Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 27.03.2017, Az.: 12 B 472/17

Absetzbeträge; Daueraufenthaltsrichtlinie; Freibeträge; Lebensunterhalt; Sozialhilfeleistungen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.03.2017
Aktenzeichen
12 B 472/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Im Anwendungsbereich der Daueraufenthaltsrichtlinie darf bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II nicht zu Lasten des langfristig Aufenthaltsberechtigten abgesetzt werden.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 07.12.2017 und 19.12.2017 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Klageverfahren die Verlängerung bzw. die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 38a AufenthG.

Die Antragsteller sind pakistanischer Staatsangehörigkeit und verfügen über langfristige Aufenthaltsberechtigungen für Italien.

Die Antragstellerin zu 1) und ihre Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 5), reisten vor dem 01.04.2012 von Italien aus in das Bundesgebiet ein und stellten am 07.06.2012 erstmals einen Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Dazu trug die Antragstellerin zu 1) vor, ihr Ehemann, der Antragsteller zu 2), arbeite in Italien und unterstütze sie monatlich mit 1000,00 € Unterhalt. Sie suche hier nach einer Beschäftigung, damit sie den Lebensunterhalt für sich und die Kinder insgesamt sicherstellen könne.

Nachdem die Arbeitsagentur zu einem ersten Arbeitsvertrag die Zustimmung verweigert hatte, schloss die Antragstellerin unter dem 15.02.2013 einen Arbeitsvertrag als Küchenhilfe ab, zu dem die Arbeitsagentur ihre Zustimmung erteilte. Die Antragsgegnerin erteilte den Antragstellern daraufhin am 08.05.2013 Aufenthaltserlaubnisse nach § 38a AufenthG bis zum 17.03.2014, da ihre Berechnung ergeben hatte, dass der Lebensunterhalt der Antragsteller zu 1) und 3) bis 5) gesichert war.

Der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller hatte allerdings bereits unter dem 18.01.2013 mitgeteilt, dass der Antragsteller zu 2) aus Italien nachgekommen sei und ihm ein Arbeitsangebot vorliege. Wie lange sich der Antragsteller zu 2) im Anschluss daran im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist nicht bekannt.

Der Antragsteller zu 3) lebt seit dem 28.10.2014 in einer Behinderteneinrichtung K. in L.. Gemeldet ist er weiterhin unter der Wohnanschrift der übrigen Antragsteller, da eine Ummeldung nach Auskunft des Betreibers der Einrichtung die Volljährigkeit des Antragstellers zu 3) voraussetzt.

Seit dem 01.06.2015 arbeitet die Antragstellerin zu 1) als Reinigungskraft bei M..

In der Folgezeit verlängerte die Antragsgegnerin die Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller zu 1) und 3) bis 5) ausweislich der Verwaltungsvorgänge bis zum 05.10.2016. Da die Beteiligten offenbar nur von einer Geltungsdauer bis zum 07.08.2016 ausgingen, beantragten die Antragsteller bereits am 02.08.2016 eine weitere Verlängerung.

Der Antragsteller zu 2) meldete sich am 09.05.2016 mit dem Einzugsdatum 02.04.2016 unter der Wohnanschrift der übrigen Antragsteller an. Unter dem 10.05.2016 schloss er einen Arbeitsvertrag mit dem Inhaber eines N. Schnellrestaurants. Danach beantragte er erstmals am 07.07.2016 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Zu seiner Beschäftigung erteilte die Arbeitsagentur ihre Zustimmung.

Mit zwei Schreiben vom 28.10.2016 hörte die Antragsgegnerin die Antragsteller dazu an, dass sie beabsichtige, ihre Anträge auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse abzulehnen. Zur Begründung führte sie jeweils aus, die vorliegenden Einkommensnachweise hätten ergeben, dass der Lebensunterhalt der Antragsteller nicht gedeckt sei.

Die Antragsteller nahmen dahingehend Stellung, dass die Berechnung ihres Bedarfs sowie ihrer Einkommen nicht nachvollziehbar sei. Sie gingen davon aus, dass ihr Bedarf gedeckt werde, da der Antragsteller zu 2) hier mehr verdiene als er seinerzeit an Unterhalt aus Italien geleistet habe.

