Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.03.2008, Az.: 5 T 115/07
Abgrenzung; Amtshaftung; Amtshandlung; Amtspflichtverletzung; Ausgestaltung; Betriebspflicht; drittgerichtete Amtspflicht; Drittgerichtetheit; Gefahrenquelle; Gefahrenstelle; Holzbrücke; Instandhaltungspflicht; Oldenburger Schlossgarten; Satzung; Schadenersatzanspruch; Sorgfaltspflichtverletzung; Sturzunfall; Unterhaltungspflicht; verkehrssicherer Zustand; Verkehrssicherheit; Verkehrssicherungspflicht; Verschulden; öffentliche Sache; öffentliche Zugänglichkeit; öffentlicher Park
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 05.03.2008
- Aktenzeichen
- 5 T 115/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55062
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 30.01.2007 - AZ: E5 C 5365/06
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 1 BGB
- § 839 Abs 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für den unfallfreien Betrieb und die Unterhaltung öffentlicher Sachen (hier: Schlossgarten) haftet die öffentliche Hand nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB), wenn die Pflicht durch Satzung oder Gesetz als Amtspflicht ausgestaltet ist oder ohnehin eine Amtshandlung vorliegt, sonst beurteilen sich Verkehrspflichtverletzungen nach allgemeinen Grundsätzen (§ 823 BGB).
Tenor:
I. Das Verfahren wird von der Kammer übernommen.
II. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 30.01.07 - E5 C 5365/06 - geändert:
Dem Antragsteller wird für die beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwalt La. beigeordnet.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Oldenburg dem Antragsteller die begehrte Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage wegen der Verletzung von Verkehrspflichten versagt. Der Antragsteller war auf einer Holzbrücke im Schlossgarten von Oldenburg wegen einer verwitterten Holzplanke gestürzt.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig. In der Sache hat sie Erfolg.
Die beabsichtigte Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das Amtsgericht ist für das Verfahren zuständig. Die Frage der Haftung für den verkehrssicheren Zustand einer Holzbrücke in einem öffentlichen Park richtet sich nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Blickwinkel der Verkehrspflichtverletzung und nicht nach den Amtshaftungsgrundsätzen des § 839 BGB. In den Fällen, in denen das für beide Ansprüche zuständige Gericht angerufen worden ist, kann die Abgrenzung des § 823 Abs. 1 BGB von § 839 BGB dahinstehen, da die Haftungsvoraussetzungen und deren Umfang identisch sind (OLG Koblenz OLGR 2001, 313). Hier kommt es indessen auf die Abgrenzung an.
Den Betrieb und die Unterhaltung von öffentlichen Sachen wie hier des Schlossparks führt der Antragsgegner in Erfüllung einer ihm obliegenden Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge durch und stellt den Park aus diesem Grund der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe ist allerdings nicht deckungsgleich mit einer drittgerichteten Amtspflicht.
So hat der BGH entschieden, dass beispielsweise die Pflicht zur Unterhaltung von Gewässern zwar öffentlich-rechtlicher Natur ist, für eine Schlechterfüllung aber nach allgemeinen Deliktsrecht und nicht nach Amtshaftungsgrundsätzen gehaftet wird (BGHZ 121, 367). Für Kinderspielplätze und Müllkippen reicht die öffentliche Einrichtung und Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen nicht aus, eine drittgerichtete Amtspflicht zu begründen (BGH VersR 77, 817; Hußla VersR 71, 877). Es kommt darauf an, ob die öffentliche Hand dem Anspruchsteller wie jeder andere Verkehrssicherungspflichtige gegenübertritt oder ob die konkret verletzte Pflicht als Amtspflicht ausgestaltet ist. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht fußt darauf, dass Jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle oder einen gefahrdrohenden Zustand schafft oder andauern lässt, die Pflicht hat, alle ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern.
Dem Staat bleibt es allerdings unbenommen, die allgemeine Verkehrssicherungspflicht als Amtspflicht auszugestalten. Die öffentlich-rechtliche Körperschaft, der die Verkehrssicherung obliegt, hat grundsätzlich die Wahl, ob sie dieser Pflicht als Fiskus, also privatrechtlich, oder als Träger öffentlicher Gewalt, also hoheitsrechtlich, genügen will (BGH VersR 77, 817). Letzteres ist bei Straßengesetzen der Länder geschehen (z.B. § 10 NStrG; Überblick bei Soergel/Vinke, BGB, § 839 Rn 120).
