Landgericht Oldenburg
Urt. v. 14.12.2004, Az.: 5 O 3480/04
Öffentlich-rechtlich ausgestaltete Amtspflicht der Gemeinden zur Straßenreinigung; Auswahl der zum Streuen verwendeten Mittel im Ermessen der Gemeinden; Durch Streumittel verursachte Sachschäden als sozialadäquates Lebensrisiko
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 14.12.2004
- Aktenzeichen
- 5 O 3480/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 36957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2004:1214.5O3480.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 839 BGB
- Art. 34 GG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2005, 226-227 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Amtspflichtverletzung
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 14.12.2004
durch
den Richter ... als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die beklagte Gemeinde einen Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung seiner Schuhe durch von der Beklagten gestreutes Granulat geltend.
Der Kläger behauptet, wegen des von der Beklagten im Winterdienst gestreuten Granulat-Salz-Gemischs, hätten seine orthopädischen Schuhe erneuert werden müssen. Durch das Granulat seien die Schühböden übermäßig stark abgenutzt worden. Die Verwendung dieses Gemisches habe unter den bestehenden Wetterbedingungen nicht dem Stand der Technik entsprochen. Es sei vielmehr der Einsatz von Streusalz geboten gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 69,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Wahl des Gemisches sei nicht zu beanstanden.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Verwendung des von dem Kläger beanstandeten Granulat-Salz-Gemischs stellt keine Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) der beklagten Gemeinde dar.
Die in Niedersachsen öffentlich-rechtlich ausgestaltete Amtspflicht der Gemeinden zur Straßenreinigung (§ 52 NStrG) entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGH, VersR 1984, 890 [891]). Die Reinigungspflicht umfasst u.a. das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und der besonders gefährlichen Fahrbahnstellen bei Glätte. Die Auswahl der zum Streuen verwendeten Mittel steht den Gemeinden grundsätzlich frei (Wendrich, NStrG4, § 5, Rn. 6). Zur Glättebekämpfung ist zwar mit dem stärker und schneller werdenden Verkehr an die Stelle abstumpfender Stoffe das viel wirkungsvollere Salz getreten (Wendrich, a.a.O.), entscheidend ist dabei aber letztlich, dass der Sicherungspflichtige durch Schneeräumen und Bestreuen die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, im Rahmen und nach Maßgabe der Bedeutung des Verkehrsweges und seiner Leistungsfähigkeit beseitigt (BGH, NJW 1993, 2802). Die Auswahl geeigneter Streumittel steht dabei im Ermessen des Streupflichtigen, wobei er gehalten ist, die Langzeitwirkung des Streugut durch die Wahl geeigneter Mittel, wie es auch das Granulat darstellt, zu verbessern (BGH, NJW 1993, 2802 [2804]). Um die Rutschgefahr zu mindern kann dabei daher der Einsatz abstumpfender Mittel neben dem Streuen von Salz geboten sein (OLG Düsseldorf, VersR 1988, 274 [OLG Düsseldorf 12.06.1986 - 18 U 11/86] [275]). Angesichts der vom Streusalz für die Umwelt ausgehenden Gefahren wird teilweise sogar der vollständige Verzicht darauf gefordert (zum Thema "Umweltschäden durch Streusalz" vgl. die Antwort der Bundesregierung v. 09.07.1981 in BT-Drs 9/648). Entscheidet sich dann eine Gemeinde jedenfalls ein Gemisch zu verwenden, stellt dies keine Verletzung der Amtspflichten dar.
Auch wenn man die Behauptung des Klägers unterstellt, dass die Schäden an seinen Schuhböden durch Granulateinschluss verursacht wurden, würde dies nicht zu einer Haftung der Beklagten führen. Die Gemeinde ist verpflichtet, zur Gefahrenabwehr bei Schnee- und Eisglätte zu streuen. Dies ist im Interesse der Sicherheit des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs erforderlich und geboten. Es ist in der Rechtsprechung sogar anerkannt, dass das Streuen zu weiteren Gefahren führen kann und dass diese ohne die Möglichkeit der Inanspruchnahme der streupflichtigen Körperschaft auf Schadensersatz vom Bürger hinzunehmen sind (LG Wiesbaden, NJW 1987, 1270 [LG Wiesbaden 04.11.1986 - 2 O 261/86] [1271]; LG Duisburg, VersR 1980, 360; LG Hagen, VersR 1984, 851). So ist es hinzunehmen, dass bei dem Streuvorgang von einem Fahrzeug aus auch Streugut gegen parkende Autos geschleudert wird, wenn sich infolge des Parkens die Straße verengt und das Streufahrzeug durch am Fahrbahnrand stehende Autos diese im geringerem Abstand passieren muss. Im Interesse der Verkehrssicherheit kann bei einer Fahrbahnverengung durch parkende Wagen von einer Streuung nicht abgesehen werden, da dies zu einer Gefährdung des fließenden Verkehrs führen würde. Es ist deshalb anerkannt (vgl. LG Duisburg, VersR 1980, 360; LG Hagen, VersR 1984, 851; LG Wiesbaden, NJW 1987, 1270 [LG Wiesbaden 04.11.1986 - 2 O 261/86] [1271]), dass Verkehrsteilnehmer mit Rücksicht auf die Befahrbarkeit der Straße Schäden in Kauf nehmen müssen, die beim Bestreuen einer Straße mit Granulat durch Streufahrzeuge an parkenden Fahrzeugen entstehen. Der Verkehrsteilnehmer muss derartige Schäden hinnehmen, da gegenwärtig von der Allgemeinheit von der sicheren Befahrbarkeit der Straßen auch bei widrigen Verhältnissen ausgegangen wird. Die verhältnismäßig geringen Sachschäden, die in den von den Gerichten entschiedenen Fällen durch die Streuung am Lack geparkter Autos entstanden sein konnten, sind daher als Teil des Risikos der Teilnahme am Straßenverkehr angesehen worden.
