Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.08.2024, Az.: 1 LB 47/23
Bauplanungsrechtlicher Bauvorbescheid für eine Seniorentagespflege im Gewerbegebiet hinsichtlich Gebietsverträglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.08.2024
- Aktenzeichen
- 1 LB 47/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 21577
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0807.1LB47.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 07.10.2021 - AZ: 2 A 829/19
Rechtsgrundlage
- § 12 Abs. 3a BauGB
Fundstelle
- GewArch 2024, 466-468
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Durch eine Festsetzung nach § 12 Abs. 3a BauGB kann das durch die Baugebietsfestsetzung eröffnete Nutzungsspektrum lediglich eingeengt, nicht aber erweitert werden.
- 2.
Eine Tagespflegeeinrichtung für Senioren ist in einem Gewerbegebiet nicht gebietsverträglich.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 7. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt einen bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid für eine Seniorentagespflege im Gewerbegebiet.
Das streitgegenständliche Vorhaben soll auf dem Grundstück A-Straße in einer Umgebung verwirklicht werden, die die Beigeladene durch ihren Bebauungsplan Nr. 32 "Gewerbepark Döhrenacker" als unbeschränktes Gewerbegebiet festgesetzt hat und die tatsächlich auch als solches genutzt wird. Im Gebiet dominieren Einzelhandelsnutzungen und Dienstleistungen (Lebensmittel-, Getränke- und Drogeriemärkte, Baustoffhandlungen, Friseur, Imbisse, Ärzte/Ärztehäuser, Hundepension); einige Betriebe des produzierenden Gewerbes bzw. kraftfahrzeugbezogener Einzelhandel und Service kommen vor allem im unmittelbaren Umfeld des Vorhabengrundstücks hinzu (Motorradtuning, Messebau, Kfz-Ersatzteilhändler, Lackierfachbetrieb).
Am 22. April 2016 stellte die Klägerin einen Bauantrag für die "Nutzungsänderung eines ehemaligen Einzelhandels in die Verwaltung "Häusliche Hauspflege" und eine "Tagespflege" in Hagen", am 29. November 2017 zusätzlich einen Antrag auf Zulassung einer Ausnahme von (der Gewerbegebietsfestsetzung i.V.m.) § 8 BauNVO. In den dem Ausnahmeantrag beigefügten Erläuterungen heißt es zur Betriebsweise:
"Vorab zu den Erläuterungen und Begründungen des Antrages soll der Begriff "Tagespflege" in dem hier beantragten Sinne definiert werden.
Der Grundgedanke für die Notwendigkeit der Tagespflege liegt in der Entlastung von pflegenden Angehörigen und die Integration älterer Menschen in die soziale Gemeinschaft. Hierbei steht die Beschäftigung der zu betreuenden Menschen mit angemessenen Aufgaben im Vordergrund und nicht, wie häufig angenommen, deren ambulante Pflege. Vielmehr soll die Beschäftigung des Inhalts erfolgen, dass die zu betreuenden Personen am täglichen Leben teilhaben, das heißt, sie sollen verpflegt werden, sie sollen aber gleichfalls auch ihrem Alter entsprechend "fit" gehalten werden. Dies bedeutet, dass sie sowohl bei der Nahrungsplanung, also dem Einkauf, als auch bei der Nahrungszubereitung eigene Vorstellungen äußern können und hierbei auch unterstützend tätig sein können. Dies geschieht dadurch, dass mit ihnen die Planung der Mahlzeiten besprochen wird, dann die Umsetzung dieser Planung durch entsprechende Einkäufe im unmittelbaren Umfeld der Tagespflege wahrgenommen wird, aber auch sonstige tägliche Verrichtungen, wie beispielsweise Spaziergänge zu interessanten Bereichen, beispielsweise dem nahegelegenen Wald, dem Bekleidungsgeschäft, dem Einzelhandel für private Einkäufe, der Augenarztpraxis, der orthopädischen Praxis oder der Allgemeinarztpraxis wahrgenommen werden können. Insbesondere der männliche Personenkreis kann in dem nahegelegenen Baumarkt "Gebhardt" stöbern und für den eigenen häuslichen Gebrauch nützliche Gegenstände erwerben und entsprechende Planungsvorhaben umsetzen. Auch ist eine Besichtigung des nahegelegenen Autohändlers mit den entsprechenden dort ausgestellten Fahrzeugen möglich, damit die Personen auch insofern in Erinnerung der damaligen Fahrzeuge im Vergleich zu heutigen Fahrzeugen schwelgen können.
