Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 27.03.2017, Az.: 10 A 375/16

Asylverfahrensanspruch; Asylverfahrensrichtlinie; Bulgarien; Dublin III VO Bulgarien; Refugee in orbit; Systemische Mängel; Zugang zum Asylverfahren

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.03.2017
Aktenzeichen
10 A 375/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54115
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Abschiebung von Schutzsuchenden nach Bulgarien nach der Dublin III-Verordnung ist gegenwärtig unzulässig, weil der Zugang zu einem richtlinienkonformen Asylverfahren für Dublin-Rückkehr nicht hinreichend gewährleistet ist.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Bulgarien im Rahmen eines sog. Dublin-III-Verfahrens und begehrt die Prüfung seines Asylbegehrens durch die Beklagte im nationalen Verfahren.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben ruandischer Staatsangehöriger. Er reiste ebenfalls nach eigenen Angaben am 9. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 3. November 2015 einen Asylantrag. In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (im Folgenden: Bundesamt) gab der Kläger an, u. a. über Bulgarien in die Bundesrepublik gereist zu sein.

Die Überprüfung der Fingerabdrücke des Klägers im EURODAC-System ergab, dass er am 23. April 2013 in Bulgarien einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesamt richtete daher unter dem 11. Oktober 2015 ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Die zuständige bulgarische Behörde erklärte daraufhin mit Schreiben vom 18. November 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab, befristete das gesetzliche Wiedereinreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien an.

Der Kläger hat am 18. Januar 2016 rechtzeitig Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Gericht mit Beschluss vom 8. März 2016 entsprochen (10 B 376/16).

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass ihm bei einer Zurückschiebung nach Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Gründe ihres Bescheides.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG mit Beschluss vom 8. Juli 2016 übertragen hat, und nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid, weil der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass gegen Entscheidungen des Bundesamtes, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27 a AsylG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.2015 – BVerwG 1 C 32.14 –, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6.11.2014 – 13 LA 66/14 –, juris; OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; BayVGH, Beschluss vom 2.2.2015 – 13 a ZB 14.50068 –, juris).

II.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Beklagte stützt ihre Entscheidungen auf § 29 Abs. 1 Nr. AsylG und § 34 a AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Da der Kläger seinen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes nach dem 1. Januar 2014 gestellt hat, sind nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (vom 29.6.2013, Abl. L 180) – Dublin III-VO – die Vorschriften dieser Verordnung anzuwenden. Danach ist zwar zunächst Bulgarien gem. Art. 13 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7 bzw. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Die Beklagte kann sich auf eine Zuständigkeit Bulgariens jedoch nicht berufen, weil der angeordneten Abschiebung des Klägers dorthin dauerhafte Hindernisse entgegenstehen (1.) und die Beklagte das Verfahren daher in eigener Zuständigkeit durchführen muss (2.).

1. Es steht nicht fest, dass die Abschiebung im Sinne von § 34 a Abs. 1 AsylG durchgeführt werden kann. Denn nach Auffassung des Gerichts ist eine Überstellung nach Bulgarien gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger dort systemische Schwachstellen aufweisen, die schon den Zugang des Klägers zum Asylverfahren gefährden.

Ein systemischer Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil der Großen Kammer vom 14.11.2013 – Rs. C-4/11, Puid –, NVwZ 2014, 129 Rn. 30) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 4.11.2014 – Nr. 29217/12, Tarakhel –) ist eine Systemstruktur oder eine fehlende Struktur im staatlichen Asylverfahren, die als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dazu führt, dass Fälle, die diese Systemstelle durchlaufen, Rechtsverletzungen verursachen (vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107). Das ist etwa dann anzunehmen, wenn die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren selbst an grundlegenden Mängeln leidet oder dass der Mitgliedsstaat während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.3.2014 – 1 A 21/12.A –, juris). Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Mindestanforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, ergibt sich daraus (konkretisierend) der einzuhaltende Maßstab. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.3.2014 – a. a. O. –).

