Landgericht Oldenburg
Urt. v. 06.02.2004, Az.: 13 O 1866/02
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 06.02.2004
- Aktenzeichen
- 13 O 1866/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 42774
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2004:0206.13O1866.02.0A
Fundstelle
- JWO-VerkehrsR 2004, 141
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen des Verkehrsunfalls vom 11.11.2001, 17.55 Uhr, in Rastede, Kleibroker Straße 19a, Versicherungsschutz zu gewähren, allerdings diesem gegenüber in Höhe eines Betrages von 5.000,- EUR leistungsfrei ist.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Partelen bleibt jeweils nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung.
Der Kläger verursachte am 11.11.2001 gegen 17.55 Uhr in Höhe des Grundstücks Kleibroker Straße 19a, Rastede, mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Opel Astra einen Verkehrsunfall, indem er auf zwei am Fahrbahnrand ordnungsgemäß abgestellte Fahrzeuge auffuhr. Anschließend verließ er den Unfallort und begab sich zu seinem in der Nähe wohnenden Fußballtrainer. Dieser informierte gegen 19,20 Uhr die Polizei. Bei Eintreffen der Polizeibeamten stand der Kläger erheblich unter Alkoholeinfluss. Eine um 19,42 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,37 o/oo. Um 20.12 Uhr wurde ein Wert von 2,46 o/oo festgestellt. In der Schadensmeldung vom 27.11.2001 beantwortete der Kläger die Fragen nach einem unerlaubten Entfernen von der Unfallstelle und einer Alkoholbeeinflussung zum Unfallzeitpunkt nicht. Erst auf Nachfrage der Beklagten erklärte er, bei dem Unfall unter Alkoholeinfluss gestanden zu haben; das Ergebnis der ihm abgenommenen Blutprobe sei ihm noch nicht bekannt. Mit Schreiben vom 19.12.2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, für den Unfall bestehe kein Versicherungsschutz; der Regressanspruch würde sich auf 7.500,-EUR belaufen. Dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag liegen die AKB in der Fassung vom 01.04.1998 zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Vertragsbedingungen Bezug genommen. Die Höchstbetrage bei Leistungsfreiheit rechnete die Beklagte nach Einführung des EURO im Verhältnis 1:2 um.
Der Kläger behauptet, infolge Unaufmerksamkeit gegen die parkenden Fahrzeuge gefahren zu sein. Alkohol habe er erst nach dem Unfall zu sich genommen. Sein Entfernen von der Unfallstelle beruhe nicht auf einem willensgesteuerten Verhalten: Er leide unter einer neurotischen Schreckhaftigkeit dergestalt, dass er bei Eintreten eines Unfallereignisses völlig kopflos werde, die Nerven verliere und - einer willensmäßigen Steuerung nicht mehr fähig - im Zustand der Schuld Unfähigkeit vor derartigen Geschehnissen weglaufe. Den Alkohol, den er in der Wohnung zu sich
genommen habe, habe er aus denselben Gründen ebenfalls im Zustand der Schuldunfähigkeit konsumiert.
Der Kläger beantragt,
1.festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, ihm den Versicherungsschutz aus dem Verkehrsunfall vom 11.11.2001,17.55 Uhr, in Rastede, Kleibroker Straße 19a zu versagen,
2. festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, von ihm einen Betrag In Höhe von 7.500,-EUR wegen dieses Schadensereignisses zu regressieren,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm Versicherungsschutz wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 11.11.2001 gegen 17,55 Uhr in Rastede, Kleibroker Straße 19a, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die Blutalkoholkonzentration des Klägers habe zum Unfallzeitpunkt mindestens 0,7 o/oo betragen. Er sei deswegen nicht in der Lage gewesen, ein Fahrzeug sicher zu führen.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Oldenburg 317 Js 53120/01 waren zu Beweiszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit den gestellten Hauptanträgen zulässig.
Da die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vorn 19.12.2001 mitgeteilt hat, nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen könne sie keinen Versicherungsschutz gewähren und sie würde einen Betrag in Höhe von 7.500,-EUR regressieren, hat der Kläger ein Interesse an der Feststellung des Bestehens von Versicherungsschutz und der Möglichkeit eines Regresses. Dass der Klageantrag zu 1.) nicht positiv auf Gewährung von Versicherungsschutz gerichtet ist, ist ohne Belang. Er kann ohne weiteres entsprechend ausgelegt werden.
