sei er nach Italien eingereist. Dort habe er einen Asylantrag gestellt und Fingerabdrücke abgegeben. 5 Monate später sei er über den Landweg in die Niederlande gereist, wo er sich 7 Monate aufgehalten habe. Anschließend habe er sich erneut 6 Monate in Italien aufgehalten und sodann wieder einen Monat in den Niederlanden. Am 30.10.2015 sei er auf dem Landweg aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland weitergereist.

Eine Abfrage der EURODAC-Datenbank bestätigte, dass der Antragsteller am 27.03.2014 in Italien (IT1O00A8S) und am 04.09.2014 in den Niederlanden (NL1-2804892713-20140904) registriert worden war. Das Bundesamt stellte am 30.09.2016 ein Aufnahmegesuch an die italienischen Behörden. Das italienische Innenministerium teilte daraufhin mit, dass der Antragsteller bereits als Flüchtling i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention in Italien anerkannt und deshalb nicht im Rahmen des Asylverfahrens zurückzunehmen sei. Es folgte hierzu eine Zweitbefragung des Antragstellers am 17.11.2016. Auf die Frage, ob Umstände der Abschiebung nach Italien entgegenstünden, erläuterte er, dass er in Italien den Winter über auf der Straße gelebt und gelegentlich bei Bekannten oder in der Moschee Zuflucht gefunden habe. Er habe nichts zu essen gehabt und nur einmal in der Woche von der Kirche ein Hilfspaket erhalten. Er habe von geliehenem Geld gelebt und weder Arbeit noch Zugang zu Bildung gefunden.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom F. - am 07.02.2017 per Postzustellungsurkunde versandt - den Asylantrag des Antragstellers unter Ziffer 1 des Bescheides als unzulässig ab und forderte ihn unter Ziffer 3 des Bescheides auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Dem Antragsteller wurde zudem unter Ziffer 3 des Bescheides die Abschiebung nach Italien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Abschiebung nach Ägypten schloss die Antragsgegnerin aus. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Das Bundesamt begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller bereits in Italien eine Anerkennung als Flüchtling und damit internationalen Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erhalten habe, sodass sein Antrag nach § 29 Abs.1 Nr. 2 AsylG unzulässig sei. Aus diesem Grund sei der Antrag materiell nicht zu prüfen. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor, insbesondere komme ein Verstoß gegen die Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht in Betracht. Bei Italien handele es sich als Mitgliedsstaat der Europäischen Union um einen sicheren Herkunftsstaat und der Antragsteller habe keine Anhaltspunkte dafür angegeben, die die Annahme begründeten, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Auch die allgemeine humanitäre Situation in Italien lasse keine Verletzung von Art. 3 EMRK befürchten, denn der erforderliche Umfang der drohenden Gefahr werde nicht erreicht. Weiterhin liege auch kein Verbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor, da dem Antragsteller weder eine individuelle Gefahr drohe, noch eine gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteige.

Der Antragsteller hat am 15.02.2017 gegen diesen Bescheid Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass bereits die Entscheidung über die Unzulässigkeit nach § 29 AsylG die Prüfung erfordere, ob ein Antragsteller Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Jedenfalls seien aber die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben. Der Antragsteller behauptet hierzu, dass ihm in Italien Obdachlosigkeit, Hunger und eine mangelhafte medizinische Versorgung drohten. In Italien lägen systemische Mängel auch im Aufnahmesystem für Schutzberechtigte vor.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid vom F. unter Ziffer 3. ausgesprochene Abschiebungsandrohung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verweist auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges des Bundesamtes Bezug genommen.

Der Einzelrichter hat das Verfahren mit Beschluss vom heutigen Tage wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG auf die Kammer übertragen.

II.

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig. Er ist gemäß §§ 35, 36 Abs. 1, 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die Frist für die Antragstellung gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung ist eingehalten.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht ordnet nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage an, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes das öffentliche Interesse an der in § 75 Abs.1 AsylG angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt. Hierfür sind insbesondere die Erfolgs-aussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG sind, da es sich vorliegend um eine Abschiebungsandrohung in Folge einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG handelt, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erforderlich. Diese sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BeckOK AuslR/Pietzsch AsylG § 36 Rn. 36-42, beck-online).

Nach diesem Maßstab überwiegt im vorliegenden Fall das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nähren derzeit gewichtige Gründe zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Androhung der Abschiebung nach Italien.

Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist § 35 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat das Bundesamt hierbei zugleich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Das Bundesamt hat in seinem Bescheid ausgeführt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben sind, insbesondere eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht in Betracht komme. An dieser Feststellung bestehen zurzeit ernstliche Zweifel. Es sprechen aus Sicht des Gerichts gewichtige Gründe dafür, dass dem Antragsteller in Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK droht und deshalb ein Abschiebeverbot nach Italien gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Bezugspunkt für die Beurteilung des hinreichenden Schutzes ist hierbei, ob der Ausländer bereits einen Schutzstatus in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, erhalten hat. Ist dies der Fall, ist darauf abzustellen, ob der gebotene Inhalt des jeweiligen Schutzstatus hinreichend eingehalten wird oder ein Verstoß gegen die EMRK vorliegt (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2015 - 13 L 3131/14.A -, juris m.w.N.).

aa) In Betracht kommt hierbei insbesondere ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, wenn für den Inhaber des Schutzstatus eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem Zielstaat der Abschiebung ausgesetzt zu sein. Eine solche Behandlung muss hierbei ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten. Dazu können nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413) ausnahmsweise auch auf Armut zurückzuführende schlechte humanitäre Bedingungen gehören. Das gilt zwar nicht in dem Sinne, dass die Vertragsparteien verpflichtet sind, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen allgemein finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O.; ders.: Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 - Mohammed Hussein u.a. gegen die Niederlande und Italien, juris). Auch reicht die drohende Abschiebung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, nicht aus, die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu erreichen. Art. 3 EMRK schützt aber davor, monatelang und ohne Perspektive in extremer Armut leben zu müssen und außerstande zu sein, für die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygieneartikel und Unterkunft aufzukommen (ebenso VG Oldenburg, Beschluss vom 27.01.2015, - 12 B 245/15 -, juris). Einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im vorstehenden Sinne sind Personen, die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, insbesondere aber dann ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not einer behördlichen Gleichgültigkeit gegenüber sehen. Eine solche Situation liegt nach Auffassung des Gerichts nicht erst dann vor, wenn die betreffenden Personen ohne staatliche Hilfe hilflos dem Tod durch Hunger und Krankheit ausgesetzt wären, sondern auch dann, wenn sie ohne staatliche Hilfe erheblich unterhalb des jeweiligen wirtschaftlichen Existenzminimums leben müssten.

bb) Im Rahmen der Prognose, ob Ausländer im Falle ihrer Überstellung in einen anderen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer in diesem Sinne unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein werden, ist dabei nicht allein auf die Rechtslage in diesem Staat abzustellen; maßgeblich ist auch deren Umsetzung in die Praxis (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, a. a. O.; Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 21). Dabei ist zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen betroffenen Personen praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten Gebrauch zu machen (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 96).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sprechen nach Auffassung der Kammer gewichtige Gründe für ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis aufgrund der drohenden Verletzung des Antragstellers in seinem Recht aus Art. 3 EMRK. Aufgrund der dem Gericht zugänglichen Erkenntnismittel liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Falle seiner Überstellung nach Italien dort aufgrund systemischer Schwachstellen der dortigen Aufnahmebedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. des Art. 3 EMRK ausgesetzt sein könnte.

(1) Dies ergibt sich nicht bereits aus einer unzureichenden rechtlichen Ausgestaltung des Flüchtlingsstatus in Italien. Soweit die Genfer Flüchtlingskonvention für anerkannte Flüchtlinge Wohlfahrtsregelungen enthält (Artikel 20 ff. GFK), die vom anerkennenden Drittstaat zu beachten und vom Konzept der normativen Vergewisserung mit umfasst sind, gehen diese im Wesentlichen über Diskriminierungsverbote gegenüber den jeweiligen Inländern nicht hinaus. Namentlich im Bereich der öffentlichen Fürsorge und der sozialen Sicherheit verpflichtet die GFK den Drittstaat zur Inländergleichbehandlung (vgl. Artikel 23, 24 GFK). Gleiches gilt für den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes, der unionsrechtlich vorgegeben wird durch die Regelungen in Artikel 20 bis 35 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU). Danach gelten einheitliche Vorgaben etwa für die Erteilung des Aufenthaltstitels (Artikel 24) und der Reisedokumente (Artikel 25 Absatz 1). Einem anerkannten Schutzberechtigten stehen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung (Artikel 26), zur Bildung (Artikel 27), zum Erhalt von Sozialhilfeleistungen (Artikel 29) und medizinischer Versorgung (Artikel 30) dieselben Rechte wie den jeweiligen Staatsangehörigen zu.