Mit Bescheid vom 07.12.2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragsteller zu 1) und 3) bis 5) auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse ab und drohte ihnen für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung führte sie aus, auch unter Berücksichtigung weiterer von den Antragstellern vorgelegter Unterlagen ergebe eine aktuelle Berechnung, dass der Lebensunterhalt nicht vollständig gedeckt werde.

Mit derselben Begründung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19.12.2016 auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Antragsteller zu 2) ab und drohte auch ihm die Abschiebung nach Italien an.

Die Antragsteller haben am 06.01.2017 Klage erhoben. Außerdem haben sie um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und weitere Lohnabrechnungen vorgelegt.

Sie tragen vor, Unterhalt für den Antragsteller zu 3) dürfe nicht berechnet werden, da dieser ausschließlich in der Einrichtung lebe. Weder für Mahlzeiten noch gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II dürften Abschläge von ihrem Einkommen vorgenommen werden. Blieben diese Abschläge unberücksichtigt, wäre ihr Lebensunterhalt gesichert.

Sie beantragen,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hat im Verfahren anhand der vorgelegten aktuellen Lohnabrechnungen nochmals Bedarf und Einkommen der Antragsteller berechnet und dabei den Antragsteller zu 3) aus der Bedarfsgemeinschaft ausgenommen. Auch Abschläge für Mahlzeiten hat sie nicht berücksichtigt. Zum Ergebnis ihrer Berechnung trägt sie vor, dass bei Außerachtlassen der Abschläge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II der Lebensunterhalt der Antragsteller gesichert sei. Diese Abschläge seien aber vorzunehmen, da das Bundesverwaltungsgericht nur für den Fall der Anwendung der Familienzusammenführungsrichtlinie entschieden habe, dass die Abschläge unberücksichtigt blieben. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorausgegangen sei eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die sich ausdrücklich nur auf den Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie beziehe. Die Anspruchsgrundlage des § 38a AufenthG, auf die die Antragsteller sich stützten, diene aber der Umsetzung der Daueraufenthaltsrichtlinie, weshalb die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig sei. Der gegenteiligen Auffassung der 10. Kammer des hiesigen Gerichts könne sie sich aus diesem Grunde nicht anschließen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag der Antragsteller hat insgesamt Erfolg.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist zunächst zulässig, insbesondere statthaft, denn die Ablehnung ihrer Anträge auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse entfaltet für die Antragsteller belastende Wirkung, der gegenüber das Gericht vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO gewährt.

Dies ergibt sich für die Antragsteller zu 1) und 3) bis 5) daraus, dass mit dem in der Hauptsache angefochtenen Bescheid vom 07.12.2016 die ihnen bis dahin gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG zu Gute kommende Fiktion des Fortbestehens der in der Vergangenheit erteilten Aufenthaltserlaubnisse entfallen ist und ihrer gegen den Bescheid der Antragsgegnerin eingelegten Klage gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung zukommt, sodass ihre Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ist. Durch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage lebt zwar die Fiktion nicht wieder auf, sie lässt jedoch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen.

Für den Antragsteller zu 2) folgt die Statthaftigkeit seines Antrags aus § 81 Abs. 3 AufenthG. Zwar hat der Antragsteller zu 2) nicht nachgewiesen, dass er erst am 02.04.2016 in das Bundesgebiet eingereist ist und findet sich im Verwaltungsvorgang, die Antragstellerin zu 1) betreffend, eine Mitteilung des früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller vom 18.01.2013, dass der Antragsteller zu 2) nachgekommen sei und ein Arbeitsangebot habe. Auch lässt sich Auszügen für das Girokonto der Antragstellerin zu 1) entnehmen, dass schon im Februar und März 2013 der Unterhalt von 1.000,00 € nicht mehr aus Italien, sondern von dem Konto eines O. bei der Stadtsparkasse B-Stadt überwiesen worden war. Der fehlende Nachweis kann jedoch dahinstehen, da der Aufenthalt des Antragstellers zu 2) bis zur Entscheidung der Antragsgegnerin entweder gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als erlaubt galt, wenn er sich zum Zeitpunkt seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte, oder aber seine Abschiebung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als ausgesetzt galt, wenn die Zeit seines rechtmäßigen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen war. Auch im Fall der fiktiven Duldung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beantragen (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 81 Rdnr. 72; Dienelt in Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 81 Rdnr. 41). Der Antragsteller zu 2) durfte sich als Inhaber eines langfristigen Aufenthaltsrechts für Italien gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ bis zu 90 Tage im Bundesgebiet aufhalten.

Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist auch begründet, denn das Gericht kommt im Rahmen seiner nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Abwägungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der im Klageverfahren angefochtenen Bescheide hinter dem privaten Interesse der Antragsteller, von einer Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, zurücktreten muss. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage erweisen sich die Ablehnungsbescheide der Antragsgegnerin als offensichtlich rechtswidrig, weshalb an ihrer sofortigen Vollziehung kein öffentliches Interesse besteht.

Die Antragsteller zu 1) und 3) bis 5) haben einen Anspruch auf Verlängerung der ihnen in der Vergangenheit gemäß § 38a Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnisse.

Gemäß § 38a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird einem Ausländer, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich länger als 90 Tage im Bundesgebiet aufhalten will. Voraussetzung ist allerdings, dass er die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt. Gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG gilt selbiges auch für die von den Antragstellern zu 1) und 3) bis 5) begehrte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse.

Nach der im Verfahren von der Antragsgegnerin zuletzt angestellten Berechnung ist zweifelhaft, ob die Antragsteller die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllen und ihren Lebensunterhalt sichern.

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG liegt eine Sicherung des Lebensunterhalts vor, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichendem Krankenversicherungsschutz ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dies verneint die Antragsgegnerin im Falle der Antragsteller mit dem Argument, unter Berücksichtigung der Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II reiche das gemeinsame Einkommen der Antragsteller zu 1) und 2) nicht aus, um den Unterhalt für die gesamte Familie zu bestreiten.

Die Antragsgegnerin hat die genannten Beträge jedoch zu Unrecht vom Einkommen der Antragsteller abgesetzt.

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26.08.2008 (1 C 32.07, juris) entschieden, dass bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens im Rahmen des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu Lasten des jeweiligen Ausländers grundsätzlich auch der Freibetrag für Erwerbstätigkeit (früher § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II, heute § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II) in Abzug zu bringen ist.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 -, BVerwGE 138, 135ff. und juris Rdnr. 33) aber für den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung - Familienzusammenführungsrichtlinie - angenommen mit der Begründung, dass insoweit Unionsrecht der Berücksichtigung der Absetzbeträge entgegenstehe. Im Einzelnen hat das Gericht ausgeführt, dass im Falle einer Familienzusammenführung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Ausländer der Freibetrag nicht berechnet werden dürfe, weil der Begriff der „Sozialhilfeleistungen des … Mitgliedstaats “ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) der Familienzusammenführungsrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 04.03.2010 - C-578/08 - in der Rechtssache Chakroun) ein autonomer Begriff des Unionsrechts sei, der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden könne. Da sich der unionsrechtliche Begriff lediglich auf Unterstützungsleistungen beziehe, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausglichen, unterfiele der Freibetrag für Erwerbstätigkeit ihm nicht, denn letzterer würde in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und solle eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben.