In der Sache hat die Klage jedoch nur teilweise Erfolg.
Gem. § 2b Abs. 2 Ziff. e, Abs. 3 AKB ist die Beklagte dem Kläger gegenüber in Höhe eines Betrages von 5.000,-EUR zur Leistung nicht verpflichtet. Darüber hinaus kann sie sich auf eine Leistungsfreiheit nicht berufen.
Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage, sein Fahrzeug sicher zu führen. Um 17.55 Uhr hatte er eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,32 o/oo. Dies steht fest aufgrund des von der Sachverständigen Dr. Hirtz in dem Ermittlungsverfahren 317 Js 53120/01 erstellten Gutachtens (Bl. 24 ff.T 155, 155 R der Ermittlungsakte), mit dessen urkundsbeweislichen Verwertung sich die Parteien einverstanden erklärt haben. Ausgehend von den um 19.42 Uhr und 20.12 Uhr festgestellten Blutentnahmewerten von 2,37 o/oo bzw. 2,46 o/oo und einem Nachtrunkbeginn gegen 18.00 Uhr ist sie nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger könne in diesem Zeitraum maximal 132 Gramm reinen Alkohols resorbiert haben. Unter Heranziehung der sog. Widmarkformel hat sie sodann festgestellt, dass ohne Berücksichtigung eines Resorptionsdefizites zum Unfallzeitpunkt um 17.55 Uhr ein Blutalkoholwert von mindestens 0,06 o/oo vorgelegen habe, unter Berücksichtigung eines Resorptionsdefizites von 10 % ein Blutalkoholwert von mindestens 0,32 o/oo. Da keine Zweifel an der Fachkunde und Kompetenz der Sachverständigen bestehen, schließt sich die Kammer ihren überzeugenden Ausführungen an. Zugrunde zu legen ist der unter Berücksichtigung eines Resorptionsdefizites von 10 % ermittelte Blutalkoholwert. Dabei handelt es sich um den bei Anwendung der sog. Widmarkformel zu berücksichtigenden Mindestwert (BGH, DRiZ 1991, 58). Liegt die Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls bei weniger als 1,1 o/oo, jedoch mehr als 0,3 o/oo, spricht man in Anlehnung an die §§ 315c, 316 StGB von relativer Fahruntüchtigkeit. Fahruntüchtigkeit steht in diesem Fall nicht allein aufgrund des Blutalkoholgehalts, sondern erst dann fest, wenn weitere Umstände hinzukommen, die auf eine solche schließen lassen (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26, Auflage, § 12 AKB Rn. 92). Zwischen den Parteien unstreitig prallte der Kläger mit erheblicher Geschwindigkeit auf gerader Strecke gegen zwei am Fahrbahnrand ordnungsgemäß abgestellte Fahrzeuge. Auch wenn es zum Unfallzeitpunkt regnete und dunkel war, beruhte der Zusammenstoß auf einem groben Fahrfehler, welcher nach Überzeugung der Kammer nicht lediglich auf ein unaufmerksames Verhalten zurückgeführt werden kann. Das verspätete Erkennen von Hindernissen ist aus rechtsmedizinischer Sicht eine alkoholtypische Fehlleistung (ProIss/Martin, a.a.O., § 12 AKB Rn. 93). Die Kammer ist deswegen davon überzeugt, dass der Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalls alkoholbedingt fahruntüchtig war. Für die Kausalität der Alkoholbeeinflussung für den Versicherungsfall spricht der Beweis des ersten Anscheins, wenn der Unfall dem Fahrer bei einer Verkehrslage und unter Umständen zustößt, die ein Nüchterner in der Regel härte meistern können. Der Fahrer muss die ernsthafte Möglichkeit darlegen und beweisen, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht ursächlich für den Unfall war (Prölss/Martin, a.a.O., § 12 AKB Rn. 91). Die Behauptung des Klägers, er sei infolge Unaufmerksamkeit gegen die Fahrzeuge geraten, genügt diesen Anforderungen nicht. Die Kammer ist davon überzeugt, dass eine nüchterne Person einen solchen Unfall nicht verursacht hätte.
Gem. § 2b Abs. 3 AKB ist die Beklagte nicht in voller Höhe leistungsfrei, sondern lediglich in Höhe von 5,000,-EUR. Die in den Versicherungsbedingungen angegebenen 10.000,- DM wurden im Verhältnis 1:2 umgerechnet.