Auf der rechtlichen Ebene ist eine derartige Inländergleichbehandlung in Italien, wo einem anerkannten Asylbewerber oder subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich Aufenthalt, Freizügigkeit, Zugang zu Arbeit und medizinischer Versorgung im Wesentlichen dieselben Rechte wie italienischen Staatsangehörigen zustehen, grundsätzlich gegeben (vgl. Bundesamt, Leitfaden Italien, Oktober 2014, S. 21; AA, Auskunft vom 21. Januar 2013, Ziff. 7. und vom 11. Juli 2012, S. 2 f.; vgl. auch den Bericht "Associazione per gli Studi Giuridici sull"immigrazione" -ASGI- vom 20. November 2012, S. 10; aus der Rspr. ebenso VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 7. Januar 2015 - 13 L 3131/14.A -, juris m.w.N., und vom 18. Januar 2013 - 6 L 104/13.A -, juris; ferner VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2013 - 6 K 7204/12.A -, juris). Angesichts der sozialstaatlichen Besonderheiten ist das schlichte Abstellen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2016 - Az. 13 A 63/16.A -, juris, Rn. 51; VG Augsburg, Urteil vom 16.01.2017 - Az. Au 7 S 16.32708 -, juris, Rn. 19) auf die formelle Inländergleichbehandlung jedoch eine verkürzte Sicht auf die tatsächlichen Verhältnisse. Auch das Argument des OVG Nordrhein-Westfalen (a.a.O., Rn. 58ff), dass die Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU nicht über eine Inländergleichbehandlung hinausgehen und in Italien umgesetzt sind, liegt neben der Sache, da der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK nicht zur Disposition des Richtliniengebers steht und wie gezeigt neben einer formell-rechtlichen Seite auch Anforderungen an die tatsächlichen Verhältnisse stellt, die durch die Richtlinie nicht abgesenkt werden können.

(2) Nach Auffassung der Kammer gibt es aber hinreichend valide Hinweise darauf, dass es dem Antragsteller als einem Ausländer mit Schutzstatus in Italien nach den dort derzeit herrschenden Verhältnissen tatsächlich nicht gelingen kann, unter Ausnutzung der ihm formal zustehenden Rechte eine seine Menschenwürde nicht verletzende, hinreichende materielle und soziale Existenzgrundlage zu erlangen, sondern er im Sinne der o. a. Rechtsprechung des EGMR in einem ihm völlig fremden Umfeld auf unabsehbare Zeit mangels staatlicher Unterstützung in Obdachlosigkeit sowie ernsthafter, existenzbedrohender Armut und Bedürftigkeit verbleiben würde.

(a) Bezüglich Italiens gilt, dass sich die Situation für anerkannte Schutzberechtigte in der Regel schwieriger als für Personen darstellt, die sich dort noch im Asylverfahren befinden, insbesondere hinsichtlich der Wohnungssuche (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrern in Italien, August 2016, S. 35; borderline-europe e.V., Gutachten Dezember 2012, S. 52). Dies beruht gerade darauf, dass anerkannte Schutzberechtigte Einheimischen gleichgestellt werden. Das hat zur Folge, dass anerkannte Schutzberechtigte im Gegensatz zu Asylbewerbern weitgehend von staatlichen Leistungen ausgeschlossen sind und ihnen in der Praxis, soweit sie nicht selbst über ausreichende Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügen, ab dem Moment der Schutzgewährung in der Regel weder Unterkunft noch Verpflegung zur Verfügung stehen. Zwar erhalten anerkannte Schutzberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis, mit der sie grundsätzlich dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige genießen, insbesondere freien Zugang zum Arbeitsmarkt und weitgehend kostenfreien Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung. Allerdings sind anerkannte Schutzberechtigte selbst für eine Unterkunft und die Bestreitung ihres Lebensunterhalts verantwortlich. Ein Anspruch auf weitere Sozialleistungen besteht grundsätzlich nicht (vgl. AA, Auskünfte vom 21. Januar 2013, Punkt 7, sowie vom 24. Mai 2013, Antwort zu Frage 12; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013; S. 47; bordermonitoring.eu, Vai Via - zur Situation der Flüchtlinge in Italien: Ergebnisse einer einjährigen Recherche, S. 21 f).

(b) Ein der deutschen Rechtslage vergleichbares System der Sozialhilfe gibt es in Italien nicht. Das italienische Sozialsystem stützt sich nach wie vor stark auf die Unterstützung durch Familienangehörige und das soziale Umfeld (vgl. Bundesamt, Leitfaden Italien, Oktober 2014). Anerkannte Flüchtlinge sind damit trotz ihres rechtlich verbesserten Status bei der Suche nach Verpflegung und Unterkunft faktisch auf sich allein gestellt, da sie weder in den Genuss der für Asylbewerber vorgesehenen Sozialleistungen kommen, noch das familiäre oder soziale Umfeld in Italien haben, das ihnen dabei helfen kann, die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu decken.

