Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 24.10.1997, Az.: 6 U 45/97
Nichtigkeit eines Schuldbeitritts zu fremder Darlehensschuld; Verstoß gegen die guten Sitten; Mitverpflichtung ohne nennenswertes Eigeninteresse ; Ausnutzung der Unerfahrenheit; Zwangsläufige Verwirklichung des Haftungsrisikos; Naheliegende Inanspruchnahme; Drohender Verlust wesentlicher Vermögensteile; Unausgewogenes Verhältnis zwischen monatlicher Belastung und Einkommen des Hauptschuldners; Fehlen anderweitiger Sicherheiten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 24.10.1997
- Aktenzeichen
- 6 U 45/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 22552
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:1024.6U45.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 15.11.1996 - AZ: 3 O 82/95
Rechtsgrundlagen
- § 138 Abs. 1 BGB
- § 305 BGB
- § 607 BGB a.F.
Fundstelle
- FamRZ 1999, 89-91 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Eine Bürgschaft, ein Schuldbeitritt oder ein gleichliegender Fall einer Mithaftung für eine fremde Darlehensschuld kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und der übernommenen Haftung besteht, der Verpflichtete ohne nennenswertes Eigeninteresse handelt und er weiterhin vom Gläubiger unter Ausnutzung seiner Unerfahrenheit zu dem Geschäft bestimmt worden ist, d.h. ein hinreichend erfahrener und verständiger Vertragspartner in Anbetracht des in Rede stehenden Haftungsrisikos nicht bereitgewesen wäre, die Mithaftung unter den gegebenen Bedingungen abzuschließen.
Nichtig ist eine solche Mithaftungsübernahme insbesondere dann, wenn von Anfang an absehbar ist, dass die zu sichernde Finanzierung mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern wird, weil der Hauptschuldner auf Grund seiner Einkommensverhältnisse weder in der Lage ist, die monatlichen Zins- und Tilgungsraten zu zahlen noch anderweitige Sicherheiten vorhanden sind und der sich Mitverpflichtende bei der nahe liegenden Inanspruchnahme einen wesentlichen Teil seines Vermögens verlieren wird, er aber auf Grund seines geringen Lebensalters erkennbar noch keine hinreichende Erfahrung in Geldgeschäften hat und daher auch nicht annähernd in der Lage ist, das übernommene Risiko realistisch einzuschätzen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15.11.1996 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer übersteigt nicht 60.000,-- DM.
- Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte aus der Urkunde Nr. 548/90 des Notars D... keine Rechte herleiten kann. Die Zwangsvollstreckung war daher für unzulässig zu erklären.
Allerdings ist es zweifelhaft, ob dies damit begründet werden kann, die Klägerin sei bei Abgabe ihrer Willenserklärung geschäftsunfähig gewesen. Der Senat hat Bedenken, ob die vorhandenen Indizien eine derartige Feststellung zulassen.
Diese Bedenken können aber auf sich beruhen. Das Rechtsgeschäft vom 24.11.1990 ist aus einem anderen Grund nichtig.
Es ist sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB). Das Landgericht hat bei seiner gegenteiligen Auffassung die Besonderheiten des Falles nicht hinreichend berücksichtigt.
Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den guten Sitten widerspricht (BGHZ 86, 82, 88 [BGH 08.12.1982 - IVb ZR 333/81]; 107, 208, 209 [BGH 20.04.1989 - VII ZR 35/88]; 125, 206, 209) [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93]. Für eine Bürgschaft oder den gleichliegenden Fall einer Mithaftung für eine Darlehensschuld kommt dies insbesondere dann in Betracht, wenn ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und der übernommenen Haftung besteht, wenn der Verpflichtete ohne nennenswertes Eigeninteresse handelt und er weiterhin vom Gläubiger unter Ausnutzung seiner Unerfahrenheit zu dem Geschäft bestimmt worden ist (vgl. BVerfG NJW 1994, 36 u. 2749; BGH NJW 1994, 1726, 1727 [BGH 26.04.1994 - XI ZR 184/93]; BGHZ 125, 206 ff).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte bzw. der für sie tätige Vertreter R... hat die Klägerin unter Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit zu dem Schuldbeitritt veranlasst. Ein hinreichend erfahrener und verständiger Vertragspartner hätte sich in Anbetracht des hier in Rede stehenden Haftungsrisikos nicht bereitgefunden, den Vertrag unter diesen Bedingungen abzuschließen. Dabei war es R... bewusst, dass die Klägerin keine Absicherung erhält und bei der - nahe liegenden - Inanspruchnahme einen wesentlichen Teil ihres Vermögens verliert.
