Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.08.2024, Az.: 14 LC 99/24
Umdeutung eines Antrags als Antrag auf Zulassung der Berufung in einem Verfahren wegen der Untersagung der Leitung eines Heims
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.08.2024
- Aktenzeichen
- 14 LC 99/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 20537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0815.14LC99.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 26.04.2024 - AZ: 11 A 5482/21
Rechtsgrundlage
- § 124a Abs. 4 VwGO
Fundstelle
- FA 2024, 285
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Legt eine rechtsanwaltlich vertretene Partei gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts Berufung ein und stellt wegen Versäumung der Einlegungsfrist gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so kann diese Prozesserklärung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung nur dann umgedeutet werden, wenn der Antrag noch innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO, in der die versäumte Rechtshandlung nachzuholen ist, gestellt worden ist.
- 2.
zur Höhe des Streitwertes bei einem Beschäftigungsverbot der Heimleitung einer Pflegeinrichtung
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 26. April 2024 - Einzelrichterin der 11. Kammer - wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren und das erstinstanzliche Klageverfahren - insoweit von Amts wegen unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses vom 26. April 2024 - auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. April 2024, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheidet, ist zu verwerfen, da sie unzulässig ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO).
Die eingelegte Berufung ist nicht das statthafte Rechtsmittel. Nach § 124 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten gegen Endurteile die Berufung nur zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. Wird die Berufung - wie hier - nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (§ 124 a Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO).
a) Die anwaltlich vertretene Klägerin hat, obwohl das ihrem Prozessbevollmächtigten am 8. Mai 2024 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts sie zutreffend dahingehend belehrt hat, innerhalb der bis zum 10. Juni 2024 (einem Montag) laufenden Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO einen Zulassungsantrag nicht gestellt. Vielmehr hat sie (erst) mit Schriftsatz vom 24. Juni 2024 ausdrücklich Berufung eingelegt und gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "wegen der Versäumung der Berufungseinlegungsfrist" gestellt. Obgleich die Klägerin mit Eingangsmitteilung der Vorsitzenden des Senats vom 25. Juni 2024 (ausweislich der elektronischen Eingangsbestätigung am 26. Juni 2024 um 09:14:20 Uhr auf dem Server ihres Prozessbevollmächtigten eingegangen) darauf hingewiesen worden ist, dass ihr Antrag unzulässig sein dürfte, hat sie bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung weder in diesem Verfahren reagiert noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO) gestellt.
b) Das mit Schriftsatz vom 24. Juni 2024 eingelegte und ausdrücklich als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Klägerin kann nicht im Wege der Auslegung als Antrag auf Zulassung der Berufung verstanden werden. Denn die Klägerin hat ausdrücklich nur "Berufung" gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. April 2024 eingelegt. Dabei hat sie das Wort "Berufung" abgesetzt vom Fließtext in einem eigenen Absatz, in zentrierter Schreibweise und durch Fettdruck in kursiven Lettern besonders hervorgehoben. Der Inhalt dieser anwaltlichen Prozesserklärung ist unmissverständlich und bietet keinerlei Anhaltspunkt für eine vom eindeutigen Wortlaut abweichende Auslegung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.1.2013 - 4 B 30.12 -, juris Rn. 2; BayVGH, Beschl. v. 27.1.2006 - 11 B 05.3134 -, juris Rn. 8; OVG NRW, Beschl. v. 12.9.2017 - 13 A 1929/17 -, juris Rn. 15 ff.).