Eine Widmung des Oldenburger Schlossgartens nach dem NStrG wird weder vorgetragen, noch ist diese ersichtlich.
Soweit eine solche gesetzliche Regelung nicht getroffen wird, steht es nach der sog. Organisationslehre im Ermessen der verkehrspflichtigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft, ob sie diese Pflicht als hoheitliche Aufgabe erfüllen will. Das gilt nicht nur für die Straßenverkehrspflicht, sondern auch für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht, z. B. für fiskalische Gebäude, eines von der Körperschaft betriebenen Unternehmens, einer öffentlichen Veranstaltung, öffentlicher Erholungsanlagen oder vergleichbarer Einrichtungen (Staudinger/Schäfer, BGB, 12. Aufl., § 839 Rn 130). Dazu bedarf es einer ausdrücklichen Bekanntmachung (Satzung), dass eine hoheitlich zu erledigende Aufgabe erfüllt werden soll oder es handelt sich ohnehin um Amtshandeln (vgl. Schäfer, aaO.).
Erfüllt eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ihre Sicherungspflicht gegenüber Besuchern nicht ausdrücklich als hoheitliche Aufgabe, so beurteilt sich eine Verletzung der Verkehrspflicht nach § 823 BGB, selbst wenn die Benutzung durch eine Satzung geregelt wird oder sich die Körperschaft bei der Durchführung einer Veranstaltung hoheitlich betätigt und polizeiliche Pflichten zur Gefahrenabwehr hat (Staudinger/Wurm, BGB, 13. Aufl., § 839 Rn 113). Dass eine solche Satzung erlassen und veröffentlicht wurde, zeigt keine der Parteien auf. Derartiges ist der Kammer auch nicht bekannt. So ist beispielsweise eine Benutzungsordnung für Landesbibliotheken erlassen worden (Nds. MBl. 2004 Nr. 39, S. 835), nicht aber für Schlösser und Gärten. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von dem der Entscheidung des OLG Hamburg (MDR 64, 147 [OLG Hamburg 13.09.1963 - 1 U 70/63]). Dort hatte die Stadt Hamburg durch Satzung bestimmt, dass die Pflichten der Bediensteten der Stadt bei der Unterhaltung der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen als Amtspflichten wahrgenommen werden.
Darüber hinaus können Amtspflichten auch durch eine Sonderbeziehung entstehen, wie es etwa im Verhältnis von Schule und Schüler in Betracht gezogen werden kann (BGH, aaO.). Doch ist auch bei Unfällen von Schülern die Haftung des Schulträgers für die Sicherheit eines Schulgebäudes und der zu ihm gehörenden Anlagen dann aus dem Gesichtspunkt der bürgerlichen Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen, wenn es sich lediglich um die Sicherung des Objekts in einer Weise handelt, wie sie jedem Eigentümer eines dem Verkehr überlassenen Grundstücks obliegt (BGH aaO).
An einem hoheitlich mit Amtspflichten ausgestaltetem Sonderverhältnis fehlt es hier.
So ist grundsätzlich die Wahrung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht bezüglich öffentlicher Sachen dem privatrechtlichen Tätigkeitsbereich des öffentlichen Sachherrn zuzurechnen (OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1255 [OLG Saarbrücken 09.05.2006 - 4 U 175/05] mwNw.). Das gilt entsprechend auch im vorliegenden Fall.
Soweit der Kläger dem beklagten Land eine Verletzung der Verkehrspflicht vorwirft, hat die Klage Aussicht auf Erfolg. Es ist notfalls durch ein Sachverständigengutachten zu klären, ob die bei aufmerksamer Beobachtung erkennbare Beschädigung an der Holzplanke der Brücke bei den vorzunehmenden Kontrollgängen Anlass geben musste, die Schadensstelle näher zu untersuchen.
So ist bei der Baumkontrolle anerkannt, dass der Straßenbaulastpflichtige anders als der private Eigentümer regelmäßige Kontrollen durch geschultes und durch Fortbildung auf dem laufenden Wissensstand gehaltenes Personal durchzuführen hat. Dabei genügt eine Betrachtung der Bäume vom Boden aus. Erst wenn dadurch Schadensanzeichen erkennbar sind, ist eine weitere intensive Untersuchung erforderlich (PWW/Kramarz, BGB, 2. Aufl., § 839 Rn 140). Sinngemäß dasselbe hat bei der sonstigen Wahrung der Verkehrspflichten durch die öffentliche Hand zu gelten.