Die älteren Personen werden morgens oder auch im Laufe des Tages in die Räumlichkeiten gebracht oder durch einen Fahrdienst abgeholt. In der Tagespflege werden dann tägliche abwechslungsreiche Programme angeboten um die persönliche Mobilität und Aktivität zu erhöhen. Ein wesentlicher Bestandteil ist der Kontakt und Austausch mit Mitmenschen zur Beibehaltung und Förderung der sozialen Kompetenz.
Bei der Tagespflege handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Vollzeitpflege; auch ist die Betreuung von bettlägerigen Pflegefällen sowie eine Unterbringung über Nacht ausgeschlossen.
Spätestens um 18.00 Uhr kehren die älteren Menschen in ihre gewohnte häusliche Umgebung zurück."
In der Betriebsbeschreibung ist als Betriebszeit - nur an Werktagen - der Zeitraum von 8.00 bis 17.30 Uhr angegeben.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Januar 2019 - zugestellt am 28. Januar 2019 - ab, den Widerspruch der Klägerin vom 27. Februar 2019 wies er mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2019 - zugestellt am 27. Mai 2019 - zurück.
Die Klägerin hat am 24. Juni 2019 eine zunächst auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beigeladene eine 8. vorhabenbezogene Änderung des Bebauungsplans Nr. 32 für das Vorhabengrundstück beschlossen und in Kraft gesetzt. Diese lässt die Gewerbegebietsfestsetzung unberührt, fügt den bisherigen Festsetzungen jedoch eine textliche Festsetzung hinzu, nach der "im Rahmen des festgesetzten Gewerbegebietes [...] nur solche Vorhaben zulässig <sind>, zu deren Durchführung sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet." Der dem Änderungsplan beigefügte Vorhaben- und Erschließungsplan ist ein Lageplan aus dem Bauantrag der Klägerin mit der Vorhabenbezeichnung: "Häusliche Krankenpflege mit Tagespflege". In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihren Antrag umgestellt und beantragt,
den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung, den Umbau und die Erweiterung einer häuslichen Krankenpflege durch Einrichtung einer Tagespflegeeinrichtung für ältere, pflegebedürftige Menschen, den Anbau eines Wintergartens mit Sanitärbereich sowie eines Windfanges auf dem Grundstück A-Straße, A-Stadt, unter Erteilung einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplanes, hilfsweise einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das als Einrichtung für soziale und gesundheitliche Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO im Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässige Vorhaben sei hier unzulässig, da der Bebauungsplan Nr. 32 keine Ausnahmemöglichkeit für die in § 8 Abs. 3 BauNVO genannten Vorhaben vorsehe. Das habe sich auch nicht durch die 8. vorhabenbezogene Änderung des Bebauungsplans geändert. Abgesehen davon bestünden gegen eine Änderung des Plans, die das Vorhaben zulasse, erhebliche Wirksamkeitsbedenken. Im Rahmen der dann gebotenen Abwägung hätte die Beigeladene die Gebietsverträglichkeit des Vorhabens, insbesondere dessen Schutzbedürftigkeit angesichts der im Gewerbegebiet zulässigen Lärmimmissionen in den Blick nehmen müssen. Das sei nicht geschehen. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans - gleich in welcher Fassung - komme ebenfalls nicht in Betracht, da das Vorhaben die Grundzüge der Planung berühre. Eine Zulassung des Vorhabens würde wegen seiner weitreichenden Lärmschutzansprüche ein Planungsbedürfnis auslösen.
