Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.06.1999, Az.: VI 177/96
Festsetzung von Kapitalertragsteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.06.1999
- Aktenzeichen
- VI 177/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18026
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0629.VI177.96.0A
Fundstelle
- DStRE 2000, 550-552 (Volltext mit amtl. LS)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Kapitalertragsteuer.
Gegenstand der mit Vertrag vom 18. Oktober 1993 gegründeten Klägerin ist die Organisation und Abwicklung von Technologietransfer. Ort der Geschäftsleitung ist R... . Das Stammkapital beträgt 50.000,00 DM. Alleiniger Gesellschafter und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer war in den Streitjahren 1993 und 1994 ... L... in S... (Rußland). Als Empfangsbevollmächtigter mit Wohnort R... wurde dem Finanzamt gegenüber Herr ... benannt.
Die mit den Körperschaftsteuererklärungen für 1993 und 1994 am 29. Juni 1995 eingereichten Bilanzen wiesen zum einen das Stammkapital von 50.000,00 DM, zum anderen eine Forderung gegen den Gesellschafter in der selben Höhe aus. Das Finanzamt gingdavon aus, dass der Geschäftsführer die Stammeinlage nicht eingezahlt hatte und die als Darlehen anzusehende Forderung üblicherweise vom Gesellschafter zu verzinsen sei. Die nichtgeforderten Zinsen in Höhe von 8 % der nichteingezahlten Stammkapitals erfasste das Finanzamt als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA), und zwar für 1993 in Höhe von 777,00 DM und für 1994 in Höhe von 4.000,00 DM. Es erließ unter dem 2. Oktober 1995 Körperschaftsteuerbescheide unter Berücksichtigung der vGA. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 21. November 1995 setzte das Finanzamt gegen die Klägerin Kapitalertragsteuer für 1993 und 1994 in Höhe von 25 % der angenommenen vGA fest, und zwar für 1.993.194,00 DM und für 1994 1.000,00 DM. Anmeldungen zur Kapitalertragsteuer hatte die Klägerin nicht abgegeben. Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, er lägen keine vGA vor. Zwischen ihr und ihrem Gesellschafter sei ein Darlehen vereinbart, die Zinsforderungen seien durch eine entsprechende Bilanzberichtigung berücksichtigt worden. Sie legte die von dem Gesellschafter-Geschäftsführer und Herrn H... unterschriebene Darlehensvereinbarung vom 20. Oktober 1993 vor, die folgenden Wortlaut hat:
"Zwischen der V... GmbH und Herrn ... L... wird folgende Darlehensvereinbarung getroffen:
Die V... GmbH stellt Herrn ... L... ein Darlehen mit Datum vom 22. Oktober 1993 zur Verfügung. Dieses Darlehen ist mit 8 % p.a. zu verzinsen.
Das Darlehen wird tilgungsfrei gewährt. Die Rückzahlung kann in Teilbeträgen oder in einer Summe erfolgen."
Ferner legte sie vor ein vom Gesellschafter-Geschäftsführer unterzeichnetes Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 15. November 1995, das, soweit hier interessierend, folgenden Wortlaut hat:
"In der Gesellschafterversammlung werden die vom Steuerbüro ... vorgelegten Jahresabschlüsse 1993 und 1994 besprochen ...
Die vorliegenden Jahresabschlüsse werden unter der Voraussetzung festgestellt und genehmigt, dass die bislang nicht berücksichtigte Verzinsung der Gesellschafterforderungen durch eine Bilanzberichtigung nachgeholt wird. Diese Verzinsung ist entsprechend der Vereinbarung zwischen der V... GmbH und Herrn ... L... vom 20. Oktober 1993 vorzunehmen ..."
