Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.10.1997, Az.: 5 U 58/97
Beurteilung in der haftungsausfüllenden Kausalität hinsichtlich des Vorliegens von Bewegungseinschränkungen auf Grund einer Verzögerung der gebotenen Korrekturoperation; Anwendung des § 287 ZPO (Zivilprozessordnung) als Beweismaß für den Zusammenhang zwischen Gesundheitsschäden
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.10.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 58/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1014.5U58.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 287 ZPO
- § 823 BGB
- § 847 BGB
Fundstellen
- MedR 1998, 130
- OLGReport Gerichtsort 1998, 5-6
- VersR 1999, 63 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ob Bewegungseinschränkungen auf eine Verzögerung der gebotenen Korrekturoperation beruht, betrifft die haftungsausfüllende Kausalität mit dem Beweismaß des § 287 ZPO.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden sowie Feststellung der Ersatzpflicht von Zukunftsschäden wegen einer unzureichenden Behandlung einer Armverletzung.
Nach einem Sturz von einem Klettergerüst auf einem Spielplatz am 15.08.1992 wurde die damals sieben Jahre alte Klägerin im Krankenhaus des Beklagten zu 2) vom Beklagten zu 1) versorgt. Am 20.08.1992 wurde der diagnostizierte Knochenabriss des Gelenkkopffortsatzes im Bereich des rechten Ellenbogengelenks (Epikondylus ulnaris) operiert. Auf den Röntgenbildern vom Aufnahmetag und vom 19.08.1992 war eine erkennbare Luxation des Radiusköpfchens übersehen worden. Nach der am 27.10.1992 veranlassten Überweisung durch den Chefarzt der Chirurgie des Beklagten zu 2) erfolgte am 10.11.1992 in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Klinik II im Annastift e.V. die operative Reposition des Radiusköpfchens mit anschließender etwa einjähriger krankengymnastischer Übungsbehandlung.
Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zahlte vorprozessual der Klägerin ein Schmerzensgeld von 3.500,00 DM.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren insgesamt unter Erweiterung auf die erstinstanzlich fallen gelassene Erstattung der Kosten des Privatgutachters von 1891, 80,00 DM weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache lediglich im Hinblick auf die Erweiterung des materiellen Ersatzanspruches um die Kosten des Privatgutachters Erfolg.
Mit dem Landgericht ist der Senat zunächst der Auffassung, dass der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gem. §§ 823, 847 BGB wegen der nicht rechtzeitig erkannten Radiusköpfchenluxation und der dadurch bedingten Operation in der MHH einschließlich der Heilungsverzögerung mit der vorprozessualen Versicherungsleistung ausgeglichen ist, zumal - wie auch in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit - der Knochen bei der Operation in Hannover nicht erneut gebrochen werden musste.
Weitergehende Folgeschäden, die auf diesem Behandlungsfehler beruhen und den Immaterialausgleich erhöhen könnten, sind nicht bewiesen. Das geht zu Lasten der Klägerin, die auch den Nachweis für auf dem Behandlungsfehler zurückzuführende Folgeschäden (sogenannte haftungsausfüllende Kausalität) zu erbringen hat.
Auf die zwischen den Parteien nach wie vor umstrittene - vom Landgericht in der Sache an sich zu Recht verneinte - Frage, ob der Behandlungsfehler als grob einzustufen ist, kommt es nicht an. Die in Fällen grob fehlerhafter medizinischer Versorgung gewährten Beweiserleichterungen je nach Lage der Dinge bis hin zur Beweislastumkehr beziehen sich lediglich auf den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und der Primärschädigung (haftungsbegründende Kausalität). Dieser Zusammenhang ist hier aber angesichts der infolge der unterbliebenen Luxationsbehandlung zunächst bestehen gebliebenen Fehlstellung im Gelenkbereich ersichtlich gegeben. Das von der Klägerin zum Teil als Dauerschaden danach beklagte Beschwerdebild bezieht sich indes auf darauf von ihr zurückgeführte weitere (Folge-) Schäden (sogenannte Sekundärschäden). Für diesen Zusammenhang von weiteren Gesundheitsschäden und der durch die Fehlbehandlung gesetzten Primärschädigung gilt das Beweismaß des § 287 ZPO; die Beweiserleichterungen wegen einer grob fehlerhaften Behandlung erstrecken sich darauf jedoch nicht (einhellige Ansicht, vgl. statt aller Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Seite 210, 211 m.v.w.N.).