Die vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassene Berufung hat die Klägerin wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bedürfe es für die Zulassung eines in § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO benannten Vorhabens keiner ausdrücklichen Festsetzung dieser Ausnahmemöglichkeit im Bebauungsplan. Ferner habe das Verwaltungsgericht unbefugt eine Normenkontrolle der 8. Änderung des Bebauungsplans Nr. 32 vorgenommen. Ihr Vorhaben sei im Gewerbegebiet gebietsverträglich; anders als in einem Seniorenpflegeheim verbrächten die Senioren in ihrer Einrichtung nicht den Großteil ihrer wachen Zeit; ihr Lebensmittelpunkt verbleibe in ihrem Zuhause. Sie würden morgens von einem Fahrdienst abgeholt oder von den Familienangehörigen gegen 9.00 Uhr in die Tagespflege gebracht und gegen 15.00 Uhr abgeholt oder nach Hause gefahren. Dies sei jedenfalls der Schwerpunkt der Betreuungszeit, von der jedoch im Einzelfall abgewichen werden könne. Manche Betreute verbrächten auch nur drei bis vier Stunden in der Einrichtung. Die Senioren könnten nicht aus der Einrichtung entweichen; eine ausreichende Beaufsichtigung sei sichergestellt. Eine Übernachtung sei nicht möglich und nicht vorgesehen. Auch die Anzahl der Betreuungstage pro Woche variiere von Fall zu Fall.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den in I. Instanz gestellten Anträgen der Klägerin zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch der geänderte Bebauungsplan setze ein Gewerbegebiet fest. In diesem sei das Vorhaben mangels Gebietsverträglichkeit auch nicht ausnahmsweise zulässig. Nach ihrer allgemeinen Zweckbestimmung solle in Gewerbegebieten nicht gewohnt werden. Seniorenpflegeheime seien aber eine wohnähnliche Nutzung; das gelte auch für Tagespflegeeinrichtungen, in denen die Senioren den Großteil ihrer wachen Zeit verbrächten. Dass dort nicht geschlafen werde, sei unerheblich, da das typische Störungspotential von Gewerbegebieten ohnehin vorrangig tags bestehe. Dass, wie die Klägerin nunmehr vortrage, die Betreuung nur von 9.00 bis 15.00 Uhr stattfinde, widerspreche ihrem Vortrag im Genehmigungsverfahren und werde bestritten.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hält die 8. Änderung ihres Bebauungsplans für rechtmäßig und unterstützt das Vorhaben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das angegriffene Urteil ist im Ergebnis richtig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Bauvorbescheid, da ihr Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
1.
Für die Frage einer regelhaften oder ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens kann dahinstehen, ob Prüfungsmaßstab der Bebauungsplan Nr. 32 der Antragsgegnerin in der bis zum Inkrafttreten der "8. vorhabenbezogenen Änderung" geltenden Fassung oder der Plan in Gestalt dieser Änderung ist, da beide Pläne ein unbeschränktes Gewerbegebiet festsetzen. Soweit die 8. Änderung in ihrem § 2 den bisherigen für das Plangebiet geltenden Festsetzungen eine Festsetzung 1.1 mit dem Wortlaut: "Im Rahmen des festgesetzten Gewerbegebiets sind nur solche Vorhaben zulässig, zu deren Durchführung sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet (§ 12 Abs. 3a i.V.m. § 9 Abs. 2 BauGB). Die Änderung des Durchführungsvertrages oder der Abschluss eines neuen Durchführungsvertrages sind zulässig" hinzugefügt hat und die Beigeladene im Zusammenhang mit der Planänderung am 12. März 2020 einen "Durchführungsvertrag" mit der Klägerin geschlossen hat, in dem sei ihr Interesse an dem streitgegenständlichen Vorhaben bekundet, ändert dies daran nichts. Durch eine Festsetzung nach § 12 Abs. 3a BauGB kann das durch die Baugebietsfestsetzung eröffnete Nutzungsspektrum lediglich eingeengt (und so die für einen wirksamen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nötige Konkretisierung herbeigeführt), nicht aber erweitert werden. Setzt der Durchführungsvertrag eine Nutzung fest, die von der Baugebietsfestsetzung nicht gedeckt ist, so bleibt diese unzulässig.