Mit Bescheid vom 15. März 1996 wies das Finanzamt den Einspruch zurück. Nach § 3 des Gesellschaftsvertrags sei die Stammeinlage von 50.000,00 DM unverzüglich voll einzuzahlen gewesen. In einem Schreiben an das Amtsgericht S... vom 18. Oktober 1993 habe der alleinvertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführer versichert, dass die Stammeinlage in voller Höhe geleistet worden sei. Die Klägerin habe mit ihrem Geschäftsführer am 20. Oktober 1993 die Gewährung eines tilgungsfreien Darlehens in Höhe des Stammkapitals vereinbart, das mit 8 % zu verzinsen sei. Eine Bilanzberichtigung sei nachBestandskraft der Veranlagung zur Körperschaftsteuer nur insoweit möglich, als die Veranlagung nach den Vorschriften der AO noch geändert werden könne oder die Bilanzberichtigung sich nicht auf die Höhe der veranlagten Steuer auswirke. Eine Änderungsmöglichkeit bestehe hier nicht. Eine Bilanzberichtigung hätte im Streitfall auch Auswirkungen auf die festgesetzte Körperschaftsteuer. Der im Rahmen der Gesellschafterversammlung am 15. November 1995 gefasste Beschluss zur Vornahme einer Bilanzberichtigung könne für 1993 und 1994 somit keine Berücksichtigung mehr finden. Die Festsetzung der Kapitalertragsteuern seien lediglich Folge des Ansatzes der vGA gewesen.
Mit der Klage macht die Klägerin geltend, dass die dem Finanzamt mit den Körperschaftsteuererklärungen vorgelegten Jahresabschlüsse seinerzeit noch nicht von der Gesellschafterversammlung beschlossen und damit nichtig seien. Die Bilanzen dürften deshalb noch im Hinblick auf die Verzinsung der Gesellschafterforderung geändert werden. Es handele sich insofern nicht um die Berichtigung einer rechtswirksamen Bilanz.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über Kapitalertragsteuer 1993 und 1994 vom 21. November 1995 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15. März 1996 ersatzlos aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Ansatzes der vGA und der Unzulässigkeit der Bilanzberichtigung nach Ergehen bestandskräftiger Bescheide hält das Finanzamt an seiner Auffassung fest. VGA unterlägen der Kapitalertragsteuer. Der Schuldner der Kapitalerträge habe den Abzug für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen und sei verpflichtet, die Kapitalertragsteuer anzumelden. Da die Klägerin dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 AO die Kapitalertragsteuer festzusetzen gewesen. Die Klägerin könne im Wege der Steuerfestsetzung auch dann in Anspruch genommen werden,wenn sie die Steuer für Rechnung eines anderen einzubehalten habe und dies nicht tue, denn sowohl der Steuerschuldner als auch der für Rechnung eines Dritten in Entrichtungspflichtige seien Steuerpflichtige.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hatte diese zwar Kapitalertragsteuer anzumelden und abzuführen (1). Auch liegen die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin für die Kapitalertragsteuer vor (2). Das Finanzamt hat aber zu Unrecht als Ermächtigungsgrundlage für die Inanspruchnahme § 167 Abs. 1 Satz 1 AO herangezogen (3).
1.
Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben bei inländischen Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zu diesen Kapitalerträgen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1Satz 2 als sonstige Bezüge aus Anteilen an GmbH's auch vGA.VGA sind Vermögensvorteile, die eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zuwendet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sie einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht zugewendet hätte (vgl. Schmidt, EStG, § 20 Rz. 61 m.w.N.). Ein Vermögensvorteil kann auch in ersparten Aufwendungen wie Zinsaufwendungen liegen (BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985 I R 248/81, BStBl. II 1986, 178). Im zu entscheidenen Fall hat der Gesellschafter durch die Gewährung des Darlehens Vorteile erlangt, die als vGA zu werten sind. Aufgrund der Umstände des Einzelfalles, insbesondere in Anbetracht der bezüglich der Zinszahlung tatsächlich nicht durchgeführten Darlehensvereinbarung vom 20. Oktober 1993, kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin das Darlehen einem Nichtgesellschafter nicht unter den sonst gleichen Umständen gewährt hätte. Ist ein Vorteil in Gestalt einer vGA dem Gesellschafter zugeflossen, kann er - wie im Einspruchsbescheid zutreffend ausgeführt ist - nicht nachträglich aufgrund einer Bilanzberichtigung wegfallen. Das Finanzamt hat die Höhe der ersparten Aufwendungen mit 8 % der Darlehenssumme, für 1993 zeitanteilig, zutreffend berechnet.
Die Kapitalerträge in Gestalt der vGA sind gemäß § 43 Abs. 3 EStG inländische Kapitalerträge, weil der Schuldner der Kapitalerträge, die Klägerin, ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Die Kapitalertragsteuer beträgt gemäß § 43 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG 25 v.H. der vollen Kapitalerträge, also der ersparten Zinsen.