Bei der von R... bewerkstelligten und von der Beklagten gebilligten Finanzierung war von an Anfang absehbar, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern würde. H... und D... waren weder in der Lage, die monatlichen Zins- und Tilgungsraten zu zahlen noch hatten sie irgendwelche Sicherheiten.
H... und D... hatten für die aufgenommenen Darlehen bzw. abgeschlossenen Bausparverträge zumindest 1.600,-- DM im Monat aufzubringen. Der Gesamtkredit betrug 190.000,-- DM, und zwar 110.000,-- DM sog. Vorausdarlehn, das durch drei nacheinander geschaltete Bausparverträge abgelöst werden sollte, und 80.000,-- DM sog. Zwischendarlehen, zu dem ebenfalls ein Bausparvertrag abgeschlossen wurde. Hiervon wurden sofort
40.000,-- DM auf diesen Bausparvertrag eingezahlt. Das Darlehen über
110.000,-- DM war mit 10,2 % zu verzinsen. Hieraus ergab sich eine Monatsbelastung von 935,-- DM. Für das Darlehen über 80.000,-- DM waren 8 % Zinsen, monatlich also 533,-- DM zu zahlen. Hinzu kamen 110,-- DM für den ersten Bausparvertrag über 22.000,-- DM, und zwar bei Zugrundelegung des Regeltarifs der Beklagten von monatlich 5/1000 der Bausparsumme. Daneben mussten noch die Beiträge für die Risikolebensversicherung aufgebracht werden. Diesen Monatsbelastungen von zumindest 1.600,-- DM stand ausweislich der Selbstauskunft lediglich ein gemeinsames Arbeitseinkommen in Höhe von ca. 3.150,-- DM gegenüber. Allein die an die Beklagte zu zahlenden Beträge machten daher mehr als 1/2 des verfügbaren Einkommens aus. Zwar war in dem von H... und D... aufgestellten Finanzierungsplan noch von monatlichen Mietzinseinnahmen in Höhe von 1.000,-- DM die Rede, die offenbar zur Finanzierung verwendet werden sollten. Diese Position konnte aber bei einer soliden Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorerst nicht berücksichtigt werden. Da nähere Angaben dazu fehlten, für welche Räume und ab wann derartige Einnahmen konkret zu erwarten waren, war eine Plausibilitätskontrolle unmöglich.
Bei dieser Ausgangslage war es keineswegs überraschend, dass H... und D... ihren Verpflichtungen aus den geschlossenen Verträgen von Anfang an nicht nachkamen. Aus den von der Beklagten vorgelegten Aufstellungen über die Einzahlungen auf die Darlehens- bzw. Bausparkonten ergibt sich, dass freiwillig keine nennenswerten Einzahlungen gemacht worden sind. Die von der Beklagten vorgenommenen Lastschriften sind in fast allen Fällen wieder zurückgebucht worden. Nennenswerte Zahlungen ergaben sich erst durch die später veranlassten Gehaltspfändungen.
Zu dem unausgewogenen Verhältnis von monatlicher Belastung und vorhandenem Einkommen kam hinzu, dass H... und D... über keine liquiden Eigenmittel verfügten. Zwar war in dem eingereichten Finanzierungsplan insoweit von einem Betrag in Höhe von 10.000,-- DM die Rede. Hierbei handelte es sich aber um angebliche Eigenleistungen beim Umbau des zu erwerbenden Hauses, mithin also um eine beliebige und damit kaum nachprüfbare Position.
Es lag daher schon auf Grund des Zahlenmaterials auf der Hand, dass die Finanzierung scheitern und die Klägerin von der Beklagten zur Haftung herangezogen werden würde.
