Landgericht Oldenburg
Urt. v. 13.08.2004, Az.: 13 O 3560/03
Verkehrszeichen und Richtzeichen im Sinne der Straßenverkehrsordnung (StVO); Verstoß gegen das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr im Sinne der StVO; Ermittlung des Mitverschuldensgrades bei einem Verkehrsunfall
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 13.08.2004
- Aktenzeichen
- 13 O 3560/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 35451
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2004:0813.13O3560.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 StVG
- § 17 Abs. 1 StVG
- § 18 StVG
- § 840 Abs. 1 BGB
- § 426 Abs. 2 BGB
- § 67 Abs. 1 VVG
- § 1 StVO
- § 4 Abs. 1 StVO
- § 7 Abs. 5 StVO
- § 42 StVO
Fundstellen
- NZV 2005, IV Heft 3 (Kurzinformation)
- NZV 2005, 196-197 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 25.06.2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
die Richterin am Landgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.323,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2003 sowie weitere 5,-- EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 63 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 37 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.
Tatbestand
Die klagende Versicherung nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auf anteilige Erstattung der von ihr aus einer Haftpflichtersicherung geleisteten Zahlungen in Anspruch.
Die Klägerin ist (Fahrzeug-)Haftpflichtversicherer des Herrn ... Dieser befuhr am 27.03.2002 mit seinem PKW Ford Fiesta in Höhe Ladbergen die linke Fahrspur der (zweispurigen) Autobahn A 1 in Richtung Bremen. Vor Herrn Massong fuhr Herr Kleophas Göbel mit seinem Pkw BMW, neben den beiden auf der rechten Fahrspur die Beklagte zu 2.) mit ihrem, bei der Beklagten zu 1.) haftpflichtversicherten Pkw VW Lupo. In Höhe des Kilometers 249,5 war die linke Fahrspur der Autobahn gesperrt. Dort befand sich ein Sicherungsanhänger mit dem Verkehrszeichen Pfeilrichtung rechts. Etwa 650 m davor stand eine an das Verkehrszeichen angelehnte Hinweistafel der zufolge die Benutzer des linken Fahrstreifens auf den rechten und die Benutzer des rechten Fahrstreifens auf den Seitenstreifen überwechseln sollten. Die Geschwindigkeit war im betroffenen Bereich auf 100 km/h, später 80 km/h reduziert. Überleitende Fahrbahnmarkierungen waren nicht vorhanden.
Bei der Annäherung an das Ende des linken Fahrstreifens unterließ es die Beklagte zu 2.) vom rechten Fahrstreifen auf den Seitenstreifen überzuwechseln. Der Pkw-Fahrer Göbel, der infolgedessen gehindert war, vom linken auf den rechten Fahrstreifen zu wechseln, vollzog zur Vermeidung eines Aufpralls auf den Sicherungsanhänger unmittelbar vor dem Ende des linken Fahrstreifens eine Vollbremsung und kam zum Stehen. Der Pkw-Fahrer vollzog zeitgleich ebenfalls eine Vollbremsung, konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig anhalten und fuhr auf den Wagen auf.
Die hierdurch Herrn entstandenen Schäden in Höhe von 13.234,20 EUR hat die Klägerin aus der bestehenden Haftpflichtversicherung reguliert.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Verkehrsunfall überwiegend von der Beklagten zu 2.), die insoweit auch wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit verurteilt wurde, verursacht worden sei, wobei die Klägerin von einem Verschuldensanteil der Beklagten zu 2.) von 2/3 ausgeht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 8.863,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2003 sowie weitere 5,- EUR zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
Die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten ein (Mit-)Verschulden der Beklagten zu 2.). Sie behaupten, die Beklagte zu 2.) habe das Verkehrszeichen am Fahrbahnende übersehen. Das vorangehende Verkehrszeichen habe im Übrigen nicht deutlich darauf hingewiesen, dass auch die Beklagte zu 2.) den Fahrstreifen wechseln sollte. Schließlich hätten die Pkw-Fahrer nicht mit unveränderter Geschwindigkeit weiterfahren dürfen, zumal für sie erkennbar gewesen sei, dass die Beklagte zu 2.) den Fahrstreifen nicht wechseln würde. Der Pkw-Führer habe zu dem den erforderlichen Sicherheitsabstand erheblich unterschritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin kann wegen der von ihr nach dem Verkehrsunfall vom 27.03.2002 erbrachten Versicherungsleistungen von den Beklagten aus übergegangenem Recht die Zahlung eines Betrages von 3.323,71 EUR beanspruchen (§§ 7, 17 Abs. 1,18 StVG, 840 Abs. 1, 426 Abs. 2 BGB, 67, Abs. 1 VVG).