Ist die Einkommensteuer sonach durch Abzug von Kapitalertrag zu erheben, so hat gemäß § 44 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG die Klägerin als Schuldnerin der Kapitalerträge im Zeitpunkt des Zuflusses der Kapitalerträge den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers der Erträge, dem Gesellschafter, vorzunehmen. Dieeinbehaltene Steuer ist nach Satz 5 der Vorschrift bis zum 10.des auf die Entstehung der Steuer folgenden Monats an das Finanzamt abzuführen. Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Schuldner der Kapitalerträge die einbehaltene Kapitalertragsteuer dem Finanzamt innerhalb der selben Frist anzumelden. Die Klägerin hätte also bis zum 10. Januar 1994 bzw. 10. Januar 1995 die Kapitalertragsteuer einzubehalten, an das Finanzamt abzuführen und dem Finanzamt anzumelden gehabt. Dies ist nicht geschehen.
2.
Das Finanzamt hat zwei Möglichkeiten, die Schuldnerin der Kapitalerträge für die nicht angemeldete und nicht abgeführte Kapitalertragsteuer in Anspruch zu nehmen.
Gemäß § 44 Abs. 5 EStG haftet der Schuldner der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, es sei denn, er weist nach, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig vernachlässigt hat. Der Gläubiger der Kapitalerträge wird nach Satz 2 der Vorschrift nur unter besonderen Voraussetzungen inAnspruch genommen, so etwa nach Nr. 2, wenn der Gläubiger weiß, dass der Schuldner der Kapitalerträge die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat. Im zu entscheidenden Fall kommt - ohne dass dies abschließend entschieden werden muss - sowohl eine Haftung der Klägerin als auch eine Inanspruchnahme des Gesellschafters als Schuldner der Kapitalertragssteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG) in Betracht. Will das Finanzamt wie hier die Klägerin in Anspruch nehmen, könnte sie im Hinblick auf deren Haftung einen Haftungsbescheid erlassen. Da die Klägerin die Kapitalertragsteuer weder richtig angemeldet noch dem Finanzamt gegenüber schriftlich anerkannt hat, wäre ein Haftungsbescheid auch nicht nach § 44 Abs. 5 Satz 3 EStG entbehrlich.
Das Finanzamt stützt indes den angegriffenen Bescheid, wie es im Klageverfahren deutlich gemacht hat, auf § 167 Abs. 1Satz 1 AO. Die Vorschrift knüpft an § 150 Abs. 1 Satz 2 AO an,wonach der Steuerpflichtige in der Steuererklärung die Steuer selbst zu berechnen hat, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (Steueranmeldung). Nach § 167 Abs. 1 Satz 1, erste Alternative AO ist bei einer gesetzlichen Verpflichtung zur Anmeldung der Steuer eine Festsetzung der Steuer durch Bescheid nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt. Nach der zweiten Alternative der Vorschrift, und auf diese beruft sich das Finanzamt, ist die Festsetzung der Steuer durch Steuerbescheid nur erforderlich, wenn "der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt". Das Finanzamt sieht hierin die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Steuerbescheides gegen den zur Anmeldung verpflichteten Haftungsschuldner. Für den Fall der nicht einbehaltenden, nicht abgeführten und nicht angemeldeten Kapitalertragsteuer stehen nach Auffassung des Finanzamts die Ermächtigung zum Erlass eines Haftungsbescheides nach § 44Abs. 5 EStG und die Ermächtigung für den Erlass eines Steuerbescheides gegen den Haftungsschuldner gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2, zweite Alternative AO gleichwertig nebeneinander. Dem vermag das Gericht nicht ohne Einschränkungen zu folgen.
3.