Mit Blick auf die für die unter 3. diskutierte, hilfsweise begehrte Befreiung relevante Frage, anhand welcher Planfassung die Grundzüge der Planung zu bestimmen sind, ist allerdings bereits hier festzustellen, dass die 8. Änderung - wie vom Verwaltungsgericht zu Recht angenommen - unwirksam ist. Dies folgt schon daraus, dass der Durchführungsvertrag nicht den Anforderungen des § 12 BauGB genügt. Ein wirksamer vorhabenbezogener Bebauungsplan setzt voraus, dass sich der Vorhabenträger zur Durchführung des Vorhabens innerhalb einer bestimmten Frist verpflichtet. Der Vertrag vom 12. März 2020 enthält nicht einmal eine Durchführungsverpflichtung, geschweige denn Fristen für diese; § 3 enthält lediglich eine Verpflichtung, bei Bedarf für Schallschutz und eine ordnungsgemäße Niederschlagswasserabführung zu sorgen.
Hinzu kommt, dass die 8. Änderung nicht erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist. Planungsziel der Beigeladenen ist ausweislich S. 8 der Planbegründung die Ermöglichung des Vorhabens der Klägerin. Wie vorstehend ausgeführt, tragen die Festsetzungen der Planänderung zur Erreichung dieses Ziels aber nichts bei. Wäre das Vorhaben gebietsverträglich, so wäre es - mit oder ohne Planänderung - ausnahmsweise zulässig, ist es nicht gebietsverträglich, so bleibt es unzulässig. Zur Erreichung ihres Zieles hätte die Beigeladene die Gewerbegebietsfestsetzung für das Vorhabengrundstück durch eine Misch- oder Sondergebietsfestsetzung ersetzen müssen; das hat sie nicht getan. Ob eine solche Änderung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts abwägungsfehlerfrei möglich gewesen wäre, kann angesichts dessen dahinstehen.
2.
Im festgesetzten Gewerbegebiet ist das Vorhaben nicht, auch nicht ausnahmsweise, zulässig. Das ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht daraus, dass eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen für soziale Zwecke nicht ausdrücklich im Bebauungsplan vorgesehen ist; eine solche Festsetzung war nicht nötig, da sich die Ausnahmemöglichkeit unmittelbar aus dem durch Festsetzung eines Gewerbegebiets zum Planbestandteil gewordenen § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauGB ergibt (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Die Unzulässigkeit folgt vielmehr daraus, dass das Vorhaben nicht gebietsverträglich ist.
Die für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit maßgeblichen Grundsätze hat das Verwaltungsgericht - wenn auch im Rahmen der Inzidentprüfung der Abwägungsgerechtigkeit des 8. Änderungsbebauungsplans - zutreffend erkannt: Die Baunutzungsverordnung konkretisiert mit ihrer Baugebietstypologie unter anderem die an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu stellenden Anforderungen sowie das Interesse an einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung. Von maßgeblicher Bedeutung für die Bestimmung des jeweiligen Gebietscharakters sind die Anforderungen des Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen Gebietsbedarfs. Der Verordnungsgeber will durch Zuordnungen von Nutzungen zu Baugebieten diese oft gegenläufigen Ziele zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebietes eingrenzend bestimmt. Dabei mag es durchaus naheliegend sein, die regelhafte Zulässigkeit mitzubedenken, da in ihr die Vorstellungen des Verordnungsgebers über den Gebietscharakter ebenfalls zum Ausdruck kommen. Maßgebend bleibt die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebietes. Das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit bestimmt nicht nur die regelhafte Zulässigkeit, sondern erst recht den vom Verordnungsgeber vorgesehenen Ausnahmebereich. Zwischen der jeweiligen spezifischen Zweckbestimmung des Baugebietstypus und dem jeweils zugeordneten Ausnahmekatalog besteht ein gewollter funktionaler Zusammenhang. Das bedeutet: Die normierte allgemeine Zweckbestimmung ist auch für Auslegung und Anwendung der tatbestandlich normierten Ausnahmen bestimmend (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 21.3.2002 - 4 C 1.02 -, BVerwGE 116, 155 = NVwZ 2002, 1118 = juris Rn. 12 f. m.w.N.; ferner Urt. v. 2.2.2012 - 4 C 14.10 -, BVerwGE 142, 1 = juris Rn. 16).