c) Eine Umdeutung des Rechtsmittelantrags vom 24. Juni 2024 in einen Antrag auf Zulassung der Berufung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine von einem Rechtsanwalt innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO eingelegte Berufung regelmäßig nicht in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden. Gerade weil die Berufung und der Antrag auf Zulassung der Berufung unterschiedliche Gegenstände betreffen (s.o.), ist eine Umdeutung allenfalls dann möglich, wenn innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO das wirkliche Begehren klargestellt wird; andernfalls würde die gesetzliche Frist für die Stellung eines Zulassungsantrages umgangen werden (zum Ganzen vgl. BVerwG, Urt. v. 2.5.2016 - 9 B 12.16 -, juris Rn. 8; Urt. v. 27.8.2008 - 6 C 32.07 -, juris Rn. 24 f.; NdsOVG, Beschl. v. 13.5.1997 - 5 L 2121/97 -, juris Rn. 2f.). Obgleich eine solche Klarstellung innerhalb der Antragsfrist hier schon nicht erfolgen konnte, weil die - aus Sicht der Klägerin statthafte - Berufung schon nicht fristgerecht eingelegt worden ist und auch ein Antrag auf Zulassung der Berufung nicht mehr fristgerecht hätte gestellt werden können, hat die Klägerin bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht reagiert und ihr wirkliches Begehren klargestellt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen würde, dass das - aus ihrer Sicht - bestehende Hindernis zur Einlegung der - aus ihrer Sicht statthaften - Berufung erst am 24. Juni 2024 - dem Tag der Einlegung des Rechtsmittels - weggefallen wäre, so hätte sie - dem Gedanken der zuvor dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgend - wenigstens innerhalb der nach § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO geltenden Frist zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung - hier bis zum 8. Juli 2024 - ihr wirkliches Begehren klarstellen müssen. Dies hat sie trotz des Hinweises der Vorsitzenden nicht getan. Da bereits das eingelegte Rechtsmittel nicht statthaft ist, ist über den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entscheiden.
d) Eine Berufung umfasst auch nicht zugleich einen Antrag auf Zulassung der Berufung. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das Oberverwaltungsgericht. Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie haben unterschiedliche Ziele und stehen in einem Stufenverhältnis selbständig nebeneinander. Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffnet die prozessrechtliche Möglichkeit, das Rechtsmittel der Berufung als nunmehr statthaft einzulegen (BVerwG, Urt. v. 2.5.2016 - 9 B 12.16 -, juris Rn. 7; vgl. NdsOVG, Beschl. v. 13.5.1997 - 5 L 2121/97 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Beschl v. 15.12.2017 - 7 A 2570/17 -, juris Rn. 3; BayVGH, Beschl. v. 18.1.2017 - 1 ZB 16.2474 -, juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 i.V. mit § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO) liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG. Grundsätzlich ist nach § 52 Abs. 1 GKG in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Das ist hier mangels genügender Anhaltspunkte für einen höheren Streitwert der Fall (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 24.08.2008 - 8 ME 295/08 -, V.n.b.; im Ergebnis auch OVG NRW, Beschl. v. 25.3.2021 - 12 B 198/21 -, juris Rn. 20; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 26.8.2009 - 12 A 2484/08 -, juris Rn. 7). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist ein Streitwert von (mindestens) 15.000 Euro im Falle eines "nur" ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes in Bezug auf die Heimleitung nicht gemäß § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziffer 54.2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzunehmen. Danach ist für eine einfache Gewerbeuntersagung als Streitwert der Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens 15.000 Euro anzusetzen. Streitgegenständlich im vorliegenden Fall ist jedoch "nur" die Untersagung der Heimleitung der Geschäftsführerin der Klägerin, nicht etwa ein Betriebsverbot für die Klägerin, das einen an der Ziffer 54.2.1 orientierten Streitwert eher begründen würde (vgl. zum teilweisen Betriebsverbot: NdsOVG, Beschl. v. 26.8.2022 - 14 OA 266/22 -, juris Rn. 3; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 9.1.2019 - 12 CS 18.2658 -, juris Rn. 76) oder ein vollständiges Beschäftigungsverbot von Frau F. im Betrieb der Klägerin. So umfasst das ausgesprochene Beschäftigungsverbot nicht die Funktion der Frau F. als Geschäftsführung und ihren weiteren unterstützenden Einsatz im Bereich der Pflege (S. 8 des Urteilsabdruckes) und ist mit einer einfachen Gewerbeuntersagung nicht ohne weiteres vergleichbar.
Vor diesem Hintergrund macht der Senat nach Anhörung der Beteiligten von seinem Ermessen Gebrauch, den Streitwert für das erstinstanzliche Klageverfahren zu ändern und für dieses ebenfalls einen Streitwert von 5.000 Euro festzusetzen (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 GKG).