Nach den Erläuterungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen und des von der Klägerin hinzugezogenen Privatgutachters hat sie den auch für die erleichterte Beweisführung nach § 287 ZPO erforderlichen Nachweis von Anknüpfungstatsachen, die dem Gericht erst eine Schadensschätzung unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung ermöglichen könnten, nicht erbringen können. Der Gerichtssachverständige hat überzeugend dargelegt, dass bei einer Korrekturoperation in dem hier gegebenen zeitlichen Rahmen von ca. 12 Wochen nach dem Vorfall die Radiusköpfchenverletzung wie bei einer frisch versorgten Luxation ausheilt. Auf die taggenaue Einhaltung der 12-Wochenfrist kommt es entgegen der Berufung bei dieser Beurteilung erkennbar nicht an.
Der Sachverständige ist daher bei seiner Einschätzung keineswegs von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, wenn er zu dem Schluss kommt, dass das Operationsergebnis und die beklagten Folgebeschwerden einschließlich der krankengymnastischen Behandlung und der schulischen Beeinträchtigungen mit Wahrscheinlichkeit auch bei sofortiger Versorgung gleich gewesen wären. Diese Beurteilung bezieht er ausdrücklich auch auf die diskrete Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des rechten Ellenbogens und die diskrete Ventralisierung und Vergrößerung des Radiusköpfchens als Dauerschaden, der mit Wahrscheinlichkeit auch bei zeitgerechter Versorgung eingetreten wäre. Bei seiner Anhörung hat der Sachverständige dies noch dahingehend konkretisiert, dass nach der medizinischen Literatur auch bei sofortiger adäquater Versorgung 80 % solcher operativ behandelter Verletzungen nicht besser ausheilen. Das steht auch nicht im Widerspruch zu den Ergebnissen des Privatgutachtens, in dem im Gegenteil eingeräumt ist, dass es auch ohne Radiusköpfchenluxation bei diesen Verletzungen zu einem Fehlwachstum und zu Bewegungseinschränkungen kommen kann.
Beide Sachverständige stimmen auch darin überein, dass das Ausmaß der Veränderungen erst nach Abschluss des Wachstums festzustellen ist. Der gerichtliche Sachverständige verneint jedoch bereits heute die Wahrscheinlichkeit, dass die verspätete Luxationsbehandlung zu einer richtunggebenden Verschlimmerung führen konnte bzw. kann. Auch das überzeugt angesichts der insoweit bestehenden Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft und der unabhängig vom Operationszeitpunkt mit einer Luxationsoperation in jedem Fall verbundenen Beeinträchtigungen insbesondere der Knorpelflächen, die solche Bewegungseinschränkungen hervorrufen.
Es fehlt mithin an jeglicher Möglichkeit, Umstände festzustellen, die es dem Senat erlauben könnten, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitergehende Folgeschäden der verzögerlichen Heilbehandlung zuzuordnen. Die von dem Privatsachverständigen insoweit ohne nähere Begründung angesprochene prozentual nicht bewertbare Mitbeteiligung gibt keine Grundlage für eine andere Beurteilung. Inwieweit sich die Erkenntnismöglichkeiten einer anderen Zuordnung nach Abschluss der Wachstumsperiode maßgeblich verbessern können sollen, wird ebenfalls nicht näher angegeben; Umstände, die dafür sprechen könnten, sind auch sonst nicht ersichtlich.
Damit konnte auch das Feststellungsbegehren der Klägerin keinen Erfolg haben, da aus heutiger Sicht die nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit fehlt, bei ihr könnten bislang nicht zu erkennende Spätfolgen auf Grund der verspäteten Luxationsbehandlung auftreten.
Lediglich die Kosten des Privatgutachters waren der Klägerin als nach den Umständen für die Rechtsverfolgung notwendig anzusehende Kosten (§§ 249 ff BGB) zuzusprechen. Die Berücksichtigung dieser Schadensposition ist - wovon offenbar das Landgericht ausgegangen ist - nicht ausschließlich dem Kostenfestsetzungsverfahren im Rahmen des § 91 ZPO vorbehalten (vgl. nur OLG Stuttgart NJW RR 1996, 255; OLG München VersR 1988, 525 f; OLG Köln VersR 1985, 1166; Müko-Grunsky, BGB, 3. Aufl., § 249 Rn. 21; s. auch BGH NJW 1990, 122 f). Inwieweit die nicht belegten Fahrtkosten zur Reha-Klinik des Privatgutachters für die bloße Erstellung des Gutachtens veranlasst und als notwendige Rechtsverfolgungskosten anzuerkennen sein könnten, ist nicht dargelegt; im Gegenteil werden diese Kosten von der Klägerin selbst den Nachuntersuchungen zugeordnet, bei denen der Zusammenhang mit der Behandlungsverzögerung - wie ausgeführt - offen ist.