Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 01.10.1997, Az.: 5 W 159/97
Besondere Begründungen im Sorgerechtsverfahren; Erforderlichkeit der Anhörung der Eltern; Vorbereitung der Anhörung; Hinzuziehung der Akten des Parallelverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 01.10.1997
- Aktenzeichen
- 5 W 159/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 21698
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1001.5W159.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1666 BGB
- § 1666 a BGB
- § 27 FGG
- § 29 FGG
Fundstellen
- FamRZ 1999, 35-36 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1998, 150-151
Amtlicher Leitsatz
Es bedarf der besonderen Begründung, will das Beschwerdegericht im Sorgerechtsverfahren von der Anhörung der Eltern absehen.
Gründe
Das Amtsgericht Nordhorn hat den Beteiligten zu 1) mit dem hiermit in Bezug genommenen Beschluss vom 30.6.1997 (Bl 120 f. d.A.) das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr zweites gemeinsames Kind entzogen und dem Beteiligten zu 2) übertragen. Die Beschwerde hiergegen hat das Landgericht Osnabrück mit dem hiermit in Bezug genommene Beschluss vom 19.8.1997 (Bl 136 ff. d.A.) zurückgewiesen, gegen den sich die weitere Beschwerde richtet.
1.
Die gemäß §§ 27, 29 FGG zulässige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht, weil die Entscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist.
Gemäß § 50 a Abs. 1 Satz 3 FGG sind in den Fällen der §§ 1666, 1666 a BGB die Eltern stets persönlich, d.h. mündlich, anzuhören. Dies gilt grundsätzlich auch für das Beschwerdeverfahren (Hinz in: MüKo-BGB, 3. Aufl., § 1666 Rdn. 71). Die persönliche Anhörung bedeutet nicht nur die Verwirklichung rechtlichen Gehörs, sondern soll in erster Linie der nach § 12 FGG gebotenen Sachverhaltsaufklärung dienen. In den Fällen der §§ 1666, 1666 a BGB hat sie über diese allgemeine Zielrichtung hinaus einen weiteren, im Gesetz ausdrücklich genannten Zweck: Es soll vor dem Hintergrund des Schutzbereichs von Art. 6 GG und angesichts der oft schwerwiegenden tatsächlichen Folgen von Maßnahmen nach §§ 1666, 1666 a BGB für Kind und Eltern geklärt werden, ob die Gefährdung des Kindeswohls auf andere Weise abgewendet werden kann (vgl. BayObLG FamRZ 1980, 1150).
Die danach grundsätzlich gebotene Anhörung der Beteiligten zu 1) durch das Landgericht fehlt. Eine Begründung hierfür gibt das Landgericht nicht. Es lässt sich auch nicht aus dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt entnehmen, dass einer der Ausnahmefälle vorliegt, bei denen eine erneute Anhörung ausnahmsweise entbehrlich ist (vgl. Hinz, a.a.O.). Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Denn das Landgericht stützt seine Entscheidung wesentlich darauf, dass die Beteiligten zu 1) keine sachdienlichen Angaben zur Entstehung der Verletzungen von M. machen wollen. Hierzu finden sich jedoch weder Feststellungen in dem Beschluss des Amtsgerichts vom 30.6.1997 noch in der Niederschrift über die vorangegangene Anhörung der Beteiligten zu 1). Darüberhinaus ist diese Feststellung - jedenfalls nicht ohne weiteres - vereinbar damit, dass die Beteiligten zu 1) unter Beweisantritt vorgetragen haben, wer außer ihnen in welchem Zeitraum Kontakt mit M. gehabt hat.
Die Beschwerdeentscheidung beruht auf diesem Verfahrensfehler und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Da das Rechtsbeschwerdegericht die unterbliebene Anhörung nicht nachholen kann, ist eine Zurückverweisung erforderlich.
Die Zurückverweisung wird dem Landgericht Gelegenheit geben zu prüfen, ob neben der Anhörung der Beteiligten zu 1) weitere Sachverhaltsaufklärung geboten ist. So dürfte - auch zur Vorbereitung der Anhörung - vor allem Veranlassung bestehen, (erstmals) die Strafakten und (erneut) die Akten des Parallelverfahrens betreffend die elterliche Sorge für M. beizuziehen. Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung könnte insbesondere auch deshalb bestehen, weil dem Beschluss des Landgerichts offenbar die Auffassung zugrunde liegt, den Beteiligten zu 1) könne die über längere Zeit unversorgt gebliebene Kopfverletzung von M. nicht verborgen geblieben sein. Diese Auffassung findet jedoch angesichts der hiergegen erhobenen Einwendungen der Beteiligten zu 1) in der nicht näher erläuterten Feststellung des Sachverständigen G. in dem schriftlichen Gutachten vom 30.1.1997: "Die Schädelfraktur hätte zum Entstehungszeitpunkt infolge einer Weichteilschwellung am Kopf erkannt werden müssen", keine zureichende Stütze.
Die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ändert nichts daran, dass die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30.6.1997 gemäß § 24 Abs. 1 FGG keine aufschiebende Wirkung hat. Der Senat sieht beim derzeitigen Sachstand auch keine Veranlassung, die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts vorläufig auszusetzen (vgl. zu dieser Möglichkeit OLG Hamm, FamRZ 1995, 1209 [OLG Hamm 28.02.1995 - 15 W 411/94]). Denn M., dem ersten gemeinsamen Kind der Beteiligten zu 1), sind, solange ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht oblag, wiederholt schwere, teilweise lebensgefährliche Verletzungen beigebracht worden und es besteht, da der Tathergang - ausgehend von dem derzeitigen Sachstand dieses Verfahrens - nicht weiter aufgeklärt ist, die Gefahr, dass es zu weiteren derartigen Vorfällen auch zum Nachteil des Kindes J. kommt, solange es sich bei den Beteiligten zu 1) aufhält. Obgleich die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß § 1666 a BGB ultima ratio ist, muss und kann dieser Gefahr entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) - auch nicht vorübergehend bis zum voraussichtlichen Abschluss dieses Verfahrens - durch eine begleitende Beobachtung "rund um die Uhr" begegnet werden.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (Keidel/Zimmermann, FGG, 13. Aufl., § 13 a, Rdn. 36).