Gewerbegebiete dienen in erster Linie der Unterbringung von gewerblichen Betrieben. In ihnen soll nicht gewohnt werden. Dies ergibt sich bestätigend aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, nach dem nur gleichsam als notwendige Ergänzung der gewerblichen Nutzung Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und -leiter ausnahmsweise zugelassen werden können. Bauvorhaben, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO einer Wohn- oder wohnähnlichen Nutzung zu dienen bestimmt sind, sind mit dem Charakter eines Gewerbegebiets unvereinbar (BVerwG, Beschl. v. 13.5.2002 - 4 B 86.01 -, NVwZ 2002, 1384 = BRS 65 Nr. 66 = juris Rn. 10).
Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat das Bundesverwaltungsgericht die Gebietsverträglichkeit für eine dauerhaft, also auch nachts genutzte Einrichtung der Seniorenpflege bereits verneint (Beschl. v. 13.5.2002 - 4 B 86.01 -, NVwZ 2002, 1384 = BRS 65 Nr. 66 = juris Rn. 10). Für eine Seniorentagespflege, wie sie hier in Rede steht, gilt nichts Anderes. Nicht nur der Nachtschlaf, auch das "Tageswohnen", d.h. die Alltagsgestaltung außerhalb der Arbeitsstätte und außerhalb solcher Einrichtungen, die - wie Läden, Gast- und Vergnügungsstätten sowie Hotels - nur gelegentlich und/oder zeitlich befristet aufgesucht werden und ihrer Natur nach ihrerseits von gewerblicher Geschäftigkeit (vgl. zu diesem Merkmal eines Gewerbegebiets BVerwG, Urt. v. 2.2.2012 - 4 C 14.10 -, BVerwGE 142, 1 = juris Rn. 18 f.) geprägt sind, ist grundsätzlich vor Störungen zu schützen. Dem entspricht, dass die als Konkretisierung des in den einzelnen Baugebieten zumutbaren Belästigungsgrades anerkannten technischen Regelwerke für dem Wohnen dienende Gebiete nicht nur Nacht-, sondern auch Tagwerte vorsehen, die sich von denen emissionsträchtiger Gebiete unterscheiden.
