Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.06.2003, Az.: 2 B 215/03

Abwehranspruch; heranrückende Wohnbebauung; Landwirt

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.06.2003
Aktenzeichen
2 B 215/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48360
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Verfahrenskosten einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

2

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn die behördliche Maßnahme aufgrund einer gesetzlichen Regelung sofort vollziehbar ist. Der Widerspruch des Antragstellers gegen die den Beigeladenen unter dem 07.05.2003 erteilte Baugenehmigung für das Baugrundstück H. in I. hat gemäß § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht orientiert sich bei der Ermessensentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO an den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache. Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug der Baugenehmigung gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Bau einstweilen zu verhindern, da Widerspruch und Anfechtungsklage des Antragsteller gegen die Baugenehmigung voraussichtlich keinen Erfolg haben werden.

3

Wenn sich ein Nachbar gegen eine Baumaßnahme wendet, ist im gerichtlichen Verfahren lediglich zu untersuchen, ob die gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 NBauO erteilte Baugenehmigung auch insofern dem öffentlichen Baurecht entspricht, als nachbarschützende Bauvorschriften einzuhalten sind. Das ist hier der Fall. Insoweit kann - zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - offen bleiben, ob sich eine Verletzung von Nachbarrechten durch einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme hier aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergibt, weil die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem Allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO oder einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO entspricht. Möglich ist auch, dass auf den Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB zurückzugreifen ist, weil die nähere Umgebung keinem der im ersten Abschnitt der BauNVO bezeichneten Baugebiete entspricht. Diese Frage kann nach den Angaben der Beteiligten und den Verwaltungsvorgängen nicht geklärt werden.

4

Der Antragsteller hat nach summarischer Überprüfung jedenfalls deshalb keinen Abwehranspruch gegen ein Wohngebäude auf dem Grundstück J., weil er mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb bereits jetzt auf die sein Grundstück umgebende Wohnbebauung Rücksicht nehmen muss und weitere Maßnahmen gegenwärtig allein wegen des Bauvorhabens der Beigeladenen nicht ergriffen werden müssen. Der Abwehranspruch des Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebs muss von vornherein scheitern, wenn das Wohnbauvorhaben nicht stärkeren Belästigungen ausgesetzt wäre als die bereits vorhandene Wohnbebauung; denn dann würde seinem landwirtschaftlichen Betrieb gegenüber der hinzukommenden Wohnnutzung nicht mehr an Rücksicht abverlangt als gegenüber der bereits vorhandenen Wohnnutzung (BVerwG, Urt. v. 05.03.1984, BauR 1985, 172, Urt. v. 14.01.1993, NVwZ 1993, 1184, BayVGH, Urt. v. 22.01.1993 - 2 B 91.3575 -, UPR 1993, 230; Schrödter-Schmaltz, BauGB, Komm., 6. Aufl., § 34, Rn. 42).

5

Nach dem Gutachten des TÜV-Nord Umweltschutz vom 25.06.2002 liegt das geplante Bauvorhaben ca. 25 m von dem Stall des Antragstellers entfernt, während das bestehende Wohnhaus der Beigeladenen lediglich einen Abstand zur Stallanlage von ca. 10 m aufweist. Der Abstand des Güllebehälters im nordöstlichen Bereich des Grundstücks des Antragstellers zu dem vorhandenen und dem geplanten Wohnhaus ist in etwa gleich. Die Mistlagerung auf der Hofstelle ist von untergeordneter Bedeutung. Nach den Feststellungen des TÜV-Gutachtens (S. 15) sind bei den nächstgelegenen vorhandenen Wohngebäuden, zu denen auch andere als das zuvor genannte Wohnhaus gehören, ähnlich hohe Geruchsstundenanteile wie bei dem umstrittenen Bauvorhaben zu erwarten. An dem vorhandenen Wohnhaus kann sogar ein höherer Geruchsstundenanteil auftreten. Die Windrichtungshäufigkeit in Prozent der Jahresstunden beträgt nämlich bei dem alten Wohnhaus 64 %. Bei dem geplanten Wohnhaus liegt sie bei lediglich 59 % (Tabelle 5.1, S. 10 des Gutachtens). Dem TÜV-Gutachten ist zu entnehmen, dass die Maßstäbe zur Beurteilung der Erheblichkeit von belästigenden Geruchsimmissionen nach der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL i.d.F. v. 13.05.1998) überschritten werden. Mit 59 % der Jahresstunden nach der Geruchsstundenbewertung der GIRL ist die Überschreitung des Immissionswertes der GIRL von 10 - 12 % Geruchsstundenanteil sogar sehr deutlich. Ausschlaggebend für die Abwägung nach dem baurechtlichen Rücksichtnahmegebot ist jedoch, dass sich die Immissionssituation durch die heranrückende Wohnbebauung hier nicht verschärft. Allein wegen des geplanten Bauvorhabens sind zusätzliche Immissionsschutzmaßnahmen in dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers nicht notwendig.