Eine Haftung kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn der Streupflichtige bzw. sein Bediensteter bei der Erfüllung der Streupflicht Schäden anrichtet, die über das Unvermeidbare hinausgehen und der Amtsträger diesbezüglich schuldhaft handelt.
Nichts anderes kann hier für die Schuhböden des Klägers gelten. Es obliegt der Ermessensentscheidung der Beklagten, mit welchen Mitteln sie die Glättegefahr beseitigt. Dass ihr dies mit dem Granulat-Salz-Gemisch gelungen ist, ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger nicht geltend macht, er sei ausgerutscht und habe sich verletzt. Insoweit war das Granulat-Salz-Gemisch offensichtlich geeignet, die Glättegefahren zu beseitigen. Um eine sichere Begehbarkeit des Fußweges zu gewährleisten, muss den Witterungsverhältnissen angepasst gestreut werden. Es kann erforderlich sein, dass aufgrund hintereinander folgender Schneefälle oder überfrierender Nässe nach zwischenzeitlichem Tauen in Abständen der Streuvorgang wiederholt werden muss. Die Menge des Granulats, welches sich in diesen Fällen auf den Wegen befindet, wird dadurch ständig größer, ohne überflüssig zu sein, da die unteren Schichten des Granulats in die gefrorene Nässe eingebunden sind. Erst mit dem Tauen treten diese hervor. Zwar wird es erforderlich sein, diese Mengen wieder zu beseitigen. Der Kläger hat aber keine zeitliche Eingrenzung des Schadenseintritts vorgenommen, so dass sich nähere Umstände, die zur behaupteten Beschädigung führten, nicht ergaben. Die bloße Nutzung des Granulats als solches im Winterdienst kann angesichts dessen eine Amtspflichtverletzung nicht begründen.
Das Abnutzen der Schuhböden durch das Begehen des mit Granulat-Salz-Gemisch gestreuten Fußweges stellt sich vielmehr als allgemeines sozialadäquates Lebensrisiko dar, dass jeder Verkehrsteilnehmer hinzunehmen hat, wenn er im Winter vor die Tür geht. Es ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten der Gemeinden nicht einmal eine vollkommene Gefahrlosigkeit bei Benutzung der Verkehrsflächen gefordert wird (BGHZ 40, 379 [383]; 108, 273 [274]; Soergel/Zeuner, BGB12, § 823 Rn. 195; Geigel/Schlegelmilch, Haftpflichtprozess23, 14. Kap. Rn. 37; Tremml/Karger, Amtshaftungsprozess², Rn. 688). Für alle denkbaren, noch so entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts braucht die verkehrssicherungspflichtige Körperschaft keine Vorsorge zu treffen (LG Krefeld, NJW-RR 1990, 668 [LG Krefeld 16.08.1989 - 2 O 106/89]). Vielmehr braucht nur diejenige Sicherheit hergestellt zu werden, die nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erwartet werden darf (BGH, VersR 1954, 224). Es ist aber nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren eine völlige "Gefahrlosigkeit" in dem Sinne zu verlangen, dass nicht mit Granulat gestreut werden dürfe, um letztlich bloße Abnutzungserscheinungen an Schuhen zu verhindern. Ein billig und gerecht denkender Fußgänger auf vereisten Wegen wird vielmehr froh darüber sein, dass er aufgrund des gestreuten Mittels nicht auf glatten Flächen zu Fall gekommen ist. Es entspricht danach der Verkehrssitte mit den verbleibenden Beeinträchtigungen durch das den Fußgänger schützende Streumittel einverstanden zu sein.
Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.