Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.06.1999, Az.: VIII 854/98 Ki
Besuch einer Bibelschule als Berufsausbildung; Inhaltliche Bewertung einer Ausbildung durch die Kindergeldkasse; Inhaltliche Bewertung einer Ausbildung durch das Gericht; Besuch einer Ergänzungsschule als Berufsausbildung; Schulbesuch zur Vorbereitung einer nicht nur vorübergehenden Betätigungsmöglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.06.1999
- Aktenzeichen
- VIII 854/98 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 20522
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0629.VIII854.98KI.0A
Rechtsgrundlage
- § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG
Verfahrensgegenstand
Kindergeld
Amtlicher Leitsatz
Besuch einer Bibelschule als Berufsausbildung. Keine Befugnis von Kindergeldkasse oder Gericht zur inhaltlichen Bewertung der Ausbildung.
Der VIII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 29. Juni 1999,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
2. Richterin am Finanzgericht ...
3. Richterin am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Bescheide der Beklagten über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ... ab ... vom ... und ... und die Einspruchsentscheidung vom ... werden aufgehoben; das Kindergeld für die Tochter ... wird festgesetzt ab ... mit monatlich ... DM.
Die Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Besuch der ... Bibelschule Berufsausbildung ist.
Die Klägerin beantragte am ... bei der Beklagten die Festsetzung von Kindergeld für ihre am ... geborene Tochter ..., die damals bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes ... arbeitslos gemeldet war. Die Beklagte setzte das Kindergeld antragsgemäß mit Bescheid vom ... mit DM monatlich fest.
Nachdem das Arbeitsamt der beklagten Familienkasse im ... mitgeteilt hatte, dass ... dort nicht mehr geführt wurde, hob die Beklagte mit Bescheid vom ... die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ... ab ... ... auf. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom .... Ihre Tochter ... habe am ... mit einer Bibelschul-Ausbildung in ... begonnen und stehe deshalb der Arbeitsvermittlung zur Zeit nicht zur Verfügung. Die Klägerin fügte eine Schulbescheinigung der Bibelschulen (B) vom bei, wonach die Klasse 1 mit Teilzeitunterricht von 20 Stunden wöchentlich besuchte und die Schulausbildung voraussichtlich im Monat ... beenden werde. Aus einer weiteren Bestätigung der B vom ... ergibt sich, dass die Schule eine Ergänzungsschule im Sinne des § 9 ... Privatschulgesetz ist; das Landesschulamt ... hat in einem Telefonat mit der Berichterstatterin vom ... bestätigt, dass die B den Betrieb ihrer Privatschule als Ergänzungsschule gem. § 9 Privatschulgesetz dem Landesschulamt ... angezeigt hat. Die Schule diene der Ausbildung von Pastoren, Missionaren,Diakonen etc. im freikirchlichen Rahmen. Nach der Bestätigung wird die Zeit und Arbeitskraft der Auszubildenden/Schüler z. T. von der Schule und heimischer Nacharbeit in Anspruch genommen. Die meisten Schüler gingen nachmittags einer Halbtagsbeschäftigung nach. Der Unterricht betrage mindestens 20 Stunden pro Woche. Er erfolge nach gültigen Lehrplänen und werde im Klassenverband durchgeführt. Es würden Praktika, die nicht entlohnt wurden, in Form von Evangelisationseinsätzen, Arbeit an Drogengefährdeten, Alkoholikern und sozial desintegrierten Jugendlichen usw. durchgeführt. Es erfolgten schriftliche Zwischenprüfungen, Abschlussprüfungen sowie Zeugnisvergabe mit schriftlichem Nachweis über das Bestehen. Die monatliche Schulgebühr betrage ... DM.
Mit weiterem Bescheid vom ... hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ab in Höhe von monatlich ... DM auf. Der Besuch der Bibelschule sei keine Berufsausbildung im Sinne des EStG.
Mit ihrem Einspruch vom ... machte die Klägerin geltend, die ... Bibelschule sei nach dem Privatschulgesetz als Ergänzungsschule anerkannt. Sie diene der Ausbildung im freikirchlichen Rahmen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Ausbildung an einer Bibelschule zur Pastorin etc. keine Berufsausbildung sein solle. Deshalb sei ihre Tochter gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG zu berücksichtigen.
Die Beklagte wies den Einspruch zurück. Berufsausbildung im Sinne des EStG sei der Erwerb der Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich seien, um in Zukunft einen bestimmten Beruf gegen Entgelt ausüben zu können. Der Erwerb von lediglich nützlichen, wertvollen oder erwünschten Kenntnissen und Fertigkeiten reiche dagegen für eine Anerkennung als Berufsausbildung nicht aus. Unter Würdigung der vorgelegten Lehrinhalte lt. Bestätigung der ... Bibelschule liege keine Berufsausbildung vor.
Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin macht ihr bisheriges Vorbringen geltend. Die Ausbildung an den ... Bibelschulen, die die Ausbildung von Pastoren, Diakonen und Missionaren im freikirchlichen Rahmen vorsehe, werde in diskriminierender Art herabgewürdigt. Es sei auch in der evangelischen und katholischen Kirche möglich, eine solche Berufsausbildung ohne theologisches Universitätsstudium zu absolvieren.Es gebe keinen plausiblen Grund dafür, die Ausbildung im freikirchlichen Rahmen nicht anzuerkennen.
Ihre Tochter werde während der dreijährigen Bibelschulzeit zur Diakonin ausgebildet, um später in freikirchlichen Einrichtungen arbeiten zu können. Mit Schreiben vom ... hat die Klägerin weiter dargelegt, dass ihre Tochter während der Bibelschulsausbildung in keinem geregelten Arbeitsverhältnis stehe. Sie habe lediglich aushilfsweise im ... an sieben Tagen vier Stunden im Reinigungsdienst in einem Altenheim und im ... an drei Tagen fünf Stunden in einem Textilgeschäft gearbeitet. Die Nachmittage hätten die Schüler für Hausarbeiten, Vorbereitungen der Klausuren, soziale und missionarische Einsätze in den verschiedenen Bereichen außerhalb der Schule genutzt. Unterhaltskosten sowie Schulgebühr seien ausschließlich von ihr entrichtet worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ab ... auch weiterhin Kindergeld für ihre Tochter ..., geb. am ..., zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Für die Festsetzung des Kindergeldes gemäß §§ 62f. des EStG (in der für den Streitfall geltenden Fassung) gilt für die Berücksichtigung als Kind u.a. § 32 Abs. 2-5 EStG entsprechend. ImStreitfall kommt die Berücksichtigung der Tochter ... ab ... gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG in Betracht. Danach wird ein Kind, dass das 18. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
Zur Berufsausbildung gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen sowie Grund-, Haupt-, Oberschulen, ferner der Bereich von Fach- und Hochschulen sowie ein in Ausbildungsordnungen vorgeschriebenes Praktikum, weil der Schulbesuch die notwendige Grundlage für die Ausübung der verschiedensten Berufe schafft (vgl. Schmidt/Glanegger, Kommentar zum EStG, 17. Aufl. 1998 Rdz. 38 zu § 32 EStG, und Schmidt/Heinike a.a.O., Rdz. 140 Stichwort Schule zu § 10 EStG).
... befand sich ab ... in Berufsausbildung, weil sie eine Ergänzungsschule im Rahmen ihrer Ausbildung zu den vonihr angestrebten Beruf als Diakonin besucht hat. Die B hat den Betrieb ihrer Schule als Ergänzungsschule gemäß § 9 Privatschulgesetz dem Landesschulamt ... angezeigt. Ausweislich ihrer Bescheinigung dient die Schule der Ausbildung von Pastoren, Missionaren, Diakonen im freikirchlichen Rahmen. Die inhaltliche Wertung der angestrebten Ausbildung steht dem Gericht und der Kindergeldkasse nicht zu. Der angestrebte Beruf muss nicht innerhalb bestimmter bildungspolitischer Zielvorstellungen des Gesetzgebers liegen (vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 1987 VI R 149/81, BStBl II 1988, S. 494ff.). Anders als für den Abzug als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG (vgl. BFH, Urteile vom 11. Juni 1997, X R 77/94 und X R 144/95, BStBl II 1997, 615ff. und 621ff.) ist auch nicht erforderlich, dass es sich um eine nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschule handelt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Schulbesuch zur Vorbereitung einer nicht nur vorübergehenden Betätigungsmöglichkeit, die dem Aufbau oder der Erhaltung und Sicherung einer beruflichen Existenz und damit der Erhaltung und Sicherung der Lebensgrundlagen der Tochter dienen konnte und sollte (BFH, Urteil vom 18. Dezember 1997 a.a.O. Ziff. 2). Die Klägerin hat insoweit dargelegt, dass ihre Tochter die B im Hinblick auf die von ihr angestrebte berufliche Tätigkeit als Diakonin im freikirchlichen Bereich besucht.
Die Klägerin hat schließlich auch dargelegt, dass der Schulbesuch die Zeit und Arbeitskraft ihrer Tochter überwiegend in Anspruch genommen hat durch den 20 Wochenstunden umfassenden Unterricht vormittags und die Vor- und Nacharbeit und die praktischen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schulbesuch nachmittags.
Schließlich sind auch eigene Einkünfte und Bezüge der Tochter über 12.360 DM im Kalenderjahr (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht ersichtlich. Die Prüfung der im Kalenderjahr ... während der Zeiten der Berücksichtigung als Kind erzielten Einkünfte hat die Beklagte nach Ablauf des Kalenderjahres ... vorzunehmen.
Der Klägerin steht deshalb Kindergeld für die Tochter ... ab ... zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.