Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.10.1997, Az.: 5 U 45/97

Kieferbruch nach unzureichender Vorbereitung der Extraktion eines Weisheitszahnes; Geständniswirkung bei Vortrag nach OP-Bericht; Beteiligung eines Assistenzarztes ; Analyse und Bewertung des Protokolls der Operation

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.10.1997
Aktenzeichen
5 U 45/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21682
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:1014.5U45.97.0A

Fundstelle

  • VersR 1998, 1381-1382

Amtlicher Leitsatz

Kieferbruch nach unzureichender Vorbereitung der Extraktion eines Weisheitszahnes - Geständniswirkung bei Vortrag nach OP-Bericht - Substantiierung der Überwachung eines Assistenzarztes

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden auf Grund einer kiefernchirurgischen Operation am 31.05.1995 in den von der Beklagten zu 1) getragenen Städtischen Kliniken. Bei dieser Operation waren anwesend der Beklagte zu 2), der Oberarzt in dieser Klinik ist, und der Beklagte zu 3), der dort seit 1 1/2 Jahren als Assistenzarzt in der Abteilung gearbeitet hatte.

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Dem Kläger wurden bei der Operation zwei Weisheitszähne gezogen. Der Hauszahnarzt des Klägers hatte ihm zu einem Eingriff in einer Fachklinik geraten, da die Lage des rechten unteren Weisheitszahnes sehr ungünstig war. Bei der operativen Entfernung dieses rechten unteren Weisheitszahnes, die der Beklagte zu 3) vornahm, brach der rechte Unterkiefer. Der Bruch wurde mittels einer Osteosynthese versorgt, wobei der Kläger bis zum 12.06.1995 in der Klinik verblieb. Bei der Infusionsbehandlung, die im postoperativen Verlauf notwendig wurde, kam es zu einer Thrombose des linken Unterarmes. Zudem trat im Bereich des Bruches eine Bruchspaltinfektion auf. Das Osteosynthesematerial wurde dem Kläger während eines Aufenthaltes in der Medizinischen Hochschule Hannover vom 6.10. bis 25.10.1995 entfernt.

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Der Kläger hat einen Behandlungsfehler und eine mangelhafte Aufklärung geltend gemacht. Er hat behauptet, die Beklagten zu 2) und 3) hätten die Operation gemeinsam durchgeführt. Sie hätten den rechten unteren Weisheitszahn wegen dessen besonderer Lage nicht mit dem Hebel lockern und danach mit der Zange extrahieren dürfen, sondern hätten ihn sorgfältig zerlegen und sodann in kleinen Stücken entfernen müssen.

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Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 3) habe die Zähne entfernt, während der Beklagte zu 2) lediglich assistiert habe. Zunächst haben sie dazu weiterhin dargelegt, der rechte untere Weisheitszahn sei vollständig freigelegt worden. Danach sei die schonendste Art der Entfernung mittels Zange gewählt worden. Die Fraktur sei dabei wegen der tiefen Retention des Zahnes unvermeidbar gewesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat der Beklagte zu 3) erklärt, zunächst sei der Kieferknochen etwas ausgefräst worden, danach habe er den Hebel angesetzt und versucht, den Zahn zu lockern. Er habe festgestellt, dass der Zahn ziemlich fest sitze und habe daraufhin die Krone abgetragen und die Wurzel vertikal geteilt. Die Wurzelstücke hätten sich mühelos entfernen lassen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat anschließend in der mündlichen Verhandlung erklärt, es beruhe auf einem Versehen, dass er die Zerkleinerung des Zahnes bestritten habe. Der Vortrag werde nicht mehr aufrechterhalten.

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Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage durch Urteil vom 26.03.1997 abgewiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig und begründet.

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Der Kläger hat gegen die Beklagten aus §§ 823 Abs.1, 831, 847 BGB hinsichtlich der Extraktion des unteren rechten Weisheitszahnes einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000,00 DM.

8

Die Beklagten zu 2) und 3) haben bei der Entfernung des Weisheitszahnes behandlungsfehlerhaft gehandelt. Der Operationsbericht weist aus, dass im rechten Unterkiefer die Schleimhaut und das Periost inzidiert, danach ein Mucoperiostlappen abgetragen und Schritt für Schritt mit der Fräse der Zahn 48 freigelegt wurde. Anschließend wurde der Zahn 48 mit dem Hebel leicht gelockert und mit der Zange mühelos extrahiert. Dieses Vorgehen entsprach nicht demjenigen, welches aus zahnärztlicher Sicht notwendig gewesen wäre. So hat der Sachverständige Prof. Dr. J. in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass in seltenen Fällen bei der vertikalen Verlagerung eines Weisheitszahnes die Separation des Zahnes notwendig sein könnte, um dann Krone und Wurzel einzeln zu entfernen. In seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht hat der Sachverständige auf Nachfragen angegeben, im vorliegenden Fall sei das Bruchrisiko durch Separierung des Zahnes zu mindern gewesen. Zwar hat der Sachverständige andererseits dargelegt, das im Operationsbericht geschilderte Vorgehen entspreche der gängigen chirurgischen Praxis. Das Ziehen eines Weisheitszahnes ohne Zerkleinerung könne durchaus fachgerecht sein. Diese Aussage bezieht sich aber erkennbar auf Fallgestaltungen ohne besondere Komplikationsrisiken. Denn er hat weiterhin erklärt, als ganzen hätte man den Zahn vielleicht gut herausnehmen können, wenn man zuvor nach hinten hin Kiefernknochen entfernt hätte. dass dies der Fall war, konnte der Sachverständige anhand des Operationsberichtes nicht feststellen; dieser enthält dazu keine Angaben. Nach dem Operationsbericht ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Separierung des Zahnes stattgefunden hat. Die abweichenden Äußerungen des Beklagten zu 3) in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, die dieser gemacht hat, nachdem der Sachverständige ein schriftliches Gutachten erstattet und dieses auch schriftlich ergänzt hatte, lassen eine Überzeugungsbildung des Senates dahingehend, dass so vorgegangen worden ist, wie vorgegangen werden musste, nämlich entweder separiert oder ausreichend vor der Extraktion der Kieferknochen ausgefräst wurde, nicht zu. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass der Operationsbericht und der Sachvortrag der Beklagten bis zur mündlichen Verhandlung übereinstimmten, ohne dass einer der beiden beklagten Ärzte durch seinen Rechtsanwalt Korrekturen an diesem Sachverhalt vortragen ließ.

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Zudem ist der Operationsbericht nach dem Kieferbruch gefertigt worden, als also bekannt war, dass die Operation nicht komplikationslos verlaufen war. Dies legt es gerade nahe, in dieser Situation einen besonders sorgfältigen Operationsbericht zu fertigen.

10

Im Übrigen geht der Senat auch davon aus, dass die Beklagten zugestanden haben, dass der Beklagte zu 3) den Zahn mit einem Hebel gelockert und sodann mit einer Zange gezogen hat.

11

Dieses hatten die Beklagten selbst zunächst so vorgetragen. Nachdem der Kläger seinerseits sich auf diesen Sachvortrag stützte und ihn seiner Behauptung, es liege ein Behandlungsfehler vor, zu Grunde legte, hatte der Vortrag die Wirkung eines Geständnisses (vgl. BGH NJW 1978, 884, 885) [BGH 23.11.1977 - IV ZR 131/76]. Dieses Geständnis könnten die Beklagten nur widerrufen, indem sie beweisen, dass es der Wahrheit nicht entspricht und durch einen Irrtum veranlasst ist ( § 290 ZPO). Die Beklagten haben für die Unrichtigkeit des Sachvortrages keinen Beweis angetreten. Aus der Tatsache, dass der Zahn entfernt ist, lässt sich nicht rückschließen, wie er entfernt wurde. Auch kann aus einer vor der Operation dem Kläger von dem Beklagten zu 3) erteilte Aufklärung dahingehend, man werde den Zahn zerteilen und sodann herausnehmen, nicht geschlossen werden, dass dieses tatsächlich so erfolgte.