Eine allgemeine Aussage über den tatsächlichen Umfang von Sozialleistungen in Italien lässt sich nicht treffen. Für die Festsetzung der verfügbaren Sozialhilfeleistungen sind grundsätzlich die Regionen zuständig, in bestimmten Regionen wie z.B. der Emilia Romagna oder der Toskana, die Kommunen. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft oder Haushaltslage auf. So kann die Hilfe in Mailand bei günstiger Haushaltslage 250 Euro pro Monat betragen und bis zu 6 Monate ausgezahlt werden, wohingegen in Rom die Leistung bis zu 500 Euro im Jahr betragen kann (SFH, a.a.O., August 2016, S. 35, 49ff). Diese Sozialhilfe kann Personen gewährt werden, die nicht über Mindesteinkünfte zur Bestreitung grundlegender Bedürfnisse verfügen. Die Ausgaben für die Sicherung des Lebensunterhalts machen oft nur einen kleinen Teil der Gesamtsumme aus; stärker ins Gewicht fallen spezifische Sach- und Geldleistungen oder Familienleistungen, die je nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt sind (vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitische Information Italien, Januar 2012, S. 24 f.).

(c) Diese auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung herangezogenen Sozialhilfeleistungen stehen lediglich denjenigen zu, die in der betreffenden Gemeinde registriert sind. Berichten zufolge verweigern jedoch die Gemeinden die Neuregistrierung von Personen, die hilfebedürftig sind, in ihrer Gemeinde, wenn sie dort nicht über einen nachgewiesenen Wohnsitz verfügen. Dadurch bleiben sie hinsichtlich des Bezugs von Sozialhilfeleistungen an ihren ursprünglichen Wohn- bzw. Registrierungsort gebunden, weil sie ohne finanzielle Mittel andernorts keinen Wohnraum finden können (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bewegungsfreiheit in Italien für mittellose Personen mit Schutzstatus, 4. August 2014, S. 3 ff). Im Hinblick auf den hier zu entscheidenden Fall ist für die gebotene Interessenabwägung daher in den Blick zu nehmen, dass der Antragsteller als Person mit internationalem Schutzstatus sich voraussichtlich gerade nicht - wie vielfach in der Rechtsprechung zu Grunde gelegt - in ganz Italien grundsätzlich frei bewegen und niederlassen könnte. Ausweislich des Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 4. August 2014 ist es vielmehr so, dass solche Personen regelmäßig an den Ort ihrer ersten Registrierung zurückkehren müssen, da sie faktisch keine Möglichkeiten haben, an einem anderen Ort eine Wohnung zu finden sowie dem folgend eine Registrierung und damit Zugang zu sozialen Fürsorgeleistungen zu erhalten. Die Zahlung eines weiteren finanziellen Beitrages koppelt das italienische Sozialsystem schließlich an die Unterbringung in einer der staatlichen Einrichtungen (hierzu sogleich). In SPRAR-Zentren erhalten die dort untergebrachten Personen neben Verpflegung ein tägliches Taschengeld in Höhe von 1,50 Euro pro Person. Personen, die dort nicht untergebracht sind, erhalten diese Hilfe aber nicht (SFH, a.a.O., August 2016, S. 50).

(d) Im Gegensatz zu Asylbewerbern haben anerkannte Schutzberechtigte keinen Zugang mehr zu Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber oder zu aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierten Unterkünften. Ihnen stehen allenfalls Unterkünfte aus dem Zweitaufnahmesystem (sog. SPRAR-System) offen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn sie eine SPRAR-Unterkunft bereits einmal vorzeitig verlassen haben oder einen einstmals zugewiesenen Platz nicht wahrgenommen haben. Nach den Regularien des SPRAR-Systems dürfen anerkannte Schutzberechtigte höchstens 6 Monate in den Einrichtungen verbringen, nur in humanitären Ausnahmefällen darf die Dauer um weitere 6 Monate verlängert werden (AIDA, Country Report Italy, Dezember 2016, S. 110f). Diese Dauer erweist sich im Regelfall als ungenügend, um zu gewährleisten, dass die Personen anschließend für sich selbst sorgen können, insbesondere angesichts der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Von den wenigen Schutzberechtigten, die einen Platz erlangen konnten, verließen 2015 lediglich 33% die Einrichtung aufgrund einer „erfolgreichen Integration“ (SFH, a.a.O., S. 38f).

