Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.2007, Az.: 2 LA 692/06
Bestimmtheit; Hausverbot; Student; Universität; Verwaltungsakt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.01.2007
- Aktenzeichen
- 2 LA 692/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 71798
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.03.2006 - AZ: 5 A 1272/05
Rechtsgrundlagen
- Art 5 Abs 3 GG
- § 37 Abs 1 VwVfG
Gründe
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die von ihr sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 a Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), nicht vorliegen; auf die Frage, ob diese Zulassungsgründe hinreichend dargelegt worden sind, kommt es daher nicht entscheidend an.
1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18. August 2005, - 2 LA 1286/04 -, DWW 2005, 382; Schoch, in: Schoch/Schmidt/Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2005, RdNrn. 26 a und b zu §§ 124 sowie 195 und 395 e, g und h zu § 80; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., München 2005, RdNr. 7 zu § 124). Hierbei reicht es aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerwG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 23. Juni 2000, - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459] = NdsVBl. 2000, 244 [245] = NVwZ 2000, 1163).
Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden. Mit dem Abstellen auf die Ergebnisrichtigkeit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. Juni 2005, - 1 L 141/05 -, Juris). Aus dem Abstellen auf die Ergebnisrichtigkeit folgt auch, dass dann, wenn eine Entscheidung in sie selbständig tragender Weise mehrfach begründet ist, im Hinblick auf jeden der Begründungsteile ein Zulassungsgrund dargelegt werden und gegeben sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01. Februar 1990, - BVerwG 7 B 19.90 -, Buchholz 310, § 153 VwGO, Nr. 22; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. Juni 2005, a.a.O.).
Unter diesen Voraussetzungen ist die von der Beklagten begehrte Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht zuzulassen, weil es sich im Ergebnis als richtig erweist und die Beklagte einen die Entscheidung selbständig tragenden Grund nicht hinreichend erschüttert hat. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung jeweils selbständig tragend darauf gestützt, dass durch die Beweisaufnahme nicht abschließend habe geklärt werden können, ob dem Kläger ein Betreten der Damentoilette und Beobachten einer Kommilitonin zu Recht zur Last gelegt worden sei, dass ferner als materielle Voraussetzung des ausgesprochenen Hausverbotes nichts dafür erkennbar sei, dass durch den Kläger zukünftige Störungen der Ordnung zu besorgen seien, dass die Beklagte in der angegriffenen Verfügung kein Ermessen ausgeübt habe, dass die Verfügung wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und hier gegen das Übermaßverbot in Anbetracht der lebenslangen Geltung der Verfügung unverhältnismäßig und dass sie ferner nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Nds. VwVfG sei.
Jedenfalls die letzte Annahme des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte nicht ausreichend in Zweifel ziehen können. Die angegriffene Verfügung ist offensichtlich unbestimmt. Der für den Erlass von Verwaltungsakten allgemein geltende rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz ist in § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG normiert. Danach muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung für den Adressaten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, damit er sein Verhalten danach richten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993, - BVerwG 8 C 57.91 -, NJW 1993, 1667 [BVerwG 22.01.1993 - BVerwG 8 C 57.91] und Urteil vom 15. Februar 1990, - BVerwG 4 C 41.87 -, NVwZ 1990, 658 [BVerwG 15.02.1990 - BVerwG 4 C 41.87]; Beschluss des 11. Senats des erkennenden Gerichts vom 05. Februar 2004, - 11 ME 271/03 -, NordÖR 2004, 167 [OVG Niedersachsen 05.02.2004 - 11 ME 271/03]). Der Wille der Behörde muss unzweideutig - wenn auch durch Auslegung gewonnen - für die Beteiligten des Verfahrens erkennbar und darf nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1986, - BVerwG 5 C 33.84 -, NVwZ 1986, 919 , 921 [BVerwG 15.05.1986 - BVerwG 5 C 33.84]). Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (Nds. OVG, a.a.O.). Geht es - wie hier - um ein Hausverbot, dessen Verletzung sogar strafbewehrt ist (vgl. § 123 StGB und hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. April 1977, - 3 Ss 107/77 - NJW 1978, 116 [OLG Karlsruhe 28.04.1977 - 3 Ss 107/77]), so verlangt das Bestimmtheitsgebot, dass der Adressat des Hausverbotes aus dessen Regelung heraus erkennen kann, ob ihm das Betreten gestattet ist oder nicht.
Das ausgesprochene Hausverbot genügt diesen Anforderungen an seine Bestimmtheit nicht. Gegen den Kläger wurde „bis zum Ende“ seines „Studiums“ ein Hausverbot für die Gebäude und die Gelände der Beklagten mit folgenden Ausnahmen: „Besuch der Veranstaltungen und der Personen, die Sie für den erfolgreichen Abschluss Ihres Studiums im Studiengang B. besuchen müssen“ und „Bibliothek, soweit es für den Abschluss Ihres Studiums erforderlich ist“ ausgesprochen; ab Beendigung des Studiums soll das Hausverbot uneingeschränkt für alle Gebäude und Grundstücke und Einrichtungen der Beklagten gelten. Die inhaltlichen Einschränkungen des ausgesprochenen Hausverbots genügen nicht dem Bestimmtheitsgebot im oben umrissenen Sinne. Denn sie erfordern jeweils eine Bewertung dahingehend, ob das Betreten für den Abschluss des Studienganges erforderlich ist oder nicht. Ebenfalls nicht festgelegt ist, welche Personen besucht werden können, ob dies Dozenten, Kommilitonen oder andere Personen sind. Ebenfalls nicht festgelegt ist, wer die Entscheidung darüber trifft, ob der Besuch bzw. das Betreten erforderlich ist. Da das Studium an einer Hochschule auf aktive Teilnahme des Studenten am Wissenschaftsprozess hin angelegt ist (BVerfG, Urt. v. 29.05.1973, - 1 BvR 426/71 -, BVerfGE 35, 79 [125]), kann auch Studenten, soweit sie bereit und in der Lage sind, an der wissenschaftlichen Lehre teilzunehmen, das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zustehen (Leibholz/Rinck, GG, Loseblattsammlung, Stand: 42. Ergänzungslieferung November 2005, Art. 5 Rz. 1216). Es dürfte daher schwer vertretbar sein, einer anderen Person als dem Kläger die Entscheidung zu überlassen, ob der Kontakt zu einer Person im Hochschulumfeld seinem Studium dient oder nicht. Soweit die Beklagte in dem Zulassungsantrag bezüglich der Frage der Bestimmtheit des Verwaltungsakts allein darlegt, dass das Hausverbot deswegen hinreichend bestimmt sei, da der Kläger genau wisse, dass er, wenn er in der Universität angesprochen werde, darlegen müsse, „warum er sich dort aufhält“ und dass der „entsprechende Besuch einem erfolgreichen Abschluss förderlich“ sein müsse, vermag dies den Einwand der Unbestimmtheit der Verfügung nicht zu entkräften, sondern bestätigt ihn vielmehr. Denn es ist auch insoweit nicht erkennbar, welche Personen berechtigt sein sollen, den Kläger anzusprechen und die Frage, ob der jeweilige Besuch des Klägers „einem erfolgreichen Abschluss förderlich“ ist, zu prüfen, und nach welchen Maßstäben dies geschehen soll.
Die Rüge der Beklagten, das Verwaltungsgericht hätte angesichts des Bestimmtheitsmangels des Bescheides eine Einschränkung des ausgesprochenen Hausverbots vornehmen und hiernach die Klage abweisen können, geht ebenfalls fehl. Zwar ist eine Behörde befugt, den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot eines Verwaltungsaktes nach § 37 Abs. 1 VwVfG im gerichtlichen Verfahren durch nachträgliche Klarstellung zu heilen (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2006, - BVerwG 4 B 32.06 -, NVwZ-RR 2006, 589). Eine diesbezügliche Befugnis des Gerichts oder gar eine Verpflichtung hierzu kennt das geltende Recht demgegenüber nicht. Die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes ist kein abtrennbarer Teil desselben (im Sinne der Formulierung in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „soweit“), sondern dient Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und betrifft damit den Entscheidungsinhalt des Verwaltungsakts (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Auflage München 2003, § 37 Rn. 2) als unteilbares Ganzes.
Trägt allein dieser formelle Fehler die Rechtswidrigkeit des Bescheides und damit die verwaltungsgerichtliche Entscheidung, so kommt es nicht darauf an, ob sich das Urteil auch aus seinen weiteren Begründungen heraus - insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer von der Beklagten gerügten angeblichen fehlerhaften Beweiswürdigung (vgl. hierzu Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. März 2004, - 11 LA 380/03 -, NVwZ 2004, 1381-1382) - als richtig erweist oder nicht.
2. Der - sinngemäß geltend gemachte - Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor, so dass es insoweit auf die Frage seiner hinreichender Darlegung im Zulassungsantrag nicht ankommt. Die Beklagte rügt insoweit eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und damit des rechtlichen Gehörs, weil das Verwaltungsgericht die Mitarbeiterin der Beklagten C. nicht als Zeugin vernommen habe.
Die damit erhobene Verfahrensrüge der unterlassenen Sachaufklärung ist unbegründet. Die Frage, ob das Verfahren der Vorinstanz an einem Mangel leidet, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu beurteilen, den die Vorinstanz eingenommen hat. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der beigezogenen Verwaltungsvorgänge oder einer Beweisaufnahme für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben (Nds. OVG, Beschluss vom 23. Mai 2005, - 7 LA 302/04 -, Juris; Beschluss vom 01. Dezember 2005, - 10 LA 87/05 -, Veröffentlichung nicht bekannt).
Beweisanträge sind ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung von der durch ihre Justitiarin vertretenen Beklagten nicht gestellt worden. Wenn das Verwaltungsgericht angesichts der ihm vorliegenden Verwaltungsvorgänge und nach der von ihm durchgeführten umfänglichen Beweisaufnahme den entscheidungserheblichen Sachverhalt für geklärt gehalten hat, so ist das nicht zu beanstanden. Weitere Ermittlungen und die Erhebung von weiteren Beweisen mussten sich dem Verwaltungsgericht jedenfalls nicht aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG, wobei die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts gemäß § 63 Abs. 3 GKG und unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die bei Streitigkeiten über ein unbefristet ausgesprochenes Hausverbot regelmäßig den Auffangstreitwert zugrunde legt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 07. Juli 2003, - 5 C 03.1628 -, Juris), von Amts wegen zu ändern war.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).