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung von systemischen Mängeln im Asylsystem Bulgariens auszugehen. Denn das Gericht geht davon aus, dass in Bulgarien gegenwärtig die reale Gefahr besteht, dass der Antragsteller in seinem subjektiven Recht auf Sachprüfung des Asylantrages nach Art. 18 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO verletzt wird. Die darin liegende faktische Vereitelung des Asylgrundrechts genügt nicht den Mindestanforderungen der Dublin III-VO sowie der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180, S. 60 ff., sog. Asylverfahrensrichtlinie). Die Richtlinie 2013/32/EU verlangt, dass die Verwaltung mit aller gebotenen Sorgfalt die entsprechenden Erklärungen der betroffenen Person zur Kenntnis nimmt, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls untersucht und ihre Entscheidung eingehend begründet. Aus der Dublin III-VO kommt dem Antragsteller das Recht zu, eine inhaltliche Prüfung seines Antrages zu erhalten (vgl. Filzwieser/ Sprung, Dublin III Verordnung, Stand: 1.2.2014, Art. 18, K17).

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. In Ausformung des Asylgrundrechts gemäß Art. 18 GR-Charta, dessen uneingeschränkte Wahrung das erklärte Ziel der Dublin III-VO ist (vgl. Erwägungsgrund 39 Satz 2 der Dublin III-VO), wird damit den Asylbewerbern ein Anspruch auf sachliche Prüfung ihrer Asylanträge in einem der Mitgliedstaaten gewährt, wenn auch nicht notwendig in dem gewünschten Staat (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 5.10.2015 – 5 B 259/15.A –, juris).

Art. 18 Abs. 2 der Dublin III-VO stellt die sachliche Prüfung des Asylantrages bzw. den Abschluss derselben für die Dublin-Rückkehrer sicher. Diese Norm gehört zu den praktisch bedeutsamsten Bestimmungen der Dublin III-VO und ist als korrespondierende Verfahrensbestimmung zu Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO anzusehen (vgl. Filzwieser/Sprung, a. a. O., Rn K1 u. K16). Sie konstituiert ein subjektives Recht des Drittstaatsangehörigen, dass ein (wenn auch nicht ein bestimmter) Mitgliedstaat ein Verfahren wegen internationalen Schutzes durchführt, und illustriert das Recht des Antragstellers, eine inhaltliche Prüfung seines Antrages zu erhalten (vgl. Filzwieser/Sprung, a. a. O., Rn K17). Dies folgt auch aus Art. 18 Abs. 2, 2. Unterabsatz Dublin III-VO. Danach kann der Antragsteller beanspruchen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird oder er einen neuen Antrag auf internationalen Schutz stellen kann, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird, wenn er seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat und der zuständige Mitgliedstaat die Prüfung nicht fortgeführt hat, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 18 Abs. 2, 2. Unterabsatz Dublin III-VO, dass die materielle Prüfung des Antrags abgeschlossen wird oder überhaupt erst erfolgt. Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen der Antrag zurückgezogen und dessen Prüfung deshalb nicht fortgesetzt wurde, sondern auch in den häufigeren Fällen, in denen ohne Zurückziehung das Verfahren wegen Ortsabwesenheit eingestellt oder sogar (vorläufig) negativ beendet wird (vgl. zum Vorstehenden Filzwieser/Sprung, a. a. O., Rn K17).

Diese verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen sind in Bulgarien gegenwärtig nicht gewahrt. Zwar wurde nach einer früheren Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Minden vom 23. Dezember 2014 der Zugang zu einem Verfahren praktisch gewährleistet. Die geltende Rechtslage machte die Prüfung des Flüchtlingsstatus im Fall der „Wiederaufnahme“ – also bei Antragstellern, welche in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt hatten – zwar davon abhängig, welchen Stand dieser frühere Asylantrag in Bulgarien hatte. Hatte ein Asylbewerber Bulgarien verlassen und erschien nicht oder wirkte an einem Verfahrensschritt nicht mit, so wurde das Verfahren nach zehn Tagen des Nichterscheinens bzw. der fehlenden Mitwirkung ausgesetzt. Kehrte der Antragsteller sodann innerhalb von drei Monaten nach Registrierung seines Antrags nach Bulgarien zurück, wurde es wiedereröffnet und grundlegend geprüft. Erfolgte die Rückkehr nach Bulgarien dagegen erst nach Ablauf dieser Frist, so galt die Anwesenheit des Asylbewerbers als illegal und er wurde in Abschiebungshaft genommen, es sei denn, er konnte „objektive Gründe“ für einen Wechsel seines Wohnortes, sein Nichterscheinen bei der zuständigen Behörde oder seine fehlende Mitwirkung darlegen. Es bestand die Möglichkeit, nach Beendigung des Verfahrens einen Folgeantrag stellen; es wurden dann aber nur die mit dem Folgeantrag geltend gemachten neuen Gründe geprüft.