Zu diesem Risiko stand die eigene Einkommens- und Vermögenslage der Klägerin völlig außer Verhältnis. Zwar verfügte sie durch die Erbschaft über ein Sparguthaben und das Hausgrundstück, das sie dann zur Belastung zur Verfügung gestellt hat. Ihr drohte also bei einer Inanspruchnahme nicht ein Verlust ihres gesamten Vermögens. Der Grundschuldbetrag war auch, für sich betrachtet, nicht besonders hoch. Andererseits war aber klar, dass die Klägerin bei der - nahezu zwangsläufigen - Verwirklichung des Haftungsrisikos entweder ihr Hausgrundstück oder ihre gesamten Barmittel verlieren würde. Denn von ihren monatlichen Einkünften konnte die Klägerin ohne Gefährdung ihrer Existenzgrundlage nichts für die Tilgung der Schulden von H... und D... abzweigen.
Bei diesem Hintergrund war es in hohem Maße anstößig, die Klägerin in die Finanzierung einzubinden. Ihr geringes Lebensalter und das zu diesem Zeitpunkt zwangsläufige Fehlen einer qualifizierten Vorbildung waren unübersehbare Anzeichen dafür, dass sie noch keine hinreichende Erfahrung in Geldgeschäften hatte und daher auch nicht annähernd in der Lage war, das von ihr übernommene Risiko realistisch einzuschätzen. Hinzu kam ihre persönliche Beziehung zu den Darlehensnehmern, von denen sie angesprochen worden war und denen sie offensichtlich helfen wollte. Diese Umstände hat sich der Vertreter R... zu Nutze gemacht. Er hat die Klägerin in die Finanzierung einbezogen, ohne dass für sie irgendeine Sicherheit vorhanden war. Dabei war klar, dass eine solche Sicherheit auch später nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Nachdem für Beklagte die Grundschuld über 110.000,-- DM auf dem zu erwerbenden Grundstück eingetragen war, stand es nicht mehr für weitere Belastungen zur Verfügung. Nachgehende Rechte waren wertlos. Andere Objekte, auf die man bei den Schuldnern hätten zugreifen können, waren nicht vorhanden.
Die Umstände, die das Geschäft sittlich anstößig machen, sind auch der Beklagten zuzurechnen. Es ist davon auszugehen, dass R... die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von H... und D... gut bekannt waren. Dies ergibt sich schon daraus, dass er mit der Schwester von H... befreundet war. Außerdem hatte er bereits zuvor erfolglos versucht, eine Finanzierung für H... und D... zu bewerkstelligen. R... war daher bewusst, dass die Klägerin mit ihrer Mithaftung und der Stellung einer Sicherheit ein kaum zu verantwortendes Risiko einging. Zwar will R... nach eigenen Angaben die Klägerin auf die Gefahren der Mithaftung hingewiesen haben. Hiermit kann er bzw. die Beklagte sich aber nicht entlasten. Unter den gegebenen Umständen hätte er von dem geplanten Geschäft abraten müssen. Zumindest hätte R... darauf dringen müssen, dass die Klägerin eine vorrangige dingliche Absicherung an dem zu erwerbenden Grundstück erhält, und zwar durch eine Grundschuld oder ein Wohnungsrecht (§ 1093 BGB) für die ihr zugedachten Räume. Ersichtlich ist dies deswegen nicht geschehen, weil in diesem Fall das angestrebte Geschäft nicht hätte durchgeführt werden können. Denn bei einer vorrangigen Belastung zu Gunsten der Klägerin hätte die Beklagte die Finanzierung mit Sicherheit abgelehnt.
Diese Umstände führen dazu, dass das streitige Rechtsgeschäft sittenwidrig ist. Zur Klarstellung ist dabei darauf hinzuweisen, dass dieser Mangel auch die weiteren Erklärungen erfasst, die sich die Beklagte im Zusammenhang mit der Finanzierung von der Klägerin hat unterzeichnen lassen. Sie sind Teil eines einheitlichen Rechtsgeschäfts.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Die Beschwer übersteigt nicht 60.000,-- DM.