Darüber hinaus besteht keine Leistungsfreiheit der Beklagten. Dem Kläger ist zwar objektiv eine Obliegenheitsverletzung i.S.d. § 7 l Abs. 2 S. 3 AKB vorzuwerfen. Indem er sich nach dem Unfall vom Unfallort entfernt und erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen hat, hat er seine Aufklärungspflicht verletzt. Leistungsfreiheit - in bestimmter Höhe - tritt gem. § 7 V Abs. 1 AKB jedoch nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ein. Nach dem von dem Sachverständigen im Ermittlungsverfahren erstellten Gutachten (Bl. 124 ff. Ermittlungsakte), mit dessen urkundsbeweislichen Verwertung sich die Parteien einverstanden erklärt haben, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger sich unmittelbar nach dem Unfall in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, der Unfall habe bei dem Kläger eine akute Belastungsreaktion hervorgerufen. Das Fahrzeug, mit dem er verunfallt sei, sei das seines verstorbenen Vaters gewesen. Dessen Tod habe der Kläger nicht verarbeitet. Die Beschädigung des Wagens habe ihn aufgrund seiner pathologischen Trauerarbeit in einen affektiven Ausnahmezustand versetzt. Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an, welche durch die Aussage des Zeugen (Bl. 59 der Ermittlungsakte) noch untermauert werden. Dieser hat bekundet, der Kläger sei "ziemlich fertig" gewesen, als er bei ihm eingetroffen sei. Er habe nur gestammelt: "Dirk, Dirk, Du musst mir helfen.". Zehn Minuten habe er dagesessen und nichts gesagt. Er, der Zeuge, habe nichts aus ihm herausbekommen und ihm zur Beruhigung Alkohol angeboten. Erst später habe der Kläger von einem Unfall gesprochen und gesagt: "Airbag, Airbag". Er habe dabei angefangen zu weinen, immer nur gestammelt und keine vollständigen Sätze herausgebracht.
Dem Gutachten des Sachverständigen zufolge befand sich der Kläger nach dem Unfall in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit. Dass er den Unfallort vorsätzlich oder auch nur grobfahrlässig verlassen hat, kann nicht angenommen werden. Vorsatz liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer willentlich und bewusst handelt, grobe Fahrlässigkeit, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Grade außer Acht lässt, also nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Auflage, § 7 AKB Rn. 3, 6). Die Fähigkeit des Klägers zu einem willensgesteuerten Verhalten war erheblich eingeschränkt. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm einleuchten musste, die Unfallstelle nicht verlassen zu dürfen. Dasselbe gilt für den Nachtrunk. Dass der Kläger den Alkohol willensgesteuert zu sich genommen bzw. insofern grobfahrlässig gehandelt hat, kann den Ausführungen des Sachverständigen und der Aussage des Zeugen zufolge nicht angenommen werden.
Eine Obliegenheitsverletzung i.S.d. § 7 l Abs. 2 S. 3 AKB hätte die Beklagte letztlich auch nicht zu einem höheren Regress berechtigt. Liegen mehrere Obliegenheitsverletzungen vor, kann der Versicherer zumindest dann nicht einen höheren Betrag als 5000,-EUR regressieren, wenn - wie vorliegend - die konkurrierenden Obliegenheiten die gleiche Stoßrichtung haben und dasselbe Interesse des Versicherers schützen sollen (vgl. dazu OLG Nürnberg, VersR 2001, 231). Das OLG Nürnberg hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem es um einen Verstoß gegen die Obliegenheiten aus § 2b Abs. 2 Ziff. e AKB (Fahren unter Alkoholeinfluss) und § 7 t Abs. 2 S. 3 AKB (Verletzung der Aufklärungspflicht durch Unfallflucht) ging. Dass vorliegend eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch Nachtrunk hinzukommt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Eine die Beklagte von der Leistung befreiende Obliegenheitsverletzung des Klägers liegt letztlich auch nicht darin, dass der Kläger die Schadenanzeige unvollständig ausgefüllt hat. Grundsätzlich stellt dies zwar eine Obliegenheitsverletzung i.S.d. § 7 l Abs. 2 S. 1 AKB dar, nicht jedoch, wenn der Versicherer - wie vorliegend - Rückfrage bei dem Versicherungsnehmer hält und dieser die entsprechenden Fragen beantwortet.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO,