Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.10.1997, Az.: 2 U 171/97
Zahlungsaufschub des Feuerversicherers; Voraussetzungen für die Berechtigung zum Zahlungsaufschub; Ansprüche auf Schadensersat unter Verzugsgesichtspunkten; Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen; Zahlungen aus der Feuerversicherung wie aus der Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung; Zündmittel in Fluren und im Treppenhaus; Brandstiftung bei Gelegenheit; Annahme des vorsätzlichen Selbstverschuldens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.10.1997
- Aktenzeichen
- 2 U 171/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21681
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1015.2U171.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 VVG
- § 117 Nr. 2.b AFB
- § 15 Nr. 3b FBUB
Fundstellen
- NVersZ 1998, 126-127
- OLGReport Gerichtsort 1999, 55-56
- VersR 1998, 1502-1504 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Voraussetzungen für die Berechtigung des Feuerversicherers zum Zahlungsaufschub wegen polizeilicher Untersuchung gegen den VN: § 11 Abs. 1 VVG/§ 117 Nr. 2.b AFB/§ 15 Nr. 3b FBUB.
Gründe
Dem Kläger stehen unter Verzugsgesichtspunkten keine Ansprüche auf Schadensersatz zu. Die Beklagte durfte bis zur endgültigen Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Jahr 1995 ihre Zahlungen zurückhalten. Vorher waren an den Kläger aus der Feuerversicherung wie aus der Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung keine Zahlungen, auch keine Abschlagsleistungen, zu erbringen.
Derartige Ansprüche waren nicht fällig. Die endgültige Entschädigung ist grundsätzlich erst fällig, wenn der Versicherer die notwendigen Ermittlungen abgeschlossen hat (§ 11 Abs. 1 VVG). Bei den hier vorliegenden Versicherungen war die Beklagte zudem nach den vereinbarten §§ 17 Nr. 2 b AFB, 15 Nr. 3 b FBUB berechtigt, weil eine "polizeiliche" Untersuchung aus Anlass des Schadens gegen den Kläger eingeleitet worden war, bis zur Erledigung dieser Untersuchung Zahlungen aufzuschieben. Dieses Recht hinderte die Fälligkeit der Ansprüche.
Es stand der Beklagten auch hinsichtlich des Verlangens nach Abschlagszahlungen zu (Prölss/Martin § 17 AFB Anm. 2). Denn ein ,nach Lage der Sache" sich ergebender Mindestschaden ist nur und erst dann zu erstatten, wenn die Eintrittspflicht dem Grunde nach feststeht.
Ein den Voraussetzungen der § 17 Nr. 2 b AFB und § 15 Nr. 3 b FBUB genügendes Ermittlungsverfahren wurde (schon) seit dem Brand gegen den Kläger geführt.
Im Einzelnen:
a.)
Es spielt keine entscheidende Rolle, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aktenmäßig zunächst als UJs-Sache ("Ermittlungsverfahren gegen unbekannt") und erst seit dem 26.05.1994 als Js-Sache wegen Brandstiftung und Versicherungsbetrugs gegen den Kläger geführt worden ist. Maßgeblich für das Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers kann nicht allein die aus Gründen der Rechtssicherheit einfachere, weil formale Betrachtungsweise sein, ob ein Ermittlungsverfahren ausdrücklich gegen einen namentlich bezeichneten und demgemäß in das Register eingetragenen Beschuldigten geführt wird (Senat VersR 1979, 513). Im Hinblick auf das regelmäßige Tätigwerden der Kriminalpolizei nach einem Brand kann aber auch die Anhängigkeit irgendeines Ermittlungsverfahrens nicht ausreichend sein, um einen Zahlungsaufschub zu rechtfertigen (BGH VersR 1991, 331, 332). Entscheidend ist deshalb, ob das Ermittlungsverfahren sachlich - auch - gegen den Versicherungsnehmer oder Personen geführt wird, für deren Verhalten er einzustehen hat (vgl. Prölss/Martin § 17 AFB Anm. 4; OLG Köln VersR 1954, 397, 398). Es kommt darauf an, wann bei den Ermittlungsbehörden zum ersten Mal ein Verdacht gegen den Versicherungsnehmer aufkam und wegen dieses Verdachts ermittelt wurde (BGH a.a.O..).
b.)
Bereits die Ermittlungen der Kriminalpolizei richteten sich nicht nur beiläufig, sondern gezielt gegen der Kläger, wenn auch daneben weitere Spuren verfolgt wurden.