Nach der ursprünglichen Fassung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO - jetzt § 167 Abs. 1 Satz 1, erste Alternative - war zweifelhaft, ob der Schuldner der Kapitalerträge bei Verletzung seiner Pflicht zur Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Kapitalertragsteuer nur durch Haftungs- oder auch durch Steuerbescheid in Anspruch genommen werden konnte. Die Inanspruchnahme allein durch Haftungsbescheid führte in der Praxis zu Schwierigkeiten bei nachträglicher Abgabe der Anmeldung. Da auf Haftungsbescheide die für Steuerbescheide geltenden Vorschriften keine Anwendung finden, war die Korrektur der Haftungsbescheide nur in eingeschränktem Maße möglich. Eine Änderung des Haftungsbescheides war insbesondere dann nichtohne weiteres möglich, wenn die nachträglich angemeldeten Beträge von den im Haftungsbescheid geschätzten Beträgen abwichen (vgl. Krabbe, Änderungen des Steuerverfahrensrechts durch das Steuerreformgesetz 1990, DB 1988, 1719; Schwarz, AO, § 167 Rz. 4). Gab der Schuldner der Kapitalerträge eine Anmeldung nicht ab, konnte gegen ihn ursprünglich ein Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO nicht ergehen, denn die Vorschrift war ihrem Wortlaut nach auf die Steuerfestsetzung gegen den Steuerschuldner zugeschnitten. Der Schuldner der Kapitalertragsteuer ist jedoch nicht Steuerschuldner, sondern Einbehaltungspflichtiger und bei Nichterfüllung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht Haftungsschuldner. Deshalb kam nur der Erlass eines Haftungsbescheides in Betracht.
Durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BStBl. I 1988, 224, 258) ist durch die Einführung der zweiten Alternative "oder der Steuer- oder Haftungsschuldner dieSteueranmeldung nicht abgibt" die Steuerfestsetzung gegen den Haftungsschuldner bei Nichterfüllung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht eingeführt worden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann nunmehr gegen den Schuldner der Kapitalerträge, der selbst nicht Steuerschuldner ist, ein Steuerbescheid erlassen werden, wenn er eine Anmeldung nicht abgibt, diese Möglichkeit soll selbständig neben der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid stehen. Der Gesetzgeber durchbricht damit die gesetzliche Systematik (siehe unter a).
Er hat ferner die Anwendungsbereiche für den Erlass eines Haftungsbescheides nach § 44 Abs. 5 EStG und den Erlass eines Steuerbescheides nach § 167 Abs. 1 Satz 1, zweite Alternative AO nicht voneinander abgegrenzt. Das ist aber erforderlich, weil der Erlass des Haftungsbescheides eine Verschuldesprüfung und eine Ausübung des Ermessens erfordert, die Inanspruchnahme durch Steuerbescheid dagegen ohne weitere Voraussetzungenmöglich ist. Das Gesetz bietet keinen Maßstab dafür, in welchen Fällen ein Haftungsbescheid oder ein Steuerbescheid zuerlassen ist (siehe unter b). Das begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. Das Gericht hält § 167 Abs. 1 Satz 1, zweite Alternative AO nicht in den Fällen der Nachforderungen aufgrund von VGA für anwendbar (siehe unter c).
a)
Steuerfestsetzungsverfahren und Haftungsverfahren sind nach dem System der AO jeweils eigenständige, voneinander unabhängige Verfahren, die auch unterschiedlichem Verfahrensrecht unterliegen. Schuldner der Kapitalertragsteuer ist allein der Gläubiger der Kapitalerträge. Der Schuldner der Kapitalerträge ist Einbehaltungs- und Abführungspflichtiger sowie Haftungsschuldner. Der Schuldner der Kapitalerträge hat somit lediglich eine Pflicht zur Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Kapitalertragsteuer. Diese Pflicht kann nicht Gegenstand eines Steuerbescheides sein. Richtiges Instrument für die Inanspruchnahme des Schuldners der Kapitalerträge für eine fremde Schuld, nämlich die des Gläubigers der Kapitalerträge, ist das Haftungsverfahren nach § 191 AO. Der Haftungsschuldner kann aber nicht, was § 167 Abs. 1 Satz 1, zweite Alternative AO voraussetzt, eine Steueranmeldung nicht abgeben, weil seine Haftungsschuld nicht anzumelden ist. Mit der Neuregelung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO vermischt der Gesetzgeber Haftungs- und Steuerfestsetzungsverfahren systemwidrig (vgl. auch Schwarz, AO, § 167 Rz. 7; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 167 Rz. 5; FG Hamburg, EFG 1997, 17; FG Münster, EFG 1998, 823).