Abweichend von dieser Rechtslage wurde das Asylverfahren für Dublin-Rückkehrer der Stellungnahme des UNHCR zufolge aber praktisch immer wiedereröffnet, wenn über den Asylanspruch – sachlich – noch nicht entschieden worden war. Voraussetzung hierfür war, dass der Dublin-Rückkehrer einer Fortführung des Verfahrens in Bulgarien zustimmte. Selbst in Fällen, in denen das Verfahren zunächst ausgesetzt und nach weiteren drei Monaten beendet worden war, wurde in der Praxis nach einer Überstellung zu einer Anhörung über die Gründe für die Asylantragstellung geladen, wenn eine solche noch nicht stattgefunden hatte. Eine sachliche Prüfung des Asylantrags war damit sichergestellt. Nur wenn über den Asylanspruch – sachlich – bereits abschließend negativ entschieden worden war, wurde die betreffende Person zwar wieder ins Land gelassen, aber ebenso behandelt wie ein Asylbewerber, dessen Ersuchen um internationalen Schutz bestandskräftig abgelehnt wurde. Den Betroffenen stand dann die Möglichkeit offen, einen Folgeantrag zu stellen.

Von dieser Praxis ist die staatliche Flüchtlingsagentur SAR am Ende des Jahres 2014 abgerückt, wie sich aus dem gemeinsamen Bericht „2014 Annual Border Monitoring Report - Access to Territory and International Protection“ des UNHCR, Vertretern der Generaldirektion der Grenzpolizei des bulgarischen Innenministeriums (General Directorate Border Police with the Ministry of Interior of Bulgaria) und des bulgarischen Helsinki Komitees (Bulgarian Helsinki Committee) vom 25. Mai 2015 ergibt (dort S. 13-14). Eine sachliche Prüfung des Asylantrages von Dublin-Rückkehrern bzw. deren Abschluss sei in Bulgarien nicht länger sichergestellt. Der Umstand, dass dieser Bericht sowohl von Vertretern der bulgarischen Exekutive als auch von einer Nichtregierungsorganisation sowie dem UNHCR stammt, gibt ihm ein erhebliches Gewicht. Darüber hinaus hat das Gericht unter Bezugnahme auf diese Erkenntnisse den UNHCR um die Auskunft ersucht, ob eine sachliche Prüfung der Asylanträge von Dublin-Rückkehrern (wieder) sichergestellt sei. Mit Auskunft vom 25. November 2016 hat der UNHCR daraufhin mitgeteilt, dass eine vollständige und angemessene Prüfung der Asylanträge in Bulgarien nicht gewährleistet sei – und zwar unabhängig von der Zeit, die ein Dublin-Rückkehrer außerhalb Bulgariens verbracht habe. Das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrern dauere zudem länger als das Verfahren anderer Asylsuchender, insbesondere im Hinblick auf den Zeitraum, der vor der Anhörung verstreicht, da die Behörde zunächst den Eingang verschiedener grundlegender Dokumente abwarte. Damit bestätigt sich die vom Gericht im Eilverfahren angenommene Sachlage der fehlenden Sicherstellung einer Sachprüfung.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Bericht „Country Report Bulgaria“ der Asylum Information Database aus Oktober 2015. Hierin heißt es zwar, es bestünden grundsätzlich keine Hindernisse für Dublin-Rückkehrer hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren: Vor ihrer Ankunft informiere die staatliche Flüchtlingsagentur SAR die Grenzpolizei über die erwartete Ankunft der Dublin-Rückkehrer und darüber, ob sie in eine Asylunterkunft oder in eine Abschiebungshaftanstalt transferiert werden sollen. Sei ihr Asylverfahren noch anhängig, würden sie in einer Einrichtung der staatlichen Flüchtlingsagentur SAR untergebracht, da diese gewöhnlich das Asylverfahren aussetze, wenn ein Asylsuchender Bulgarien vor Beendigung des Asylverfahrens verlasse. Zu der Frage, ob das Asylverfahren anschließend auch wiedereröffnet wird und eine sachliche Prüfung des Asylantrages erfolgt, enthält dieser Bericht keine Informationen.

Auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Aachen vom 27. Januar 2016, die in Bezug auf diese Frage uneindeutig bleibt, folgt nichts anderes. Neuere Erkenntnismittel treten den Befunden des Berichts vom 25. Mai 2015 ebenfalls nicht entgegen. Das Rechtsgutachten von Frau Dr. Valeria Ilareva zum Rechtsstatus der Dublin-Rückkehrer nach Bulgarien vom 30. Juni 2016 an das Verwaltungsgericht Aachen, das dem erkennenden Gericht vorliegt, verweist zwar darauf, dass der Dublin-Rückkehrer bei seiner Ankunft den Status eines Asylsuchenden hat und sein Asylverfahren nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen, also nach Maßgabe der nationalen Asylgesetzgebung, fortgeführt wird. Es weist aber auch auf Schwierigkeiten hin, die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Asylverfahrens zu erreichen. So ergingen Entscheidungen über die Verfahrensbeendigung in Abwesenheit der Adressaten und seien bei Rückkehr der Asylsuchenden bereits bestandskräftig und einem Rechtsbehelfsverfahren vor Gericht nicht mehr zugänglich. Nach dem Länderinformationsblatt des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – BFA – würden nahezu alle Dublin-Rückkehrer in Bulgarien zu Folgeantragstellern, da ihnen die staatliche Flüchtlingsbehörde bei Rückkehr eine „termination decision“ aushändige.

In diesen Fällen bleibe den Dublin-Rückkehrern keine andere Wahl, als erneut einen Asylantrag zu stellen und zu argumentieren, dass dieser entsprechend Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie nicht als Folgeantrag zu behandeln sei. Ob Aussichten darauf bestehen, dass einer solchen Argumentation gefolgt wird und somit eine umfassende Prüfung der Asylgründe gewährleistet ist, ergibt sich aus den Auskünften nicht. Es mag zwar einzelnen Antragstellern gelingen, bei hinreichender Information und dem gebotenen rechtlichen Beistand die sachliche Prüfung ihres Schutzgesuchs im „normalen“ Asylverfahren zu erreichen, ohne die Nachteile eines Folgeverfahrens zu erleiden. Es ist aber nicht gewährleistet, dass Antragsteller die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Informationen erhalten, die ihnen auch nur Zugang zu rechtlicher Unterstützung eröffnen. So fehlt es schon seit Mitte Juni 2015 an geeigneten Dolmetschern für die Anhörung der Asylbewerber (vgl. UNHCR an das erkennende Gericht, aktualisierte Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren, Juni 2015, Seite 3). Diese Situation hat sich, wie sich aus den aktuell durch das Verwaltungsgericht Göttingen eingeholten Auskünften ergibt, bis heute nicht verbessert (Auswärtiges Amt an das VG Göttingen vom 29.7.2016; UNHCR an VG Göttingen vom 25.11.2016; BFA Länderinformationsblatt Seite 6; Dr. Iliareva an das VG Aachen vom 30.6.2016) und die sich mit der Erkenntnislage des erkennenden Gerichts decken.

Dieser Mangel an Dolmetscherkapazitäten und die damit einhergehende Sprachlosigkeit zwischen den Asylbewerbern und der bulgarischen Flüchtlingsbehörde verstößt gegen die sich aus Art. 5 der Aufnahmerichtlinie und Art. 12 Abs. 1 a) und b) der Asylverfahrensrichtlinie ergebenden Rechte des Asylbewerbers auf Information und Anhörung in einer für sie verständlichen Sprache.

