Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.06.1999, Az.: VII (III) 275/97

Anwendbarkeit von verschiedenen Steuersätzen bei Vorliegen eines Vorvertrags; Zeitpunkt der Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.06.1999
Aktenzeichen
VII (III) 275/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19488
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0601.VII.III275.97.0A

Verfahrensgegenstand

Grunderwerbsteuer 1997:
Alter oder neuer Steuersatz?

Amtlicher Leitsatz

Der erhöhte Steuersatz von 3,5 % ist erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31.12.1996 verwirklicht werden. Ein Vorvertrag aus 1995, also aus Zeiten der Anwendbarkeit des einstigen Steuersatzes von 2 %, und nicht der spätere Schlussvertrag (aus 1997) ist bestimmend für die Höhe des Steuersatzes (hier 2 %), wenn bereits der Vorvertrag den Vertragsparteien wechselseitige Bindungen (einklagbare Ansprüche, keine Rücktrittsrechte) vermittelt.

Der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 1. Juni 1999...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Grunderwerbsteuer wird unter Abänderung des Bescheids vom 26. Februar 1997 und der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 1997 von ... DM auf ... DM herabgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor entsprechende Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Nachdem der Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer zum 1. Januar 1997 von 2 v.H. auf 3,5 v.H. angehoben wurde, ist streitig, ob hier der alte oder der neue Steuersatz anzuwenden ist.

2

Die Klägerin (Kl.) schloss am 15. Dezember 1995 mit dem Unternehmen B einen notariellen "Vorvertrag zum Abschluss eines Kaufvertrages über zwei Eigentumswohnungen". Die Kl. hatte die Räumlichkeiten bereits am 1. Dezember 1995 übergeben bekommen. Ab Dezember 1995 war die Kl. berechtigt, die Räume uneingeschränkt zu nutzen, zu vermieten und Mietzinsen zu vereinnahmen, andererseits hatte sie die Lasten (etwa Grundsteuer) zu tragen. Zum damaligen Zeitpunkt war das Kaufobjekt, ein Mehrfamilienhaus, noch nicht in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Die Teilungserklärung war noch nicht erstellt, Abgeschlossenheitsbescheinigungen des zuständigen Bauamtes lagen noch nicht vor. Vereinbart wurde u.a. ein Gesamtkaufpreis in Höhe von ... DM. Davon wurden ... DM zum 22. Dezember 1995, und zwar ohne Rücksicht auf die Fertigstellung der Teilungserklärung und unabhängig vom Zeitpunkt des Abschlusses eines weiteren Vertrages fällig gestellt. Die Zahlung der ... DM erfolgte noch in 1995. Die Fälligkeit des Restkaufpreises war lt. "Vorvertrag" abhängig vom Eintragungsvorgang der Auflassungsvormerkung. Die restlichen ... DM wurden nicht vor dem 1. Januar 1997 überwiesen. Die Kl. und das Unternehmen B verpflichteten sich, binnen vier Wochen nach Anlegung der Wohnungsgrundbücher den "endgültigen notariellen Kaufvertrag" über die Wohnungseigentumsobjekte abzuschließen. Für den Fall, dass eine Vertragspartei dieser Verpflichtung nicht nachkommt, sieht der Vertrag vom 15. Dezember 1995 vor, dass die andere Vertragspartei berechtigt sei, "die Erfüllung des Vertrages im Klagewege zu verlangen"; im Übrigen verzichteten die Vertragsparteien "ausdrücklich auf Rücktrittsrechte von diesem Vertrag". Die Teilungserklärung erging am 20. Dezember 1996. Die Kl. und das Unternehmen B schlossen dann am 6. Februar 1997 einen weiteren notariellen Kaufvertrag, mit dem die Vereinbarung aus dem "Vorvertrag" vom 15. Dezember 1995 umgesetzt wurden. Der Beklagte (Bekl.) setzteauf der Grundlage des notariellen Kaufvertrages vom 6. Februar 1997 die Grunderwerbsteuer mit Bescheid vom 26. Februar 1997 auf ... DM (... DM × 3,5 v.H.) fest.