b)
Das Gesetz bietet der Finanzbehörde zudem die Möglichkeit, die besonderen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner (Verschuldungsabhängigkeit, Ermessenausübung) zu umgehen. Das widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Gericht stellt bei seiner Entscheidung daher maßgebend darauf ab, dass der Finanzbehörde kein uneingeschränktes Wahlrecht darüber zustehen kann, in welchen Fällen es einen Steuerbescheid oder einen Haftungsbescheid erlässt. Für die Kapitalertragsteuer geht möglicherweise auch § 44 Abs.5 EStG als spezialgesetzliche Regelung der Inanspruchnahme nach § 167 AO vor. Das braucht aber nicht vertieft zu werden. In der Literatur wird danach differenziert, ob es sich bei der Forderung des Finanzamts um eine zeitraumbezogene oder eine sachverhaltsbezogene Nachforderung handelt. Zeitraumbezogene Nachforderungen sind solche, die einen bestimmten Anmeldungszeitraum betreffen, sachverhaltsbezogene Nachforderungen beziehen sich auf einen bestimmten vom Finanzamt festgestellten Sachverhalt (Klein, AO, § 167 Anm. 5; vgl. auch Urteil des BFH vom 25. Mai 1992 VI R 146/88, BStBl. II 1992, 700). Durch Steuerfestsetzung gegen den Haftungsschuldner sollen nur zeitraumbezogene Nachforderungen geltend gemacht werden können; für sachverhaltsbezogene Nachforderungen muss der Haftungsschuldner nach wie vor durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (Krabbe a.a.O.; Kühn/Kutter/Hofmann, AO, § 167 Anm. 1 am Ende; Klein a.a.O.). Der Senat schließt sich dieser Differenzierung an.
Wird eine Anmeldung nicht abgeben, kann die Nachforderung sowohl auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen als auch auf vom Finanzamt ermittelten Besteuerungsgrundlagen beruhen. Bei Steuern, die sich auf Zeiträume beziehen, wie etwa bei der Lohnsteuer, wird die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen häufig in vollem Umfang schätzen müssen. Da die Voraussetzungen für eine Haftung in diesen Fällen möglicherweise schwierig zu ermitteln sind, macht im Fall der Vollschätzung die Festsetzung durch Steuerbescheid einen Sinn. Bei nachträglicher Abgabe der Anmeldung oder Ermittlung des Sachverhalts durch die Finanzbehörde kann der Steuerbescheid geändert werden. Hat das Finanzamt jedoch einen Sachverhalt festgestellt, der zu einer einzubehaltenden, abzuführenden und anzumeldenden Steuer führt, so kommt eine Schätzung in vielen Fällen nicht in Betracht, weil die Steuer exakt ermittelt werden kann. Auch im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Haftung können Sachverhaltsermittlungen gezielt angestelltwerden. In derartigen Fällen der Nachforderung, die auf einem bestimmten abgrenzbaren Sachverhalt beruht, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Haftungsbescheid ergehen. Die Möglichkeit, die Steuer durch Steuerbescheid festzusetzen, ist daher nicht erforderlich und würde ohne sachliche Rechtfertigung die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners erweiteren. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 167 Abs. 1 Satz 1, zweite Alternative AO auf Fälle der Vollschätzung bei zeitraumbezogenen Nachforderungen bildet einen handhabbaren Maßstab für die Finanzbehörde zur Ausübung ihres Wahlrechts der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners.
c)
Im zu entscheidenden Fall handelt es sich um eine sachverhaltsbezogene Nachforderung. Das Finanzamt hat einen Sachverhalt ermittelt, nämlich die Gewährung von vGA durch zinslose Überlassung eines Darlehens der Klägerin an ihren Gesellschafter. Eine Schätzung war nicht erforderlich, denn das Finanzamt konnte die Besteuerungsgrundlagen und die sich daraus berechnende Steuer ermitteln. Das ist auch geschehen. Die zur Kapitalertragsteuer führende Annahme von vGA beruht in aller Regel und auch hier auf steuerlich zu bewertenden Sachverhalten. Die Steuer bezieht sich nicht wie etwa die Lohnsteuer auf einen bestimmten Anmeldungszeitraum. Unabhängig davon, ob man die vom Finanzamt zugrunde gelegte Ermächtigungsgrundlage für systematisch verfehlt hält, kann sie für sachverhaltsbezogene Nachforderungen gegen den Haftungsschuldner nicht herangezogen werden, weil damit die besonderen Vorraussetzungen für die Haftung und die Ausübung des Ermessens durch das Finanzamt umgangen würden.Das Finanzamthätte daher die Klägerin im Wege der Haftung in Anspruch nehmen müssen.
Der angegriffene Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. § 708, Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.