Hinzu kommt, dass die Kapazität des SPRAR-Systems nicht ausreichend ist und nur für eine geringe Anzahl berechtigter Personen eine Unterkunft bietet (SFH, a.a.O., S. 41; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013; S. 21 ff.). Zwar wurde die Anzahl der verfügbaren Unterkünfte im SPRAR-System in den letzten Jahren signifikant erhöht und bietet nunmehr Platz für rund 23.000 Personen; dem steht jedoch eine stetig steigende Zahl von anerkannten Flüchtlingen in Italien sowie Asylbewerbern, die ebenfalls durch das SPRAR-System versorgt werden, gegenüber. Laut eurostat beantragten rund 200.000 Menschen in den Jahren 2015 und 2016 in Italien Asyl. Bereits 2014 waren die SPRAR-Unterkünfte zu 61% von Asylsuchenden belegt, mit einer bis dahin stark steigenden Tendenz (SFH, a.a.O., August 2016, S. 12ff, S. 36). Trotz des Ausbaus deckt das SPRAR-System daher lediglich einen Bruchteil des für das System vorgesehen Gesamtbedarfs (AIDA, a.a.O., S. 71). Die Anzahl der verfügbaren Plätze im SPRAR-System ist weiterhin signifikant niedriger als im Erstaufnahmesystem und stellt den Flaschenhals des italienischen Asylsystems dar (SFH/DRC, Is mutual trust enough? The situation of persons with special reception needs upon return to Italy, Februar 2017, S. 7), da mit steigenden Asylbewerberzahlen auch die Anzahl der anerkannt Schutzberechtigten, die auf das Zweitaufnahmesystem angewiesen sind, steigt. Die Wartezeit für die Aufnahme in eine SPRAR-Einrichtung kann phasenweise mehr als zwölf Monate betragen (ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, März 2015, S. 37). Nur wenigen Schutzberechtigten gelingt es daher, eine SPRAR-Unterkunft zu erhalten (SFH, aa.O., S. 37). Das Dublin Returnee Monitoring Project (DRMP) des Danish Refugee Council (DRC) ergab, dass in keinem der sechs beobachteten Fälle von den Ende 2016 im Rahmen des Dublin-Verfahrens zurückgenommenen Asylbewerbern den Betroffenen bei ihrer Rückkehr eine SPRAR-Unterkunft zur Verfügung gestellt werden konnte, obgleich es sich ausnahmslos um besonders vulnerable und daher bevorzugt zu behandelnde Personen wie schwangere Frauen und Familien mit Säuglingen handelte. Auch das Bundesverfassungsgericht konstatiert das Vorliegen belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Versorgung nach Italien überstellter Ausländer mit einer tauglichen Unterkunft (vgl. Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, AuAS 2014, 244 (juris Rn. 15). All dies lässt den Zugang eines alleinstehenden und gesunden jungen Mannes zum SPRAR-System erst recht äußerst fraglich erscheinen.

(e) Auch gemeindliche Sozialwohnungen stellen keine Alternative dar, da sie in der Regel eine fünfjährige Aufenthaltszeit in Italien voraussetzen und selbst dann mit langer Wartezeit verbunden sind. In Mailand gibt es eine Warteliste mit über 10.000 Personen, von denen jährlich etwa 400 in einer Sozialwohnung untergebracht werden können (SFH, a.a.O., S. 50). Aufgrund dieser schwerwiegenden Unterversorgung teilt das Gericht auch nicht die Auffassung des VG München (Urteil vom 25.10.2016 - Az. M 12 K 16.32038 -, juris, Rn. 35), dass das SPRAR-System in der aktuellen Verfassung gewährleisten kann, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausbleibt.

(f) Die Chancen eines anerkannten Schutzberechtigten, seinen Lebensunterhalt ohne staatliche Sozialleistungen zu bestreiten, sind ebenfalls gering. Die Arbeitslosigkeit in Italien in der Bevölkerungsgruppe zwischen 14 und 24 Jahren betrug im Dezember 2016 40,1%. Aufgrund dieser ohnehin sehr hohen Arbeitslosenquote unter jüngeren Personen erscheint es für anerkannte Flüchtlinge kaum möglich, in Italien eine Arbeitsstelle zu finden, da sie auf dem Arbeitsmarkt mit Personen mit Sprachkenntnissen und oftmals besserer oder zumindest anerkannter Ausbildung konkurrieren müssen. Zahlreiche Schutzberechtigte müssen ihren Unterhalt aus diesem Grund durch Schwarzarbeit - insbesondere in der saisonalen Landwirtschaft und als Haushaltshilfen - in der Schattenwirtschaft oder als Straßenhändler bestreiten. Die Arbeitsbedingungen sind prekär und das Einkommen reicht selten aus, um eine Existenz zu sichern. Selbst wenn Vermieter auf den Nachweis eines Arbeitsvertrages verzichten, reichen die Stundenlöhne in Städten nicht aus, um neben der Verpflegung eine Unterkunft zu finanzieren (SFH, a.a.O., August 2016, S. 52).