In Einrichtungen der Seniorentagespflege, wie sie Gegenstand der Bauvoranfrage sind, findet Alltagsgestaltung im vorstehend beschriebenen Sinne statt. Die Beschäftigungen, die den Senioren in der Einrichtung angeboten werden - Spiele, Zeitunglesen, Singen, Basteln S. sowie Unterhaltungen ("Kontakt und Austausch") -, sind solche, denen nicht betreuungsbedürftige Menschen in ihrer eigenen Wohnung nachgehen würden. Ob die Betreuungszeiten dabei - wie die Klägerin im Berufungsverfahren geltend macht - schwerpunktmäßig zwischen 9.00 und 15.00 Uhr liegen oder ob entsprechend der Betriebsbeschreibung, die das zulässige Nutzungsspektrum für die Ausnutzung des begehrten Bauvorbescheids umschreibt, Betriebszeiten von 8.00 und 17.30 Uhr bzw. - entsprechend der Begründung des Ausnahmeantrags - sogar bis 18.00 Uhr zugrunde zu legen sind, kann dahinstehen. Unerheblich ist ebenfalls, ob einzelne Senioren nur ein, zwei oder drei Tage je Woche in der Einrichtung verbringen. In jedem Fall stellt sich der Aufenthalt nicht als vorübergehender zweckgebundener und damit ggf. in höherem Maße störungstoleranter Besuch dar, sondern als ein der Nutzung der eigenen Wohnung vergleichbarer Teil der Tagesgestaltung. Insoweit ist die Tagespflegeeinrichtung gleichsam ein ausgelagerter Teil der eigenen Wohnung mit dem entsprechenden Schutzbedürfnis. Unabhängig von konkreten Immissionsbelastungen hat sie Anspruch auf ein "wohnangemessenes" Umfeld, das ein von allgemeiner Geschäftigkeit geprägtes Gewerbegebiet, in dem der müßige Mensch gleichsam als Fremdkörper erscheint, typischerweise nicht bietetRn. .
3.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheides im Befreiungswege nach § 31 Abs. 2 BauGB abgelehnt. Die Befreiung kommt deshalb nicht in Betracht, weil die Befreiung Grundzüge der Planung berührt.
Ob die Grundzüge der Planung berührt sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist. Die Beantwortung der Frage, ob Grundzüge der Planung berührt werden, setzt einerseits die Feststellung voraus, was zum planerischen Grundkonzept gehört und andererseits die Feststellung, ob dieses planerische Grundkonzept gerade durch die in Frage stehende Befreiung berührt wird (BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 4 C 10.09 -, BVerwGE 138, 166 = juris Rn. 37 m.w.N.).
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das der (angesichts der Unwirksamkeit der 8. Planänderung maßgeblichen ursprünglichen) gemeindlichen Planung zugrundeliegende Grundkonzept das eines unbeschränkten Gewerbegebietes, also eines Gebiets war, in dem bewältigungsbedürftige Immissionskonflikte gar nicht erst aufkommen können. Die Zulassung störempfindlicher wohnähnlicher Nutzungen - ohne die Rechtfertigung eines betrieblichen Bedarfs, wie er bei Betriebsinhaber- und Betriebsleiterwohnungen besteht - stellt dieses Grundkonzept in Frage. Abweichendes könnte allenfalls dann gelten, wenn atypische Besonderheiten des klägerischen Vorhabens dieses in besonderem Maße unempfindlich gegen gewerbliche Betriebsamkeit machten bzw. von dieser abschirmten oder aber einen spezifischen Bedarf an einer Einbettung in Gewerbeflächen begründeten. Solche Besonderheiten sind nicht ersichtlich. Das Vorhabengrundstück liegt zwar eher am Rande des Gewerbegebiets, jedoch in Randlage gerade zum Außenbereich und damit in einem Gebietsteil, der tendenziell attraktiv für stärker emittierende Betriebe ist. In unmittelbarer Nähe sind denn auch ein Lackierfachbetrieb, ein Messebaubetrieb und eine Motorradwerkstatt gelegen. Wie ausgeführt, sind die Tätigkeiten, die den Senioren im Haus selbst angeboten werden, "klassische" häusliche Freizeitaktivitäten. Die in der Betriebsbeschreibung beschworenen Möglichkeiten von Ausflügen in Baumarkt und Autohaus werden den Pflegealltag nicht in einer Weise prägen, die die Nähe zu solchen Einrichtungen unabdingbar oder auch nur städtebaulich sinnvoll machte. Die Vorteile, die das Vorhaben aus der Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten ziehen kann, sind kein Ausnahmefall, sondern bestehen in ähnlicher Form für mehr oder weniger jede Wohn- und wohnähnliche Nutzung. Gleiches gilt für die Wahrnehmung von Arztterminen in den im Gebiet liegenden Praxen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).