6

Ob der Antragsteller wegen der Ergebnisse des TÜV-Gutachtens bereits heute zu weiteren Anstrengungen im Rahmen des Immissionsschutzes verpflichtet ist, kann gegenwärtig nicht eingeschätzt werden. Das TÜV-Gutachten selbst äußert sich hierzu nicht eindeutig, da es gleichzeitig darauf verweist, dass bei der vorgefundenen guten Sauberhaltung in der Regel nur schwache Gerüche erwartet würden, die in der Regel auch nicht als erheblich belästigend empfunden würden (S. 15). Gerüche aus Rinderhaltungen würden im Allgemeinen weniger intensiv und von den meisten Menschen in der Regel als weniger störend empfunden als z. B. Gerüche aus Schweine- oder Hühnerhaltungen (Gutachten S. 15, vgl. die weiteren entgegenstehenden Aspekte der Zusammenfassung ab S. 14). Die Landwirtschaftskammer Hannover, Bezirksstelle Braunschweig, äußert sich in ihrer Stellungnahme vom 02.05.2002 ähnlich. Die vorliegende, gering dimensionierte Rinderhaltung führt danach nur zu dorfgebietstypischen Geruchs- und Lärmemissionen. Das gilt nach den Angaben der Landwirtschaftskammer auch im Hinblick auf die geringen Abstände von Festmistlagerplatz und Güllebehälter zum Bauvorhaben. Aus immissionsschutzfachlicher Sicht sei das Bauvorhaben im Grundsatz noch tolerierbar. Auch die Untere Immissionsschutzbehörde sieht in ihrer Stellungnahme vom 11.03.2003 „primär“ einen Hinweis an den Antragsteller als ausreichend an. Er müsse seinen Betrieb entsprechend den in der Stellungnahme genannten Anforderungen betreiben. Im vorliegenden Gerichtsverfahren muss nicht entschieden werden, ob die von der Unteren Immissionsschutzbehörde empfohlene erneute Berechnung der Emissionen, vor allem im Hinblick auf ihre Ausbreitung im Nahbereich, wegen der widersprüchlichen Angaben des TÜV-Gutachtens vorgenommen werden sollte. Da zusätzliche Anforderungen aus Gründen des Emissionsschutzes wegen des neuen Bauvorhabens nicht zu befürchten sind, hat der Antragsteller jedenfalls keinen baurechtlichen Abwehranspruch aus dem Rücksichtnahmegebot.

7

Dabei muss der geplante Offenfrontstall als eingestreuter Tiefstall außer Betracht bleiben. Der Bauherr eines Wohnhauses braucht nämlich grundsätzlich nur auf den genehmigten Bestand der Tierhaltung Rücksicht zu nehmen. Künftige Erweiterungen oder Umstellungen eines landwirtschaftlichen Betriebes, die später konfliktträchtig werden könnten, sind nicht beachtlich (Schrödter-Schmaltz, a.a.O., § 34 Rn. 42, 86). Der Offenfrontstall des Antragstellers ist noch nicht genehmigt. Dieser gibt in der Antragsschrift an, zum zeitlichen Horizont der Änderungsmaßnahme im Hauptsacheverfahren, wenn möglich auch in dem Eilverfahren noch vorzutragen. Damit kommt es allein auf die gegenwärtige Konfliktlage an.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären.

9

Der Streitwert ist nach dem Streitwertkatalog der Bausenate des Niedersächsischen Verwaltungsgerichts (NdsVBl. 2002, 192, 193) festgesetzt worden (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG). Danach ist für die Beeinträchtigung von gewerblichen Betrieben ein Streitwert zwischen 5.000 und 100.000 EUR anzusetzen (Ziff. 8d). Das Gericht geht von einem Streitwert in Höhe von 20.000 EUR aus und halbiert diesen Wert für das Eilverfahren (§ 20 Abs. 3 GKG).