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Bei ordnungsgemäßem Vorgehen hätten die Beklagten zu 2) und 3), die beide an der Operation teilnahmen, den Zahn separieren können und müssen. Auch der Beklagte zu 3) sah vor der Operation die Notwendigkeit einer Zerkleinerung des Zahnes, die er dem Kläger im Aufklärungsgespräch selber dargelegt hatte. Beide Beklagten handelten deshalb fahrlässig. In Folge ihres Fehlverhaltens ist der Kiefer gebrochen.

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Die Beklagten zu 1) und 2) haften ebenfalls nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über den fehlerhaften Einsatz und die unzureichende Beaufsichtigung eines Berufsanfängers. Die Übertragung einer selbstständig durchzuführenden Operation auf einen dazu nicht ausreichend qualifizierten Arzt und die ungenügende Aufsichtsführung durch einen qualifizierten Facharzt stellen Behandlungsfehler im weiteren Sinne dar (BGH NJW 1984, 655 [BGH 27.09.1983 - VI ZR 230/81] = BGHZ 88, 248; BGH NJW 1993, 2989, 2990 [BGH 15.06.1993 - VI ZR 175/92]; Senat, Urt. v. 29.07.1997 - 5 U 46/97 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Es handelte sich hier um eine schwierige Operation im Hinblick darauf, dass der Weisheitszahn besonders tief lag und vertikal verlagert war. Der Hauszahnarzt des Klägers hatte aus diesem Grund dem Kläger empfohlen, zur Entfernung des Weisheitszahnes die Fachklinik aufzusuchen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten formuliert, der erfahrene Kieferchirurg wisse einzuschätzen, wie viel Kraft er sowohl mit dem Beinschen Hebel als auch mit der Zange anwenden dürfe. Der Beklagte zu 3) war jedoch erst 1 1/2 Jahre als Assistenzarzt tätig. Wie viele Operationen er selbst vorgenommen hat und welchen Kenntnisstand er hatte, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Als Berufsanfänger durfte der Beklagte zu 3) diese schwierige Operation nicht alleine durchführen. Allein die Tatsache, dass der Beklagte zu 2) bei der Operation zugegen war, kann die Beklagten nicht entlasten. Denn bei der Anfängeroperation ist es notwendig, dass der Berufsanfänger überwacht und angeleitet wird (vgl. BGH NJW 1992, 1560, 1561) [BGH 10.03.1992 - VI ZR 64/91]. Dazu reicht es nicht aus, dass der erfahrene Arzt, hier der Beklagte zu 2), lediglich anwesend ist. Vielmehr ist entscheidend, was dieser mit dem Berufsanfänger - zum Beispiel an Hand der Röntgenbilder - vorher besprochen, welche Hinweise er ihm hinsichtlich der Operation gegeben hat, was beide über die Vorgehensweise erörtert haben und wie während der eigentlichen Operation, beim Fräsen oder auch beim Lockern des Zahnes, der erfahrene Arzt die Vorgehensweise des Assistenten überwacht hat. Zu all diesem fehlt jeder Vortrag der Beklagten.

14

Das Schmerzensgeld ist mit 10.000,00 DM angemessen. Der Kläger war vom 30.5.- 12.06.1995 zunächst wegen der Zahnextraktion und der Bruchversorgung im Krankenhaus der Beklagten zu 1), danach nochmals vom 30.6. bis 13.07.1995 wegen einer auftretenden Wundheilstörung und schließlich vom 6.10. bis 25.10.1995 in der Medizinische Hochschule Hannover zur Entfernung des Osteosynthesemateriales. In Folge der Fraktur kam es zu einer Hypästhesie des rechten Nervus alveolaris inferior und einer Behinderung der Mundöffnungsbewegung sowie zu einer Thrombose des linken Unterarmes nach der notwendig gewordenen Infusionsbehandlung. Der Kläger hat noch heute Sensibilitätsstörungen im Unterlippenbereich rechts. Dies alles rechtfertigt den zuerkannten Schmerzensgeldbetrag.