Nach alledem ist gegenwärtig nicht gewährleistet, dass bei Dublin-Rückkehrern eine sachliche Prüfung des Asylantrags erfolgt (vgl. VG Minden, Urteil vom 21.9.2016 – 3 K 2346/15.A –, juris, Rn. 19-28; VG Köln, Beschluss vom 22.8.2016 – 18 L 1868/16.A –, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 3.8.2016 – 12 A 2044/16; VG Freiburg, Urteil vom 4.2.2016 – A 6 K 1356/14 –, juris, Rn. 23-24; VG Hannover, Beschluss vom 3.2.2016 - 10 B 5847/15; VG Aachen, Beschluss vom 17.11.2015 – 8 L 325/15.A –, juris, Rn. 30-36; VG Oldenburg, Beschluss vom 24.6.2015 – 12 B 2278/15 –, juris, Rn. 37-47; VG Köln, Urteil vom 18.6.2015 – 20 K 6416/14.A –, juris, Rn. 79-81). Dieser Aspekt betrifft auch den Kläger persönlich, da auch er bereits einen Asylantrag in Bulgarien gestellt hatte, bevor er nach Deutschland gekommen ist.

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass eine Sachprüfung der Asylanträge von Dublin-Rückkehrern unterbleibt, ist im Lichte des Asylgrundrechts nach Art. 18 GR-Charta derart schwerwiegend, dass schon darin ein i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO rechtlich relevanter systemischer Mangel im bulgarischen Asylsystem liegt. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob systemische Mängel auch deshalb angenommen werden könnten, weil ein relevantes Risiko besteht, als anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 130, wonach die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen gegebenenfalls „ergänzend“ herangezogen werden kann; die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien bejahend VGH Kassel, Urteil vom 4.11.2016 - 3 A 1292/16.A; VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 8.9.2016 - 6 A 3213/15; VG Chemnitz, Urteil vom 1.8.2016 – 6 K 2177/14.A –, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 24.6.2016 – 12 A 2277/16; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19.2.2016 – 2a K 2466/15.A –, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 1.2.2016 – 12 A 223/15; VG Saarland, Urteil vom 5.1.2016 – 3 K 1037/15 –, juris; VG Münster, Urteil vom 15.12.2015 – 8 K2599/14.A; VG Aachen, Urteil vom 9.12.2015 – 8 K 2119/14.A –, juris, Rn. 110-120; VG Münster, Urteil vom 22.10.2015 – 8 K 436/15.A –, juris, Rn. 28-66; VG Schleswig, Urteil vom 14.10.2015 – 12 A 229/15; VG Meiningen, Urteil vom 7.10.2015 – 5 K 20154/14 Me –, juris).

Unabhängig von der Frage systemischer Mängel im bulgarischen Asyl- und Aufnahmeverfahren ist die Abschiebungsanordnung auch unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Durchführbarkeit einer Abschiebung nach Bulgarien rechtswidrig. Im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG hat das Bundesamt zu prüfen, ob „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Der Gesetzesbegriff des Feststehens meint ein relatives Feststehen in dem Sinne, dass nach derzeitigem Verfahrensstand die Abschiebung mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden kann (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 34 a AsylG Rn. 31). Die Annahme, dass eine Abschiebung im Sinne von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann, setzt daher die zuverlässige Prognose voraus, dass eine Überstellung des Antragstellers an den ersuchten Mitgliedstaat in überschaubarer Zukunft tatsächlich möglich ist. Abschiebungsanordnungen sollen nicht auf Vorrat ausgesprochen werden, sondern als Akt der Verwaltungsvollstreckung Grundlage für eine zügige Überstellung der Antragsteller in den Zielstaat der Abschiebung sein. Damit unvereinbar ist der Erlass einer Abschiebungsanordnung, deren tatsächlicher Vollzug in zeitlicher Hinsicht völlig ungewiss ist (VG Lüneburg, Urteil vom 24.2.2016 – 6 A 300/15 –; VG Göttingen, Beschluss vom 18.2.2016 – 4 B 61/16 –; VG Kassel, Beschluss vom 28.1.2016 – 3 L 11/16.KS.A –, juris, Rn. 5; VG Göttingen, Beschluss vom 12.1.2016 – 2 B 295/15 –, juris, Rn. 5-13; VG Köln, Urteil vom 22.12.2015 – 2 K 6214/14.A –, juris, Rn. 65; VG Oldenburg, Urteil vom 19.6.2015 – 13 A 1294/15 –, juris, Rn. 42).