Ein ausreichender Verdacht bestand gegen den Kläger bereits nach dem Brand. Schon die ersten Erkenntnisse der ermittelnden Kriminalpolizei drängten dazu, über das in Brandfällen "übliche Maß" hinaus Ermittlungen gegen den Kläger und Versicherungsnehmer zu führen. Es war deutlich, dass das Hotelgebäude vorsätzlich in Brand gesetzt worden war. Bei der Brandortbesichtigung am 24.12.1993 wurden im Innenbereich des Hotels sieben verschmolzene und ein weiterer, teilweise noch gefüllter 5 l Kraftstoffbehälter gefunden. Das Zündmittel war in sämtlichen Fluren im Erdgeschoss, im Treppenhaus und den Fluren der I., II. und III. Etage verschüttet worden. Der Hotelbereich war infolgedessen weitgehend ausgebrannt. Eine solche Vorgehensweise ließ nur den Schluss zu, dass es dem Täter nur und allein darauf angekommen war, das Hotelgebäude weitgehend zu zerstören. Eine Brandstiftung bei Gelegenheit eines Einbruchs schied mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit aus. Für einen Racheakt Dritter sprach ebenfalls nichts. Der Kläger wie seine Ehefrau hatten erklärt, es habe keinen Ärger mit Mitarbeitern gegeben und man könne sich nicht vorstellen, wer das Feuer gelegt habe. Weiterhin hatten erste Befragungen der Kriminalpolizei den Hinweis erbracht, dass für das Hotel geplante Umbaumaßnahmen (Nutzungsänderung in ein Altenzentrum) von der Gemeindeverwaltung abgelehnt worden waren. Schon vor diesem Hintergrund erschien die Brandstiftung als alleinige Tat eines Dritten ohne Bezug zu dem Kläger als Hotelbetreiber und Versicherungsnehmer bzw. zu Personen, für deren Handlung er einzustehen hatte, als weitgehend ausgeschlossen. Die weiteren Ermittlungen waren deshalb nicht nur "beiläufig" gegen den Kläger zu führen, sondern es bestand ein erster Verdacht, der weiter auszuermitteln war.
Am 29.12.1993 erschienen die Ehefrau und am 30.12.1993 der Kläger bei der Kriminalpolizei zu einer "Zeugenvernehmung". Die Ehefrau des Klägers wurde gemäß §§ 52, 55 StPO belehrt. Die Belehrung des Klägers enthielt darüber hinaus bereits Elemente einer Beschuldigtenvernehmung (vgl. § 136 Abs. 1 StPO), soweit darin die Aussagebereitschaft des Klägers und der Hinweis auf einen ggfs. beizuziehenden Rechtsanwalt enthalten waren. Eine förmliche Beschuldigtenvernehmung des Klägers war in diesem Stadium der Ermittlungen nicht zu erwarten. Am Anfang einer Untersuchung der in Rede stehenden Art ist es nämlich zweckmäßig, erst einmal Ermittlungen zu führen und festzustellen, ob sich der Verdacht erledigt oder erhärtet. Der Inhalt der Belehrung des Klägers zeigt, dass sich der ermittelnde Beamte dieses Umstandes bewusst war.
Bei diesen Vernehmungen wurde bekannt, dass das Hotel überhaupt erstmals über Weihnachten geschlossen worden war. Überdies hatte sich die private Situation der Eheleute, die das Hotel gemeinsam bewirtschafteten, im Jahr 1993 grundlegend geändert. Der Kläger hatte eine Freundin und war Anfang Dezember aus der gemeinsamen, an das Hotel angrenzenden Wohnung ausgezogen. Wenn sich die Verbindlichkeiten des Hotelbetriebs nach Aussage des Klägers letztlich auch noch im Rahmen hielten, war doch jedenfalls das Hotelgeschäft im letzten Jahr rückläufig gewesen. Die "Versicherungssummen" für das Hotel waren - wenn auch auf Anregung des Versicherungsvertreters - vor ca. 2 oder 3 Jahren "dem Zeitwert entsprechend ... geändert" worden. dass das Hotel "gut versichert war" und die Finanzlage des Klägers zumindest "etwas angespannt" war, haben selbst die Rechtsanwälte des Klägers in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 18.01.1995 eingeräumt.
Wegen dieser Verdachtslage waren weitere Ermittlungen der Kriminalpolizei (auch) darauf gerichtet, im Januar die Eigentumsverhältnisse und die wirtschaftliche Lage des Hotels zu klären, beides Umstände, die ausschließlich in der Person des Klägers relevant waren. Darüber hinaus wurde am 22.02.1994 die Freundin des Klägers befragt, um dessen Alibi für den Tatabend zu überprüfen. Die Vernehmung dieser Zeugin ist ein Indiz dafür, dass die Ermittlungen auch gegen den Kläger geführt wurden. Aus den gestellten Fragen wird dies deutlich.