(g) Das Problem verschärft sich dadurch, dass Integrationsprogramme nur in rudimentärem Umfang verfügbar sind und Schutzberechtigten kaum Sprach- oder sonstige Kenntnisse vermittelt werden, die auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden. Staatliche Maßnahmen, um Arbeitsplätze für Schutzberechtigte zu schaffen, wurden Stand August 2016 nicht ergriffen. Das knappe Angebot an Sprach- und sonstigen Integrationskursen ist regelmäßig an einen Aufenthalt im SPRAR-System gekoppelt, sodass der Großteil der anerkannt Schutzberechtigten außen vor bleibt. Auf eine Lehrperson kommen zudem derzeit ca. 200 Lernende (SFH, a.a.O., August 2016), sodass von einem „intensiven, individualisierten Integrationsprogramm mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche“ (VG München, a.a.O.) schwerlich die Rede sein kann. Im Übrigen werden Kurse und Schulen von Hilfswerken und nicht vom Staat organisiert.

(h) Die unzureichende Kapazität des italienischen Aufnahmesystems und die geringen Aussichten, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, führen dazu, dass zahlreiche Ausländer, und zwar sowohl Asylbewerber als auch anerkannte Schutzberechtigte, obdachlos sind oder unter unzumutbaren Bedingungen in besetzten Gebäuden oder slumartigen Siedlungen mit oftmals vielen hundert, in einigen Fällen tausenden von Bewohnern leben. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein weit verbreitetes Schicksal (Ärzte ohne Grenzen, Out of Sight - Asylum seekers and refugees in Italy: informal settlements and social marginalization, März 2016; bordermonitoring.eu, Vai Via - zur Situation der Flüchtlinge in Italien: Ergebnisse einer einjährigen Recherche, S. 21 f.; Der Spiegel; Mogadischu in Apulien, Nr. 25 vom 17. Juni 2013, S. 34; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013; S. 35 f. und 40 bis 42; Frankfurter Rundschau, Die Vergessenen, 9. Oktober 2013). Die Schätzungen reichen bis 10.000 Menschen, die Mehrzahl hiervon anerkannt Schutzberechtigte, die in oben genannten informellen Siedlungen leben, häufig unter schlechtesten humanitären Bedingungen und ohne Zugang zu Trinkwasser oder Strom. Alleine in Rom lebten im Sommer 2016 schätzungsweise zwischen 2250 und 2880 Frauen, Männer und Kinder, von denen etwa 72% einen Schutzstatus in Italien haben, in solchen informellen Siedlungen und besetzten Häusern. 73% der Bewohner sind ohne Arbeit, die Beschäftigungsverhältnisse der übrigen sind äußerst prekär (SFH, a.a.O., August 2016, S. 44; Ärzte ohne Grenzen, a.a.O., S. 13). Befragungen haben ergeben, dass die Bewohner informeller Siedlungen im Schnitt seit sechs Jahren in Italien leben (Ärzte ohne Grenzen, a.a.O., S. 12). Die prekäre und aussichtslose Lage der Bewohner in den Siedlungen bringt oftmals ein Gewaltpotenzial mit sich, das nicht nur für Frauen und Kinder, sondern auch für Männer gefährlich und schwer berechenbar ist (SFH, a.a.O., August 2016, S. 47). Aufgrund dieser Berichte hält das Gericht daher den Schluss des OVG Nordrhein-Westfalen (a.a.O., Rn. 77), dass sich die Lage in Italien drastisch gebessert habe und nunmehr nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.02.2016 an das Gericht ausreichend staatliche Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, nicht für ausreichend substantiiert genug, um die oben geschilderten Zweifel auszuräumen.

(i) Dass Italien Anstrengungen unternimmt, um die vorhandenen Defizite zu beseitigen, führt entgegen dem Standpunkt des OVG Nordrhein-Westfalen zu keinem anderen Ergebnis. Soweit hierbei auf Bemühungen abgestellt wird, die Zahl der Unterkunftsplätze zu erhöhen, folgt dies schon daraus, dass anerkannten Schutzberechtigten allenfalls nur für kurze Übergangsphasen Ansprüche auf eine Unterbringung zustehen können. Im Übrigen lassen Bemühungen allein die Verletzung des Art. 3 EMRK nicht entfallen, es kommt vielmehr darauf an, ob die Defizite beseitigt worden sind (VG Minden, Urteil vom 10.05.2016 - Az. 10 K 2248/14 -, juris, Rn. 134). Der Erfolg der Maßnahme, die eine Erhöhung der Kapazität im SPRAR-System auf 35.000 vorsieht, bleibt ohnehin angesichts der nicht abebbenden Flüchtlingsströme über das Mittelmeer fraglich.

(j) Personen, die keinen Platz im SPRAR-System haben, erhalten auch keine Verpflegung von staatlicher Seite. Religiöse Gemeinschaften, NGOs und Suppenküchen verteilen Nahrung an Bedürftige und geben vereinzelt die Gelegenheit dazu, hygienische und sanitäre Grundbedürfnisse zu decken. Angesichts dessen verbringen zahlreiche anerkannt Schutzberechtigte ihren Alltag mit der Suche nach Essens-, Schlaf- und Waschmöglichkeiten, was die Wahrnehmung von Sprachkursen oder integrationsfördernden Maßnahmen noch weiter erschwert (SFH, a.a.O., August 2016, S. 48).

Auch der Einsatz von Nichtregierungsorganisationen, religiösen Einrichtungen und anderen karitativen Organisationen kann, entgegen den Argumenten des VG München und des OVG Nordrhein-Westfalen, nach Auffassung des Gerichts die ernstlichen Zweifel nicht ausräumen. Das Abstellen auf kirchliche und von NGOs betriebene Notunterkünfte ist bereits deshalb irreführend, weil diese in erheblichem Umfang im Auftrag der Gemeinden geführt und von Italien in die Kapazität des SPRAR-Systems eingerechnet werden. Über die Anzahl derjenigen Notschlafstellen, die darüber hinaus angeboten werden, sind angesichts der starken Fragmentierung des Systems und fehlender Koordination zwischen den einzelnen Akteuren keine verlässlichen Informationen verfügbar. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sind die Kapazitäten jedenfalls sehr beschränkt. Zusätzlich ist zu beachten, dass viele der verfügbaren Unterbringungsplätze nicht ausschließlich Personen aus dem Asylbereich zur Verfügung stehen, sondern allen bedürftigen einheimischen und ausländischen Personen. Angesichts der hohen Anzahl von einreisenden Personen, die kein Asylgesuch stellen, ist dies ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Verfügbarkeit von Unterbringungsplätzen (SFH, a.a.O., S. 16). Im Einzelfall handelt es sich oft nur um einen notfallmäßigen Schlafplatz für eine kurze Zeit, oftmals lediglich für eine Nacht, der keine Antwort auf das Problem der verbreiteten dauerhaften Obdachlosigkeit unter anerkannten Schutzberechtigten bietet.

cc) Angesichts dessen muss ernsthaft befürchtet werden, dass auch der Antragssteller bei einer Rückkehr nach Italien in eine wirtschaftlich und sozial aussichtslose Situation geraten könnte, in der er auch auf längere Sicht von Obdachlosigkeit, wirtschaftlicher Verelendung und sozialer Perspektivlosigkeit konkret bedroht wäre, ohne solchen ihm nach Art. 3 EMRK nicht mehr zumutbaren Verhältnissen innerhalb Italiens ausweichen zu können. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller ein alleinstehender und gesunder, junger Mann ist, führt hier zu keiner anderen Einschätzung hinsichtlich der drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK. Das VG Minden hat hierzu ausgeführt:

„Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit denen der Gerichtshof im Fall eines alleinstehenden und gesunden jungen Mannes, dem in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde - Entscheidung vom 13. Januar 2015 - 51428/10 (A.M.E./Niederlande) -, HUDOC Rn. 34 ff. -, bzw. im Fall eines psychisch kranken jungen Mannes - Urteil vom 30. Juni 2015 - 39350/13 (A.S./Schweiz) -, HUDOC Rn. 36 ff. - urteilte, dass diesen in Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, führen zu keiner anderen Bewertung des vorliegenden Falls. Diesen beiden Entscheidungen lassen sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die italienischen Behörden anerkannte Schutzberechtigte, die nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügen, entgegen der dem Gericht vorliegenden aktuellen Unterlagen mit einer angemessenen Unterkunft versorgen und ihren unabdingbaren Lebensunterhalt sicherstellen. Angesichts der vorstehend beschriebenen Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Italien ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die dargelegten Unzulänglichkeiten nicht nur Familien mit kleinen Kindern - vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 120 f. -, sondern auch Personen ohne besonderen Schutzbedarf wie den Kläger betreffen. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in zwei die Lebensverhältnisse für Asylbewerber in Griechenland betreffenden Entscheidungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund dessen bejaht, dass diese über mehrere Monate ohne Hilfsmittel und ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen sowie ohne die zur Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel auf der Straße gelebt hatten. Aufgrund dieser Existenzbedingungen verbunden mit der langen Ungewissheit und ohne jede Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage sei das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht. Vgl. Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (MSS/Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413, Rn. 263, und vom 4. Februar 2016 - 37991/11 (Amadou/Griechenland) -, Hudoc Rn. 58 ff.; s.a. Bank, in: Dörr u.a., Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Band I, 2. Auflage 2013, Kapitel 11 Rn. 115. Vergleichbaren Existenzbedingungen sind auf staatliche Unterstützung angewiesene anerkannte Schutzberechtigte - wie bereits unter dargelegt - zur Überzeugung des Gerichts in Italien ausgesetzt“ (VG Minden, a.a.O., Rn. 138).

Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Es sprechen jedenfalls gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller weder durch staatliche Leistungen Unterkunft und Lebenshaltung ermöglicht werden, noch es ihm selbst gelingen kann, durch Arbeit finanziell unabhängig zu werden. Dass der Antragsteller selbst über ausreichende Mittel verfügt, um zumindest eine Zeit lang seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist nicht ersichtlich. Er hat auch keine Verwandten oder Freunde, die ihn mittelfristig beherbergen können. Hierfür spricht bereits, dass er die oben beschriebenen, typischen Probleme von Asylbewerbern und anerkannten Schutzberechtigten in Italien durchlaufen hat und infolge seiner Obdachlosigkeit darauf angewiesen war, notdürftig bei Bekannten oder in Moscheen zu übernachten. Arbeit oder Sprachkurse waren für ihn nicht verfügbar, hinsichtlich seiner Verpflegung war er auf karitative Einrichtungen angewiesen, die für ihn einmal wöchentlich ein Hilfspaket zusammengestellt haben. Folglich sieht der Antragsteller infolge seiner Mittellosigkeit im Falle seiner Abschiebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Zukunft ohne Obdach oder in einer informellen Siedlung entgegen. Nach Kenntnislage des Gerichts sind beide Möglichkeiten weiterhin wie dargestellt mit schlechtesten humanitären Bedingungen verbunden, ohne Möglichkeit darauf, die Grundbedürfnisse nach Hygiene, Unterkunft und Nahrung zu sichern und ohne ersichtliche Perspektive darauf, dauerhaft ein Existenzminimum zur Verfügung zu haben und dieser Lage zu entkommen. Aus diesem Grund bestehen ernstliche Gründe für die Annahme, dass das erforderliche Mindestmaß an Schwere der schlechten humanitären Bedingungen für eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Italien überschritten ist.

b) Der Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass der Zielstaat Italien grundsätzlich als sicherer Drittstaat i.S.v. § 29a AsylG anzusehen ist. Die grundsätzliche normative Festlegung als sicherer Drittstaat führt nicht dazu, dass sich ein Ausländer, der dorthin abgeschoben werden soll, dagegen nicht mit der Behauptung wehren kann, ihm drohe bei einem Vollzug der Abschiebung in dem Zielstaat eine die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder der Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) verletzende Behandlung. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG liegt das sog. Konzept der normativen Vergewisserung zu Grunde. Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der GFK, der EMRK und den Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, juris Rn. 181). Dieses nationale Konzept steht im Einklang mit dem hinter der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (vgl. Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) stehenden "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi)-, juris Rn. 52 f., 60). Selbiges beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Richtlinie 2011/95/EU, der GFK sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

Unter diesen Bedingungen muss die grundsätzliche Vermutung gelten, die Behandlung eines als schutzberechtigt anerkannten Ausländers stehe in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den genannten Rechten (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 10 ff., 75, 78, 80). Diese grundsätzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. So greift die "sichere Drittstaatenregelung" (nur) dann nicht, wenn sich auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängt, der Ausländer sei von einem Sonderfall betroffen, der von dem "Konzept der normativen Vergewisserung" bzw. dem "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" nicht aufgefangen werde (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 -, juris, Rn. 52 f., 60 zum "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens"; BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, juris, Rn. 189 zum "Konzept der normativen Vergewisserung"). Von einem solchen Fall ist dann auszugehen, wenn es ernst zu nehmende und durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in dem Mitgliedstaat, in den abgeschoben werden soll, in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz gewährt wird (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2015 - 13 L 3131/14.A -, juris m. w. N.). Ein solcher Sonderfall liegt nach dem Bundesverfassungsgericht auch dann vor, wenn der Drittstaat anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterwirft (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, BVerfGE 94, 49 -, juris, Rn. 189). Unter diese Ausnahme können auch unzureichende Aufnahmebedingungen im Drittstaat fallen. Dass diese Bedingungen regelmäßig nicht nur einzelne Personen, sondern größere Gruppen von Personen erfassen, steht dem nicht entgegen. Die vom Bundesverfassungsgericht als nicht vom Konzept der normativen Vergewisserung erfassten Ausnahmefälle gelten nicht nur für Einzelfälle (VG Minden, Urteil vom 10.05.2016 - Az. 10 K 2248/14.A -, juris, Rn. 162ff m.w.N.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Da der Antragsteller bedürftig ist und sein Antrag in der Sache Erfolg hat, ist ihm wie beantragt auch Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 80 AsylG.