Der von der Klägerin im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung unstreitig mit einem Betrag von 13.234,20 EUR regulierte Verkehrsunfall vom 27.03.2002 beruhte nach dem im Wesentlichen unstreitigen Vorbringen der Parteien ganz überwiegend auf einem schuldhaften Verstoß des Versicherungsnehmers der Klägerin gegen die Abstandsvorschriften aus § 4 Abs. 1 StVO. Der Verursachungsanteil der am Unfallgeschehen beteiligten Beklagten zu 2.) ist demgegenüber zur Überzeugung des Gerichts lediglich mit 25 % zu bewerten.
Zwar ist die Beklagte zu 2.), nachdem sie die an das Verkehrszeichen VZ 500 angelehnte Aufforderung zum Fahrstreifenwechsel passiert hatte, nicht vom Hauptfahrstreifen auf die Seitenspur übergewechselt und hat damit aus Sicht der auf dem Überholfahrstreifen befindlichen Fahrzeugführer und den Hauptfahrstreifen blockiert. Auf Grund der sich aus der beigezogenen Ermittlungsakte (dort Bl. 7) ergebenden Ausschilderung der Autobahnbaustelle bestand allerdings auch gar keine konkrete straßenverkehrsrechtliche Verpflichtung für die Beklagte zu 2.), einen Fahrstreifenwechsel zu vollziehen. Insbesondere stellte die Weiterfahrt der Beklagten zu 2.) auf dem Hauptfahrstreifen keinen Fahrspurwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO dar, da unstreitig eine den Verkehr auf die Standspur leitende (gelbe) Fahrbahnmarkierung nicht vorhanden war. Die Aufforderung zum Fahrstreifenwechsel ergab sich vielmehr allein aus der an das Verkehrszeichen VZ 500 angelehnten so genannten Überleitungstafel. Hierbei handelt es sich um ein nur als "sonstige Verkehrslenkungstafel" qualifiziertes Richtzeichen im Sinne von § 42 StVO, dass keine konkreten Anordnungen, sondern lediglich die Ankündigung einer Überleitung des Verkehrs enthält. Auf Grund dieser Überleitungstafel war die Beklagte zu 2.) daher lediglich gehalten, nicht jedoch verpflichtet, vom Hauptfahrstreifen auf die Standspur überzuwechseln. Dies folgt im Übrigen auch schon daraus, dass sich aus der Überleitungstafel (allein) nicht entnehmen lässt, wo der in Aussicht genommene Fahrstreifenwechsel konkret zu vollziehen ist, Ob und gegebenenfalls wo ein Fahrzeugführer den Fahrstreifen wechselt, hatte dieser vielmehr unter Beachtung der Erfordernisse des Verkehrs und des Rücksichtnahmegebotes eigenverantwortlich zu entscheiden. Diese Auffassung wird bestätigt durch den von der Klägerin vorgelegten Regelplan Dill (Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen), in dem das streitige Verkehrsschild ausdrücklich als "Vorwarntafel" bezeichnet ist und im eigentlichen Bereich der Fahrbahnverschwenkung aufnehmbare Markierungen, eine dichte Reihe von Leitkegeln oder Leitschwellen vorgesehen sind.
Zur Überzeugung der Kammer wäre die Beklagte zu 2.) im vorliegenden Fall bei ordnungsgemäßer Beachtung des - insbesondere auch auf dem Überholfahrstreifen fahrenden - seit- und rückwärtigen Verkehrs zur Vermeidung einer Behinderung oder gar Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer allerdings gehalten gewesen, schon einige Zeit vor dem auch für sie erkennbaren Verkehrszeichen VZ 616 auf die Standspur überzuwechseln. Denn sie musste in Rechnung stellen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Vorwarntafel zum Anlass für einen Fahrspurwechsel nehmen würden. Indem sie diesen Fahrspurwechsel oder eine andere angemessene Reaktion z.B. Abbremsen unterlassen hat, verstieß die Beklagte zu 2.) zwar nicht gegen eine konkrete Verkehrsanordnung, wohl aber gegen das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 StVO. Insoweit trifft die Beklagte zu 2.) eine Mitschuld an dem sich auf dem Überholfahrstreifen ereignenden, von der Klägerin regulierten Verkehrsunfall. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die auf dem Überholfahrstreifen fahrenden Fahrzeugführer nicht auf einen Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 2.) vertrauen durften und ihre Fahrweise, insbesondere auch einen etwaigen Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden, hierauf einstellen mussten, schätzt die Kammer den Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 2.) am Unfallgeschehen mit insgesamt 1/4 ein, während den Versicherungsnehmer der Klägerin B ein Verursachungsanteil von % trifft. Die Klägerin kann daher von dem Beklagten als Gesamtschuldner 25 % des regulierten Schadens erstattet verlangen, wobei die unstreitig über die Schadensregulierung hinaus verauslagten Kosten der Akteneinsicht als Rechtsverfolgungskosten zu erstatten sind.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 288 BGB.
Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.