Allein der Überprüfung der Angaben des Klägers diente weiterhin die Vernehmung seiner Tochter am 07.04.1994. Im Übrigen ist aus der Akte zu ersehen, dass die Ermittlungen gegen den Kläger nach Art und Umfang eingeschränkt und schwierig zu führen waren, weil es keine Beweismittel gab, die unmittelbar auf seine Täterschaft hinwiesen.
Das bisherige Ermittlungsergebnis war für die zuständige Staatsanwältin ersichtlich ausreichend, um die Ermittlungen nach erster inhaltlicher Befassung mit der Angelegenheit gegen den Kläger zu führen.
Unter dem 01.02.1994 hatte die Kriminalpolizei ihren Vorgang erstmals der Staatsanwaltschaft zugeleitet, um einem Antrag auf Akteneinsicht seitens der Rechtsanwälte des Klägers nachkommen zu können. Offensichtlich ohne inhaltliche Überprüfung wurde dort am 10.02.1994 die Anlegung eines UJs-Aktenzeichens verfügt, um die Akte anschließend an das Amtsgericht zu übersenden. Die Rechtsanwälte des Klägers gaben die Akte erst am 21.03.1994 zurück. Unmittelbar nach Rückkehr der Akte verfügte die zuständige Staatsanwältin unter dem 24.03.1994 die Einholung eines Bundeszentralregisterauszugs hinsichtlich des Klägers (und die Rückgabe der Akte an die Kriminalpolizei). Der Wille der Staatsanwaltschaft, gegen den Kläger wegen des Verdachts einer Straftat vorzugehen, hat in dieser Anordnung deutlichen Ausdruck gefunden. Einzuholen ist eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister nämlich, wenn die Erhebung der öffentliche Klage oder ein Absehen davon gemäß § 153a StPO in Betracht kommt (Nr. 16 RiStBV). In dem eingeholten Auszug ist der Verwendungszweck mit "Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen" umschrieben.
Nachdem die Beklagte unter dem 02.05.1994 eine zusammenfassende Darstellung aller für eine Täterschaft des Klägers sprechenden Indizien an die Staatsanwaltschaft übermittelt hatte, wurde die Kriminalpolizei gebeten, "die Ermittlungen auf die angeschnittenen Fragen ... auszudehnen". Den Rechtsanwälten des Klägers wurde mitgeteilt, dass sich die Ermittlungen gegen den Kläger richteten und keine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" erteilt werden könne.
Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass auf Grund der Umstände des Brandes von vornherein ein Tatverdacht gegen den Kläger bestand. Ein Motiv für die Brandlegung war allenfalls in der Person des Klägers zu erkennen. Der Hotelbetrieb war insgesamt rückläufig, die Finanzsituation zumindest angespannt und eine geplante Nutzungsänderung - jedenfalls seitens der Gemeinde - nicht befürwortet worden. Dementsprechend ist die Belehrung des Klägers bei seiner Vernehmung am 30.12.1993 nicht auf die eines Zeugen beschränkt geblieben. Die anschließenden Ermittlungen der Kriminalpolizei waren - wenn auch nach allen Seiten offen - doch auch darauf gerichtet, den gegen den Kläger bestehenden Tatverdacht konkret auszuermitteln.
Etwas anderes folgt nicht aus der Einschätzung des Kriminalbeamten S in seinem Vermerk vom 06.05.1994. Der Umstand, dass - nach seiner Ansicht - die Tat bisher keinem Täter zugeordnet werden konnte und er keine "weiteren konkreten Ansatzpunkte zu erkennen" vermochte, ändert nichts daran, dass - wie dargestellt - auf Grund eines ersten Verdachts objektiv entsprechende Ermittlungen gegen den Kläger geführt worden waren. Unerheblich ist es , dass der Beamte "noch am 17.05.1994" bestätigt haben soll, dass gegen den Kläger "nicht ermittelt werde". Zu diesem Zeitpunkt hatte die zuständige Staatsanwaltschaft als "Herrin des Verfahrens" bereits ausdrücklich erklärt, dass die Ermittlungen gegen den Kläger geführt würden, und eine Ausdehnung der insoweit bisher erfolgen Ermittlungen angeordnet. Dem dahingehenden Beweisantritt des Klägers war deshalb nicht nachzugehen.
Der Beklagten stand mithin bereits ab Januar ein Leistungsverweigerungsrecht i.S.d.. Versicherungsbedingungen zu mit der Folge, dass Ansprüche auf Abschlagszahlung nicht fällig waren und die Beklagte mit ihrer Zahlungsverweigerung nicht in Verzug kommen konnte. dass die Ermittlungen insgesamt letztlich erfolglos waren, steht dem nicht entgegen.