3

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhebt die Kl. Klage, mit der sie im Wesentlichen folgendes vorträgt:

4

Die Grunderwerbsteuerfestsetzung müsse sich nach dem notariellen Vertrag vom 15. Dezember 1995 und der Besitzübergabe zum 1. Dezember 1995, mithin nach dem bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Steuersatz von 2 v.H. (statt 3,5 v.H.) richten. Bereits der Vertrag vom 15. Dezember 1995 habe den unbedingten Bindungswillen der Vertragsparteien hinreichend dokumentiert. Schon der Vorvertrag habe der Kl. die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, den Erwerb der gekauften Objekte ohne weiteres gerichtlich durchzusetzen.

5

Die Kl. beantragt sinngemäß,

die Grunderwerbsteuer unter Abänderung des Bescheids vom 26. Februar 1997 und der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 1997 von ... DM auf ... DM herabzusetzen.

6

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er meint weiterhin, dass erst der notarielle Vertrag vom 6. Februar 1997 die Grunderwerbsteuer auslöse. Die Vertragsparteien könnten nach dem Vertrag vom 15. Dezember 1995 lediglich auf den Abschluss eines endgültigen Kaufvertrages klagen und nicht etwa unmittelbar aus diesem Vorvertrag die Auflassungserklärung verlangen. Damit habe die Kl. aufgrund des Vorvertrages keinen unmittelbaren Anspruch auf Übereignung des Grundstücks erworben.

8

Das Gericht hat mit Schriftsatz vom 18. Mai 1999 die Beteiligten auf § 23 Abs. 4 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) und auf die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage hat Erfolg. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig. Nicht der neue Steuersatz von 3,5 v.H., sondern der bis Ende 1996 geltende Steuersatz von 2 v.H. ist anzuwenden.

10

Der erhöhte Steuersatz von 3,5 v.H. (§ 11 Abs. 1 GrEStG) ist erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1996 verwirklicht werden (§ 23 Abs. 4 GrEStG). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der der Senat folgt, ist ein Erwerbsvorgang dann verwirklicht, wenn das auf einen Erwerbsvorgang abzielende Wollen in rechtsgeschäftliche Erklärungen umgesetzt worden ist, wenn also die Vertragspartner im Verhältnis zueinander gebunden sind, und zwar unabhängig davon, ob dieser Rechtsvorgang bereits die Entstehung der Steuer auslöst oder nicht (BFH BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35, 36; BFHE 171, 361, BStBl II 1993, 633, 634; BFH BB 1999, 1644; so auch FG Berlin, EFG 1999, 489, EFG 1998, 894; FG Nürnberg, EFG 1999, 141; Viskorf in Boruttau, Kommentar zum GrEStG, 14. Auf. 1997, § 23 Anm. 24; Pahlke/Franz, Kommentar zum GrEStG,1995, § 23 Anm. 5 mit Nachtrag 1997).

11

Danach ist der Grundstückserwerb der Kl. bereits mit dem sog. Vorvertrag aus 1995, mithin zu Zeiten der Anwendbarkeit des Steuersatzes vom 2 v.H., verwirklicht worden. Denn dieser Vertrag vermittelt den Vertragsparteien wechselseitige Bindung, weil er (unstreitig) einklagbare Ansprüche ausweist und Rücktrittsrechte ausschließt. Verschiedene Begleitumstände, etwa Übergang von Nutzen und Lasten sowie Zahlung von rd. 90 v.H. des Kaufpreises noch in 1995, unterstreichen den Bindungswillen der Vertragsparteien.

12

Der auf den Zeitpunkt der Entstehung der Grunderwerbsteuer abzielende Einwand des Bekl., der Vorvertrag enthalte - im Gegensatz zum Schlussvertrag aus 1997 - allein einen mittelbaren Anspruch auf Grundstücksübereignung, geht fehl. Denn nach den oben wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen zu dem hier einschlägigen § 23 Abs. 4 GrEStG kommt es auf die Frage, ob der Vertrag aus 1995 die Grunderwerbsteuer nach § 1 GrEStG bereits ausgelöst hat, nicht an.

13

Da der Steuersatz von 2 v.H. anzuwenden ist, beträgt die Grunderwerbsteuer ... DM (... DM × 2 v.H.).

14

Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO stattzugeben. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

15

Die Revision ist nicht zugelassen worden.