Gerade so liegt der Fall aber hier. Denn schon seit längerer Zeit kann eine Prognose, dass der Antragsteller in überschaubarer Zukunft nach Bulgarien überstellt werden würde, nicht verlässlich getroffen werden. Insoweit ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 22. Februar 2016 (BT-Drucksache 18/7625), dass im Jahr 2015 4.744 Übernahmeersuchen an Bulgarien erfolgten, jedoch lediglich 39 Personen tatsächlich überstellt wurden. Im 4. Quartal 2015 wurden – bei 827 Übernahmeersuchen an Bulgarien – gerade einmal 6 Personen überstellt. Damit hat sich die Zahl an Überstellungen im Vergleich zum Jahr 2014, in dem es – bei 4.405 Übernahmeersuchen an Bulgarien – nur 14 Überstellungen gab, nur unwesentlich erhöht. Auch wenn ein nicht unerheblicher Teil der Überstellungen auch dadurch vereitelt werden dürfte, dass sich die Antragsteller der Überstellung entziehen, kann dies allein eine Überstellungsquote von nur 0,82 Prozent im Jahr 2015 (gemessen an der Zahl an Übernahmeersuchen) nicht erklären. Im 1. Quartal 2016 erfolgten 1.591 Übernahmeersuchen, im 2. Quartal 2016 1.272 Übernahmeersuchen und im 3. Quartal 2016 1.355 Übernahmeersuchen sowie jeweils 24 Überstellungen in Bezug auf Bulgarien (vgl. Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE vom 12. Mai 2016, 17. August 2016 sowie 6. Dezember 2016; BT-Drs. 18/8450, 18/9415 und 18/10575). 4.218 Übernahmeersuchen an Bulgarien und 72 Überstellungen in den ersten drei Quartalen 2016 entsprechen ebenfalls einer Überstellungsquote von nur rund 1,7 Prozent.

Bei dieser Sachlage ist die tatsächliche Durchführbarkeit einer Überstellung ungewiss (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 15.11.2016 - 8 LB 92/15; VGH Mannheim, Urteil vom 5.7.2016 – A 11 S 974/16 –, juris, Rn. 42 sowie Urteil vom 13.10.2016 – A 11 S 1596/16 –, juris, Rn. 46; jeweils in Bezug auf Ungarn). Die Abschiebungsanordnung ist deshalb erst dann zulässig, wenn die näheren Umstände der Überstellung wenigstens dem Grundsatz nach geklärt sind, etwa wenn zwischen dem jeweiligen Staat und der Bundesrepublik Deutschland ein funktionierendes, routiniertes und eingespieltes Übernahmeverfahren praktiziert wird, das die zuverlässige Prognose zulässt, die Übernahme werde in naher Zukunft abgeschlossen werden können (VG Oldenburg, Urteil vom 19.6.2015 – 13 A 1294/15 –, juris, Rn. 42). Dies kann für Überstellungen von Deutschland nach Bulgarien derzeit nicht angenommen werden. Zwar ist davon auszugehen, dass eine vorübergehende zeitliche Verzögerung der Überstellungen in Folge administrativer Vorkehrungen unschädlich sein kann. Die offensichtlichen Probleme beim Vollzug der Regelungen zur Überstellung nach Bulgarien stellen nach Auffassung des Gerichts aber keine bloße zeitliche Verzögerung in Folge administrativer Vorkehrungen für eine an sich bereits ins Auge gefasste Abschiebung dar. Sie stellen vielmehr – bei einem derart geringen prozentualen Anteil erfolgreich abgeschlossener Überstellungsverfahren – die Durchführbarkeit der Abschiebung selbst in Frage. Dass die Behörde des ersuchten Mitgliedstaates ihre Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens anerkannt hat, steht dieser Schlussfolgerung bei einer derart niedrigen Überstellungsquote nicht entgegen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11.2.2016 – 4 LA 362/15 –, juris).