Nichts anderes kann aber gelten, wenn für einen Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG die Sicherung des Lebensunterhalts festgestellt werden muss:

Auch bei der Prüfung von Ansprüchen nach § 38a Abs. 1 AufenthG sind unionsrechtliche Vorgaben zu beachten, denn die Anspruchsgrundlage setzt die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen - Daueraufenthaltsrichtlinie - in nationales Recht um. Ebenso wie die Familienzusammenführungsrichtlinie lässt auch die Daueraufenthaltsrichtlinie nicht zu, dass bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II in Abzug gebracht wird (so auch VG Aachen, Urteil vom 23.04.2014 - 8 K 1515/12 -, juris Rdnr. 84ff; VG Hannover, Beschluss vom 28.01.2016 - 10 B 119/16 - juris; Marx in GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 38a Rdnr. 22; Müller in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 38a Rdnr. 10f; anders nur Hess. VGH, Beschluss vom 24.11.2016 - 3 B 2556/16 -, AuAS 2017, S. 28, der die Beträge allerdings ohne jede Begründung absetzt). Die Daueraufenthaltsrichtlinie sieht in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a) als Bedingung für den Aufenthalt eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem zweiten Mitgliedstaat vor, dass die betreffende Person „feste und regelmäßige Einkünfte“ nachweist, „die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familienangehörigen ausreichen“ und entspricht damit dem Wortlaut der Anspruchsvoraussetzung in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) Familienzusammenführungsrichtlinie. Dass es sich bei dem Begriff der „Sozialhilfeleistungen des … Mitgliedstaats“ in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a) Daueraufenthaltsrichtlinie um denselben „autonomen Begriff des Unionsrechts“ handelt, „der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann“ (BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 -, BVerwGE 138, 135ff. und juris Rdnr. 33 und EuGH, Urteil vom 04.03.2010 - C-578/08 -, juris Rdnr. 45), zeigt im Übrigen auch der Vergleich mit dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Buchst. d) derselben Richtlinie. Anders als in der Formulierung der Anspruchsvoraussetzung des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a) Daueraufenthaltsrichtlinie wird in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b) Daueraufenthaltsrichtlinie explizit auf das nationale Recht verwiesen und damit verdeutlicht, dass der Begriff der Sozialhilfe - nur - an dieser Stelle nicht einheitlich unionsrechtlich gelten soll, wenn es dort heißt, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte unter anderem auf dem Gebiet der Sozialhilfe „im Sinn des nationalen Rechts“ wie eigene Staatsangehörige zu behandeln sind (vgl. EuGH, Urteil vom 24.04.2012 - C-571/10 -, Rdnr. 78, juris).

Auch der Antragsteller zu 2) hat entsprechend der vorstehenden Erwägungen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG. Auch wenn noch der Nachweis fehlt, dass der Antragsteller zu 2) seinen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis innerhalb der für ihn gemäß § 39 Nr. 6, § 41 Abs. 3 AufenthV geltenden Antragsfrist von 90 Tagen nach seiner Einreise gestellt hat, steht dem Anspruch § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht entgegen:

Zwar wird überwiegend vertreten, dass durch eine verspätete Antragstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten die Notwendigkeit entsteht, ein Visumverfahren durchzuführen (so VG Aachen, Urteil vom 23.04.2014 - 8 K 1515/12 -, juris Rdnr. 84ff; VG Hannover, Beschluss vom 28.01.2016 - 10 B 119/16 - juris; Müller in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 38a Rdnr. 16 a.E.). In diesem Fall ist aber das gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen der Antragsgegnerin, von der Notwendigkeit des Visumverfahrens abzusehen, reduziert. Wenn - wie im Falle des Antragstellers zu 2) - die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind, ist regelmäßig von einer Ermessensreduzierung auszugehen, da die Forderung nach einer Durchführung des Visumverfahrens zu einer reinen Förmelei würde (Bender/Leuschner in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 5 Rdnr. 37). Auf die Durchführung des Visumverfahrens in Italien zu bestehen, würde darüber hinaus bedeuten, dass der Antragsteller zu 2) während der Dauer des Visumverfahrens die seinem deutschen Arbeitgeber geschuldete Arbeit nicht erbringen und deshalb sodann seine Arbeitsstelle verlieren würde. In der Konsequenz würden er und die übrigen Antragsteller ihren Anspruch auf Aufenthaltserlaubnisse nach § 38a Abs. 1 AufenthG verlieren, da ihr Lebensunterhalt nicht länger gesichert wäre, weshalb vom Visumverfahren im Ermessenswege abzusehen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 39 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Nr. 8.1 und 1.5 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.