2. Kommt daher die Überstellung des Klägers nach Bulgarien wegen systemischer Schwachstellen des bulgarischen Asylverfahrens i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO und mangels tatsächlicher Durchführbarkeit nicht in Betracht, ist vor diesem Hintergrund auch die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zwar sind die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a AsylG dem Grunde nach erfüllt, denn nicht die Beklagte, sondern Bulgarien ist für die Prüfung des Schutzgesuchs des Klägers unmittelbar zuständig. Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates steht auch nicht zur Disposition des Antragstellers.

Der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig steht jedoch vorrangiges Unionsrecht entgegen. Der Kläger hat eine wehrfähige unionsrechtliche Rechtsposition dahingehend, dass ein von ihm innerhalb der EU gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der EU geprüft wird. Dieser Anspruch folgt aus dem Sinn und Zweck des Dublin-Systems und der mit ihm verwirklichten verfahrensrechtlichen Dimension der materiellen Rechte, die die Richtlinie 2011/95/EU (sog. Anerkennungsrichtlinie) Schutzsuchenden einräumt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2016 – BVerwG 1 C 24.15 –, juris Rn. 20). Dass dieser Anspruch innerhalb angemessener Frist zu realisieren ist, folgt aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., Art. 47 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1). Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache bei der Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedsstaaten innerhalb angemessener Frist behandelt wird.

Diese Verfahrensgarantien werden verletzt, wenn die Beklagte mangels Zuständigkeit die Bearbeitung des klägerischen Schutzgesuchs ablehnt, zugleich aber die Voraussetzungen einer Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund von dortigen systemischen Mängeln nicht vorliegen und damit auch eine materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht erfolgen kann, ohne dass dahingehend eine Änderung absehbar ist (vgl. VG Hannover, Urteil vom 6.7.2016 – 10 A 3554/15 –).

Das ist hier der Fall. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Überstellung nach Bulgarien in absehbarer Zeit möglich wird, zumal die Überstellungshindernisse nicht auf tatsächlicher Überlastung des bulgarischen Asylsystems beruhen, sondern auf dessen rechtlicher Ausgestaltung und der Anwendungspraxis der bulgarischen Behörden.

Es gilt insofern nichts anderes als in der Situation, dass ein Übernahmeersuchen an einen nicht oder nicht mehr zuständigen Mitgliedsstaat gerichtet worden ist, dessen Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststeht. Könnte sich der Schutzsuchende in einem solchen Fall nicht auf die Zuständigkeit der Beklagten berufen, entstünde die Situation eines „refugee in orbit“, in der sich kein Mitgliedstaat für die sachliche Prüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Hierdurch würde dem zentralen Anliegen des Dublin-Regimes, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden, widersprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.8.2016 – BVerwG 1 C 6/16 –, juris, Rn. 23).

Die Beklagte ist nach alledem verpflichtet, den Antrag des Klägers im Wege des Selbsteintritts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO zu prüfen. Diese Bestimmung ermöglicht eine Zuständigkeitsübernahme für Fälle, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern, vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 24.1.2017 – 7 A 55/16 –, juris. Im Fall der Zuständigkeitsübernahme wird der betreffende Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-III-Verordnung. Diese Befugnis zum Selbsteintritt steht zwar grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedsstaates; dieses Ermessen ist hier jedoch durch vorrangiges Unionsrecht auf eine Pflicht zum Selbsteintritt reduziert.

3. Mit der Aufhebung der Ablehnung des Schutzgesuchs und der Abschiebungsanordnung ist die Feststellung, dass keine Abschiebungshindernisse nach den § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen, gegenstandslos; gleiches gilt für die Feststellung eines gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot und dessen Befristung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.